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23

Die Zeit war indessen auch in Asten mit ihrem leisen Schritt vorangegangen. Es gibt Pausen im Leben, die gleich Stillstand dünken; seit jener ausgedehnten Pariser Saison war in Asten die Zeit in ländlichem Stillleben verflossen. Nichts hatte sich in dem dortigen Kreise geändert, als daß Rother aus demselben geschieden und Herbert in die Schweiz gegangen war, um die Fortsetzung seiner Studien mit der Rücksicht auf seine Gesundheit vereinen zu können. Das einzige Ereigniß war die Geburt eines Erben zu Werthernhaus. Das Elternpaar war überglücklich, und ihres Glückes froher Widerschein theilte sich dem Grafen mit. Ungefähr um die Zeit, als Daniella, nachdem sie die Erbschaft ihres Vaters geordnet, nach Paris zurückgekehrt war, hatte von Schloß Asten aus eine vollständige Uebersiedelung nach Werthernhaus stattgefunden, wo man einige Zeit verleben wollte.

Obwohl man das Frühjahr noch kaum begonnen nennen konnte, war das Aussehen des Gemaches, in welchem Henny und Helene sich befanden, schon ganz frühlingsmäßig. In ganzen Gruppen standen blühende Stauden und Gewächse umher und bildeten mit den hunderten von hübschen und kostbaren Niedlichkeiten, welche die Möbel bedeckten, einen passenden Rahmen für die selbst noch so kindliche Herrin. Unter Henny's Aegide hatte Werthernhaus den sonnig heitern Anstrich angenommen, der ihrem Charakter entsprach. Das hübscheste Bild in dem Gemach war die junge Mutter selbst mit ihrem jetzt einige Monate alten Kinde, in Wahrheit zwei Frühlingsblüthen nicht unähnlich.

Im Gegensatz zu Henny's einstigen Befürchtungen hatte bisher ihre Schönheit sich erst recht entfaltet, und der Anflug mütterlicher Würde kleidete dem in rosigster Frische strahlenden Antlitz allerliebst. Das von ihr so mißachtete blonde Haar sah gar hübsch unter dem Morgenhäubchen hervor, überall in neckischen Wellen sich frei machend, wenn der kleine Mann mit den täppischen Kinderhändchen seine Angriffe auf Mama's Locken ausführte. Das elegante Morgencostume und die zierliche Eleganz von allem, was sie umgab, zeigte, daß klein Henny gern ein Stückchen der großen Welt in ihr ländliches Heim übertrug, und daß ihr Gatte keine Schranken kannte, wenn es die Erfüllung ihrer Wünsche galt. Wie sie da saß, ihren Buben auf dem Schooß, ihn zu Stehversuchen etwas früh verlockend, und in ihre Scherz- und Schmeichelworte sein lautes Krähen sich mischte, fühlte Henny sich so reich, daß sie einen fast mitleidigen Blick auf ihre Schwester warf, welche, wie vor vier Jahren, still mit ihrer Malerarbeit beschäftigt, in der Nähe des Fensters saß. Henny, welche die beiden größten Ereignisse des weiblichen Lebens inzwischen durchgemacht hatte, und der die Mädchenjahre schon unendlich weit zurück zu liegen schienen, konnte sich jetzt kaum mehr in solch' eintöniges Mädchenleben hineindenken.

Sie beklagte ihre Schwester aufrichtig; denn, wie glückliche Frauen meist zu denken pflegen, hätte sie jeder, die sie liebte, gern das gleiche Glück zuwenden mögen. Ungeduldig zog sie ein paar Falten in die Stirne, wenn sie Helene so still und einsam vor sich sah. Warum blieb sie so einsam? Warum hatte sie das Glück noch nicht gefunden? Warum erfreute sie sich nicht eines schönen Heims, eines guten Gatten, eines herzigen Kindes? Henny bedeckte bei diesem Gedanken abermals ihren kleinen Liebling mit Küssen; es war ihr, als könne sie sich die Welt ohne solches Glück nicht mehr vorstellen. Dabei hatte sie die Schwester stark im Verdacht, sie entsage all' diesem um des einen Traumes willen, dem sie noch immer nachhänge.

