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6

Auch Daniella hatte, wie Rother gesagt, einen Schritt weiter auf ihrer Lebensbahn gethan. Sie hatte mit ziemlicher Sicherheit vorausgesehen, daß er den Vorschlag ihres Vaters annehmen würde, und das war für sie der erste Anstoß gewesen, ebenfalls Bornstadt zu verlassen. Ohne ihn wäre ihr das Leben dort unerträglich geworden.

Ueberdies hatte es Eindruck auf sie gemacht, daß ihr Vater sie der Grenze des Erwachsenseins so viel näher gerückt gefunden. Sie entsann sich ihrer Begegnung mit Helene Asten, die ihr schon als vollendete Dame vorgekommen war. Sie wußte, wie wenig Alters-Unterschied zwischen ihnen obwaltete, und das hatte sie daran gemahnt, daß es Zeit sei, an ihre fernere Ausbildung zu denken, wenn sie das Ziel erreichen wollte, welches sie so stolz sich gestellt hatte. Gerade so gebildet und so fein erzogen wie die Comtessen Asten – so hatte sie an jenem December-Abend gesagt: das aber erheischte andere Mittel, als das stille Haus in der Domgasse bot.

Bei Rothens Mittheilungen über Asten hatte sie stets mit besonderm Interesse alles verfolgt, was auf die Ausbildung der jungen Damen sich bezog. Helenens geistiges Streben, das Rother so oft betonte, war ihr ein Stachel geworden. Der Fähigkeit, ihr darin gleichzukommen, ja, wenn sie nur wolle, sie zu überstrahlen, war sie sich bewußt.

Sie war zu dem Entschluß gekommen, ihre Ausbildung in einer Erziehungs-Anstalt der Residenz zu vollenden, und theilte diesen Wunsch alsbald ihrem Vater mit. Bei ihm stieß sie auf keine Hindernisse, besonders da das einzige Kind dadurch wieder in seine Nähe kam. Natürlich mußte es eine der ersten und theuersten Erziehungs-Anstalten sein, das stand bei Daniella fest; nichts Geringeres konnte ihr genügen. Herr Hirsch hatte im stolzen Gefühl des Könnens auch nicht nöthig, ihr die Erfüllung dieses Wunsches zu verweigern, der ihm selbst schmeichelte.

So schied Daniella noch früher als Rother von Bornstadt. Nach dem eigenthümlich stillen Leben des letzten Jahres sah sie sich in das unruhige, hastige Treiben einer jener Erziehungs-Anstalten versetzt, wo der Geistescultus in so hervorragender Weise gepflegt wird.

In der norddeutschen Residenz werden eben diese Institute mit Vorliebe benutzt. Sie bilden einen starken Gegensatz zu den nach früherer Anschauung geleiteten Bildungsstätten, wo die jungen Mädchen einige Jahre der Ruhe und Sammlung genießen sollen, ehe sie hinaustreten in das Geräusch der Welt. Dort hingegen zieht man eben die Welt mit alle dem, was sie zur Bereicherung des Geistes, zur Ergänzung der Ausbildung zu bieten vermag, als Bildungsmittel heran. Man öffnet dem jungen Geiste so früh schon alle Pforten, die zum Wissen und zur Erkenntniß führen, hält ihm gegenüber mit nichts zurück, und glaubt dadurch ihm die rechte Vollendung zu geben. In Bezug auf Wissenschaften und Künste wird sehr Anerkennungswerthes geleistet. Sehr fertig, sehr sicher geschult gehen die jungen Damen aus diesen Bildungsstätten hervor; an ihrer Weltbildung ist kaum etwas zu vermissen. Nur fehlt ihnen jene Jugendlichkeit, welche vor so früher Weltkenntniß weicht, jener neugierig zuwartende Blick, dem die Welt noch ein Räthsel ist, der aber in einem jugendlichen Gesichte uns so anmuthet.

C'est l'ignorance qui fait sourire, sagt ein französischer Dichter in Bezug auf diese Weltkenntniß. Sie können vielleicht so recht nicht mehr lächeln, diese jungen Mädchen, die so viel schon wissen, deren Geist überfüllt ist mit Eindrücken, bei denen der kritische Blick so geweckt ist, daß kaum etwas ihnen schön und gut dünkt.

Daniella empfand zu Anfang sehr den grellen Gegensatz zwischen dem Leben, wo sie so harmlos sich als Mittelpunkt betrachtet, und der fremden Region, in welche sie sich versetzt sah, und in der sie anfänglich zum Nullpunkt hinabsank.

»So viel Adler über mir!« hätte sie sagen mögen im ersten kindischen Staunen, da alle ihre Genossinnen in Weltstellung und Mitteln sie überragten. Zum ersten Male wurde ihr klar, wie wenig hoch aus der Leiter der gesellschaftlichen Ordnung die Stufe war, welche sie einnahm. Welch' soliden Reichthums Herr Banquier Hirsch sich auch erfreuen mochte, bisher zählte er noch in keiner Weise zu den Geldkoryphäen, die in der Residenz zur Geltung kamen; er wurde kaum der dritten Rangordnung zugewiesen.

Das geringschätzende Lächeln der Mädchen im Institut, die Daniella nur als Eindringling betrachteten und ihre Ansprüche moralisch kaum weniger scharf ahndeten, als die kleine Bande in der Domgasse gethan, machte ihr das nur allzu klar. Ihre empfindlichste Seite war dadurch berührt. Aber Daniella gehörte nicht zu denen, die ihre Augen schließen vor einer bittern Erkenntniß. War diese Erfahrung das erste, was ihrem bisher ungebändigten Sinne sich entgegenstellte und ihm Zügel anlegte, so fühlte sie sich doch dadurch angespornt, über ihre Gegnerinnen zu triumphiren. Jenes Wort ihres Großvaters, »die Bildung thut's,« das damals solchen Eindruck auf sie gemacht, mochte dabei in ihr widerhallen.

Die Entwickelung der Verstandeskräfte, die ausschließliche Verherrlichung des Menschengeistes, die in der Anstalt als Ziel galten, gab ihr das Vertrauen, aus eigener Kraft zu siegen. Ihre Fähigkeiten waren dazu angethan, sich Bahn zu brechen, und sie wußte sie auszunutzen. Ihr Grundsatz, zu können, was sie wolle, hielt sie aufrecht.

