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10

Daniella hatte schon bald die Genugthuung, dem Baron das Concert-Programm senden zu können, in welchem Rother's Namen aufgeführt war. Ihrem Versprechen gemäß hatte sie einen Platz für Holdern vorbehalten. Der Baron nahm den Sieg der schönen Dame als Mann von Welt hin und antwortete durch den doppelten Beitrag.

Am Abend des Concertes sandte Holdern an Fräulein Hirsch eine Blumenspende, die in ihrer exquisiten Wahl alle Riesenbouquets in Schatten stellte, welche die zahlreichen Verehrer ihr opferten. Der kleine Strauß blühender Granaten, nur von einigen Orangenblüthen untermischt, war wie geschaffen für ihre südliche Erscheinung und stand in seltenem Einklang mit den feuerigen Blüthen in ihrem Haar und der schweren weißen, mit Spitzen überdeckten Robe, die Daniella an dem Tage trug. Auch darin war sie die echte Tochter ihres Volkes, daß sie nicht allein den Glanz, sondern den kostbaren Glanz liebte.

Holdern besaß fürwahr die Kunst, die Frauen mit sich zu beschäftigen, so wenig zuvorkommend er für sie schien. Des Grolles ungeachtet, den Daniella gegen ihn gehegt, ungeachtet der Freude, die Rother's Ankunft ihr gewährt, bewirkte die kleine, mit feinem Verständniß für ihre Eigentümlichkeit ausgewählte Gabe, daß sie trotz aller Erregung an dem Abend des Gedankens an den Geber sich nicht entschlagen konnte. Der Strauß war in ihrer Hand, und ihr Blick suchte den Platz, den Holdern eingenommen haben mußte.

Das Concert wurde vom Publicum sehr günstig aufgenommen. Im Gegensatz zu der Uebersättigung, die meist in den Großstädten herrscht, war in der letzten Zeit verhältnißmäßig Ebbe gewesen.

Die lange Anspannung, die dem Ausbruch des Krieges vorhergegangen, der drückende Alp, der zu Beginn desselben auf dem Volke gelegen und besonders in der Residenz fühlbar geworden war, hatte den großartigen Erfolgen weichen müssen, die mit überwältigender Schnelligkeit sich aneinandergereiht hatten. Im Jubel des Sieges begrüßte man den Act patriotischer Wohlthätigkeit doppelt freudig; so war die Betheiligung eine ungewöhnlich großartige geworden. Aber auch in ungünstigern Momenten, hätte Daniella, wie auch Rother, des Erfolges sicher sein können. Auf Daniella war man schon im voraus gespannt; sie war dem Publicum neu, hatte aber längst dessen Interesse und Neugier wachgerufen, die durch ihre piquante Schönheit und den Luxus, mit dem sie auftrat, noch erhöht wurden.

Dem Auftreten Rother's gereichte es nicht zum Nachtheil daß man wußte, wie der vielversprechende junge Mann, der in den Künstlerkreisen sich schon eines Namens erfreute, augenblicklich die bescheidenste Stellung in Sr. Majestät Heer einnehme und vielleicht von dieser friedlichen Schaubühne fast unmittelbar dem tragischen Boden des Kriegstheaters sich zuzuwenden haben würde.

Die Erscheinung der beiden jungen Leute, welche in den Gegensätzen ihrer Persönlichkeit sich in wunderbarer Weise ergänzten, hatte auf dem hellen Podium wie damals in Veitel's düsterm Gemach schon an und für sich die Wirkung eines reizenden Bildes. Das Spiel des interessanten Paares das seit der ersten Jugend sich in einander verwebt hatte, zeigte ein seltenes gegenseitiges Verständniß, eine bezaubernde Originalität und Schönheit. Es sprach für Daniella's richtige Erkenntniß, daß sie daran festgehalten hatte, nur gemeinsam mit Rother auftreten zu wollen. Als Künstler stand Rother auf bedeutend höherer Stufe als sie, und ihm hatte sie auch den Hauptantheil der künstlerischen Leistung zugewandt. Welches Weib, und wäre es noch so eitel, läßt in solchen Fällen nicht willig den Ruhm vor der Liebe zurücktreten! Das Publicum aber war hingerissen, es schüttete seine Lorbeeren, seine Beifallsströme über beide aus. Seit Jahren hatte man junge Künstler nicht mit solcher Anerkennung geehrt, sie nicht mit solcher Begeisterung hervorgerufen.

