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18

Helene, die jede Minute zählte, welche sie in Holdern's Nähe verlebte, würde eine bittere Enttäuschung empfunden haben, hätte sie gewußt, wie lange er schon in Paris gewesen, ehe er sie bei Hohenwaldau aufsuchte.

Das gewöhnliche Salonleben mit den Pflichten und Rücksichten, die es auferlegt, war Holdern lästig. Auch den Hohenwaldau'schen Cirkel würde er wohl kaum betreten haben, hätte er nicht den bestimmten Zweck damit verbunden, in Bezug auf Velden einiges zu erfahren. Er wünschte überdies, wo möglich, Graf Asten's Theilnahme für die neuen Unternehmungen in seiner Heimath zu gewinnen.

Daß Daniella ihn nicht liebte, wußte Holdern; aber er wußte auch, daß er eine gewisse Gewalt über sie besitze. Sie hatte die Bahn betreten, die er ihr angewiesen – jetzt vermochte sie nicht so leicht sich ihm zu entziehen, wie oft auch ihr Auge vernichtende Blicke auf ihn schleudern, ihre scharfe Zunge ihn treffen mochte. Holdern war entschlossen, diesen Einfluß nicht daranzugeben; denn ihr Reichthum war jetzt mehr wie je ein bedeutender Factor in seinen Berechnungen. Rücksichtslos, wie er früher Gold ausgestreut, dürstete er nun danach; aber seine Ansprüche bezifferten sich nach Millionen. Der zwanglose Verkehr in Daniella's Villa sagte ihm zu. Er war sicher, dort immer Menschen piquanter oder interessanter Art zu treffen, oder lange Stunden dem schönen Mädchen gegenüber verbringen zu können, – das einzige, was ihm überhaupt einen Salon noch erträglich machte, wie er sagte.

Daniella's Art, selbständig aufzutreten, entsprach wohl nicht ganz dem Begriff weiblicher Eingezogenheit; nichtsdestoweniger wußte sie auch in Paris, wie es in ihrer Vaterstadt ihr gelungen, ihre Stellung zu behaupten, ohne daß ein Schatten auf sie fiel.

Das geistige Piedestal, das sie sich errichtet, gab ihr eine gewisse Hoheit, die alles Gemeine fernhielt. Geistreiche Frauen, verbreiten ohnedies meist eine kühle Atmosphäre um sich, welche der Leidenschaft nicht günstig ist. Nur für einen hatte bei Daniella diese Flamme gelodert, und die noch nicht erloschene Gluth schützte sie vor frivolem Spiel mit der Liebe.

Holdern hatte anfangs mißtrauische Blicke auf den jungen Arzt geworfen, den er fast jedes Mal bei Daniella traf. Er sah aber bald ein, daß bei aller Verehrung, die der junge Mann ihr zollte, sie ihm nur die Aufmerksamkeit schenkte, die ein fähiger, enthusiastischer Geist erregt. Die hochfliegenden socialen Pläne des Dr. Josephson hatten für Daniella nur deshalb Interesse, weil er eben so überzeugt von seinem politischen Glaubensbekenntniß war, wie Rother von seinem religiösen Glauben. Der glühende Eifer, mit dem er seine Ansicht vertrat, hatte fast etwas Kindliches. Dabei war Dr. Josephson durch sein Rednertalent ein nicht unwichtiges Mitglied der Partei.

Holdern glaubte zu bemerken, daß Daniella ungeachtet der eifrigen Reden des jungen Arztes in Bezug aus die Bestrebungen seiner Partei eher kälter als wärmer wurde. Die Ursache aber vermochte er nicht aufzufinden. Es schien fast, als weiche Daniella in der letzten Zeit jeder persönlichen Einmischung in politische Dinge aus. Auf Dr. Josephsons Ansinnen, mit der Feder für seine Theorieen zu wirken, war sie niemals eingegangen, und als Holdern, der sie auch für befähigt dazu hielt, ihr zuredete, wies sie ihn entschieden zurück.

Als Holdern ihr von seinem Besuche bei Astens erzählte, schien sie zu seinem Staunen sehr wenig überrascht. Sie erwähnte nur, sie habe von der Anwesenheit der Familie in Paris schon gehört. Achtlos für den scharfen Blick, den Holdern auf sie richtete, ließ sie das Thema sofort fallen. Keiner von beiden erwähnte des »schönen Trovatore«, wie nahe der Gedanke daran beiden lag.

