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28

Hermann's Sorge um Helene war keine grundlose gewesen; der Instinct der Liebe hatte ihn richtig geleitet. Die Schlag auf Schlag eintreffenden Unglücksnachrichten riefen in Frankreich allerwärts Schrecken und Erbitterung wach, zumal im Süden. Der Zorn der leicht erregten Bevölkerung wandte sich gegen die Sieger, »die deutschen Barbaren, welche es gewagt, den geheiligten Boden Frankreichs zu betreten«. Der Gedanke der Rache erzeugte nicht nur jene fast beispiellose Energie, welche Armeen aus dem Boden stampfte, sondern führte auch zu Ausbrüchen oft des kleinlichsten, ungerechtfertigtsten Hasses. Ueberall witterte man Verrath, überall suchte man Spione und verstieg sich zu den abenteuerlichsten Befürchtungen.

In solcher Zeit war es fürwahr keine kleine Aufgabe, für ein junges Mädchen, allein inmitten so erregter Stimmung auszuharren. Der Zustand des Bruders machte die Lage Helenens noch schwieriger, abgesehen von der Sorge, die das stets zunehmende Leiden desselben ihr einflößte. Herbert's krankhafte Reizbarkeit steigerte sich täglich. Eine heftige Sehnsucht nach der Heimath trat ein, und seine Verstimmung darüber, daß sein heißer Wunsch unbefriedigt blieb, äußerte sich in den wechselnden Launen. Im einen Augenblick machte er Helene dafür verantwortlich, daß sie die rechte Zeit zur Abreise verpaßt und ihn hier festgebannt habe, um im nächsten mit der seiner Krankheit eigenthümlichen Selbsttäuschung Pläne für die Rückkehr zu schmieden und auf deren Ausführung zu dringen. Helene vermochte den Bruder oft kaum zu beschwichtigen, und durfte ihn nur selten verlassen.

Dr. Roussillon war, wenn auch in seiner Weise, doch ihre einzige Stütze. Er suchte ihre Lage, so viel als ihm möglich war, zu erleichtern, sie allein vielleicht von dem großen Anathem ausnehmend, welches er gegen die »nordischen Barbaren« schleuderte. Seine Kriegsnachrichten lauteten allmälig weniger triumphirend, wenn er auch noch hier und da fabelhafte Schlachtberichte erzählte. Um so höher aber stiegen seine Hoffnungen auf eine Neugestaltung der Verhältnisse, wenn er diese vorerst auch nur Helenen gegenüber laut werden ließ. In ihrer gewohnten stillen Weise nahm sie auch diese Ergüsse hin. Ihre unerschütterliche Ruhe war vielleicht das einzige, was er an ihr auszusetzen hatte. Viel lieber hätte er gesehen, daß sie einmal in einem heftigen Ausbruch von Verzweiflung sich Luft gemacht hatte, wie jede rechtschaffene Französin an ihrer Stelle gethan haben würde, als daß nur ein so trauriger Zug um ihre Lippen sich legte und ihr Antlitz so schmal und bleich wurde. Bei all' seinem heißblütigen Patriotismus und Republicanismus vergaß Dr. Roussillon aber niemals, der jungen Fremden die äußerste Vorsicht zu empfehlen und vor allen Beziehungen mit Deutschland sie zu warnen; er wußte nur zu gut, wie die Volksaufregung täglich im Zunehmen begriffen war. Ein Umstand war Helenen bisher trefflich zu Statten gekommen. Wie sehr die politischen Freiheitsprincipien auch im Süden sich verbreitet hatten, so hatte doch die anti-religiöse Richtung bei der Masse noch wenig Eingang gefunden. Besonders das Landvolk war zum größten Theile seinem Glauben treu ergeben. Im Volksmunde sind im Süden Frankreichs die Begriffe »deutsch« und »protestantisch« ziemlich identisch. Die junge schöne Dame aber, die man allmorgendlich zu dem Wallfahrtskirchlein hinaufsteigen sah – der einzige Ausgang, den Helene sich gestattete –, und welche dann der hl. Messe so andächtig beiwohnte, hatte niemand im Verdacht, zu den verhaßten Feinden zu gehören, zu den maudits prussiens, die doch alle Ketzer waren, wie man sich mit Vorliebe drastisch ausdrückte. Man hatte ihr stets ehrerbietig Platz gemacht, wenn sie durch die Reihen der Kirchgänger schritt. Man schaute ihr freundlich nach und grüßte sie auch wohl mit der Zuthunlichkeit, die den Südländer so schön kleidet. Hier und da hatte sie mit dem Landvolke einige Worte ausgetauscht oder kleine Wohlthaten gespendet. Sie übte auf die Leute jenen Zauber aus, den Jugend und Schönheit stets mit sich bringen.

