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16

Wann breiten Sie Ihre Schwingen aus, um hin zu eilen zu dem Centrum der Cultur, wohin ein Geist wie der Ihre gehört?« hatte Carry Holdern gefragt.

Ehe der Frühling seine ersten Blüthen in den Norden sandte, verließ Daniella ihre Vaterstadt, und ein neues Leben, wohl zum Vergessen angethan, erschloß sich ihr. Die Aussicht auf das großartige Schauspiel jener Weltausstellung, die in der stolzen Seine-Stadt sich vorbereitete, gab ihr den besten Vorwand zu einem ausgedehntem Aufenthalt. Sie wollte dieses Unternehmen von Anbeginn verfolgen, es in seiner Entwickelung beobachten, nicht bloß der allgemeinen Fluth der Gäste folgen. Ehe diese eintrat, wollte sie Fuß gefaßt haben im eigentlichen Pariser Leben. Vater Hirsch war schon zu sehr gewöhnt, den geistigen Bedürfnissen seiner Tochter unweigerlich Rechnung zu tragen, um ihr Hindernisse dabei in den Weg zu legen. Seinem Stolze sagte es zu, ihr all' den Luxus zu gewähren, der ihre Stellung angenehm machen konnte. Durch Holdern war ihr in anderer Hinsicht der Boden dort bereitet.

Wenn Carry von der göttlichen Atmosphäre der Freiheit sprach, die Daniella umgebe, so hatte sie nicht Unrecht; das Mädchen wußte in Wahrheit sich eine solche zu schaffen. Sie kannte die Welt darin schon, daß sie ruhig als Thatsache hinnimmt, was man kühl ihr bietet, wenn man sich nur die rechte Folie zu geben weiß. Das Vorrecht der Künstlerinnen in Anspruch nehmend, schaffte sie sich in Paris eine ähnliche Selbständigkeit, wie sie in ihres Vaters Haus sich zu erringen gewußt.

Eine jener zierlichen kleinen Villen, von denen keine Stadt eine so reizende Auswahl hat wie Paris, nahm sie auf. Dieselbe lag unmittelbar neben der Sommerwohnung einer ihrem Vater befreundeten Familie. So war Daniella unter deren Schutz gestellt, ohne ihre Unabhängigkeit einzubüßen. Mächtig, wie die neuen Eindrücke waren, die ihr entgegentraten, ließ Daniella sich weder davon blenden, noch sich dadurch verwirren. Sie suchte erst den Boden kennen zu lernen, den sie betreten wollte. Was ihr Halt geben und ihr Geltung verschaffen mußte, war der vielfache Zauber von Gold, Schönheit, Jugend und Geist.

Ein bunter, eigenthümlicher Kreis war es, zu welchem Daniella durch Holdern's Vermittelung in Beziehung trat; auch die Bekanntschaften aus ihren frühern Kreisen gewährten manchen Anknüpfungspunkt. In der Künstlerwelt herrscht ein gewisser Kosmopolitismus, der überall hinreicht. Ihr Name hatte unter den Künstlern so guten Klang gewonnen, daß sie leicht überall eingeführt und mit Interesse begrüßt wurde. Bald sah sie sich in dem Mittelpunkte einer Gesellschaft, in der fast alle Namen anklangen, die auf irgend einem Gebiete der Kunst, der Litteratur oder der Wissenschaft sich bekannt gemacht hatten oder auch nur auf der Tagesordnung der Mode standen. Geistesgrößen ersten Ranges befanden sich darunter, wie auch die leichte Schaar der Eintagsfliegen, deren flüchtiger Ruhm eben so schnell schwindet, als er aufgestiegen ist. Es war ein Cirkel, wo der Geist sprühte, das Genie glänzte und alle Talente vertreten waren. In Wort und Schrift ward von hier aus unbedingt ein großer Einfluß auf das öffentliche Leben ausgeübt, und die weitaus größere Anzahl der Betheiligten gehörte zu denen, welche mit ihrer Feder die Meinung der großen Menge schaffen und regieren. Obschon aber Männer fast aller Nationalitäten und der verschiedensten Parteischattirungen diesen Kreis bildeten, schien ein Kennzeichen ihnen allen gemein: einer gewissen Negation befleißigte man sich auf fast allen Gebieten religiöser, politischer und socialer Natur, wenn dieselbe auch vorwiegend in der religiösen Richtung hervortrat. Daniella konnte bald verstehen, was Fritz Holdern mit »freier Atmosphäre« gemeint hatte. Es war jener Geistescultus, der den menschlichen Geist, die menschliche Erkenntniß erhebt über jede göttliche Offenbarung; jenes Princip, das nur die Materie kennen will und den göttlichen Hauch im Menschen, der vom Schöpfer ausging, leugnet; welches nur die eigene Kraft anerkennt und alle Unterordnung unter eine höhere Macht verwirft.