Daniella wußte, daß Holdern – vielleicht der einzige – ihr Gefühl für Rother richtig erkannt habe. Sie hätte ihn hassen können darum, besonders weil sie ahnte, er suche sie von ihm zu trennen. Und doch war Holdern es gewesen, der ihr damals, als ihr Stolz so tief verletzt war, den besten Trost bot, indem er ihrem Geiste einen neuen Horizont eröffnete. Ihr so frei sich dünkender Geist, der gegen alle als Wahrheiten angenommene Sätze sich auflehnte, hatte doch wohl seine Achilles-Ferse: für Daniella war es eine gewisse Genugthuung, den Mann mit dem stolzen aristokratischen Namen an sich gefesselt zu haben, wie sie glaubte.

Diesen widersprechenden Gefühlen entsprang die wechselnde Art, mit welcher sie Holdern mehr wie jedem andern gegenübertrat. Für ihn war dies neckende Spiel des Geistes nicht ohne Reiz; er wollte die Frau bald als Tyrannin, bald als Spielwerk haben. Ihm sagte es zu, daß sie von Zeit zu Zeit gegen seine Gewalt sich empörte oder die eigene geltend zu machen suchte, ohne daß sie ganz frei von ihm zu werden vermochte.

Daniella verrieth ihm nicht, auf welche Art sie von der Anwesenheit der Familie Asten Kenntniß erlangt und wie sie den Anknüpfungspunkt mit derselben gefunden hatte. Gaston de Bussy's Mittheilungen zeigten, wie geschickt sie den rechten Weg dazu eingeschlagen hatte. Ihr liebenswürdiges Entgegenkommen für die wohlthätigen Anwandlungen der Madame d'Anvers und die Bereitwilligkeit, mit der sie ihr musikalisches Talent zur Verfügung gestellt, hatten ihre Stellung in jenen Kreisen gesichert. Gaston de Bussy hatte nicht zu viel gesagt: sie war der erklärte Liebling der Madame d'Anvers. Den Baron Hohenwaldau aber hatte sie in dem Salon dieser Dame noch nicht getroffen. Doch hatte sie sich die Gewißheit verschafft, daß sie bei ihm eingeführt werden würde, sobald sie es wünsche.

Helenens jugendliche Ungeduld, die interessante Daniella kennen zu lernen, kam ihren Wünschen entgegen. Rother's innige Theilnahme für Daniella, für ihre großen geistigen Anlagen und ihre eigenthümliche Entwickelung hatten bei Helene eine Art von romantischem Interesse für sie erweckt. Sie veranlaßte daher ihren Onkel, Daniella heranzuziehen. Madame d'Anvers übernahm es gern, die Einladung des Barons an Daniella zu übermitteln; die Landsmannschaft erklärte so einfach die Bitte des Barons, Fräulein Hirsch möge Madame d'Anvers zu seiner nächsten kleinen Gesellschaft begleiten. Das Billet war sehr schmeichelhaft abgefaßt, und er war artig genug gewesen, bei der jungen Dame auch seine Visitenkarte abzugeben.

So sah Daniella den Wunsch erfüllt, den sie Holdern hartnäckig verschwiegen hatte. Ein eigenes Gefühl durchzuckte sie, als sie sich Helene unter so ganz andern Verhältnissen wieder gegenüber sah und sich sagen durfte, sie habe fast erreicht, was sie einst gewollt: ihr ebenbürtig zur Seite zu stehen.

Helene, in ihrer Rolle als Repräsentantin des Hauses, bewillkommnete sie auf das freundlichste. Aller Augen richteten sich unwillkürlich auf die beiden jugendlichen Gestalten, die in ihrer seltenen Lieblichkeit ein reizendes Bild boten. Es wäre schwer gewesen, zu entscheiden, welcher der Preis gebühre – beide waren vollkommene Typen ihrer Abstammung.

Helene überragte Daniella beträchtlich an Größe, und ihre ganze Haltung zeigte die einfache Würde vornehmer Geburt und Erziehung; sie besaß die ruhige Sicherheit, die dem Bewußtsein einer angesehenen Stellung entspringt.