Wäre Helene weniger mit ihren Gedanken beschäftigt gewesen, so würde sie indessen bemerkt haben, wie diese freundliche Gesinnung plötzlich eine Aenderung erfuhr. Es waren nicht mehr wohlwollende Blicke, die ihr folgten; im Gegentheil: mißtrauisch und fast feindselig richteten sich jetzt die schwarzen Augen auf sie. Man wich ihr kaum mehr aus, wenn sie Volksgruppen zu passiren hatte, und einigemale war schon dumpfes Murren laut geworden. Aehnliche Erfahrungen hatten auch ihre Diener gemacht. Helene hatte alles das nicht beachtet, da eine neue Sorge sie zu quälen begann. Herbert's Schwäche nahm jetzt in auffallender Weise zu, so daß das schlimmste zu befürchten stand. Er war seinem Glauben stets fromm ergeben gewesen und immer pünktlich seinen religiösen Pflichten nachgekommen; hier aber war ihm der Empfang der hl. Sacramente durch die französische Sprache erschwert, und er hatte denselben immer hinausgeschoben. Jeder Versuch Helenens, seine Gedanken darauf hinzuleiten, war bisher gescheitert. Mit dem Eigensinn eines Kranken, der sich selbst verblendet, hielt er seine Rückkehr in die Heimath für nahe bevorstehend.

Gerade in jenen Tagen, wo in Paris die Krisis eintrat, durchwachte Helene bei ihrem Bruder eine Nacht, welche ihre Befürchtungen auf das höchste steigerte. Die beängstigenden Zustände, welche in dieser Krankheit dem nahenden Ende gewöhnlich voraufgehen, waren eingetreten. Helene vermochte die Furcht kaum mehr zu ertragen, den Bruder ohne die Tröstungen der heiligen Kirche scheiden zu sehen. Als der Morgen anbrach, bat sie durch ein Billet den alten Priester des Ortes, sobald als möglich zu Herbert zu kommen. Sie hatte ihre Zofe mit dieser Botschaft betraut, da sie Ebert zur Hülfe bei dem Kranken zurückbehalten mußte. Sie selbst war bei ihrem Bruder geblieben, einen günstigen Augenblick erwartend, um ihn vorzubereiten. Schon die Stille der Krankenstube hatte für sie in diesem Augenblicke etwas beängstigendes, als ein eigenthümliches Getöse von Stimmen, welches zu ihr heraufdrang, sie noch mehr erschreckte. Sie wollte zuerst sich der Nervenschwäche beschuldigen, da Lärm auf der Straße bei dem lebhaften Volke durchaus nichts Auffallendes war, um so weniger, als der Markttag viele Leute aus der Umgegend zur Stadt führte. Der nächste Augenblick aber zeigte ihr schon, daß ihr Vorgefühl sie nicht getäuscht: der alte Ebert rief sie in das anstoßende Gemach, und sein bleiches, entstelltes Gesicht ließ sie sogleich auf Ernstes schließen. Kaum der Worte fähig, berichtete er, das Volk habe so eben ihre Dienerin gefangen genommen und klage sie selbst des Verraths und der Verbindung mit Deutschland an. Noch hatte Helene aus den Worten des zitternden Alten kein rechtes Verständniß gewonnen, als auch schon die Hausleute weinend und schreiend hereinstürzten. Aus dem Wortschwall vermochte Helene nur zu entnehmen, ihre Dienerin stehe schon längere Zeit im Verdacht, eine ausländische Korrespondenz zu führen. Das Volk habe dieselbe so eben auf frischer That ertappt, man habe sie zu den Behörden geschleppt, und die erregte Menge wälze sich heran, um an ihr, als einer Agentin Deutschlands, Rache zu nehmen. Im Bewußtsein ihrer Unschuld hielt Helene das Ganze für ein Mißverständniß, welches sich alsbald aufklären würde. Aber Ebert gestand zagend, die Zofe sei leider ihren Befehlen nicht nachgekommen, habe vielmehr wiederholt den Versuch gemacht, einen Brief nach Deutschland zu befördern, indem sie ihn heimlich in den Briefkasten der abgehenden Post schob. Das war nicht unbemerkt geblieben und hatte Verdacht erweckt. Heute hatte sie, die Gelegenheit eines frühen Ausganges benutzend, den Versuch erneuert und war dabei ergriffen worden.

Näher und näher kam das Geschrei und zeigte Helenen die drohende Gefahr. Einen Augenblick stand sie wie von Furcht gelähmt; ihr Blick irrte fast wild umher, ob denn niemand zu ihrem Schutze nahe sei. Aber nur weinende und klagende Menschen umgaben sie. Ein leiser Ruf des Bruders aus dem Nebenzimmer brachte sie zu dem Bewußtsein, daß sie selbst jemanden zu beschützen habe, einen Kranken, einen Sterbenden vielleicht. Nein, dem konnte man nichts anhaben – so grausam konnte das Volk nicht sein, in dessen Mitte sie so oft gekniet, das sie so oft fromm vereint gesehen! Sie waren ja Christen – sie mußten ihren Vorstellungen doch Gehör geben. Mochte Gott ihr helfen! Sie mußte es wagen! Es schien, als sei ihr alle Fassungskraft mit dem Gedanken zurückgekommen. Mit seltener Besonnenheit schob sie den alten Ebert zu ihrem Bruder hinein, ihm Schweigen befehlend. Ehe die Hausleute sie zurückzuhalten vermochten, hatte sie das Zimmer verlassen und war hinausgetreten auf die Treppe, die zur Straße hinabführte. Einen Moment fuhr sie zurück, als sie die drohende, schreiende und schimpfende Menge gewahrte: diese gebräunten Gesichter des Südens mit ihrem fanatischen Ausdruck, die blitzenden Augen der Weiber, welche am lautesten schrieen und von Verrath zeterten.