Die Schwestern hatten seit jenem nächtlichen Gespräche nie wieder ein Wort darüber ausgetauscht. Henny hatte sich heroisch jeder Anspielung enthalten, selbst als die Angelegenheit des Verkaufes von Burghof so passende Gelegenheit dazu bot. Sie ahnte, was Velden sein Heim so verleidet hatte, und hatte inniges Mitgefühl für ihn. Auch dann hatte Helene ihr gegenüber wenig gesagt, als der Verkauf sich glücklich zerschlagen hatte, und Henny entnahm aus ihrem Schweigen erst recht, daß Hermann's Hoffnungen ganz nichtig seien. Er war wieder nach dem Orte seiner Anstellung in der fernen östlichen Provinz übergesiedelt, und man hatte kaum etwas von ihm vernommen, als daß er auch das letzte Examen mit vielem Glück bestanden habe. Aber außer Velden gab es doch noch andere Männer in der Welt, vor denen jene Chimäre hätte zurücktreten können. Holdern, den sie durchaus nicht mit günstigen Augen betrachtete, kam ja nicht einmal, und Helene durfte doch ihr Leben nicht so vertrauern!

Heute gerade schienen solche Gedanken Henny sehr zu beschäftigen. Nach verschiedenen: »Helene, sieh doch den Unnutz, – sieh' doch den herzigen Taugenichts!« welche die Schwester pflichtschuldig mit beifälligem Lächeln beantwortete, unterbrach sie plötzlich den kleinen Krieg mit ihrem Erstgeborenen, etwas unvermittelt zu der Mittheilung übergehend: »Du weißt doch, Helene, daß de Bussy sich aus heute bei Philipp angesagt hat? Er ist auf der Durchreise nach Wien, und Onkel Hohenwaldau hat gebeten, wir möchten ihn für einige Tage ausnehmen. Es ist recht freundlich vom Comte, sich des Versprechens zu erinnern, das er vor zwei Jahren uns gab, als wir beim Onkel ihn kennen lernten. Es ist ein lieber, ein liebenswürdiger Mann,« setzte sie fast ungeduldig betonend hinzu, als ihre gute Nachrede so gar keinen weitern Anklang bei ihrer Zuhörerin zu finden schien.

Helene erwiderte nur kühl, Werthern habe ihr gestern Abend diese große Nachricht schon mitgetheilt, und sie sei sehr erstaunt darüber, daß der Comte de Bussy noch zu so ungünstiger Zeit diesen Entschluß ausführe.

Henny fand diese Antwort entschieden ungenügend; denn sie fuhr fort, zu versichern, wie sehr sie sich freue, de Bussy zu sehen; selten sei ihr ein junger Mann mit so festen Grundsätzen begegnet: es sei wirklich schwer, solche ernste, hohe Frömmigkeit mit so viel Welt zu verbinden.

»Alle Franzosen, wenn sie überhaupt fromm sind, sind es in ziemlich übertriebener, exaltirter Weise,« versetzte Helene gleichgültig, ohne ihre Beschäftigung zu unterbrechen.

Aber das wollte Henny von ihrem Freunde nicht gelten lassen. Sie behauptete, er habe diesen Vorwurf durch nichts verdient; die Franzosen drückten alle Gefühle lebhafter aus.

Ihre Vertheidigung war so eifrig, daß Helene endlich lachend meinte, sie müsse wohl Schwager Philipp vor diesem gefährlichen Franzosen warnen, dessen lebhafter Gefühlsausdruck der jungen Fran so gut zu gefallen scheine.

Henny antwortete spitz, sie glaube nicht sehr in Gefahr zu stehen, wenngleich de Bussy gerade deutsche Frauen bewundere. Nach dem, was Onkel Hohenwaldau ihr mitgetheilt, sei de Bussy entschlossen, nur eine deutsche Frau zu wählen. Monsieur Gaston sei jetzt auch eine seltene Partie, da sein Vater vor kurzem gestorben und er der alleinige Besitzer der schönsten Güter in der Bretagne sei. »Denke nur, eine ganze Herrschaft!« fuhr Henny fort, anscheinend nur ihrem kleinen Buben dies erzählend, als wittere sie bei demselben das größte Interesse dafür. Sie beabsichtige auch, jedenfalls mit dem Comte nach Vorberg zu fahren, plauderte sie weiter: »Emmy Fehr sei ein reizendes Mädchen geworden, das ihm gefallen würde.«

»Ich rathe dir auch dazu,« meinte Helene; »und damit Monsieur Gaston etwas Auswahl hat, woran es ihm wahrscheinlich bisher gefehlt, mußt du ihn auch nach Rimburg bringen, und dann nach …«

»Du bist greulich, Helene, – du bist schlimmer als ein Eiszapfen!« rief Henny, fast zornig über die Schwester, indeß ihr kleiner Bube – entweder erschreckt durch den Ton der Mutter oder gleichfalls in sittlicher Entrüstung über die kalte Tante – in ein klägliches Weinen ausbrach. Das störte für den Augenblick alle kühn angelegten Pläne gänzlich, indem es die Damen zu vereinten Bemühungen veranlaßte, ihn wieder zu beschwichtigen. Der dicksten und behäbigsten aller Wärterinnen, welche alsbald auf der Thürschwelle erschien, gelang es jedoch, ungeachtet eines erneuten Zärtlichkeitsschauers von Seiten der Mutter, ihn siegreich zu entführen.