Ihre Erscheinung und ihr Ausdruck waren am besten durch das Wort »jungfräulich« zu bezeichnen; ihr Blick, selbst der Ton ihrer Stimme trug dieses Gepräge. Das zarte Weiß, das sie heute trug, die weißen, leicht angehauchten Rosen im Haar erhöhten noch den Eindruck.

Daniella gab ihr jedoch an Schönheit nichts nach; sie war dabei unbestritten die originellere, frappantere Erscheinung. Ihre Gestalt hatte den Reiz seltenen Ebenmaßes und natürlicher Grazie; ihre Züge waren bestimmter, ausdrucksvoller, und unter den dunkeln Lidern strahlten die Augen mit dem magischen Schein siegend hervor.

Auch Daniella's Toilette trug heute dazu bei, sie in ihrem vortheilhaftesten Lichte zu zeigen. Die Toilettenfrage war ihr diesmal ein ernstes Studium gewesen; sie wollte gerade für diesen Abend in dieser Gesellschaft das Rechte darin treffen. Die blaßgelbe Seide, über der ein leichter Ueberwurf so duftig schimmerte, trug dem dunkeln Typus ihrer Nationalität auf's beste Rechnung. Die kleinen Büschel blaßgelber Frühlingsblüthen, welche in den schwarzen Locken lagen und das Kleid überrankten, gaben dem Kostüm etwas jugendlich Einfaches. Flammend roth aber schimmerten beim Kerzenlicht die Steine, die um Hals und Arme sich reihten und dem Ganzen den Ausdruck des Reichthums verliehen.

Daniella trat mit nicht weniger Sicherheit auf wie Helene. Ein genauer Beobachter hätte aber in ihrem leichten »abandon« etwas Angenommenes gefunden, das in Helenens Gemessenheit nicht lag. Dem mehr träumerischen Ausdruck Helenens gegenüber hatte Daniella den klaren, festen Blick, den die Erfahrung des Lebens gibt, und der in stolzem Selbstbewußtsein niemals zurückweicht. Viele zogen den Vergleich zwischen den beiden Mädchen, welcher bald zu Gunsten des einen, bald zu Gunsten des andern ausfiel.

Holdern war nicht wenig überrascht, Daniella im Salon des Freiherrn von Hohenwaldau zu sehen. Weder Helene noch Daniella hatte ihm mitgetheilt, daß sie dort eingeladen sei, und nun war es ihm, als sei er von letzterer hintergangen worden. Ungeduldig zog er die Achseln, war aber klug genug, die gegenseitigen nähern Beziehungen der Gesellschaft nicht zu verrathen; er wußte, daß auch sie es nicht thun würde.

Helene hatte sich indessen bemüht, Daniella das Gefühl, als sei sie fremd hier, möglichst zu nehmen. »Wir sind einander schon ein Mal begegnet, wenn auch auf ganz anderm Terrain, – aber unsere Absicht, zu helfen, war doch die gleiche,« sagte sie unbefangen, an jene Begegnung im Hospital erinnernd. Für Daniella aber war diese Erinnerung peinlich; sie war sich bewußt, damals einer kleinlichen Regung nachgegeben zu haben. »Ganz unbekannt sind wir einander ohnehin nicht,« fuhr Helene liebenswürdig fort, »denn unser gemeinsamer Freund hat mir stets so viel von Ihnen erzählt, daß es mich wie alte Bekanntschaft anmuthet.

So nahe es lag, daß Helene auf den gemeinsamen Freund das Gespräch lenkte, wußte Daniella, obgleich sie jeder Situation gewachsen zu sein glaubte, sich in diese doch nicht gleich hineinzufinden. Helene hatte in ihren Phantasieen eine allzu große Rolle gespielt, als daß sie ganz unbefangen hätte sein können. Ein eifersüchtiges Weh beschlich sie, als sie dieselbe nun in ihrer vollen Schöne und Lieblichkeit vor sich sah. Zum ersten Mal vielleicht versagte ihr die Geistesgegenwart. Sie wußte keine Antwort zu geben.