Ein kühlerer Hauch als in der alten Domgasse, der auf die Länge vielleicht Blüthen anderer Art geweckt haben würde, durchzog freilich dabei das Herz des dunkeläugigen Mädchens. Je mehr es ihr gelang, durchzudringen, befestigte sich bei ihr auch der Entschluß, einst in der Welt einen nicht untergeordneten Platz einzunehmen. Je mehr sie einsah, daß sie sich eine höhere Geltung mit Mühe zu erringen haben werde, um so mehr strengte sie sich an.

Herr Hirsch hatte die Freude, für all' die Kosten, die er zu tragen hatte für die »erste und theuerste Erziehungs-Anstalt«, seine Tochter auch als eine der begabtesten und originellsten Schülerinnen nennen zu hören. »Sie macht uns Ehre mit der Bildung,« sagte der alte Veitel ganz glücklich zu Jetta, wenn Herr Hirsch ein Mal in seinem freudigen Stolze über die Tochter berichtete, indeß Jetta dann stets Lust verspürte, von dem »hoffärtigen Kinde« zu reden, und den Kopf dazu schüttelte, wenn sie von all' den Gräfinnen und reicher Leute Kinder hörte, mit denen Daniella ihre Erziehung theilte.

Jetta hatte noch immer einen Groll auf das Mädchen, da sie ihr das triumphirende Gesicht nicht vergeben konnte, mit dem sie ihr beim Abschied gesagt hatte, sie solle Rother grüßen bis zum Wiedersehen in der Residenz; sie freue sich darauf, ihn dort als Künstler wiederzusehen; er möge, so lange er in Bornstadt weile, nur noch ihr Instrument benutzen.

Jetta hatte das für einen Scherz gehalten. Sie dachte, der Rother würde gewiß nicht dahin gehen; der würde was Besseres wissen, als ein Musicus zu werden! Daniella's zuversichtliche Miene hatte sie aber doch irre gemacht. Bald darauf mußte sie erleben, daß die Kleine Recht gehabt hatte. Jetta mochte seitdem das Instrument kaum mehr ansehen, weil alles Unheil davon ausgegangen, wie sie sagte. Trotz ihres Grolles aber vermißte sie das Mädchen, das so viel Leben in das stille Haus gebracht und mit ihrem klugen Köpfchen, ihrer geschwinden Zunge und den geschickten Fingern ihr oft zu rathen gegeben. Die alte Jetta meinte, sie wisse, was dem Mädchen allein gefehlt habe, und was ihr nöthiger gewesen, als all' der gelehrte Krimskrams.

Zwei Jahre fast waren seitdem vergangen. Daniella hatte die Dornen wie die spätern Lorbeeren des Pensionates ruhig hingenommen, endlich aber gefunden, daß sie genügend davon habe. Sie wollte jetzt die Welt anders als am Pensionats-Gängelbande kennen lernen. Ein halbes Jahr in einer ausländischen Pension zuzubringen, erachtete sie noch für nöthig, – sie sagte, der fremden Sprache wegen. In Wirklichkeit aber fand sie für gut, mit dem Zauber der Fremde umkleidet, in der Residenz sich einzuführen. Sie war sich klar geworden über alles, was nothwendig sei, ihren Feldzug zu beginnen, – so klar, daß jede kindische Einbildung gewichen war, selbst in Bezug auf ihr Aeußeres, an dem doch Rother's Prophezeiung in Erfüllung gegangen.

Mit dem raschen Uebergange, der ihrem Stamme eigen, war sie vom Kinde, das sie dem Aeußern nach so lange geblieben war, fast plötzlich zum vollendeten Weibe erblüht. Daniella unterschätzte ihre Schönheit durchaus nicht; doch hatte sie nicht darauf ihren Plan gebaut. Es war wohl eine Ziffer mehr darin, aber auch ohne diese würde sie versucht haben, das Ziel zu erreichen, das sie sich gestellt.

Am heutigen Morgen jedoch, wo sie einen längst ersehnten Besuch erwartete, hatte sie ihren großen Toilette-Spiegel fast eben so aufmerksam befragt, wie damals Jettas kleines Spiegelglas, als sie zu demselben emporgeklettert war, um zu erforschen, warum Rother ihre Augen Murillo-Augen genannt. Sie hatte jede Kleinigkeit beachtet, welche den Eindruck, den sie hervorbringen wollte, zu verstärken geeignet war. Jetzt ging sie ungeduldig harrend in ihrem Gemache auf und nieder, jede Minute den Zeiger befragend, ob der Augenblick noch nicht gekommen, auf den sie sich so lange vorbereitet.

Der Held des Augenblicks war indessen von Herrn Hirsch persönlich in Empfang genommen worden. Rother's Eintritt in die Stelle am Conservatorium hatte sich um ein Bedeutendes verzögert; doch mochte er etwa ein Jahr in der Residenz anwesend sein. Die Dankbarkeit, die er Herrn Hirsch widmete, hatte ihn in freundlichen Verkehr mit ihm treten lassen. Daniella aber hatte er seitdem noch nicht gesehen. Während ihrer Pensionszeit hatte sie ein Wiedersehen verschmäht; sie hatte ihm in dieser Uebergangszeit nicht gegenübertreten wollen, und aus dem ausländischen Pensionat, in welchem sie gewesen, war sie erst kürzlich zurückgekehrt. Seitdem hatte Herr Hirsch freilich zu Rother stets gesagt, sie wäre noch zu beschäftigt, ihre Einrichtung nach Wunsch herzustellen, um empfangen zu können; junge Damen hätten ihre Ansprüche und wären schwer zu befriedigen. Herr Hirsch ließ einen leisen Seufzer folgen, der Rother ein Lächeln entlockte. Daß es jetzt schon schwer sein solle, den Ansprüchen der frühern Bewohnerin des Veitel'schen Hauses zu genügen, schien ihm kaum glaublich, wenn auch die Umwandlung des väterlichen Hauses zeigte, daß in dieser Richtung ihre Ansprüche nicht gering gewesen waren.