Ein süßes Gefühl der Zusammengehörigkeit durchzuckte Daniella, als beide Namen eng verbunden aus dem Zuhörerraume erklangen; ein hohes Glück empfand sie, seinen Ruhm, als dessen Schöpferin sie sich gewissermaßen ansah, zu genießen und Antheil daran zu haben. Der Erfolg mußte ihn an sie fesseln; alle Schatten, die Holdern heraufbeschworen, schienen verflüchtigt.

Rother's Freude bei seiner Ankunft war warm und aufrichtig gewesen. Lachend hatte er ihr gedankt für die Mühe, mit der sie ihm den Urlaub erwirkt, der ihm wie Holdern als Unmöglichkeit erschienen. Seine Liebe zur Kunst ließ es ihn hoch anschlagen, daß er dies erste Mal, wo er wirklich an die Oeffentlichkeit trat, ihr verdankte – ein solches Ereigniß läßt keinen Menschen kalt. Daniella's lebhafte Theilnahme für Rother und hinwieder der Stolz, den er auf sie empfand, ließen sein junges Gemüth in lebhafterer Empfindung als jemals auflodern. Das volle und ganze Aufgehen in einer Sache schlingt ein geheimnißvolles Band um zwei Menschen.

Da Daniella sich nicht versagen konnte, inmitten ihres Triumphes ihren strahlenden Blick auf jene Loge zu richten, in der sie Holdern wußte, begegnete sie sofort einer Dämpfung für ihr Glück. Holdern's scheinbar unbewegliche Gesichtszüge vermochten so viel auszudrücken: Daniella sah deutlich das kalte, skeptische Lächeln, das sie trotz allem einer kindlichen Anschauung mitleidig zu zeihen schien.

Nichtsdestoweniger war es Holdern, der sie beim Hinaustreten aus dem Concertsaal empfing und mit kalter Ruhe die Rechte ihres Ritters in Anspruch nahm. Rother war von seinen enthusiastischen Kunstfreunden noch so umgeben, daß er sich nicht hatte frei machen können, um ihr zu folgen.

So war es der Baron, der sie mit einer gewissen Sorglichkeit in das weiche Kaschmir-Gewebe hüllte, aus dessen burnusartigen Falten ihr Antlitz verführerisch schön hervorsah, besonders da sie jetzt mit dem vollen Bewußtsein ihres Sieges zu ihm aufschaute. Auch des kältesten Mannes Auge hätte wohl nicht unbewegt auf ihr geruht – Leben, Gluth und Geist schienen aus ihren Zügen zu sprühen.

Holdern nahm sich auch das Recht offenster Bewunderung mit jener kecken Zuversicht, die, wie sehr das Weib ihr trotzt, doch selten den gewollten Eindruck verfehlt. Sie ließ ihm den Arm, den er so eigenmächtig in den seinen zog, um sie durch das Gewühl zu führen. Sie gestattete ihm, an der Wagenthüre gelehnt, die Augen fest auf sie gerichtet, auszuharren, bis Rother käme, den sie in ihrer Equipage mit heim nehmen wollte.

Daniella hatte Rother für die wenigen Stunden, bis zu seiner Abreise zu sich gebeten, da sie ihn vor dem Concert nur ganz kurze Frist gesehen hatte. Kaum hatte die Zeit genügt, das sachlich Nothwendige zu überlegen, und nur der Umstand, daß sie seit Jahren zusammen geschult waren, hatte das gemeinsame Auftreten ohne Probe möglich gemacht.

Holdern dachte vielleicht, Daniella würde die Einladung auch auf ihn ausdehnen; aber Daniella war eifersüchtig auf die wenigen Stunden, wo sie Rother haben konnte. Ungeduldig zuckte es in ihrem Antlitz, da der Freund sie so lange harren ließ.

»Also ein ganzes hohes Kriegsministerium in Activität gesetzt, um alle Bande zu sprengen und den Trovatore dienstlich hierher zu citiren, da er sonst unlenksam war!« sagte Holdern ironisch. »Nun: ce que femme veut, Dieu veut! Was würden Sie leisten können mit ihrer Energie. Ich muß mich schuldig bekennen, dieselbe mehr zu bewundern als alle Ihre Künstler-Lorbeeren, zu deren Beurtheilung ich mich zu unwürdig fühle. Wahrlich Sie müßten an richtiger Stelle Großes leisten!«

Vielleicht wäre in jedem andern Augenblicke und aus jedem andern Munde kaum ein Compliment Daniella so schmeichelhaft gewesen als dieses. Sie selbst stellte im Stillen ihre Geisteskraft höher als ihre künstlerische Begabung. Aber sie fühlte Holdern's Absicht in Bezug auf Rother durch. »Es bedurfte nichts anderes,« warf sie leicht hin, »als die Einwirkung eines Urlaubs, für dessen Gewährung die untern Behörden in diesem Momente zu ängstlich gewesen wären. Ein Wort von höherer Stelle war das einzige, was nothwendig war.«