Vielleicht war es nicht unnatürlich, daß eben in diesem Kreise ein solches Princip vorherrschend war. Der Engel, der das lockende Wort einst zu den Menschen sprach: die Frucht vom Baume der Erkenntniß werde sie den Göttern gleich machen, war der mächtigste und schönste von Gottes Geistern. Auch jetzt sind es meist die mächtigsten Geister unter den Menschen, welche nach der Frucht der Erkenntniß ringen, um damit gegen ihren Schöpfer sich aufzulehnen. Der Kampf ist so alt wie das Menschengeschlecht.

Wohl in keinem Jahrhundert hat aber die geistige Macht so überwiegend dieser Richtung gehuldigt, als in dem unserigen; wohl noch nie ward so eifrig nach jener Frucht der Erkenntniß, gerungen, und nie hat man so triumphirend sich gerühmt, in ihrem Besitz zu sein. Freilich gab es auch in dieser Weltstadt noch ganze Gruppen von Vertretern der Wissenschaft und Kunst, die andern Grundsätzen huldigten. Für den Augenblick aber kamen dieselben nicht in gleichem Maße zur Geltung, und jedenfalls kam Daniella's Kreis nicht mit ihnen in Berührung.

Hatte Holdern aber Recht gehabt, als er gefügt, die Atmosphäre entspreche dem Geiste Daniella's? Die flüchtigen, scharfen Streiflichter, mit denen man alles beleuchtete, hatten etwas Blendendes; der frische, freie Lebensgenuß, der alles durchwürzte, hatte viel Verlockendes. Die Stadt an der Seine besitzt einen eigenen Zauber, auch das Ernsteste mit der Aureole des Frohsinnes, der Leichtigkeit und Anmuth zu umgeben. Die Wissenschaft steigt vom hohen Kothurn und fühlt sich wohl in den eleganten Salons; die Politik verschmäht nicht das Boudoir anmuthiger Frauen. Im heitern Ballsaal, auf dem belebten Boulevard, im Foyer der Theater raunen die Männer der Partei einander ihre Neuigkeiten zu; dort werden Fäden geknüpft, Pläne geschmiedet und Ereignisse vorbereitet, die ganze Völker erschüttern sollen. Selbst für das Wichtigste scheint man keine Minute der Freude entbehren zu wollen. Um deshalb wohl lieben die Frauen auch dort mehr als irgendwo anders, ihre hübschen Köpfchen mit den verwickelten Problemen politischen Lebens zu beschäftigen und ihre kleinen Hände in die großen Angelegenheiten der Welt zu mischen.

Daniella hatte ihre Mission in Paris anfangs als sehr geringfügig betrachtet. Ihre deutsche Anschauung vermochte sich kaum darein zu finden, daß alle diese Menschen in ihren heitern Coterien mit den leichten Bonmots, die dort gewechselt wurden, zugleich ernstere Zwecke verfolgten. Allmälig aber wurde ihr dies klar.