Helene, wie sie sich auch wunderte, für ihr Entgegenkommen so wenig Erwiderung zu finden, fuhr dennoch fort: »Sie haben Herrn Rother im vorigen Jahre zu Bornstadt viel gesehen, als er seine Leier hatte mit dem Schwerte vertauschen müssen. Sie wissen daher ohne Zweifel, daß er jetzt mit meinem Bruder auf Reisen sich befindet. Sie haben Italien und den Orient besucht. Er schreibt so begeistert, so entzückt! Haben Sie jemals einen Mann kennen gelernt, der eine so wunderbare Begabung besitzt? … Nein, ich meine nicht seine künstlerische Begabung,« fügte sie rasch bei, auf einen erstaunt fragenden Blick Daniella's antwortend, »ich meine die frische Leichtigkeit, alles zu erfassen, alles zu genießen, allem die höchste und schönste Seite abzugewinnen.« Niemals war Helene so beredt in dem Lobe des Freundes gewesen, wie in diesem Augenblicke. Vielleicht war sie in etwa von weiblicher Neugier angestachelt, zu erforschen, in wie weit ihre Vermuthungen bezüglich des Verhältnisses zwischen Daniella und Rother richtig sein möchten.

Die beiden Mädchen schienen die Rollen ausgetauscht zu haben, wie sie jetzt neben einander die Salons durchschritten, – Helene so lebhaft, Daniella so schweigsam.

»Jedenfalls ist es zu bedauern,« gab die letztere auf Helenens Bemerkung etwas herb zurück, »daß Herr Rother seine Künstlerlaufbahn unterbrochen hat. Für ihn war der Augenblick gekommen, wo er hätte öffentlich auftreten müssen; der Erfolg wäre ihm sicher gewesen.«

»Das glaube ich wohl,« sagte Helene. »Viele aber meinten doch, die Welt, besonders Deutschland, sei jetzt zu unruhig bewegt, um auf den Künstler zu achten. Wie hoch aber Rother seine Kunst auch schätzte, ich habe oft gewähnt, sie allein könne ihn nicht befriedigen.« Sinnend fuhr Helene fort: »In ihm lebt und webt und gährt noch so Vieles – er sehnte sich selbst hinaus, um die Welt von andern Standpunkten zu betrachten.«

»Lebhafte Menschen unterliegen wechselnden Einflüssen leicht,« erwiderte Daniella scharf.

Helene fühlte sich durch diese Erwiderung unangenehm berührt. Nach allem, was sie von Rother über Daniella gehört, hatte sie anderes erwartet, – ein weniger gezwungenes Wesen, ein freieres Aussprechen. Sie fühlte sich in dem Freunde verletzt durch den ihm gemachten Vorwurf des Wankelmuths. »O nein,« erwiderte sie noch lebhafter als zuvor. »Anton Rother ist nichts weniger als wechselnd. Er ist treu, unendlich treu jedem Gedanken, jedem Gefühl. Wenn er zu schwanken scheint in seiner Entscheidung, so ist das nur eine Folge des Reichthums, der in ihm liegt. Er hat Fähigkeit fast für alles.« Helene, die nie einen Gedanken Rother's auf sich bezogen, dachte bei den Worten an Rother's Treue in der Freundschaft, an seine Anhänglichkeit an die Familie Asten, an seine Festigkeit in allen Grundsätzen. Sie ahnte nicht, wie Daniella's argwöhnisches Gemüth ihre Worte auffaßte.

Daniella's Lippen preßten sich aufeinander. Dies Mädchen sprach so zuversichtlich von Rother's Treue und hielt ihn doch nicht entwürdigt durch die Rolle eines höhern Dieners bei ihrem Bruder!

Gut war es, daß jetzt eben Holdern herantrat, Helene zu begrüßen. Vor Daniella nur stumm sich verbeugend, nahm er die Comtesse sofort in Anspruch.

Daniella's Gesellschaft wurde gleichzeitig von verschiedenen Gästen gesucht. Andern gegenüber fand Daniella ihre Zuversicht wieder. Ihre lebhafte Unterhaltung fesselte bald die ganze Gesellschaft. Baron Hohenwaldau war aux petits soins für »seinen exotischen Gast«, wie er sie nannte. Die piquante Schönheit Daniella's hatte alle Vorstellungen des alten Herrn weit übertroffen; er war ganz entzückt von ihr.