»Dem er freilich keinen Widerspruch entgegensetzen konnte,« ergänzte Holdern anscheinend gleichgültig. »Nachdem er solchen Ruhm gekostet, wie am heutigen Abend … Sie hatten Recht: wenn der Löwe erst Blut geleckt, widersteht er so leicht nicht mehr! … Aber, schöner Troubadour,« wandte er sich an Rother, der jetzt eilfertig heran kam, tausend Entschuldigungen auf der Zunge, »in welchem Rittercodex steht geschrieben, daß man eine Dame so warten lassen darf? Oder ist dem Minstrel alles erlaubt? Darf er so sicher auf die Huld der Schönen rechnen?«

Rother war ganz beschämt. Er sei so umringt von all' seinen Freunden gewesen, entschuldigte er sich, daß er nicht habe durchdringen können. Maßgebende Personen hätten ihm versichert, wenn der Krieg, wie es nach solchen Siegen den Anschein habe, ein rasches Ende nehme, werde man ihn vermittels eines Urlaubs bald der Kunst zurückgeben, setzte er ganz angeregt hinzu.

»Und bis dahin ist es ja auch gut im alten Bornstadt mit seiner schönen Nachbarschaft,« sagte Holdern, ihm die Hand reichend. »Also auf Wiedersehen dort! Legen Sie mich in Asten der schönen Comtesse zu Füßen. Ich war nicht auf dem Schlosse seit jenem Tage, da sie im Verein mit Ihnen so vaillamment gegen mich gestritten hat. Gehen Sie nur gleich hin, sich absolvieren zu lassen für Ihren Rückfall in das weltliche Treiben hier. Oder hatten Sie bezüglich des Wohlthätigkeits-Actes hohe Erlaubniß? … Aber ich halte Sie auf, schöne Muse – wir, die wir nicht zu den Geweihten der Kunst gehören, dürfen so viel nicht wagen.« Rasch beugte er sich über Daniella's Hand und führte dieselbe an die Lippen, ehe er von dem Wagen zurücktrat.

Vielleicht hatte er doch schon zu viel gewagt. Das Bouquet das ihre Hand noch hielt, flog im selben Augenblick weit fortgeschleudert aus dem Wagen. Ihre Absicht, ihn zu strafen, erreichte Daniella aber nicht. Sie sah, wie Holdern das Sträußchen lächelnd aufhob und in seinem Knopfloch befestigte. Wenn etwas sie noch mehr hätte reizen können, als seine Worte, so war es die Kaltblütigkeit, die er ihr stets entgegenzusetzen wußte. Auch aus dieser Fehde war er als Sieger hervorgegangen – denn er war überzeugt, das die Wolken die seine Anspielungen auf Daniella's Stirne heraufbeschworen, nicht so leicht sich zertheilen würden.

Er hatte richtig gerechnet: selbst die Anwesenheit Rother's vermochte sie nicht ganz zu verscheuchen. Er gab sich in so herzlicher Weise, plauderte so natürlich von seinem Leben in Asten; aber für Daniella's mißtrauisches Herz erwähnte er Helene zu oft, wenn auch nicht in der freien Weise wie früher.

Der heutige Abend verstrickte dennoch Daniella mehr als je in die Liebe zu Rother. Was sie liebte, wollte sie gekrönt sehen; in erreichbarer Nähe schimmerte die Ruhmeskrone, die ihm werden mußte. Sie fühlte, daß gerade sie seinem Streben noch den letzten Nachdruck geben könne: ihr Geld konnte ihm die Pfade ebnen. Wie vor Zeiten als Kind leuchtete ihr aus seinem reinen blauen Auge der göttliche Strahl; sie fühlte, daß nur seine Liebe ihr Leben verklären könne. Ihr gehörte er durch die Kunst, ihr gehörte er durch die Liebe, die er ihr in's Herz gegossen – sie konnte ihm alles bieten, was sein Leben schön groß und glänzend machte – und mehr als das: sie konnte alles ihm opfern.

Daniella's Gedanken reiften nie langsam; wenn sie etwas wollte, war sie nicht lässig im Handeln.