»Der bewegende Grundgedanke, der den freien geistigen Menschen jetzt leiten muß, ist: der Kampf gegen all' die mystischen Satzungen, welche unter den verschiedensten Religionsformen zu allen Zeiten den Menschengeist durch Furcht und Aberglaube fesselten. Das einzig wirksame Mittel, diese Fesseln zu sprengen, besteht in der stets erweiterten Kenntniß der Naturkräfte, die des Menschen Auge mehr und mehr erforschen soll, in die er nur immer tiefer einzudringen braucht, um zu Klarheit und Wahrheit zu gelangen. Mit der steigenden Erkenntniß wird der Mensch zu dem natürlichen Standpunkte zurückkehren und dann die Schranken der Gesetze niederwerfen, die jetzt künstlich sein Leben einengen und der menschlichen Gesellschaft zum Fluche geworden sind. Die Natur hat jedes ihrer Geschöpfe mit genügenden Gaben ausgestattet; sie hat Schätze genug für alle, und die fortschreitende Wissenschaft weiß ihr deren immer mehr zu entringen. Sie kennt keinen Unterschied unter den Menschen; sie will nicht, daß ein Theil ihrer Kinder schwelge und der andere darbe. Sie will nicht eine Kaste von Tyrannen und eine andere von ihnen unterworfenen Sklaven, sie kennt nicht die engherzigen Begriffe, welche die Völker scheiden; nur durch unsere verkrüppelten Zustände sind diese heraufbeschworen, und wir müssen sie mit Gewalt zu überwinden suchen. Erst wenn die Uebermacht geistiger und weltlicher Herrschaft niedergeworfen ist, wenn die Gaukelbilder göttlicher Belohnung und Strafe, mit denen der Mensch jetzt geschreckt wird, in nichts zerflossen sind, kann man das Leben in seiner urwüchsigen Freiheit genießen. Dann wird der Mensch am Herzen der Natur sich wohl fühlen, dort neue Kraft schöpfen, von ihr allein die Gesetze entlehnen, – von ihr, die ihn liebend wieder aufnimmt, wie er aus ihr hervorgegangen ist.«

In dem reizenden Salon ihrer Villa lag Daniella in einem Schaukelsessel, behaglich sich wiegend, und lauschte eben dieser Auseinandersetzung, die einer der eifrigsten Jünger dieser Richtung ihr in feueriger Rede vortrug. Mutter Natur sah dabei mit ihrem lieblichsten Lächeln in das Gemach und sandte durch die weit geöffneten Glasthüren – zum Danke wohl für den Weihrauch, den man ihr spendete – den Tribut ihrer Düfte herein.

Wie ein bunter Teppich, überschüttet mit einer Fülle von Blüthen, breitete sich der kleine Garten der Villa vor ihr aus. In der Mitte stand, von Rosenbüschen beschattet, ein Amor, der seinen Pfeil gerade auf das Gemach zu richten schien, indeß hohe, ernste Bäume und blüthenduftende Sträucher den Raum so geschickt umschlossen, daß man seine Grenzen kaum ahnte. Der kleine Amor, der lächelnd den Bogen spannte, hätte wohl im Zweifel sein können, welche der drei Gestalten, die eben in dem Raume weilten, er sich zum Ziele nehmen solle. Vielleicht hatte er sich schon den schlanken Jüngling ausersehen, der, leicht an den Kamin gelehnt, eben seine begeisterte Rede beendete; denn zwischen den zwei anmuthigen Frauengestalten, die seine Zuhörerinnen waren, stand er unzweifelhaft in Gefahr.