Aber nur einen Moment dauerte Helenens Schwäche. Wie von plötzlicher Eingebung erfaßt, erhob sie das Kreuz des Rosenkranzes, den sie eben in der Hand hielt, hoch empor: »Bei dem Kreuze hier, bei der Madonna, die wir alle verehren, beschwöre ich euch, haltet ein! Ein Todtkranker liegt im Hause, der nach den Tröstungen unserer heiligen Kirche verlangt. Franzosen! man rühmt euch als das ritterlichste und christlichste Volk. Werdet ihr einen Sterbenden in seinen letzten Augenblicken stören, in denen er sich mit seinem Gott aussöhnen muß?«

Bei Helenens ersten Worten hatte die Menge erstaunt innegehalten. Wie sie da stand, hoch aufgerichtet, ein schönes, junges Weib, schutzlos und doch so muthvoll, machte sie einen tiefen Eindruck auf die erregten Gemüther. Unwillkürlich sanken die erhobenen Fäuste nieder; die ersten wichen beschämt zurück, während die andern näher drängten, um ihre Worte zu hören.

Helene benutzte mit vieler Geistesgegenwart den augenblicklichen Vortheil. »Ich kann euch nicht überzeugen, wenn ihr mir nicht glauben wollt,« fuhr sie mit erhobener Stimme fort. »Aber bei allem, was euch und mir heilig ist, ihr seid im Irrthum! Ich habe jede Verbindung mit dem Auslande abgebrochen, seitdem ich bei euch weile. Mögen euere Behörden kommen und untersuchen, ob ich die Wahrheit rede. Ihr werdet keine schutzlose Frau insultiren, weil sie bei ihrem sterbenden Bruder blieb. Ich stelle mich in euern Schutz, Franzosen! Mag der Himmel mir beistehen.«

Und als wollte der Himmel ihr wirklich zu Hülfe kommen, ertönte plötzlich das Glöcklein, das die Ankunft des Priesters mit dem Viaticum verkündete. Der Pfarrer hatte auf die Nachricht, die Helene ihm gesandt, sich sofort bereit gemacht. Unterwegs erreichte ihn schon die Kunde von dem Volksauflauf, und er beschleunigte seine Schritte in dem Gedanken, daß sein Nahen wohl am besten die tobende Menge beschwichtigen werde, deren leicht erregbaren, aber gläubigen Sinn er kannte. Kaum hatte Helene das leise Klingeln gehört, als sie sich wieder faßte. Während die Menge ehrfürchtig vor dem Priester sich theilte, schritt sie unverzagt die Treppe hinab, mitten in das Gewühl hinein und beugte vor dem Allerheiligsten das Knie. Es war ein Act, so muthvoll und doch so demüthig, daß auch die rohesten Gemüther tief ergriffen wurden. »Sagen Sie den Leuten, mein Vater, daß ich sie nicht verrathen habe,« sprach sie mit rührender Bitte, indeß der Geistliche wie segnend das Viaticum über ihr Haupt erhob. Der gläubige Sinn brach sich Bahn, der größte Theil des Volkes sank auf die Kniee, und tiefe Stille folgte dem Tumulte. Auch als Helene dem Geistlichen in das Haus folgte, blieb alles ruhig. Man schämte sich, gegen ein schutzloses Weib so vorgegangen zu sein und die Ruhe eines Sterbenden gestört zu haben. In vieler Augen standen Thränen. » Qu'elle est belle, comme elle a du courage,« hörte man von allen Seiten flüstern, und viele verließen still den Platz.

Helenens Muth wurde aber trotzdem für die nächsten Stunden noch unausgesetzt in Anspruch genommen. Ihre Dienerin war verhaftet, der alte Ebert wurde zu seinem haarsträubenden Entsetzen ebenfalls vorgeladen; so sah sie sich vollkommen allein. Dr. Roussillon war zwar herbeigeeilt, ihr zu Seite zu stehen; doch lebte und webte er setzt nur für seine patriotischen Gedanken und benutzte die aufgeregte Volksstimmung für seine republicanischen Zwecke.

Der Pfarrer war ein schon sehr bejahrter Herr, und außer zu seinem heiligen Amte konnte Helene ihn nicht in Anspruch nehmen. Dabei mußte Helene ihrem Bruder alles zu verbergen suchen und hatte die Hauseigenthümer zu beruhigen, die immer noch für ihr Eigenthum bangten.