Helene vermochte auch bei der anregenden Unterhaltung Holdern's den Eindruck nicht zu überwinden, den Daniella auf sie gemacht hatte. Velden fiel ihr ein, sie wußte nicht, warum; freilich hatte er sich immer so eingenommen gegen Daniella gezeigt. Hatte sein ruhiger, klarer Blick recht gesehen? Mitten in dem strahlenden Salon, selbst an der Seite desjenigen, von dem sie wähnte, er sei ihr alles, überfiel es sie plötzlich wie Sehnsucht nach dem fernen Freunde. Wie einsam mußte Hermann in der ihm so fremden Gegend sich fühlen! Sie wußte, daß der Freund ihrer Jugend ihr nachtrauere, auch er war treu – wie sie eben von Rother es gesagt. Ja, er war wohl noch treuer!

»Nun, nicht befriedigt von der schönen Hebräerin?« fragte Holdern, der den Ausdruck der Enttäuschung in ihren Zügen richtig las. »Hatte der Trovatore sie zu viel mit dem Zauber seiner eigenen Phantasie ausgeschmückt? Sie werden noch lernen müssen, Comtesse, Dichtung und Wahrheit zu unterscheiden.«

»Wie kann man nach einem Augenblick urtheilen?« gab Helene zurück. »Schön ist sie jedenfalls, so etwa, wie man sich die Peri in Moore's schönem Gedichte denkt,« fuhr sie fort. Dabei blickte sie zu Daniella hinüber, die abseits in einer Nische in einem kleinen Fauteuil lehnte.

»Neben der Peri stand der Engel,« sagte Holdern, leicht sich verbeugend. »Der Comte de Bussy ist meinen Gedanken eben mit diesem poetischen Bilde zu Hülfe gekommen. Soll ich ihm sagen, er möge selbst Ihnen das Gleichniß wiederholen? Ich darf mich doch nicht mit fremden Federn schmücken. Nicht jeder ist glücklich genug, seine Empfindungen gleich so schwungvoll ausdrücken zu können, wie der begeisterte junge Herr.«

Helene sah scherzhaft schmollend zu Holdern auf und hob etwas verächtlich die schönen Schultern. Gaston de Bussy hatte bei ihr kein Glück gemacht, und Holdern verstand es meisterhaft, mit wenigen Worten Jemand in Schatten zu stellen.

»Sie kannten Fräulein Daniella schon?« nahm Helene dann das Gespräch wieder auf. Sie fühlte sich glücklich in der Hoffnung, Holdern noch für einige Augenblicke an ihre Seite zu fesseln.

»Ich hatte die Ehre, und habe selbst einmal die schöne Sionstochter in der Domgasse aufgesucht,« lautete Holdern's Antwort. Er gab das in einer Art, die etwas Abweisendes hatte. Aus seinen Worten konnte man nur schließen, daß Daniella ihm sehr fremd sei.

Der Ausdruck seiner Züge war aber ein ganz anderer, als nach kurzer Frist seine dunkele Gestalt gewandt hinter die Causeuse glitt, in welcher Daniella Platz genommen hatte. Sie schien ermüdet und deshalb sich etwas zurückgezogen zu haben.

Holdern's Arm legte sich kühn auf das Polster, an dem sie lehnte, und über das ihre schwarzen Locken herabflossen. Er bog sich zu ihr nieder, so daß sein Athem fast ihre Wange streifte. »Daniella,« sagte er leise, »Sie können, was Sie wollen, – ein Meisterstück fürwahr, diese geheiligten Umwallungen zu durchbrechen. Aber immer der Trovatore – – Poveretta! Pah! welche Kinderei … Wir kennen uns hier so wenig als möglich – Ihrer Mission wegen … Daniella, Sie sind eines bessern werth als des blonden frommen Helden, dem Sie durchaus nachtrauern wollen. Wissen Sie, daß Sie heute schön sind, schön zum wahnsinnig machen?« setzte er nach einer kleinen Pause hinzu, und als könne er nicht widerstehen, preßte er einen Augenblick seine Lippen auf die Lockenfülle, die in so verführerischer Nähe herniederwallte. Im nächsten Augenblicke war er verschwunden.