Nach diesem kleinen Intermezzo trat Henny etwas ernster an die Schwester heran. Vertraulich den Arm um sie schlingend, flüsterte sie: »Ich möchte dich auch so gern glücklich wissen! Du weißt noch gar nicht, was du entbehrst in deiner kalten Einsamkeit. Ein Mann braucht gar nicht ein solches Ideal zu sein, wie du vielleicht meinst,« fuhr sie in fraulicher Weisheit fort, »wenn er einen nur recht lieb hat und ein wirklich guter, braver Mensch ist.«

»Und einen so verzieht, wie der deine dich, nicht wahr? Mehr braucht es nicht!« gab Helene lächelnd zurück. »Aber glaubst du nicht, daß ein jeder den Weg zum Glück am besten selbst findet?«

»Nein, das glaube ich gar nicht,« rief Henny hastig. »Wenigstens du jetzt nicht. Du willst nicht glauben, wie glücklich de Bussy dich machen würde! Und doch ist es die Wahrheit. Er ist so gescheidt, so fromm, und adorirt dich – Onkel Hohenwaldau weiß es seit langer Zeit und ist ganz meiner Meinung, daß de Bussy in jeder Beziehung gut zu dir paßt.«

»Weil ich ihm so schön über den Kopf sehe, daß er bei meiner schrecklichen Größe nie ohne Hut erscheinen dürfte, um mir gleich zu sein,« spottete Helene. »Freilich, in dieser Weise über jemand hinweg zu sehen,« fuhr sie fort, ohne die Schwester zu Wort kommen zu lassen, »hat auch sein Gutes; jetzt eben zum Beispiel, wo ich weit eher als du deinen Gatten kommen sehe. Ich habe ihm übrigens versprochen, zu einem Ausritt nach euern neuen Mühlen-Anlagen bereit zu sein. Vorher möchte ich ihm auch keinen deiner Blicke rauben, – wenn der gefährliche Franzose da ist, wird er doch zu kurz kommen.« Scherzend machte sie sich aus Henny's Armen los, die sie gefesselt hielten, als habe sie noch nicht genug über das Thema geredet.

»Du bist schrecklich, Helene,« seufzte die Kleine. »Du machst noch einen recht dummen Streich oder wirst eine alte Jungfer … Und das alles um des Menschen willen, der nicht einmal kommt und um sie anhält!« setzte sie hinzu, als Helene das Zimmer verlassen hatte.

Altjüngferlich sah nun Helene gerade nicht aus, wie sie bald nachher im Reithabit, das ihre stattliche Gestalt so schön hervorhob, die Schloßtreppe herabkam.

Henny war über die erlittene Niederlage selbst in den Armen des zärtlichen Gatten nicht gleich getröstet. Sie hatte ihm ihr Leid geklagt ob Helenens verstockter Kälte, die nicht im mindesten gerührt darüber sei, daß de Bussy den ganzen weiten Weg einzig ihrethalben komme.

Werthern hatte lachend entgegnet, die Sache könne sich vielleicht machen, wenn der Graf erst da sei; er sehe eigentlich nicht ein, warum Henny so eifrig für den Franzosen stimme: auch hier im Lande würde sich eine gute Partie für seine schöne Schwägerin finden, sobald sie selbst nur wolle.

Aber auch dem Gatten verrieth Henny nicht den Grund von Helenens Sprödigkeit. Die schmollende Miene jedoch, die ihr hübsches Gesichtchen zeigte, galt Holdern, zugleich aber der melancholischen Erwägung, daß sie jetzt ihrem Lieblings-Vergnügen entsagen müsse: unverkennbar sehnsüchtig sah sie der Schwester nach, als dieselbe sich in den Sattel schwang. Der Blick war von dem liebenden Gatten wohl verstanden worden, und in Folge dessen entspann sich ein langer und rührender Abschied zwischen den beiden. Wiederholt wandte Werthern sich grüßend um, so lange die kleine weiße Gestalt auf der Schloßtreppe zu sehen war.

Helene war sehr zufrieden, daß Werthern ihr so wenig Aufmerksamkeit schenkte. Ihr Antlitz war ernst und bewegt seit dem Gespräche mit Henny. Wohl schlug ihr junges Herz wärmer und lebhafter, als diese glaubte, und ein Seufzer stahl sich unwillkürlich über ihre Lippen bei dem Anblick des innigen Glückes jener beiden. Wie hatte Henny gesagt? »Wenn er uns nur recht lieb hat und ein wirklich guter, braver Mann ist.« War das alles, was das Herz ersehnen konnte? Sie hatte einen höhern Begriff von Glück; was hätte sie gegeben für die Gewißheit der Liebe dieses einen, dessen beständiges Schwanken ihr alle Ruhe nahm!