Als endlich gegen Abend Herbert in einen leichten Schlummer gesunken war, drohten auch Helenens Kräfte, sie zu verlassen. Dem Drängen der Hausfrau gab sie endlich nach, Ruhe zu suchen. Aber die überangestrengten Nerven forderten ihr Recht. Sobald sie sich einsam sah, drang das Gefühl der Verlassenheit mächtig auf sie ein. Wie am Morgen sah sie fast wild um sich, ob nicht ein bekanntes Gesicht ihr Trost bringe. »Papa, Papa! Hermann! Kommt doch, um Gotteswillen kommt, ich bin so allein!« ging es in kindlichem Angstruf über ihre Lippen. Unwillkürlich nannte sie die Namen derjenigen, in deren Schutz sie von Kindheit an das meiste Vertrauen gesetzt. Kam denn niemand, dachte niemand daran, wie verlassen sie sei? Sie, die am Morgen so muthig gewesen war, bebte nun vor der Stille, die ihrem Ausrufe folgte. Sie sah ein, daß sie ungerecht wurde, daß ihre Lieben daheim keine Möglichkeit hatten, ihr Hülfe zu bringen; sie schämte sich ihres Mangels an Selbstbeherrschung, aber sie vermochte nur mit äußerster Mühe ihr lautes Schluchzen zu ersticken.

Sie versuchte zu beten, doch gelang es ihr nicht, ihre Gedanken zu ordnen. Da ließ eine plötzliche Unruhe im Hause sie von neuem zittern. Was konnte es wieder sein? Der leise, schlurfende Schritt der alten Französin nahte – sie rief vielleicht zum Schrecklichsten. Helene vermochte kaum zu öffnen, kaum zu verstehen, was die Alte ihr zuraunte. Verwirrt schaute sie empor bei dem Laute einer fremden Stimme.

Eine große männliche Gestalt stand vor ihr, nannte ihren Namen und sagte ein beschwichtigendes Wort. Der Rückschlag war zu groß.

»Hermann! Hermann! O, endlich! Ich bin so schrecklich allein!« ging es wie ein Schmerzensschrei über ihre Lippen, und sie sank fassungslos in seine Arme.

Ein Zittern fuhr durch des mächtigen Mannes Glieder, wie er sie plötzlich so umfangen hielt. Er hatte sich gegen das Wiedersehen möglichst zu stählen gesucht; er hatte hundertmal auf dieser Reise sich vergegenwärtigt, wie ruhig er ihr entgegentreten wolle, – auf diesen Empfang war er am wenigsten gefaßt. Die Stimme versagte ihm, und gewaltsam mußte er sich zusammennehmen, um sie nicht an sein Herz zu schließen, ihr zu sagen, mit welcher Liebe und Sorge er ihrer gedacht. Aber nicht umsonst hatte er mit so eisernem Willen sein Verhältniß zu ihr sich klar gemacht. Sanft richtete er sie auf und versicherte ihr, daß er ja gekommen sei, ihr beizustehen. Mit fast rauhen Worten hieß er die Alte bleiben, die Lust zeigte, sich fortzuschleichen, da sie wohl annehmen durfte, Helene habe jetzt Trost und Schutz gefunden.

Helenens Fassung war aber noch nicht wiedergekehrt; die einmal erwachte Angst, die sie alles vergessen ließ, machte sich geltend. Ihr Kopf sank auf Hermann's Schulter, ihre Arme umklammerten ihn, als fürchte sie, daß er sie wieder verlasse. »Herbert stirbt! und ich bin so allein,« klagte sie. »O, und heute war es so gräßlich! Ich dachte, sie hätten uns getödtet, die schrecklichen, wilden Menschen.« Ihr Antlitz war dabei so farblos, ihre Stimme so bebend, daß man kaum hätte ahnen können, daß sie dasselbe muthige Mädchen sei, welches vor kurzem der Gefahr so kühn entgegengetreten war. Aber vielleicht trat diese zarte, zitternde Gestalt Hermann's Herzen um so näher.

»Wenn sie dir nur ein Haar gekrümmt hätten!« sagte er mit einer Stimme, als hätte er sie alle zu vernichten vermocht. »Dr. Roussillon erzählte mir schon, wie muthig du dich gezeigt hast. Wäre ich nur einige Stunden früher gekommen! Es ist unverzeihlich, dich so lange hier allein zu lassen. Aber dein Vater konnte nicht reisen,« fuhr er in leise beschwichtigendem Tone fort. »Ich hörte leider zu spät, daß du noch hier seiest, und meine Reise ging so langsam. Du wirst nicht gezweifelt haben, daß ich kommen würde?«