Ueber das Antlitz der einen, einer hübschen, pikanten Blondine, war indessen ein etwas ungeduldiger Ausdruck gezogen; sie hatte sich augenscheinlich mehr in das Anschauen ihres Fächers als in die Rede vertieft. Mademoiselle Aglaé, der Liebling des Pariser Publicums, wenn sie aus den Brettern erschien und dort durch ihre neckischen Mädchenrollen entzückte, hatte Mademoiselle Daniella besucht, um eine kleine Plauderei mit ihr zu halten. In Folge des etwas langathmigen Vortrags fand sie die Deutschen, die sich bei jeder Zusammenkunft in Abhandlungen über Principien und Theorieen ergingen, ein Mal wieder sehr langweilig. Der eifrige Natur-Enthusiast war natürlich ein Deutscher. Ein Franzose, Italiener oder Pole begeistert sich in solcher Potenz nur für seine patriotischen Bestrebungen. Es war ein junger Mediciner, der seine Ausbildung an der Pariser Hochschule vollendete. Aus Böhmen stammend, war er Daniella als Landsmann und Glaubensgenosse empfohlen. Mit eiserner Energie hatte er sich den Weg zur Wissenschaft gebahnt, und etwas von der Bitterkeit derjenigen, die, mit materieller Noth kämpfend, nach geistigen Errungenschaften streben, hatte sich in ihm angesammelt. Er war ein begeisterter Vertreter der Nothwendigkeit einer Neuordnung der menschlichen Gesellschaft. Seine schöne Landsmännin hatte ihn huldvoll aufgenommen, und für ihn wurden die Stunden, die er ihr gegenüber verbringen durfte, bald der Höhepunkt des Glücks. Er sah in ihr das Weib, fähig, Theil zu nehmen an den hohen Gedanken dieses Jahrhunderts, würdig, nicht allein Schülerin, sondern Priesterin im Reiche der Geister zu werden.

Daniella besaß, wie wenig Frauen, das Talent des Zuhörens. Der sinnende Ausdruck der dunkeln Augen, die tiefe Ruhe, mit der sie dem Sprecher folgte, ließ leicht aus mehr Einverständniß schließen, als vorhanden war. Aber kein geringerer Reiz lag auch wieder in den feinen Einwendungen, den einschneidenden Fragen, die sie so geschickt einzustreuen wußte, wodurch sie so kaltblütig zur Vertheidigung der aufgestellten Sätze reizte.

Diese modernen Grundsätze waren für Daniella nicht neu, wenn auch in ihrem heitern Künstlerkreise des vorigen Jahres man sich selten auf dieses Gebiet verloren hatte; manches darin aber klang ihrem praktischen Geiste hohl und lebensunfähig. Vielleicht machte, ihr unbewußt, der Gegensatz zu den Lehren, denen sie vor kurzem gelauscht, sich geltend.

Daniella hatte indessen bemerkt, daß Mademoiselle Aglaé verstohlen gähnte, wie geschickt auch der Fächer es zu verbergen suchte; sie war zu sehr liebenswürdige Wirthin, um die Geduld der Dame länger auf die Probe zu stellen. Holdern's Wort über den Geist, der in der Fülle der Anmuth versteckt ist, mochte ihr erinnerlich sein, so daß sie mit geschickter Wendung jetzt von dem ernsten Thema abging und aus ein Gebiet einlenkte, das Fräulein Aglaé mehr zusagte. Der Tagesneuigkeiten boten sich allzeit so viele in der Weltstadt, daß der Uebergang nicht schwer war.

Der begeisterte Redner aber war zu sehr erfüllt von der Wichtigkeit seiner Theorieen; er war zu tief überzeugt gewesen, daß er damit seine schöne Zuhörerin fesseln werde, als daß er diese kühne Wendung nicht etwas übel aufgenommen hätte. Mißstimmt horchte er nur noch einige Minuten auf den flux de beuche von Mademoiselle Aglaé, die sich für ihr Schweigen jetzt entschädigte. Im Stillen fragte er sich, wie es einem Geiste gleich dem Daniella's möglich sei, sich für solche Niaiserien zu interessiren, nahm dann stumm seinen Hut und verabschiedete sich.