Holdern hatte die Wahrheit gesagt, als er Daniella erzählte, seine Besuche in Asten seien wieder häufiger geworden. Nachdem die Burghofer Angelegenheit beseitigt war, hatte er den Umgang mit der Familie von neuem aufgenommen, so viel Geschäfte und Reisen es gestatteten. Nach wie vor schien Helene der Hauptgegenstand seines Besuches. Der Graf und besonders Werthern waren ihm kühler wie sonst entgegengekommen; aber Holdern's Kaltblütigkeit war unverwundbar. In etwa hob ihn zwar die Sorge, die er auf seine alte Stammburg verwandte, wieder in der Gunst seiner Nachbaren. Die Anhänglichkeit an das Altangestammte ist in jener Gegend noch sehr groß. Es wurde ihm hoch angerechnet, daß er, sobald die Möglichkeit ihm geworden, seinen Stammsitz wieder zu Ehren brachte. Die Anerkennung ging bald in Staunen über, als man die Großartigkeit und den Luxus sah, den er dabei entwickelte. Das Plötzliche und Prunkende seines Auftretens begann sogar schließlich Mißfallen zu erregen. In diesem Lande der Vorsicht konnte man nicht umhin, in Anschlag zu bringen, welche gewaltige Geldmittel ihm zu Gebote stehen müßten, und man fragte sich, wie es möglich sei, daß er dieselben in so kurzer Frist errungen habe.

Das war eine neue Prüfung für Helene, die ihrerseits mit dem allerduldsamsten Auge auf die Verschönerung von Holdernhaus sah, das sich in Bereitschaft zu setzen schien, eine Herrin zu empfangen.

Seit Holdern ihr damals so rasch nach Paris gefolgt war, hatte Helene manches bemerkt, das sie in dem Traume bestärken durfte, seine Absichten gälten ihr. Sie dachte, es sei nur Stolz, was ihn zurückhalte, mit seiner Bewerbung eher hervorzutreten, als bis er ihr und ihres Vaters Ansprüchen besser gerecht werden könne.

Auch im Volksmunde galt der dunkele Baron, wie man ihn nannte, als Bewerber um die schöne Comtesse. Manche naive Frage war schon an Helene in dieser Beziehung gestellt, manche deutliche Anspielung gemacht worden, wenn sie in das Dorf hinab kam. Die Meinung der Leute war Holdern im ganzen nicht günstig. Die Gerüchte über seinen Mangel an Gläubigkeit und seiner Schwester karges und zänkisches Wesen waren in die Umgegend gedrungen. Das Volk hat einen feinen Instinct, in welchem die von Holdern gelegentlich ausgestreuten Wohlthaten, so großmüthig er sich mitunter erwies, es nicht irre machen konnten. Auch das Herbeiziehen fremder Arbeiter, wie die Verachtung, die er für alles heimische Wesen zeigte, nahm die arbeitenden Klassen gegen ihn ein. Die Stimmen, die Helene im Dorfe hörte, klangen oft wie Warnung und waren nicht selten mit einer Erinnerung an Velden verbunden, den alle von früh auf gekannt und geliebt hatten. Diese Anspielungen verleideten Helene fast ihre Pflicht und minderten die Freude, die sie in dem Wirken für das Volk und mit ihm sonst gefunden hatte. Aber ein Mädchenherz hält um so treuer zu dem Geliebten, je mehr derselbe, wie es glaubt, ungerecht verurtheilt wird.

Auch in der Gesellschaft redete man jetzt öfter von Hermann Velden. Die stetige und doch glänzende Weise, in der er alle Vorstufen seiner Carrière überwunden, war nicht unbemerkt geblieben. Der Rücktritt von den Verkaufsverhandlungen wurde ihm hoch angerechnet, da jeder einsah, welche Vortheile er seinen Grundsätzen geopfert hatte. Gesinnungstüchtige Männer, die nicht bloß auf dem Boden des Glaubens standen und in den Grundsätzen des Conservativismus fest waren, sondern zugleich Fähigkeiten und Kenntnisse genug besaßen, um ihre Meinungen fruchtbar verwerthen zu können, waren in jener Zeit, gesucht. Hermann wurde an maßgebender Stelle oft genannt, und die verständigsten und angesehensten setzten große Hoffnungen auf ihn.