»Nein, ich dachte mir, du würdest es versuchen,« sagte Helene naiv, und schaute so voll innigen Vertrauens zu ihm auf, daß der junge Mann, einen Moment wie selbstvergessen, sie näher an sich zog. Aber im selben Augenblick schien sie plötzlich zum Bewußtsein ihrer Lage zu kommen. Vielleicht war es nur ein Gefühl natürlichen Schreckens, das sie hastig einen Schritt zurückthun ließ, das so jähe Röthe auf ihr Antlitz legte und ihrer Stimme einen andern Klang gab, als sie hinzufügte: »Du wirst hier aber auch Gefahr haben. Sie haben eine solche Wuth auf die Deutschen, daß ich nicht weiß, ob sie dich dulden werden.«

Ein trauriger Zug hatte Hermann's Gesicht überflogen, als sie so hastig sich von ihm losmachte. Er gab sie sogleich frei; eine dunkele Röthe stieg auch in sein Antlitz und seine Stimme hatte einen Moment etwas gepreßtes, als koste seine Ruhe ihm die äußerste Gewalt. »Ich habe mich mit allem versehen, was zu unserer Sicherheit gehört,« antwortete er, »und das hat mich in der Schweiz so lange aufgehalten. Ich komme als dein älterer Bruder, – wir sind und bleiben Niederländer. Unsere Pässe, alles ist in Ordnung. Um allen Unannehmlichkeiten vorzubeugen, hatte ich mich trotz der späten Stunde sogleich bei den Behörden melden lassen, obschon man kaum weiß, wer jetzt hier im Lande die Zügel hält. Ich habe auch schon Schritte gethan, um den alten Ebert zu befreien, und ihm durch Dr. Roussillon sagen lassen, daß ich angekommen bin. Uebrigens waren die Behörden sehr zuvorkommend gegen mich, wohl um das Geschehene vergessen zu machen, denn ich hatte erklärt, durch die niederländische Gesandtschaft Beschwerde führen zu wollen über so Unerhörtes.«

Es lag etwas in Hermann's ruhig ablenkender Art, in der Weise, wie er schon alles vorgesehen, für alles gesorgt hatte, was Helenen unendlich wohl that. »O, Hermann, du kannst immer helfen,« sagte sie fast in dem Tone ihrer Kindheit, »und ich hatte recht, mich auf dich zu verlassen. Aber du wirst nicht lange bleiben dürfen, und wir werden vielleicht noch lange nicht reisen können mit Herbert. O, der arme Herbert! Was wird Papa sagen?« und die Thränen perlten ihr von neuem über das Antlitz. »Es ist zu entsetzlich!«

» Dr. Roussillon sagte mir schon, wie es mit Herbert steht … Wir müssen uns in Gottes Fügungen ergeben,« gab Hermann ernst zurück. »Aber was auch kommen mag, ich verlasse dich nicht, Helene, so lange du hier allein bist. Du mußt mir das Recht geben, dich zu beschützen. Ich bin dein ältester Freund, – und ich versprach deinem Vater, dich sicher heimzugeleiten,« setzte er hinzu, als wolle er jeden Gedanken persönlichen Interesses zurückweisen. Helene reichte ihm gerührt die Hand; aber sie bemerkte jetzt auch, daß er bleich und angegriffen aussah, und begriff, daß er nach der langen Reise der Ruhe und Stärkung bedurfte. Es mochte nicht gerade Hunger und Ermüdung sein, was seine Kräfte so erschöpft hatte; aber es dünkte Hermann die beste Ablenkung, Helene für ihn sorgen zu lassen, und er hoffte dann auch ihr selbst eine Erquickung aufzunöthigen.

Sie freute sich von Herzen, seinen Bericht aus der Heimath zu vernehmen; es war ihr schon eine Beruhigung, nach so langer Zeit eine bekannte Stimme zu hören und ein bekanntes Antlitz zu sehen. Dabei fiel ihr auf, wie sehr Hermann sich verändert hatte, obschon sie kaum hätte sagen können, worin die Veränderung bestehe. Vielleicht ändert nichts so sehr des Menschen Antlitz, als Denken und Empfinden, und beides hatte Hermann in den letzten Jahren im reichsten Maße gethan. Als er ihr vorschlug, er wolle ihren Platz an Herberts Bette einnehmen, fügte sie sich ohne Widerrede. Dann suchte und fand sie den Schlummer, der sie seit einigen Nächten fast ganz geflohen hatte.

Stille Wochen folgten Hermann's Ankunft bis zu jener Stunde, wo er mit Helene an Herbert's Lager kniete, dessen junges Leben länger, als man geglaubt, dem Leiden widerstanden hatte. Hermann hatte während dieser Zeit als treuer Bruder ihr zur Seite gestanden, alle Mühe und Sorge von ihr entfernend, so viel es in seinen Kräften stand. Er war es auch, der, als Helenens Stimme versagte, in tiefem, innigem Glauben die letzten Gebete sprach, die den Scheidenden hinübergeleiteten; er war es, der von Trost sprach und von Wiedersehen, als Helene im ersten fassungslosen Schmerze um den Hingeschiedenen klagte. Nichts vielleicht webt ein so festes Band zwischen zwei Seelen, als wenn sie auch im Heiligsten und Höchsten sich verstehen.