Daniella wußte, daß sie die Macht besaß, ihn jeden Augenblick, wenn sie wollte, wieder zu ihren Füßen zu zwingen. Gleichmüthig sandte sie ihm ein freundliches »an revoir« nach, um dann mit fast eben so viel Interesse, als sie vorhin für die großen Fragen der Menschheit gezeigt, in all' die kleinen und großen Ereignisse sich zu vertiefen, welche auf dem Boden eines so weitschichtigen Gesellschaftslebens, wie das Pariser ist, immer reichlich emporschießen.

Als Aglaé's Zeit verstrichen war, fand Daniella sich allein. Sie ließ nicht manche Minute unbenutzt vorübergehen; ihre Zeit war wohl eingetheilt. Mit dem Déjeuner brachte die zierliche Zofe zugleich eine Fluth von Journalen und Briefen, deren Zahl dem erweiterten Kreise ihres Verkehrs entsprach.

Daniella war schon ein halbes Jahr in der Großstadt an der Seine, hatte also einen bedeutenden Theil des bewegten Jahres 1867 an sich vorüberrauschen sehen. In kluger, mäßiger Weise war sie den Wünschen nachgekommen, die von Holdern und dessen Freunden an sie gestellt wurden. Dadurch bewies sie am besten, daß sie einer Aufgabe gewachsen sei, welche Ruhe und Mäßigung erforderte. Nicht allein der junge Enthusiast, der sie eben verlassen, wendete ihr seine Huldigungen zu; auch Männer von Bedeutung suchten sie auf und bemühten sich, sie für ihre Ideen zu gewinnen, manche Berühmtheiten des Tages correspondirten mit ihr. Viele hätten sie beneidet um der kleinen Billets willen, die vor ihr lagen, um der Namen willen, die sie als Unterschrift trugen.

Während Daniella ihre Chocolade nippte, durchflog sie die Briefe, anscheinend gleichgültig, und beantwortete verschiedene sofort mit jener Schärfe und Schnelligkeit, die Menschen von großer Gedankenklarheit und Geistesgegenwart eigen ist. Auch Anforderungen anderer Art traten an die junge, reiche Fremde heran, deren Generosität sich schon bemerkbar gemacht hatte. Heute befand sich unter den Briefen ein Appell an ihre Wohlthätigkeit in Betreff deutscher Landeskinder, die hier fern von der Heimath im Elend waren. Bei dem augenblicklichen Hereinfluthen fremder Arbeiter hatte die Zahl der Bedürftigen sich bedeutend erhöht. Daniella war etwas abgehärtet durch das Uebermaß solcher Bitten. Die Bittstellerin, Madame d'Anvers, gehörte zudem nicht zu Daniella's Bekanntschaften, vielmehr zu den ihnen entgegenstehenden Kreisen. Aber die Barmherzigkeit klopft ja an alle Thüren, und Madame d'Anvers war eine fast übereifrige Jüngerin in dieser Tugend. Daniella schenkte dem Briefe nur eine flüchtige Beachtung, einige Genugthuung dabei empfindend, daß ihr Name nach den verschiedensten Seiten bekannt geworden.

Ein mit fremden Postzeichen versehener Brief hatte ihre Aufmerksamkeit schon in Anspruch genommen. Als sie ihn etwas genauer in Augenschein nahm, flammte sogar eine dunkele Röthe in des Mädchens sonst so bleichem Antlitz auf: sie hatte die Handschrift Rother's erkannt. Der Brief war mit vielen Poststempeln bedeckt und von Berlin aus ihr nachgesandt worden.

Seit sie Bornstadt verlassen, hatte sie von Rother nichts mehr gehört. Es war gleichsam ein schweigendes Uebereinkommen seit dem Abschied auf dem Bornstädter Bahnhof, daß Holdern niemals Rother's erwähnte. Ein Chaos von Vermuthungen durchkreuzte ihren Geist, als sie seine Handschrift jetzt vor sich sah. Wandte er sich ihr von neuem zu? Hatte sie dennoch gesiegt?