Warum ahndete Daniella nicht seine Kühnheit mit einem der stolzen, abweisenden Blicke, mit denen sie sonst so freigebig war? Vielleicht, daß in dem Augenblicke solch ein Ausbruch rücksichtsloser Leidenschaft – denn dafür hielt sie die Kühnheit Holdern's – ihr wohl that! Er bot ihr ein Gegengewicht gegen die bittere Erinnerung, die bei Helenens Worten in ihr erwacht war. Sie empfand eine wilde Freude, Holdern so gefesselt zu haben. Heiß wallte das Blut auf, heiß stieg die Gluth in die sonst farblosen Wangen; das erhöhte noch ihre Schönheit und den Glanz ihrer Augen, die bei dem Kerzenlichte wie schwarze Diamanten strahlten.

Baron Hohenwaldau konnte wohl befriedigt sein von der Acquisition, die er seinem Cirkel zugeführt; Daniella war unbestritten nach kurzer Frist der glänzende Mittelpunkt desselben. Ihre musikalischen Leistungen, die sie mit großer Liebenswürdigkeit auf Bitten des Hausherrn spendete, übertrafen die kühnsten Erwartungen. Sie wußte den Wünschen und dem Geschmack des kleinen Auditoriums, das sie umgab, mit seltenem Geschick nachzukommen, und riß alle zum höchsten Entzücken hin.

Auch bei Helene schwand das kleine Mißbehagen, das durch die erste Unterhaltung mit Daniella erzeugt worden war. Warm pries sie die Künstlerin – aber auch jetzt mischte Rother's Name sich gleich wieder in ihre Worte. »Sie kennen wohl Rother's letzte Composition – oder besser gesagt, die einzige, die er jemals zu Papier gebracht hat?« fragte sie, über das Clavier sich beugend, an welchem Daniella nach Beendigung eines brillanten Stückes noch saß. »Vor seiner Abreise gab er sie mir. Ein kirchliches Thema ist es; er sagte, eine Bemerkung, die Sie als Kind gemacht, habe ihn zu dessen Behandlung veranlaßt. Sie kennen es ganz gewiß.«

Helene schlug auf dem Clavier die ernsten Accorde an, die hier im heitern Salon nicht minder eigenthümlich klangen, wie einst in Veitel's düsterm Gemach. »Wenn die Arbeit nicht allzu stümperhaft gewesen und er Ihr kritisches Urtheil nicht gefürchtet hätte, würde er es Ihnen gewidmet haben, versicherte er.«

»Herr Rother weiß allzu gut, daß seine Schöpfungen nicht stümperhaft sind, als daß er solche Bescheidenheit im Ernste hegen könnte,« entgegnete Daniella. Wie es schien, vermochte sie Helenen gegenüber diesen scharfen Ton nicht zu unterdrücken. »Vielleicht hielt er aber das Thema nicht passend für mein Verständniß,« fuhr sie noch schneidender fort. »So erhaben, wie die Töne klingen, hat doch der Text mir stets das Gefühl erweckt, daß solch ein Bekenntniß etwas Unwahres, den Menschen Herabwürdigendes habe. Ich würde eher den alten Aegyptern beistimmen, welche die Reue zu den Verbrechen zählten,« setzte sie hinzu.

»O nein, das können Sie nicht denken!« rief Helene warm. »Das Empfinden der eigenen Schwäche ist so tief begründet im Menschen. In so vielen Lagen des Lebens fühlt man das »mea culpa«, selbst bei dem Schmerz, der uns trifft; wie oft müssen wir uns sagen: es war die eigene Hand, die ihn säete, der eigene Wille, der ihn großzog.«

»Sie müssen wenig Selbstvertrauen haben, Comtesse,« bemerkte Daniella mit einem Anklang von Ironie. »Der Mensch handelt nach Willen und Erkennen; ist die Wirkung nicht die, welche er gewünscht und erwartet hat, so erblickt er darin des Schicksals Wogenschlag, gegen den nicht anzukämpfen ist. Man muß das Unvermeidliche ertragen, statt sich selbst anzuklagen und dadurch das Leid nur schwerer zu machen. Wenn Sie, Comtesse, bei Ihrem einfachen, unter so sichern Bedingungen verlaufenden Leben, bei den reichen Gaben, mit denen Ihr Charakter ausgestattet ist, wenn Sie von Schuld reden wollen, hat das nicht etwas Unwahres?« Fast herausfordernd sah Daniella zu Helenen auf.