Wie ein treuer Bruder geleitete Hermann dann Helene wenige Tage später von dem Orte weg, wo sie so viele schmerzliche Erinnerungen und den Grabhügel auf dem Gottesacker zurückließ. Sie hatte dort noch ein anderes Glück begraben, und geglaubt, ihr Herz müsse an der Wunde verbluten. Aber sie dachte dessen kaum mehr, als das Schiff vom Lande stieß und die Küste vor ihren Blicken schwand. Ihre Thränen galten nur den Augen, die sich im Tode geschlossen hatten, und dem Gedanken an den Vater, zu dem sie ohne den Sohn heimkehren sollte.

Auf der Fahrt verleugnete Hermann keinen Augenblick die Rolle des Bruders und Freundes. Wenn es ihm auch schwer wurde, dieselbe treu innezuhalten, so verrieth das weder Wort noch Blick. Während der langen Stunden, die sie zusammen verlebten, fand Helene Gelegenheit, zu bemerken, wie reich sich Velden's Geist entwickelt hatte. Im leichten, geselligen Verkehr gab Hermann sich weniger offen, als in ernster Unterhaltung. Sein gerechtes, ruhiges Urtheil war doppelt ansprechend in bewegter Zeit. Als Kind hatte Helene im Umgang mit ihm das Gefühl des Uebergewichtes gehabt, jetzt ordnete sie sich willig seinem gediegenen, gereiften Denken unter. Vergebens hatte Hermann sich gewappnet gegen den Reiz, der für ihn in diesem traulichen Verkehr mit Helene lag; die Unterhaltung mit ihr machte ihn froh und ließ ihn alles andere vergessen. Von Holdern war zwischen ihnen nie die Rede. Aber Velden, der mit der ihm eigenen Zähigkeit den Gedanken festhielt, daß ein näheres Verhältniß zwischen Holdern und Helene bestehe, übte einen Act heroischer Selbstverleugnung, indem er Helene einen Brief seiner Mutter lesen ließ. Es war darin erwähnt, daß Holdern vor einiger Zeit aus England zurückgekehrt sei und sogleich Asten aufgesucht habe, um dem Grafen sein lebhaftes Bedauern auszusprechen, daß er Helenen nicht zu Hülfe hätte eilen können. Er sei sehr begeistert für die deutsche Sache gewesen, und jetzt solle er sich zur Armee begeben haben. Helene hatte den Brief ohne weitere Bemerkung an Hermann zurückgegeben, und dieser hatte sich gescheut, den Eindruck zu beobachten, welchen derselbe auf sie gemacht.

Das Weinlaub an den rheinischen Bergen färbte sich schon gelb, und die Buchenwälder der deutschen Heimath begannen lichter zu werden, als Helene wieder im Vaterhause anlangte. Es war ein trüber Augenblick, als sie das alte Schloß wiedersah, dessen Erbe in der Fremde schlummerte, als sie in ihres Vaters Arme sank und ihm nur den letzten Gruß seines Sohnes bringen konnte. Aber der Graf hatte in der letzten Zeit zu sehr für beide Kinder gebangt, um nicht mit dankbarem Herzen die Freude zu empfinden, daß ihm wenigstens das eine wiedergegeben war.

Sein Dank gegen Velden war zu groß, um in Worte gefaßt werden zu können. Auch lag etwas in der Weise des jungen Mannes, was denselben zurückwies. Es war ja natürlich, daß Helenens Angehörigen ihn mit Dank und Liebe für seine entschlossene That überschütteten; doch schien jede Aeußerung darüber des jungen Mannes Empfindlichkeit zu verletzen. Den Aufenthalt in Asten schien er kaum ertragen zu können. Jetzt, wo Helene seines Schutzes nicht mehr bedurfte, war es ihm unmöglich, ihr ruhig entgegenzutreten. Obwohl er auf dem Schlosse auch seine Mutter gefunden, welche stolzer und glücklicher denn je zu ihm aufschaute, meldete er sich sogleich bei seinem Chef und sah dessen Antwort mit großer Ungeduld entgegen. Er weilte so wenig als möglich im Familienkreise und theilte seine Tage zwischen Werthernhaus und wahren Kraftmärschen nach Burghof, als wolle er in Anstrengung und Unruhe sich betäuben.

Seine Mutter ahnte, was in ihm vorging. Bei ihrem längern Aufenthalte in Asten hatte sie bemerkt, daß Holdern nicht so in Gunst stand, als sie vermuthet hatte, und daß die Angelegenheit jedenfalls noch nicht so weit gediehen war, als Hermann glaubte. Sie schöpfte neue Hoffnungen für den Sohn und hätte ihm gern Mittheilung davon gemacht. Aber es war, als ob Hermann dies ahne, und er wich der Mutter beharrlich aus.