Ihre Lippen lächelten den ersten Worten zu. »Daniella,« redete Rother sie an – mit jenem Namen, den er ihr gegeben, und den sie seither mit Vorliebe stets getragen. Aus keinem Munde noch klang er ihr so lieblich und melodisch. In Paris war er ihr nom de guerre geworden: »Fräulein Hirsch« war doch für französische Lippen allzu schwierig auszusprechen und hatte einen so unmelodischen Klang.

Rother gründete sein unverjährbares Recht, sie so anreden zu dürfen, auf die alte Gewohnheit. In warmen Worten bat er sie, seine Zeilen aufzunehmen in der Erinnerung an all' die Theilnahme, die sie ihm bisher gewidmet, an die Freundschaft, die ihn stets mit ihr verbunden.

Aber der Ausdruck in Daniella's Antlitz änderte sich, als sie fortfuhr zu lesen. Was Rother aussprach in dem Briefe, war anderes, als sie erwartet hatte; es waren Worte ernsten Inhalts. Dennoch fesselten dieselben sie mit eigenem Zauber. Wähnte sie ihn zu hören, wie er so warm und innig bat, nicht aufzugeben, was sie begonnen, nicht von dem Lichte sich abzuwenden, das einmal sie angezogen? Er meinte, sie könne ihm vielleicht zürnen ob seiner Kühnheit; aber er wies sie hin aus die hohe Bedeutung der Frage für Zeit und Ewigkeit; er sprach ihr von dem Strahl der Gnade, und wie der, welcher ihn zurückweise, in doppelter Finsterniß bleibe. Der Brief war ein Erguß überwallenden Gefühls und das Ergebniß ernsten Nachdenkens, entsprungen dem Bedürfniß seines Herzens, wieder gut zu machen, was er vielleicht verfehlt haben könne. Rother empfand ein zu warmes Interesse für sie, um gleichgültig dafür zu sein, welchen Weg sie jetzt einschlage; trotz all' der wechselnden Bilder, die ihn umgaben, hatte ihn der Gedanke verfolgt, er könne Schuld haben, daß sie von dem Wege der Erkenntniß sich wieder abgewandt habe.

Daniella empfand die Wahrheit und Wärme seines Gefühls, und der hohe Ernst seiner Worte bewegte sie. Mehr aber noch war es Balsam für ihren verletzten Stolz, ihn gewissermaßen als Bittenden vor sich zu sehen: – hielt auch Rother von allem Persönlichen sich fern, er kam doch, sie wieder aufzusuchen. Mit großem Zartgefühl hatte er jede Hindeutung auf jenen letzten Abend ihres Zusammenseins vermieden, und der fast ehrfurchtsvolle Ton, in dem er zu ihr sprach, nahm der Erinnerung daran jetzt die Bitterkeit. Ihre Wimpern feuchteten sich, während der Blick auf den Zeilen haftete; doch der Schluß des Briefes löschte die Wirkung fast wieder aus.