In dem Viertel liegend, wo die Geldaristokratie ihr Quartier aufgeschlagen und ihre Prachtbauten an einander gereiht, hatte das Haus Hirsch früher nur einen sehr bescheidenen Eindruck gemacht. Dafür strahlte es jetzt mit gänzlich umgewandelter Façade in um so frischerm Glanze. Auch im Innern waren große Veränderungen vorgegangen. Marmor, Stuck, Vergoldung und Seide hatten ihren Einzug gehalten und machten sich so herausfordernd geltend, wie es geschieht, wenn der Decorateur unumschränkt gebieten darf.

Herr Hirsch hatte aber solche Anstrengungen nicht umsonst gemacht; er wollte auch von jedem, der die Räume betrat, Lob ernten und sich an seinem Staunen weiden. Trotz der Ungeduld seines Töchterleins führte er Rother erst durch die ganze Reihe der Gemächer, ehe er ihn der jungen Herrin vorstellte.

In der Nähe der schweren Draperie, die ihr Heiligthum von den andern Gemächern trennte, dämpfte Herr Hirsch den etwas lauten Cicerone-Ton, mit welchem er den jungen Mann auf alle Herrlichkeiten und deren Werth aufmerksam gemacht hatte. Dies plötzliche Senken der Stimme war bezeichnend für seine Stellung als Vater. Doch als er den Vorhang dann theilte, und Rother in das üppige kleine Roccoco-Gemach eintrat, das die beste Folie für die reizende Inhaberin bildete, war der Effect um so vollkommener.

Rother hatte, nach Jünglingsart von seinem Streben ganz erfüllt, den Erinnerungen nicht allzu viel nachgehangen. Daniella schwebte ihm noch als das dunkeläugige Kind in Veitel's Gemach vor. Die Erscheinung aber, die ihn jetzt begrüßte, erinnerte in nichts mehr an das junge Geschöpf, welches Velden ein häßliches kleines Judenmädchen hatte nennen können. Ihr Wuchs war zwar kaum über Mittelgröße; aber eine zierliche Fülle hatte der früher eckigen Gestalt Anmuth und Reiz verliehen, hatte die herbe Schärfe der Züge gemildert und die auffallende Größe der Augen verschwinden lassen, die jetzt in tiefem, warmem Glanze strahlten. Die gelbliche Färbung, die Velden einst so scharf getadelt, war in den matten Teint der Südländerinnen übergegangen. Die Unregelmäßigkeit des Mundes hatte durch die schwellende Form und die purpurrothen Lippen einen pikanten Reiz erhalten. Dabei besaß Daniella die Haltung einer Weltdame und eine Sicherheit, die ihre Jahre weit überstieg.

Rother war im ersten Augenblick ganz befremdet. »Fräulein Hirsch,« redete er sie trotz ihrer herzlichen Begrüßung etwas steif an.

Aber der schmollend trotzige Ausdruck, der da gleich über ihre Züge flog, mahnte an alte Zeiten.

Sie sei für ihn stets Daniella, erklärte sie, seit jener ersten Lehre, die sie von ihm empfangen; nie wieder habe sie sich eine Aenderung des Namens gefallen lassen, selbst im Pensionat dafür gestritten und gelitten, – alles ihm zu Ehren.

Diese graziös hingeworfene Bemerkung berührte den jungen Mann jedenfalls nicht unangenehm. Mit dieser treuen Erinnerung und mit ihrer ungezwungenen Plauderei versetzte sie ihn leicht in das frühere vertrauliche Verhältniß zurück, so daß er bald die große Wandlung vergaß, die mit ihr vorgegangen. Eines aber frappirte ihn, sobald er Ruhe genug gewonnen, das neue Bild, das sie bot, zu betrachten: wie sehr sie ihrer Vorliebe für die rothe Farbe treu geblieben. In warmes, gesättigtes Roth war das Gemach gehüllt, roth war das Netz, das ihre schwarzen Haare hielt, roth die Schnur, welche die feine Taille so leicht umspannte, roth waren die Steine, die an Hals und Armen glühten. Ihr Anzug, ein weiches weißes Wollkleid, hatte dabei mehr Malerisches als Modisches, was Rother's Künstler-Auge nicht mißfiel. Daniella hatte bei der Auswahl ihrer Toilette gut verstanden, ihre Eigenart hervorzuheben.

Sie ihrerseits staunte im Stillen, den Freund so gänzlich unverändert wiederzufinden. Aber junge Leute von Rother's Art unterliegen nicht leicht einem Wechsel. Anmuth und künstlerisches Gepräge der Erscheinung waren ihm ureigen. Der Formen guter Erziehung von früh auf gewöhnt, hatte er von dem Leben in der Residenz nur wenig noch zu gewinnen gehabt. Ueberdies hatte er sein Schülerleben, nur in etwas anderer Form, dort fortgesetzt. Jene frische Glücksader, jene Leichtigkeit im Genuß der Freude, wie sie ihm innewohnte, verschmäht meist leichter die gefährlichen Lockungen, als der in sich unbefriedigte Geist, der stets nach dem sucht, was er selbst sich nicht geben kann, und erst des prickelnden Reizmittels bedarf, um in irgend eine erhöhte Stimmung zu kommen. Der alte Ausdruck froher Kindlichkeit und naiver Unbefangenheit war daher noch auf Rother's Antlitz wie ehedem.

Daniella fühlte, daß in Bezug auf Weltkenntniß die Rollen wohl jetzt vertauscht wären, daß sie schon seine Lehrerin sein könne. Wie eine junge Weltweise saß sie auch, lässig in ihre Polster gelehnt, ihm gegenüber, um Pläne und Absichten für ihr ferneres Leben ihm mitzutheilen, nachdem der Vergangenheit der Tribut der Erinnerung gezollt worden.

Sie zählte stark auf seine Mitwirkung bei ihren Plänen; er gehörte mit zu den Hebeln, deren sie bedurfte. Freilich wußte sie die Mittheilung in eine hübsche Form des Vertrauens zu kleiden.

Sie hatte wohl erkannt, daß, um im Weltleben irgend einen Platz zu erringen und in der Allgemeinheit nicht unterzugehen, der Mensch eine ausgesprochene Farbe, eine entschiedene Richtung annehmen muß.