Etwa eine Woche mochte verflossen sein, als sie ihn eines Abends mit ernstem Ausdruck in ein Schreiben vertieft fand, welches sie sogleich als ein amtliches erkannte. Hermann hatte ihr keine nähern Aufklärungen gegeben, wie es ihm möglich gewesen war, sich so plötzlich aus seiner Stellung frei zu machen. Sie sah aus dem düstern Ausdrucke seiner Züge, daß das Schreiben nichts Angenehmes enthalte. »Hast du Verdrießlichkeiten in deiner Stellung bekommen durch deine lange Abwesenheit?« fragte sie, leise herantretend.

»Es war selbstredend, daß ich meine Zukunft in Frage stellte, indem ich mich in so kritischer Zeit von meinem Posten entfernte,« gab er in etwas gereiztem Tone zurück. »Mir die Stelle frei zu halten, war unmöglich. Für später wird es mir in meiner Karriere nicht schaden,« fügte er bei, um seine Mutter zu beruhigen. »Nur für den Augenblick bleibe ich ohne Beschäftigung.«

»Du hast ein großes Opfer gebracht,« meinte Frau von Velden; sie wußte wohl, wie gern Hermann beim Ausbruch des Krieges gerade diese Stelle angenommen hatte. »Aber dafür bleibst du uns auch länger erhalten. Burghof hat dich lange nicht gesehen,« setzte sie zärtlich hinzu. »Es wird gut sein, wenn sein Herr wieder einmal längere Zeit dort weilt.«

»Ich weiß nicht, Mutter, wie du denken kannst, man könne in solcher Zeit daheim sitzen und die Hände in den Schooß legen!« sagte er ungeduldig. »Ich habe den Maltesern meine Dienste angeboten. Es sind jetzt so viele Kräfte nothwendig, daß ich wohl rasch Verwendung finden werde.«

»O, Hermann,« sagte die Mutter erschreckt, »du bist kaum angelangt und möchtest schon wieder fort! Sei jetzt nicht stolz und herbe,« setzte sie leiser hinzu; »ich weiß, wie hoch man hier deine aufopfernde That schätzt. Ein Mann darf nie zu stolz sein, um eines Mädchens Herz zu werben, – wer weiß, wie Helene jetzt über dich denkt! Warum willst du die günstige Gelegenheit vorübergehen lassen?«

Fast rauh machte Hermann sich von seiner Mutter los. »Helene Asten steht mir jetzt ferner als jemals,« sagte er, »und ich wünsche nicht, daß du diesen Gegenstand jemals wieder erwähnst. Was ich that, würde jeder andere auch gethan haben: ihr Vater war ja mein Freund und Wohlthäter. Aber nie werde ich von der Dankbarkeit fordern, was die Liebe mir verweigert. Wäre Holdern daheim gewesen, so hätte ich ihm das Recht überlassen, ihr beizustehen.«

»Aber, Hermann, ich glaube, du irrst; ich bezweifele sehr, daß Helene und Holdern sich näher stehen.«

»Daß ihre Herzen sich gefunden haben, weiß ich,« sagte Velden sehr entschieden, »und da das Hinderniß, welches Holdern's weniger günstige Verhältnisse geboten haben mögen, beseitigt ist, so können wir die Sache für erledigt halten. Ich bin übrigens neugierig,« setzte er in schroffem Uebergange hinzu, »ob ich in den nächsten Tagen anstatt eines Bataillons Soldaten ein Bataillon frommer Schwestern nach Frankreich zu geleiten haben werde. Alles, was ich auf meiner Reise hörte und sah,« fuhr Hermann fort, um seine Mutter auf andere Gedanken zu lenken, »verhieß noch viel Schlimmeres, als wir schon erlebt haben. Der Süden Frankreichs ist in furchtbarer Gährung und schmeichelt sich mit der Hoffnung, wir Deutschen würden demnächst vor dem Namen der Republik uns zurückziehen. Selbst Signor Garibaldi wird mobil machen, um uns für das Attentat gegen die heilige Republik zu strafen. Gegen den möchte ich übrigens doch einmal fechten. Für's erste ist jedenfalls noch keine Aussicht auf Frieden, trotz unserer Siege, und ich werde mich noch ein wenig an dieser großen Zeit betheiligen können, wenn auch nicht als Kriegsheld. Der glänzende Theil ist nie für deinen Sohn, Mutter.«

»Aber der segensreiche,« sagte diese leise, des Sohnes Hand pressend, die ungewöhnlich heiß in der ihren lag. Vielleicht hätte sie noch ein anderes Wort für Hermann gehabt, wenn nicht Graf Asten und Helene, welche eben von einem Ritte zu Werthern zurückkehrten, herangetreten wären.

Velden nahm die Gelegenheit wahr, ihnen in Kürze die Entscheidung seines Chefs mitzutheilen, aber in einer Weise, als sei sie ihm weder unerwartet noch unangenehm gekommen. Er sprach dann von seinem Entschluß, sich den Malteser-Rittern anzuschließen.