Rother theilte ihr mit, welche Stellung er angenommen. Er bat sie, ihm nicht zu zürnen, daß er seine Künstlerlaufbahn unterbrochen habe, um für einige Zeit die Erziehung des jungen Asten zu leiten, der seiner Gesundheit halber sich in südlichen Gegenden aufhalten müsse. Das Amt sei ihm lieb und habe ihm die Möglichkeit gegeben, die Welt aus die angenehmste Weise kennen zu lernen. Zwei Jahre seien etwa zu den Reisen in Aussicht genommen. Italien hatte er durchstreift; für den nächsten Winter war das südliche Frankreich als Aufenthaltsort in Aussicht genommen. Ein Wiedersehen mit der Familie sollte jedoch im Laufe des Jahres in Paris noch stattfinden, wo ein Onkel des jungen Grafen, der Baron Hohenwaldau, sich aufhielt. Gleich nach Comtesse Henny's Hochzeit gedenke Graf Asten sich dorthin zu begeben, um seiner ältesten Tochter die Welt-Ausstellung zu zeigen. Sein Zögling und er hofften alsdann auch dort eintreffen zu können, sich mit ihnen für einige Zeit zu vereinigen und zugleich das große Schauspiel des neunzehnten Jahrhunderts in Augenschein zu nehmen. Rother fragte, ob Daniella sich nicht verlocken lassen werde, dasselbe anzuschauen. Er hatte diesen Brief nach Berlin gesandt, wo er sie vermuthete.

»Wer weiß, wann und wie unsere Wege sich wieder kreuzen?« schloß er. »Möge der Herr Ihnen indeß den rechten Weg gezeigt haben! Möchte er auch mir den meinigen klar werden lassen!«

Alles übrige trat bei Daniella zurück vor dem Gedanken, daß er jener Laufbahn untreu geworden, auf die sie ihn hingewiesen, daß Rother eine untergeordnete Stellung angenommen habe. Eine tiefe Erbitterung erfaßte sie. Er hatte sich also ganz an die Familie Asten gebunden, und deren Einfluß hatte vollkommen gesiegt, wie Holdern es prophezeit. Zum Erzieher, zum Bedienten ihres Knaben hatte sie ihn erniedrigt, weil ihnen das gerade nützlich war: das war der hohe Sinn dieser stolzen Frommen, um deretwillen er sich von ihr abgewandt, ihr, die ihn zu Freiheit und Ruhm hatte führen wollen! Er war ein Schwächling.

Der Zorn wallte über; sie faßte den Brief, preßte ihn zusammen und hielt ihn über die Spiritusflamme, die neben ihr loderte. Der Rand der Blätter krümmte sich schwehlend – mit finsterm Blicke schaute sie darauf – plötzlich leuchtete der Name Daniella in klaren Schriftzügen ihr grell entgegen. Betroffen von dem Anblick, zog sie rasch die Hand zurück und löschte die Gluth. Als Antwort gleichsam auf den stummen Appell jenes Wortes preßte sie die Blätter heftig an ihre Lippen, bedeckte sie mit Küssen und suchte dann die spärlichen Ueberreste wieder aneinander zu fügen, als wolle sie prüfen, was noch gerettet war. Daß Rother wahrscheinlich in nicht zu langer Frist nach Paris kommen werde, trat ihr dabei wieder vor die Augen und vor die Gedanken: – Rother in Paris, wo sie weilte!

Der Name des Onkels der Familie Asten, den er nannte, kam ihr so bekannt vor. Wo war derselbe ihr ganz kürzlich noch entgegengetreten? Sie entsann sich, daß in dem Briefe in Betreff der Collecte, den sie vorhin bei Seite geschoben, Baron Hohenwaldau unter den Comité-Mitgliedern an erster Stelle angeführt war. Ein sarkastisches Lächeln glitt über Daniella's Züge: sie hatten alles gethan, um Rother von ihr zu trennen, und würden ihn vielleicht ihr gerade zuführen. Daniella übersah rasch die ganze Situation. Sie wußte, wie abgeschlossen jene Cirkel waren, aber sie war sich auch bewußt, daß sie nie vergeblich etwas gewollt, und jede Schwierigkeit war ihr nur ein neuer Sporn.

Frau d'Anvers hatte Ursache, sich zu freuen, daß sie den guten Gedanken gehabt, sich an die junge Fremde zu wenden; man sprach in der nächsten Zeit in ihren Kreisen viel von der seltenen Freigebigkeit der interessanten deutschen Dame und von den liebenswürdigen Zeilen, mit denen dieselbe ihre Gabe begleitet hatte.


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