Es klang pikant aus dem schönen Munde, wie sie Weltfreuden und Vergnügungen – gewöhnlich in ihrem Alter der Gipfel aller Wünsche – einfach verschmähte. Sie wußte, daß sie sich sonst einem Kreise, der ihr gerade zu Gebote stand, hätte anschließen müssen, was ihr nicht zusagte. Lieber verzichtete sie darauf; der Ruhm einer gefeierten Ballschönen genügte ihr nicht.

Sie wollte ihren Kreis sich erst gründen, nur ihrer Kunst und allem Geistigen leben. Es war eine andere Art von Unterhaltung, die ihr vorschwebte: jene Abende von Bornstadt in vergrößertem, verschöntem Maßstabe. Aus den Künstlerkreisen hoffte sie mit Rothens Hülfe Bekannte und Freunde um sich zu sammeln. An bestimmten Tagen sollten sie sich einfinden, und durch irgend einen Beitrag seiner Kunst sollte jeder dazu mitwirken, daß man im trauten Verein am Schönen sich erfreue. Die Tonkunst sollte dabei hauptsächlich im Auge gehalten werden.

Dieser Vorschlag, den Daniella in begeisterten Worten vortrug, mußte bei einem jungen Manne wie Rother sofort zünden.

Außer dem Umgange mit einigen ihm zusagenden Kameraden und Lehrern hatte er in der Residenz noch wenig Geselligkeit genossen, und besonders jedes gemüthlichen Verkehrs entbehrt. So sagte er mit tausend Freuden seine Mitwirkung zu und sprach die Ueberzeugung aus, daß er in seinem Kreise mit Daniella's Vorschlägen viel Anklang finden werde.

Etwas weniger entzückt als Rother war aber Vater Hirsch über all' diese Pläne seines Töchterleins. Er hatte wohl eine dumpfe Ahnung gehabt, daß sie mit den Traditionen des Hauses Hirsch brechen würde; doch blickte er anfangs recht bedenklich auf ihre Idee. Die Künstlerkreise schienen ihm nicht behaglich, und seine schwarzen Brauen zogen sich erstaunt in die Höhe, als er bemerkte, wie wenig er bei den Bestimmungen seiner Tochter in Betracht gezogen werde. Er hatte aber doch zu viel Ehrfurcht vor dem Genie der jungen Dame, als daß er gewagt hätte, ihr entgegen zu reden.

Für ihre Einsicht sprach es in seltener Weise, daß sie gerade diesen Weg einschlug. Wollte sie sich einen Kreis bilden, der stets mit allen übrigen gesellschaftlichen Kreisen in Verbindung blieb, in alle hineinragte und alle heranzuziehen vermochte, so durfte es nur ein solcher sein, wie der von ihr geplante.

Ihr eigenes schönes Talent gab den Anlaß dazu. Der leichtlebigen Kunst ist es überdies eigen, willig dorthin zu folgen, wo man ihr gastlich einen zusagenden Boden bereitet. Eine Kunst reicht dann der andern gern die Hand; alle geistigen Elemente schließen sich an; man fragt nicht nach den Regeln strenger Etiquette, wenn der Genuß fröhlichen Verkehrs sich bietet.

Entzückt von seiner schönen jungen Freundin und ganz belebt von all' den Gedanken, die sie entwickelt, verließ Rother an jenem Morgen das reizende kleine Boudoir. Dieser Augenblick war der Beginn einer Reihe schöner und anregender Stunden.

Daniella rief ihren Plan in's Leben; es gelang ihr durch die Consequenz, mit der sie ihn verfolgte. Vermöge Rother's Bekanntschaften hatte sie bald einen Kreis jugendlicher Künstler um sich versammelt, die freudig auf ihre Vorschläge eingingen. Bald folgten ihnen auch ältere Männer von Ruf und Bedeutung; denn es wurde stadtbekannt, in welch' ungezwungener Behaglichkeit unter dem Scepter der jugendlich schönen Wirthin edele und hohe Genüsse dort gepflegt würden, und daß auch materiell in vollkommenster Weise alles geboten werde, was frohe Geselligkeit heischt.

Wie alle Menschen von klarem Denken und rücksichtsloser Thatkraft, erreichte Daniella ihren Zweck. Der Winter war noch nicht sehr vorangeschritten, als sie schon in weitern Kreisen genannt wurde. Da sie mit zäher Consequenz daran festhielt, auf ihr eigenes Terrain sich zu beschränken, nur diesen geistigen Bestrebungen zu leben, legte sich bald der geheimnißvolle Nimbus um sie, den die Welt um diejenigen webt, die irgendwie die gewöhnliche Bahn verlassen. Eine junge Dame, die alle Salonfreuden verschmähte, war eine Art von Curiosum. Wenn aber Daniella ausnahmsweise im öffentlichen Leben sich zeigte, so that sie dies mit einem Glanze, der ihre Jugend und Schönheit in das hellste Licht setzte und das Interesse des Publicums für sie gewaltig erhöhte.

Ihre Abend-Unterhaltungen wurden so der Gegenstand der Neugier, schon um der Seltsamkeit der Dame willen, der man kaum anderswo als dort sich nahen zu können schien. Wer aber ein Mal ihre Salons ausgesucht, gab sich willig dem dort waltenden Zauber hin. Ueberhaupt liegt ja auf Künstlerkreisen ein besonderer Reiz. Die Hingabe an das, was zur Verschönerung des Daseins dient, bedingt schon eine mehr heitere Auffassung des Lebens, als sie bei denen herrscht, welche für ernstere Zwecke zu wirken haben. Und schöpferische Geister sind die echten Künstler alle, jeder erfinderisch, wie seine natürliche Anlage es mit sich bringt. Nirgends trägt das Vergnügen daher ein so bunt wechselndes Kleid wie im Kreise froher Kunstgenossen; nirgends sprüht der Funke der Heiterkeit so vielfarbig wie dort.

Daniella fand in den Künstlern ein dankbares Völkchen; kein anderes preist seine Lieblinge so in Wort und Ton und Bild. Wenn ihr Name wie auf leichter Schwinge rasch sich hob, wenn die scharfe Kritik ihn nicht anzutasten vermochte, so lag das an der sorgfältigen Auswahl des Kreises, den sie sich auserlesen und den sie mit sicherer Hand zu leiten wußte.