Helene hörte gern, wenn Hermann in dieser Weise gepriesen wurde; sie gedachte jenes Abends, wo ihr Wort so viel dazu beigetragen, ihn für den mit Erfolg jetzt betretenen Lebensweg zu gewinnen, und sie fühlte sich stolz auf den Jugendfreund.

Sein Lob vermochte sie zu ertragen; weniger war ihr das möglich in Bezug auf de Bussy: das hatte sie heute empfunden. Aus ihrer Schwester Worten hatte sie herausgefühlt, daß man ihn in directen Gegensatz zu Fritz Holdern stellte, und sie fürchtete, daß auch bei andern die Parallele, die man ziehen würde, leicht zu Ungunsten des letztern ausfallen könne. Auf ihren Vater mußte das Eindruck machen, und daher war das Eintreffen de Bussy's ihr unaussprechlich peinlich.

Schweigend ritt sie neben ihrem Schwager dahin. Wer weiß, wie sehr ihre unfreundliche Gesinnung gegen ihren heißblütigen Verehrer sich noch gesteigert hätte, wären die Reiter nicht jetzt am Ziele angelangt, wo ihre Aufmerksamkeit durch die zu besichtigenden Arbeiten in Anspruch genommen wurde.

Werthern war eine praktische Natur; in ruhig maßvoller Weise unternahm er Verbesserungen, durch die er bisher noch jedesmal sein Vermögen vermehrt hatte. Helene zeigte jetzt großes Interesse für derartige Schöpfungen, wie für alles, was auf das Gebiet industrieller Unternehmungen hinaus ging, während früher solche Dinge ihr durchaus fern lagen. Der Frauen Interesse folgt ja meist dem Zuge des Herzens, und der Gedanke, für Holdern's Bestrebungen Verständniß zu gewinnen, leitete sie dabei. Werthern hatte daher eine sehr aufmerksame, intelligente Zuhörerin in ihr, und ihr verständiges Eingehen in die Sache entzückte ihn so sehr, daß er bei seiner Rückkunft nicht oft genug seiner kleinen Frau versichern konnte, welch' Prachtmädel die Helene sei, und wie ein Mann sich wahrhaft glücklich schätzen könne, ihre Hand zu erringen.

Daß Gaston de Bussy den heißesten Wunsch hegte, dieser Glückliche zu werden, daran konnte niemand zweifeln, der den kleinen eleganten Franzosen mit den südländischen schwarzen Augen am Abend seiner Ankunft beobachtete. Gehörte doch schon viel dazu, den feinen Herrn aus seiner » belle France« herüber zu locken in das Land der Heidschnucken, des Sauerkrauts und des Pumpernickels, von dem man im Auslande selten einen vortheilhaften Begriff hat. Aber was ist nicht alles schon um schöner Mädchen-Augen willen geschehen! Daß es den jungen Franzosen in diesem rauhen Lande fröstelte, trotz des Kaminfeuers, welches ihm zu Ehren angezündet wurde, und er es » un peu plus froid qu'à Paris« fand, war wohl nicht so sehr die Schuld des Klima's, als derjenigen, die seine Sonne war, aber inmitten des herzlichen Empfanges, der ihm von den übrigen wurde, ihre Strahlen hartnäckig vor ihm verbarg.

Dennoch versicherte er zu Henny's großer Befriedigung immer wieder, daß er in dem schönen château ganz vergesse, daß er Paris überhaupt verlassen habe. Seine fast erstaunten Blicke auf die comfortable und geschmackvolle Einrichtung zeigten, daß er nicht so viel vom Hauch der großen Welt auf dem deutschen Landsitz zu finden erwartet hatte.

Seine aufrichtige Bewunderung des Schlosses sicherte ihm Henny's Wohlwollen, und die Herren gewann er durch sein Entgegenkommen, auf die Art von Land und Volk und seine Zustände einzugehen. Selbst Baron Werthern strengte sich an, in etwas mangelhaftem Französisch ihm Aufklärungen zu ertheilen, und hörte gern, wenn der junge Franzose hinwieder seine Ansichten darlegte; denn Gaston de Bussy sprach gut und geistvoll. Wenn auch seine Anschauungen, für deutschen Geschmack etwas stark ausgeprägt, den Stempel des französischen National-Charakters trugen, so waren sie doch die eines aufrichtig frommen und ehrenwerthen Mannes. Zu anderer Zeit hätten sie wohl auch Helenens warme Theilnahme erweckt.

Der junge Graf seinerseits würde vorgezogen haben, daß weniger Gespräche über sociale, politische oder agrarische Gegenstände geführt worden wären; er hätte die Unterhaltung gern auf das Gebiet persönlicher Beziehungen hinübergespielt, wäre die Comtesse nur etwas zugänglicher gewesen. Aber Helene hatte ein entsetzliches Talent, kein Thema außer der ganz allgemeinen Unterhaltung aufkommen zu lassen.