Sinnend neigte Comtesse Asten den schönen Kopf. »Vielleicht kreuzen sich da unsere Auffassungen,« sagte sie leise. »Der Begriff von Schuld beruht in dem Bewußtsein der Verantwortung einem höhern Wesen gegenüber, das alle Bedingungen mit erwägt und desto mehr von uns fordert, je begabter wir sind. Das, was der Mensch als Schuld bezeichnet, mag oft ein Geringes sein in seinen Augen. Aber die Schuld des Geistes, der sich gegen die Gottheit erhebt, die des Stolzes, der sich nicht vor ihr beugt, die Verleugnung der Liebe, die wir ihr schulden, alle diese Gedanken enthalten den Keim eines großen Unrechts eben so gut, wie die anscheinend unbedeutende That, in welcher sich äußerlich die erste Sünde darstellte. Glauben Sie, daß es ein Gewissen gibt, das dem Höchsten gegenüber sich frei von Schuld fühlt? – es müßte denn der Geist sich selbst als Gott dünken.«

Helene sprach in der ergründenden Weise, die ihr eigen war, wenn eine Saite ihres Herzens berührt wurde. Daniella fühlte sich unwillkürlich davon bewältigt; Helenens Art und Weise erinnerte sie an die Sprache, die Rother geführt hatte, und seltsam kreuzte sich damit das Bewußtsein, Helenens Geist wohl zu gering angeschlagen zu haben.

»Wir werden unsern Streit ausfechten müssen, wenn Herr Rother kommt,« fuhr Helene fort, setzt wieder den leichtern Gesellschaftston anschlagend. »Wir sind furchtbar ernst geworden; aber ich weiß es ja von Rother, und man sieht es Ihnen auch an: Sie lieben es nicht, schale Gemeinplätze auszutauschen. Wie wird Herr Rother sich freuen, wenn er Sie hier trifft! Ich hoffe sicher, daß Herbert noch im Laufe des Winters uns besuchen darf,« setzte sie harmlos hinzu. Daß Daniella fast verwirrt sie anschaute, als vermöge sie nicht, sie zu begreifen, das beachtete sie nicht.

Von einem eigenthümlichen Gemisch der widersprechendsten Empfindungen wurde Daniella bestürmt.

»So sinnend, schöne Muse?« Mit diesen Worten trat Holdern wenige Minuten später wieder zu ihr. »Die schwungvollen Fittiche ganz niedergedrückt von der klericalen Luft hier? Will die fromme Comtesse mit ihrem jesuitischen Netz Sie umspinnen? Hüten Sie sich,« fuhr er leise lachend fort, »es sind schon Klügere gefangen worden.«

In Daniella's Augen loderte es zornig auf. »Ich glaube, ich könnte Sie hassen,« sagte sie gepreßt.

»Si je vous disais pourtant que je vous aime – qui sait, brune aux yeux bleus, ce que vous en diriez!« flüsterte Holdern, sich zu ihr beugend. Seine dunkeln Augen ruhten kühner als jemals aus ihrem Antlitz.

Daniella wandte sich so heftig ab, als wolle sie ihn fliehen, aber dennoch durchschauerten zum zweiten Male heute seine Worte sie wie mit magischem Einfluß.

»Sie werden aber doch wiederkommen? Wir werden uns noch recht oft sehen?« bat Helenens freundliche Stimme, als bald darauf die Gesellschaft sich aufzulösen begann und Daniella sich verabschiedete. Vielleicht mehr, um Holdern, der in der Nähe stand, ihren Trotz zu beweisen, als weil sie sich angezogen fühlte, gab Daniella das Versprechen, wiederzukommen.

»Sehen wir Sie noch in diesen Tagen? Sie werden doch unsere Stadt so bald nicht verlassen?« sagte in demselben Augenblick und mit den fast gleichen Worten Baron Hohenwaldau zu Holdern.

»Für's erste werde ich mich wohl verabschieden müssen,« gab Holdern lässig zurück. »Meine nebelgraue Heimath ruft mich, und ich muß unsern Freund Velden dort erst zum Millionair machen,« fügte er scherzend hinzu.

Eigenthümlich: zwei Paar Mädchen-Augen richteten zugleich sich erschrocken auf ihn, als er seine bevorstehende Abreise erwähnte.


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