Daniella ließ sich durch den Erfolg nicht blenden, so sehr derselbe ihr wohl that. Sie wußte, ihr Reich war ein junges Reich, dem jeder Hauch schaden konnte. Sie gehörte auch nicht zu denen, welchen Herz und Sinne durch Huldigungen verwirrt werden. Sie hatte mehr noch im Auge als diesen einen Erfolg.

In Rother selbst, dem sie fast brüderliche Rechte einräumte, hatte sie sich eine Art von Schutz gegeben. Seine ehrfurchtsvolle Weise hielt in gutem Sinne den Ton aufrecht, der ja stets von denen ausgeht, welche an der Spitze der Gesellschaft stehen.

Nicht unnatürlich war es, daß sie durch eine kaum merkbare Bevorzugung, die sie ihm stets angedeihen ließ, dem jungen Manne in etwa schmeichelte. Er war der Liebling des ganzen Kreises geworden. Die ältern Männer heimelte sein ernstes Streben in der Kunst an, die jungen hatten längst in ihm den neidlosesten, besten Kameraden gefunden. Die Frauen verhätschelten ihn um seiner Schönheit wie um seiner frohen Kindlichkeit willen, eine Eigenschaft, welche für das weibliche Geschlecht eben solchen Reiz hat wie ihr Gegentheil, der geheimnißvoll düstere Ernst.

Rother's Talent entfaltete sich immer glänzender in dieser Atmosphäre, und je mehr der Ruhmesglanz über ihm zu dämmern anfing, um so mehr steigerte sich bei Daniella das Gefühl für ihn, das so früh schon beim Kinde erwacht war. Sie betrachtete ihn jetzt gewissermaßen als ihr Werk; bei einer Natur wie die ihrige muß das Ich hineinspielen in jedes Gefühl. Rother huldigte ihr durchaus nicht; er blieb sich in dem einfachen Freundestone gleich, wenn er auch ein Gefühl des Stolzes auf sie empfand. Mit dem Widerspruche des menschlichen, besonders des weiblichen Herzens aber sagte es ihr gerade zu, daß er sich nicht vor ihr neigte.

Als eine ausgemachte Sache galt es in dem Kreise, daß, wenn Daniella ein Mal ihr musikalisches Talent glänzen ließ, womit sie sehr sparsam war, nur Rother sie begleiten durfte. Da er ihr vorzüglichster Lehrer gewesen, sei sie an ihn gewöhnt, behauptete sie, und zwang die Menschen, dies hinzunehmen, wie sie alles erzwang, was ihr erwünscht war.

Der einzige Stachel in dem Umgange mit Rother war für sie des Freundes lebendige Erinnerung an Asten und die noch fortbestehende Verbindung mit dieser Familie, die freilich fast nur durch Briefe seines Freundes Velden vermittelt wurde.

Ohne zu ahnen, wie wenig genehm es Daniella sei, und veranlaßt durch ihren frühern Aufenthalt in Bornstadt, kam Rother vorzugsweise gern bei ihr auf die Heimath zurück, da sie die einzige in Berlin war, mit der er darüber sprechen konnte.

Daniella's kleiner Fuß bohrte sich oft rücksichtslos in die seidenen Polster ihres Fußkissens, in zorniger Ungeduld über die warme Freude, die aus Rothers Augen leuchtete, wenn er der fernen Freunde erwähnte. Was waren ihm diese Menschen? Was gingen sie ihn an? so fragte sie sich. Mit ihren engherzigen, vorurtheilsvollen Begriffen würden sie nur hindernd auf seiner Bahn stehen; hatte doch sein Freund, der Baron Velden, ihn abhalten wollen, das Anerbieten ihres Vaters anzunehmen. Gehörte Rother nicht jetzt ihr an, die ihn frei gemacht von den Banden, welche ihn dort umschlingen sollten, ihr, die ihm die Sphäre des Ruhmes eröffnet hatte? Unwillkürlich glitt Helenens Bild an dem Spiegel ihres Gedächtnisses vorüber. Sollte sie jetzt nicht mit der Comtesse in die Schranken treten können? Doch hütete sie sich, ihre Gereiztheit zu verrathen, um Rother's Vertrauen nicht zurückzuscheuchen.

Die Abwesenheit der Familie Asten schien sich verlängern zu wollen, wie Hermann seinem Freunde geschrieben hatte. Graf Asten war im Verlaufe der Zeit wiederholt auf kürzere Frist heimgekehrt, ein Mal in Begleitung jenes Baron Holdern, den Daniella damals auf dem Bahnhofe gesehen. Hermann Velden hatte indessen seinen Studien auf der rheinischen Universität obgelegen und das Studentenleben in seiner ruhig vernünftigen Weise hingenommen, dennoch es mehr genießend, als er anfänglich gedacht. Für das Frühjahr hatte er eine Reise nach der Schweiz in Aussicht genommen, um mit Astens zusammenzutreffen. Der nächste Winter sollte ihn in der Residenz sehen, wo er sich zu seinem Examen vorzubereiten hatte.

Das alles plauderte Rother in seiner lebhaften Weise Daniella in den Morgenstunden vor, in denen er mit nur wenigen Zutritt erhielt, ein Privilegium, das vielfach beneidet wurde. In diesen Morgenstunden war es, wo Daniella die Auserwählten ihres Kreises am nachhaltigsten zu bezaubern wußte. Nichts schien ihrem regen Geiste fremd zu sein, nichts ihm fern zu liegen; sie verstand es, den Quell geistreicher Mittheilung auch bei andern zu wecken, so daß die eifrigsten ihrer Anbeter in ihr eine neue Herz prophezeiten.

Der Winter war indeß in sein letztes Stadium übergegangen. Herr Hirsch hatte nicht ohne einige Melancholie sein Soll und Haben mit dem Resultat früherer Jahre verglichen. Daniella hatte seine Mittel fürwahr nicht geschont; doch mußte er zugestehen, daß sie dafür auch den Ruf und den Glanz seines Hauses um ein Bedeutendes erhöht habe.