Eines Abends endlich gelang es de Bussy, auf dem Spaziergange glücklich an Helenens Seite zu kommen. Lange versuchte er vergeblich, seiner Conversation eine etwas sentimentalere Richtung zu geben. Helenens Fragen führten hartnäckig auf das neutrale Gebiet der augenblicklichen Weltlage zurück, so daß ihm nichts übrig blieb, als ihren Wünschen sich zu fügen. Er entwarf ein drastisches Bild von den Fortschritten, die der Geist der Verneinung in den letzten Jahren gemacht, und vermochte nicht genug zu beklagen, wie derselbe, nach allen Richtungen hin sich verbreitend, immer mehr Fuß fasse. Er sprach von einer der neuesten Erscheinungen, in der dieser Geist sich in Frankreich offenbare, jenem geheimen Bunde, welcher sich die Internationale nenne, der, seit wenigen Jahren in's Leben getreten, schon eine große Macht gewonnen habe. Er führte aus, wie das Ziel des Bundes der Kampf gegen alle bestehenden Grundsätze sei, den er mit fast teuflischem Haß gegen alles Göttliche, Religiöse und Kirchliche führe. Er erzählte, wie man von Paris aus durch Wort und Schrift besonders auf die Massen der arbeitenden Bevölkerung zu wirken suche, die zu Grunde liegenden politischen Zwecke für's erste noch verhüllend. In allen Schichten und Klassen, schloß er, zähle die Gesellschaft ihre Mitglieder, und wisse besonders auch durch die Frauen auf das weibliche Geschlecht zu wirken.

War es eine zufällige Gedankenverbindung oder das Ahnungsvermögen sensitiver Naturen, was Helene jetzt gerade den Namen Daniella's in den Mund legte? Sie bemerkte, sie habe seit ihrem Aufenthalte in Paris nichts mehr über Fräulein Hirsch erfahren, da durch ihre Erkrankung und die Abreise der Familie der Verkehr mit ihr plötzlich abgebrochen worden sei. Helene erwähnte nichts von ihrer Meinung, daß Rother's Entschluß viel dazu beigetragen habe.

De Bussy's Züge wurden auffallend ernst, als er Daniella's Namen hörte. Er schwieg einen Augenblick, als falle es ihm schwer, seine Gedanken auszutauschen. Er könne es leider nicht verschweigen, begann er dann, daß seine Befürchtungen sich vollkommen bestätigt hätten; in Paris sei es ziemlich bekannt, daß Fräulein Hirsch zu den eifrigsten und thätigsten Anhängern der Umsturz-Partei zähle und sich unter den Mitgliedern derselben einen bedeutenden Ruf erworben habe. Allen on dits zufolge gehöre sie zu den entschiedensten esprits forts, und aus ihrer Feder stammten viele der gehässigsten und schneidendsten Angriffe auf den Glauben und die Kirche. Ihre Kenntnisse von den kirchlichen Institutionen und dem Leben in christlichen Kreisen wisse sie zu verwerthen, um ihre Ironie beißender zu machen, überhaupt ihre Waffen zu verschärfen. Er erinnerte daran, wie er damals vor dem Umgang mit dieser Dame gewarnt, weil er die Ahnung gehabt, daß sie nur diese Anknüpfungspunkte gesucht, um eine Art von Spionage zu betreiben.

Bei dieser Erzählung erging es dem jungen Franzosen, wie es lebhaften Leuten meist zu geschehen pflegt, daß sie bei der Verfolgung eines Gedankens über das Ziel hinausschießen.

Helene hatte zu Anfang gefühlt, daß er die Wahrheit rede; sie sah ein, daß Daniella, nachdem sie dem einen Wege entsagt, sich nur dem andern habe zuwenden können. Aber diese letzte Anklage fand sie ungerecht. Sie nahm Daniella lebhaft in Schutz und versicherte, sie habe deren Natur zu aufrichtig gefunden, um ihr eine solche Absicht zur Last zu legen. Helene erinnerte daran, mit welcher Anerkennung Rother stets von Daniella geredet – er, der sie von Kindheit an gekannt habe, und deutete auch an, daß sie ahne, wodurch Daniella früher zurückgestoßen worden sei. Sie konnte auch die Bemerkung nicht unterdrücken, daß oft der Uebereifer gewisser Freunde der Religion nur Schaden bringe, und daß vielleicht die junge Dame, da ihre Erkenntniß noch schwankend gewesen, durch manches allzu schroffe Wort abgestoßen worden sein möge.