Der Graf nahm das erste ziemlich leicht und meinte, er habe gehofft, Hermann werde sich überhaupt bald seinem Eigenthum widmen; nur habe er nicht geglaubt, daß er sie so bald verlassen wolle. Helene mischte sich wenig in die Unterhaltung; ihr Auge suchte einen Moment den Blick Velden's, als er seinen neuen Entschluß erwähnte. Velden vermied es aber sichtlich, ihrem Blick zu begegnen.

»Dieser heilige Eifer für die Krankenpflege,« fuhr der Graf fort, »scheint alle Welt zu ergreifen. Bei Werthern hörten wir wahrhaftig, auch Holdern wolle sich der Malteser-Genossenschaft anschließen und in den nächsten Tagen auf den Kriegsschauplatz abgehen. Es hat mich sehr gewundert; denn im Grunde ist es sein Fall nicht, und eigentlich hätte er eben jetzt mit seinen Geschäften genug zu thun. Ich will es aber nicht tadeln,« setzte Graf Asten mit seiner gewohnten Gutmüthigkeit hinzu. »Es ist doch ein schönes, edeles Werk, bei dem wir, Gott sei Dank, einmal alle einig sind. Und es wird noch viel zu thun geben; denn die Herren Franzosen sind ja rabiater wie jemals. Apropos, die Franzosen!« plauderte der Graf weiter, »Berg und Thal kommen nicht zusammen, aber Menschen finden sich immer wieder. Wißt ihr, daß der arme de Bussy in Bornstadt als Kriegsgefangener sitzt? Das hat er im vorigen Jahre auch nicht geahnt, daß er sobald unfreiwillig die Reise nach Deutschland werde wiederholen müssen. Werthern war schon bei ihm, und ich werde ihn auch aufsuchen, sobald ich nach Bornstadt komme. Vielleicht ist sein Deutschenhaß nicht so groß, daß er uns nicht hier besucht, der arme Kerl! Es geht ihnen doch allen furchtbar nahe! Du wirst ihn am Ende trösten müssen, Kindchen,« fuhr er, zu Helene gewandt, neckend fort, die aber nicht in der Stimmung schien, auf seinen Scherz einzugehen.

»Vielleicht kann er uns über Anton Nachricht geben,« sagte Frau von Velden, »oder er wird Mittel wissen, uns Nachricht zu verschaffen. Es ist so schrecklich, daß wir diese ganze Zeit hindurch nichts mehr von ihm hörten. Sein letzter Brief kam im Frühjahre, lange vor Ausbruch des Krieges, als er eben in's Kloster eintreten wollte.«

»Aber du, Helene,« mischte sich Tante Christiane ein, »du hattest ja auch einen Brief, den ich dir nach Frankreich nachsandte. Oder war er nicht von Rother? Er trug doch den Poststempel Paris. War er vielleicht gar von Demoiselle Daniella, von der ihr so viel sprachet? Du erwähntest nie, ob du den Brief erhalten hast.«

»Demoiselle Daniella,« meinte der Graf, »wird wohl auch von den Franzosen höflichst ausgewiesen worden sein; in solchen Zeiten hört auch bei ihnen die Galanterie auf.«

»Ich glaube kaum,« sagte Helene, etwas peinlich berührt von der Erinnerung an jenen Brief. »Rother schrieb mir gerade über sie. Sie soll ganz dem Treiben der rothen Partei sich angeschlossen haben. De Bussy hatte leider recht, als er es im vorigen Jahre erzählte. Es ist traurig, einen so reichen Geist auf diesem Wege zu sehen.«

»Was mag sie dazu getrieben haben? Sie schien doch sehr geneigt, damals einer ganz andern Richtung zu folgen,« meinte Graf Asten. Doch Helene schwieg.

»Wenn es so ist,« bemerkte Frau von Velden, »dann wird euer kleines Mädchen aus der Domgasse vielleicht noch eine große Rolle in der Seinestadt spielen; denn ihre Partei hat jetzt dort entschieden das Uebergewicht erlangt. Rother hatte anderes für sie erhofft. Eigenthümlich ist es übrigens, wie ihre Wege sich stets kreuzen; auch jetzt, geistig durch einen Abgrund getrennt, treffen sie vielleicht wieder zusammen. Anton wird wohl durch sein geistliches Kleid vor der Ausweisung geschützt worden sein.«

»Ich werde durch euern Comte de Bussy etwas zu erfahren suchen,« unterbrach Hermann die Mutter eifrig. »Er wird uns doch mittheilen können, wie man es in Paris mit den Ordensleuten gehalten hat. Und, Mama, meinst du nicht, daß wir versuchen sollten, durch unsern Bischof einen Schritt zu thun?« fuhr Hermann fort, der einige Gewissensbisse fühlte, den Freund und Bruder über den eigenen Gedanken in letzter Zeit fast vergessen zu haben. »Die Belagerung hat erst begonnen, aber allen Berichten zufolge kann es noch sehr schlimm in Paris werden.«


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