Namen von Klang und hohe Titel tauchten sporadisch jetzt schon in den Abendcirkeln seiner Tochter auf, und zu seiner großen Befriedigung war sogar in letzter Zeit eine Durchlaucht dort erschienen, freilich eine etwas leichte, luftige Durchlaucht, welche der dramatischen Kunst allzu sehr zugethan war, aber immerhin ein fürstlicher Gast. Daniella wußte den Besuch zwar sehr kühl aufzunehmen, aber Herr Hirsch hatte sein gehobenes Gefühl nicht verbergen können. Eigentlich war seine Freude über der Tochter Erfolg sehr wenig egoistischer Natur, da die Herren, die ihr huldigten, wohl seine Salons füllten und seinen Champagner tranken, sich aber wenig oder gar nicht um ihn kümmerten. Manche kannten den etwas steif auftretenden Mann, der mit einer gewissen Wichtigkeit von Zeit zu Zeit die Gesellschaft durchschritt, gar nicht, manche beachteten ihn kaum.

Herr Hirsch empfand deshalb jede ihm persönlich bezeigte Höflichkeit doppelt. Ein Fremder suchte ihn in jener Zeit eines Tages auf, der sich ihm vorstellte, da das Haus Hirsch ihm durch den Grafen Asten empfohlen sei. Baron Holdern's Besuch schien so zwar nur geschäftlicher Natur; aber schon der Umstand, daß er den Banquier in seiner Privatwohnung und nicht im Bureau aufsuchte, empfahl ihn Herrn Hirsch.

Des Barons Geschäft war nicht sehr wichtig; es betraf einen wenig bedeutenden Umsatz von Papieren. Graf Asten, durch Veitel schon lange in Geschäftsverbindung mit Hirsch, hatte seinem Bekannten das Haus empfohlen, als »eines der solidesten und anerkanntesten«, wie Baron Holden beifügte. Herrn Hirsch war die neue Verbindung durchaus willkommen. Er hatte großen Respect vor der Aristokratie jener Provinz, denn er kannte deren gediegene Verhältnisse. Als er die Hoffnung aussprach, das vorliegende Geschäft als den Anfang einer dauernden Verbindung mit dem Herrn Baron ansehen zu dürfen, überraschte dieser ihn mit der Bitte, ob er ihm nicht die Ehre schenken wolle, ihn bei seiner Tochter einzuführen. Er äußerte das zwar mit etwas lässiger Herablassung, aber Herr Hirsch war, wie schon gesagt, nicht verwöhnt in dieser Beziehung; es war selten genug, daß man diesen Weg einschlug, am wenigsten aber hatte er das von diesem Clienten erwartet. Es schmeichelte ihm darum nicht wenig, besonders als der Baron beifügte, daß er im besondern Auftrage seiner Schwester diesen Wunsch ausspreche. Dieselbe interessire sich lebhaft für die junge Dame, von deren künstlerischen Bestrebungen und geistreichem Kreise sie so viel gehört habe, versicherte er; sie habe gewünscht, in irgend welche Beziehung mit dem Fräulein zu treten; da sie aber selbst zu leidend sei, habe sie ihm, dem Baron, diesen Auftrag ertheilt; damit müsse er seine Zudringlichkeit entschuldigen, da er persönlich nichts weniger als in einen den schönen Künsten geweihten Kreis passe. Diese letzte Bemerkung, womit er jedes persönliche Motiv abwies, begleitete er mit kühlem Lächeln.

Man hatte also in der Ferne von Daniella gehört, und das war Herrn Hirsch die Hauptsache. Er war demgemäß auch ganz Bückling. Leider war er aber im Augenblick nicht in der Lage, des Barons Wunsch zu erfüllen, da seine Tochter einer wissenschaftlichen Vorlesung beiwohnte. Sie lebe nur für solche Sachen, betonte Herr Hirsch; aber heute Abend habe sie wieder Réunion; einige der bedeutendsten Kunst-Koryphäen hätten ihre Mitwirkung zugesagt; wenn der Herr Baron ihm die Ehre schenken wolle, werde er sich glücklich schätzen, ihn einzuführen.

Der Baron nahm die Einladung in der gleichen kühlen Weise entgegen. Er fürchte, meinte er, ohne vorherige Vorstellung bei der schönen Wirthin unbescheiden zu erscheinen. Herr Hirsch übernahm natürlich alle Verantwortung.

»Höflicher Mann, ausgezeichnet höflicher Mann, ganz Edelmann,« so schilderte Herr Hirsch ihn ganz begeistert seiner Tochter. »Weiß, was sich schickt, daß er erst zu mir kommt; ein echter Aristokrat ist die Höflichkeit selber.«

Durch das Erscheinen des fremden Gastes wurde Daniella's Neugier erregt; sie entsann sich, daß Rother den Namen in Verbindung mit der Familie Asten genannt hatte. Aber ungeachtet der begeisterten Schilderung ihres Vaters und der Schmeichelei, daß er in der Ferne von ihr gehört haben wollte, schien sie zuerst wenig Grund zur Befriedigung finden zu sollen.

Am Abend nahte er sich ihr zwar mit ritterlicher Höflichkeit und richtete den Auftrag seiner Schwester in der schmeichelhaftesten Weise aus, verhielt sich aber dann auf seinem Platze neben ihr sehr schweigsam. Die kalte, lässige Haltung, der fast finstere Ausdruck, die Gleichgültigkeit, die er sichtlich der übrigen Gesellschaft entgegentrug, enttäuschten sie. Sein Benehmen hatte zugleich etwas Irritirendes, ein Eindruck, dem sie sich nicht entziehen konnte. Seine Erklärung bezüglich seines Mangels an Kunstsinn bewahrheitete er durch seine Theilnahmlosigkeit gegenüber den Kunstleistungen, welche den Mittelpunkt des Abends bildeten.

Ganz Ungewöhnliches wurde heute gerade geboten. Rother hatte sich mit einigen seiner Freunde zu einem Gesammtvortrage vereinigt und feierte einen Triumph selbst bei dem hier versammelten besonders kritischen Publicum. Eine jugendliche Sängerin, die sich eines anerkannten Ruhmes erfreute, rang mit ihm um die Palme.