Das aber wollte der eifrige Franzose nicht gelten lassen. Er behauptete, die erste Andeutung Helenens zu verstehen, versicherte aber zugleich, er könne beweisen, daß Fräulein Daniella auch mit Herrn Rother kein aufrichtiges Spiel gespielt; denn sie habe gerade damals zu einem andern Herrn, den er nicht nennen wolle, in intimen Beziehungen gestanden. Aber so viel könne er sagen, daß jener Herr, wie er aus bestimmter Quelle wisse, alle Bestrebungen ihrer Partei getheilt und in deren Kreise als ihr ausgesprochener Verehrer gegolten habe. Dieser selbe Herr sei in der letzten Zeit zuweilen wochenlang in Paris und alsdann beständig an ihrer Seite zu finden gewesen; ja, er habe Fräulein Daniella auch nach dem Tode ihres Vaters in ihre Heimath begleitet; man glaube allgemein, die schöne Hand der Dame sei ihm sicher.

Helene war seltsam still geworden; ihre Augen richteten sich zum erstenmal ganz und voll auf de Bussy und hafteten starr auf ihm. Keinen Namen hatte er genannt, keine nähere Andeutung gemacht, und doch empfand sie, sie wußte kaum warum, einen unermeßlichen Schmerz, eine unsagbare Angst.

Ihre Stimme klang eigenthümlich belegt, als sie nach einer Pause sich zu einer scherzenden Wendung zwang, indem sie fragte, ob man sofort, nachdem das Künstler-Idyll abgethan sei, wieder zu dem Roman mit dem deutschen Baron zurückgreife, von dem schon die Rede gewesen, als man ihr in Paris zuerst von Fräulein Hirsch gesprochen.

Der Franzose bückte sich, um einen Frühlings-Erstling, eine kleine Feldblume, zu brechen, die er Helenen überreichte, und erwiderte leise, es sei wirklich ein deutscher Baron; von ihm sei auch damals schon die Rede gewesen, und mehr als das, man behaupte von ihm, er habe überhaupt Fräulein Daniella für seine Partei gewonnen; den Namen aber dürfe er nicht wiederholen.

Wie leicht eine französische Zunge auch plaudert, de Bussy war doch ein discreter Mann. Er wußte, daß Holdern zur Nachbarschaft und Bekanntschaft der Familie Asten zählte, und er hatte in Paris einige der Blicke Helenens auf den schwarzen Baron bemerkt; die Erinnerung daran fesselte ihm jetzt die Zunge.

Helene und de Bussy bildeten die Spitze des kleinen Zuges der Spaziergänger. Henny's Scharfsichtigkeit hielt Vater und Gatte an ihrer Seite, um dem armen Comte die günstige Gelegenheit nicht zu verderben. Es war ein schöner Abend, die Luft lau und lind, der Himmel klar. Man befand sich auf einem schmalen Pfade, der am Waldsaum entlang führte, und die scheidende Abendsonne beleuchtete das Thal, welches anmuthig zwischen zwei Hügelketten sich ausbreitete.

Doch weder Helene noch de Bussy sahen etwas von dem Reiz der Umgebung – schwer lag es auf ihren Seelen. Gaston empfand, daß er eine wunde Stelle berührt habe. Er sah nicht recht ein, was eigentlich zu Grunde liege, fühlte aber, daß ihm damit die Gelegenheit genommen sei, das zu sagen, was er schon lange gewünscht hatte, ihr gegenüber auszusprechen; die Gewißheit, daß es überhaupt unnütz sein würde, seine Wünsche in Worte zu fassen, wurde ihm seltsam klar.

Helenens Schritt war langsamer geworden; sie hatte den Kopf gesenkt und ging einher wie im Traume. Sie hatte eine dumpfe Empfindung davon, daß sie etwas sagen müsse, sich aber durch Fragen nicht verrathen dürfe.

Eine Weile waren die beiden schweigend weiter gegangen; da klangen die Stimmen der Nachfolgenden in größerer Nähe, und Helene erlangte die Besinnung wieder. Ihr Blick richtete sich bittend auf de Bussy.

»Die Mittheilungen, die Sie mir eben gemacht, werden Sie im Kreise meiner Verwandten nicht wiederholen!« sagte sie in bittendem Tone. Unverkennbare Aengstlichkeit lag in dem Tone ihrer Stimme.

Der Graf verbeugte sich und versprach, ihrem Wunsche nachzukommen. Die auffallende Blässe, welche sich über Helenens Gesicht gebreitet hatte, konnte ihm so wenig entgehen, wie das nervöse Zittern, welches ihre Gestalt durchflog. »Um Gotteswillen, Comtesse, was habe ich gethan?« sagte er erschrocken. »Sie sind ermüdet – erlauben Sie, daß ich Sie führe,« bat er innig.