Ein kaltes Antlitz inmitten warmer, lauter Begeisterung und Freude hat etwas Verurtheilendes. Wie sehr Daniella's Interesse für die künstlerischen Leistungen und ihre persönliche Vorliebe für Rother sie auch beschäftigte, sie konnte doch nicht umhin, ihren Blick immer wieder auf ihres schweigenden Nachbars bewegungslose Züge zu richten, als müsse sie dieses düstere Räthsel zu erforschen suchen.

Die Augen des Barons, der anscheinend in Gedanken versunken vor sich niederschaute, hatten aber etwas Verrätherisches; denn plötzlich richteten sie sich voll auf das Mädchen und wußten ihren Blick aufzufangen. Als hätte er ihre Gedanken hinsichtlich seiner errathen, spielte ein Lächeln um seine Lippen, das ihm einen satirischen Ausdruck gab.

Aber Daniella's Blicke senkten sich vor dem plötzlichen Angriff nicht; fest und trotzig gab sie den Strahl zurück, den Baron einen Augenblick anschauend, als wolle sie ihre Macht gegen die seine messen. Der Kopf hob sich stolzer, die vollen Lippen schienen zu schmollen. Dieser Ausdruck erhöhte den Charakter ihres energischen und doch reizvollen Antlitzes, das in der strahlenden Beleuchtung an Gluth und Farbe gewann.

Baron Holdern fand das wohl auch; denn das Lächeln schwand von seinen Lippen, und sich aufrichtend, wandte er sich mit mehr Theilnahme seiner schönen Nachbarin zu.

»Jener blonde Jüngling, dem Sie vorhin mit so beneidenswerther Aufmerksamkeit lauschten, ist wohl der junge Mann, der in der Asten'schen Familie erzogen wurde zu frommem Berufe, und den Sie dann verrätherisch in den Tempel der Kunst lockten?« fragte Holdern, indem er zu Rother hinüberblickte, der eben von den ihn umgebenden Künstlern den Zoll der Bewunderung für seine ausgezeichnete Leistung empfing.

»Er stand mit der Asten'schen Familie in durchaus keiner andern Verbindung als einer freundschaftlichen. Er theilte mit einem Baron Velden den Unterricht; aber als Sohn des Velden'schen Rentmeisters steht er völlig frei und selbständig da,« gab Daniella etwas gereizt zur Antwort. Es berührte sie unangenehm, Rother in dieser Weise in eine abhängige Beziehung zu den Astens gebracht zu sehen. »Nur Engherzigkeit und Mangel an Verständniß vermöchte ihm die Bahn zur Kunst zu verschließen,« fuhr sie lebhaft fort. »Mein Vater vermittelte ihm die Stelle am hiesigen Conservatorium, und schon jetzt zeigt es sich, daß ihm dadurch der Weg zu Ruhm und Glück eröffnet ist,« setzte sie stolz hinzu.

»Andere theilen vielleicht Ihre Auffassung nicht,« gab Holdern zurück, den Blick ironisch auf ihr haften lassend, als freue es ihn, daß seine Worte sie getroffen. »Seine Freunde in der Heimath sehen es vielleicht als eine Desertation an. Aber ich hoffe, er naht sich Ihnen gleich, um den Ruhmeskranz aus den schönen Händen seiner Gönnerin zu empfangen, damit ich ihm die Grüße ausrichten kann, mit denen ich für ihn betraut bin. Die Comtessen haben mich wahrhaft damit beladen in ihrem lebhaften Interesse für ihn. Er macht Glück bei den Damen, der Jüngling mit den blonden Locken,« schloß er mit einem Anfluge von Spott.

In Danielles Augen blitzte es auf; jedes Wort, das Holdern sprach, war ein Stich für sie durch die Hindeutung, wie man in der Familie Asten seine Künstlerlaufbahn beurtheile.

Ihre Züge verdunkelten sich daher noch mehr. »Man kann nur bedauern, daß es so kleinliche, beschränkte Auffassungen gibt,« sagte sie, indem sie sich mit einem Achselzucken von dem Baron abwandte und Rother zunickte, der jetzt, noch glühend von dem Eifer, in welchen die Erhabenheit der Tonschöpfung ihn versetzt hatte, an sie herantrat.

»War es nicht eine herrliche Komposition?« redete er Daniella an, die vielleicht, um ihren Nachbar zu strafen, ihn mit ihrem huldvollsten Lächeln begrüßte.

Doch augenblicklich brach Rother ab, als er Holdern erkannte; vorher hatte er, ganz mit seiner Musik beschäftigt, ihn nicht bemerkt.

Der Baron begrüßte ihn mit bedeutend mehr Herzlichkeit, als sonst in seiner Weise lag. »Ich hörte schon so viel von Ihnen,« sagte er, dem jungen Manne die Hand bietend, »soviel, daß Sie viel zu thun haben werden, den Ruf zu rechtfertigen, der Ihnen voranging. Ihre Bekanntschaft zu machen, ist mir auf die Seele gebunden, und ich kann es nur als glückliche Fügung ansehen, Sie gleich hier zu treffen. Ihre Freunde, mit denen ich im Süden zusammentraf, halten Sie erschreckend treu in der Erinnerung,« fuhr Holdern in scherzhafter, aber sehr freundlicher Weise fort. Seine Freundlichkeit hatte, wie bei allen Menschen mit kaltem Aeußern, etwas sehr Gewinnendes.

»Sie sahen den Grafen Asten und dessen Familie öfter seit dem Tage Ihrer beiderseitigen Abreise?« fragte Rother. Sein Antlitz strahlte freudig bei dem Gedanken, jemand vor sich zu sehen, der kürzlich den Freunden so nahe gewesen. »Wie geht es Graf Herbert? Werden sie bald heimkehren? Wo trafen Sie sich zuletzt?«

»Viele Fragen auf ein Mal,« gab Holdern zurück. »Astens verlebten den Winter zusammen mit meiner Schwester, und wenn ich diese aufsuchte, sahen wir uns stets. Graf Herbert scheint sich völlig erholt zu haben. Comtesse Helene sprach besonders viel von Ihnen. Ich soll fragen, ob Sie ihres Wortes eingedenk blieben.«

Rother erröthete leicht; er wußte, was Helene meinte.