Aber Helene wich wie mit einem Gefühl des Schreckens zurück.

Ein schmerzlicher Zug verdunkelte des Grafen Gesicht; er wandte sich schweigend ab, die andern erwartend, die jetzt näher kamen. Henny war nicht sehr befriedigt über den Ausdruck, den sie auf dem Antlitz der beiden fand; von dem langen tête-à-tête hatte sie anderes erhofft.

Seit jenem Abende, wo bei Helene die Leidenschaft zum ersten Male in hohen Wogen emporschlug, hatte sie solchen Sturm der Gefühle nicht wieder empfunden. Vergeblich suchte sie ihre Befürchtungen zu beschwichtigen und redete sich ein, wie fremd Holdern und Daniella sich früher gegenübergestanden. Es gibt Ueberzeugungen, die sich plötzlich aufdrängen, wie wenig wir sie scheinbar motiviren können. Aber eines empfand Helene auch: daß sie sich von diesem Zustand der Unsicherheit befreien müsse. Holdern war seit längerer Zeit wieder der Gegend fern; als Grund seiner Abwesenheit schützte er stets seine neue Thätigkeit vor. Ein Mißtrauen gegen ihn war Helene ihrer Liebe stets unwürdig erschienen; doch jetzt mußte sie Gewißheit haben. De Bussy weiter auszuforschen, wäre ihr unmöglich gewesen; aber Rother weilte in Paris. Seinem Eintritt in den ausländischen Orden hatten sich noch einige geschäftliche Hindernisse entgegengestellt; um aber dem Ziel seiner Wünsche nahe zu bleiben, hatte er in Paris seinen Aufenthalt genommen und lag dort den Vorbereitungsstudien ob. An ihn wollte Helene sich wenden, und wenn es ihrem Stolz auch unmöglich war, die Frage direct auszusprechen, so boten doch seine frühern Beziehungen zu Daniella eine natürliche Verbindung.

Vielleicht vermochte Rother auch einen bessern Einfluß wieder über Daniella zu gewinnen, sie von der unseligen Bahn abzulenken, auf die sie sich begeben. Was auch später eingetreten sein mochte, ihre Zuneigung zu Rother war echt und wahr gewesen.

Aber nicht Daniella's Interesse galten die letzten, stark unterstrichenen Zeilen ihres Briefes an Rother, die fast flehend klangen: »Sagen Sie mir alles, alles, was Sie über sie hörten; verschweigen Sie mir nichts über die Beziehungen, die sie jetzt hat; ich kann selbst Ihnen, mein Freund, nicht sagen, wie ich klar sehen muß.« Helene fühlte, daß er sie verstehen werde.

Bedeutende Erleichterung empfand Helene, als am andern Tage der junge Franzose anfing, die Fahrpläne eifrig zu studiren. Er erklärte, seine Tour durch Deutschland fortsetzen zu wollen und ließ sich durch Henny's verführerische Vorschläge, ihn in der Nachbarschaft einzuführen, nicht abhalten, wie höflich er auch versprach, das schöne château und seine lieben Freunde daselbst so bald als möglich wieder aufzusuchen.

Helene sagte kein Wort, ihn zurückzuhalten, obschon des jungen Mannes Augen oft fragend auf ihr ruhten. Henny schmollte ihr deshalb ganz offen. Auch Graf Asten sah de Bussy ungern scheiden. Er hätte seine Tochter nicht gerne einem Ausländer gegeben; aber er war auch dem jungen Manne nicht gerade abgeneigt, da derselbe seiner Frau eine so glänzende Stellung zu bieten vermochte, und Helenens stete Unnahbarkeit ihn zu beunruhigen anfing.

Holdern's Annäherung hatte er wohl bemerkt, und es hatte ihm öfter gedünkt, als ob Helene dieser Bewerbung sich günstig zeige. Aber der Gedanke an eine Verbindung mit Holdern war dem Grafen durchaus nicht zusagend; denn er war von dessen ganzer Richtung nichts weniger als erbaut. Dennoch lag nichts vor, was ihm einen gewichtigen Grund gegen diese Verbindung geboten hätte, falls Helene den Baron wirklich liebte. Die religiöse Gesinnung Holdern's beurtheilte der Graf einigermaßen milde als Gleichgültigkeit, wie sie oft bei jungen Männern sich zeige, die durch den Einfluß einer frommen Frau aber gebessert werden könne.

Aber warum kam Holdern nicht, wenn es wirklich seine Absicht war, um Helene zu werben?


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