Holdern schien auch auf Aehnliches zu rathen. »Eine sehr fromme junge Dame, Comtesse Helene,« sagte er mit jenem Tone, der zugleich an Lob und an Ironie streift. »Uebrigens hoffen alle sehr darauf, im Sommer, sobald sie zurückgekehrt sind, Sie einige Zeit in Asten fesseln zu können, falls Sie nicht alle Lust am ländlichen Stillleben verloren haben.«

»Ob ich wohl komme! Ich freue mich jetzt schon darauf!« rief Rother rasch. »Ich habe oft wahre Sehnsucht nach Landluft und Landleben im alten gemüthlichen Kreise.«

Daniella hatte dem Gespräche gelauscht mit dem Gefühle, das man hat, wenn Zwei sich in einem uns fremden Thema begegnen, und man sich als überflüssig betrachten muß. Aber sie hatte sich dennoch nicht abgewandt, als zwinge sie etwas, diese Worte zu vernehmen. War dieser Baron beauftragt, Rother von seinem jetzigen Entschluß wieder abwendig zu machen?

»Sie müssen die Banden der Kunst noch etwas fester um Ihren jungen Trovatore schlingen, schöne Muse, damit er ihr nicht untreu wird,« bemerkte Holdern lässig, sich ihr wieder zuwendend. Dann bot er ihr den Arm, um sie zum Souper zu führen, das eben angekündigt wurde.

Es war ein Mahl, das an Glanz und Feinheit seines Gleichen suchte. Daniella ließ die irdischen Genüsse nie hinter den geistigen zurückstehen, wohl wissend, wie die einen die andern ergänzen. Die Tafel war untadelhaft bestellt, die Weine waren die ausgezeichnetsten, und der Luxus, mit dem das alles geboten wurde, streifte an Ostentation. Doch war die Stimmung ungezwungen und heiter, da jeder wetteiferte, mit Geist und Witz das Seine zur Unterhaltung beizutragen.

Daniella präsidirte heute nicht mit der Geistesfreiheit und dem Gleichmuth, wie sie gewöhnlich that. Die Nachbarschaft des kalten, schweigsamen Mannes, der wieder in seine frühere Gleichgültigkeit zurückgesunken schien, hatte etwas Störendes, und seine Andeutungen über Rother beunruhigten sie. Bald betheiligte sie sich mit ungewohnter Lebhaftigkeit an der Unterhaltung, bald versank sie gleich Holdern in Schweigen. Dann suchte sie zu erforschen, welchen Eindruck seine Erscheinung auf Rother hervorgebracht.

Jedenfalls war bis jetzt keine Aenderung an dem jungen Manne zu bemerken; mit der unbefangensten Heiterkeit gab er sich der frohen Stunde hin.

»Ein liebenswürdiger junger Mann,« unterbrach Holdern plötzlich sein Schweigen, als habe er Daniella's Gedankengang abermals errathen. »Die Schwärmerei der Asten'schen Damen wird mir erklärlich, wenn ich bei meinem Mangel an Kunstsinn seinen Werth als Künstler auch nicht zu ermessen vermag.«

»Sind in Ihrem Stande alle so stumpf für die Kunst, daß sie deren Berechtigung kaum zugestehen können?« erwiderte Daniella im schnödesten Tone. Holdern schwieg; nur sein kühles Lächeln zeigte sich von neuem. Bald darauf hob Daniella die Tafel auf, als suche sie Befreiung von ihrem Nachbar. Dieser führte sie wieder in den Musik-Salon.

Einige Minuten später aber hatte er wie zufällig vor dem Instrument Platz genommen. Seine Finger suchten eine Melodie, wie Leute thun, die nur nach dem Gehör spielen; die Griffe aber waren fest und sicher.

Daniella, die in der Nähe stand, trat erstaunt an den Spielenden heran; seine Finger glitten jetzt mit unverkennbarer Kunstfertigkeit über die Tasten, und die Melodie, die er angab, und mit halblauter Stimme sang, war die einer kleinen französischen Romanze:

Si je vous disais pourtant, que je vous aime,
Brune aux yeux bleus, qu'est-ce-que vous en diriez?

So lautete Beginn und Refrain.

Unwillkürlich beugte Daniella sich über das Instrument, um zu lauschen; der Sänger heftete dabei seinen Blick fest auf sie.

Daniella war weder » brune«, noch hätte man füglich die graue Iris ihres Auges, welche Abends so schwarz funkelte, » bleu« nennen können. Doch lag etwas Herausforderndes etwas Anzügliches in der Art, wie der Baron die Worte an sie richtete. Sie mußten eine gewisse Gewalt über sie üben, da sie wie gebannt weilte.

»O, welche charmante, naive Romanze!« rief plötzlich die junge Sängerin mit Emphase und schob ihren blonden Lockenkopf neben Daniella's dunkeles Haupt. »Bitte, fahren Sie fort, Herr Baron; es ist zu deliciös. Musset? nicht wahr?« So flötete sie süß, indeß auch andere jetzt noch hinzutraten.

Holdern aber brach sein Spiel sogleich ab und erhob sich, fast unartig gegen die bittende Schöne.

»Nur um nicht als gänzlich aller schönen Kunst bar vor Ihnen zu stehen,« sagte er zu Daniella, sich dann mit förmlicher Höflichkeit von ihr verabschiedend.

Es war jedenfalls die unbedeutendste musikalische Leistung des Abends gewesen. Aber noch lange, nachdem der Sänger sich entfernt, klang es in Daniella's Ohren:

Brune aux yeux bleus, qu'est-ce-que vous en diriez?

Eigentümlich war es, wie Baron Holdern, der schweigsamste Gast der Gesellschaft, der vornehm kalt gegen die Herren, gleichgültig für die Damen sich gezeigt hatte, dennoch am Ende die Gedanken fast aller beschäftigte. Die Herren verurtheilten ihn; die Damen nahmen ihn in Schutz; eine jede von ihnen legte sich heimlich die Frage vor, ob es nicht in ihrer Macht liegen würde, diese Züge aufzuhellen.


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