Die alte Jetta traute ihren Augen kaum, als sie vierzehn Tage später im einsamen Stübchen, wo sie nach der drückenden Wärme des Augusttages etwas eingenickt war, durch ein Geräusch geweckt wurde und im Zwielicht eine elegante Erscheinung im Thürrahmen erblickte. Erschreckt fuhr sie empor, die verschobene Haube gerade richtend, und fragte mit feierlich gemessenem Gruße nach Wunsch und Begehr der Fremden.

Nur ein leises Lachen war die Antwort; ein paar feuerige Augen blitzten so bekannt sie an. »Deine Haube hat wieder eine gründliche Reparatur nothwendig; es ist also Zeit, daß ich komme, dir eine neue zu machen!« sagte eine heitere Stimme, die aber bei allem Wohllaut scharf war wie Stahlglocken-Klang.

»Jes', Maria, Joseph! die Daniella!« schrie die Alte, verwundert die Arme über den Kopf schlagend, »Die Daniella! Was wird der Veitel sagen! Und wie schön – Herr, du meine Güte! Was für eine Dame aus dem Kinde geworden ist! Nein, wie hat sie sich verändert!« Die Alte schien vor Verwunderung über die vortheilhafte Veränderung des jungen Mädchens zu gar keinem andern Gedanken kommen zu können.

»Und hier hat sich so gar nichts verändert!« sagte Daniella ihrerseits mit echt jugendlichem Staunen. So lange die Zeit uns selbst noch wandelt, scheint es uns, als ob auch alles andere sich wandeln müsse. »Die alte Gasse, das alte schwarze Haus, die Uhr, die da tickt, der alte Kachelofen – alles, als ob ich es gestern verlassen! Und du selbst, Jetta, bist ganz unverändert wie damals. Euer Sopha ist auch nicht weicher geworden,« setzte sie lachend hinzu, indem sie sich darauf niederließ.

»Ih, was soll sich denn auch ändern bei uns Alten!« meinte Jetta. Sie hatte wohl recht darin. Wenn das Leben in die Periode eingetreten ist, wo der Wellenschlag der Hoffnung es nicht mehr bewegt, wo der rastlose Wunsch des Wirkens und Fortentwickelns uns nicht mehr fortreißt, dann gleicht es dem stillen abgeschlossenen See, in welchem nur die nächste Umgebung sich spiegelt. Ein paar Jahre mehr, was sind sie denn? Der Jugend gehört die Veränderung.

Daniella bemerkte nicht ungern das Staunen, welches die mit ihr vorgegangene Veränderung bei den beiden Alten hervorrief.

Der Großvater kannte sich nicht vor freudigem Stolz. »Fein, fein – die Comtessen drüben könnten nicht feiner sein!« wiederholte er entzückt. »Sie haben gesprochen von dir in dem großen Berlin – der Rother hat es uns erzählt.«

Die erste Frage war nun, wie sie so unerwartet dahergeschneit komme und was sie in die alte Domgasse zurückgeführt habe. Jetta schalt echt hausmütterlich, daß sie unangemeldet gekommen sei, und sie nichts habe vorbereiten können, wie es sich schicke für ein so verwöhntes Fräulein; Rother habe nichts davon verrathen, obschon er einen ganzen Abend von ihr und dem Concert erzählt habe.

Daniella beruhigte die Alte und behauptete, gar nicht verwöhnt zu sein; schon wegen der Erinnerung an die alte Zeit sei ihr alles lieb wie früher; man solle ihr nur das kleine Giebelstübchen von ehedem wieder einräumen. Was ihr Kommen anbetreffe, habe Rother freilich nichts berichten können, weil es damals noch nicht beschlossen gewesen. Sie freue sich aber, zu hören, daß Herr Rother noch hier sei, und hoffe, ihn öfter zu sehen. Sie habe Luftveränderung nöthig gehabt, und außerdem habe sie übernommen, im Namen des Vereins zur Verpflegung der Verwundeten und Kranken hier zu wirken und einen Hülfsverein in's Leben zu rufen. Sie werde daher wohl einige Zeit bleiben, wenn ihr Großvater sie aufnehmen wolle.

Der Alte fühlte sich um so mehr beglückt, da er einem solchen Auftrag nicht geringe Wichtigkeit beilegte.

Bald war es allen, als sei die frühere Zeit wiedergekehrt, so unbemerkt glitt alles in die alte Ordnung.

Rother erschien natürlich, sobald er von Daniella's Ankunft hörte. Nur zu gern war er bereit, ihrer Aufforderung gemäß die freie Zeit, die der Dienst ihm ließ, in Veitel's Haus zu verbringen. Jeden Augenblick, den er erübrigen konnte, widmete er Daniella's anregender Gesellschaft. Jene Abende ihrer ersten Jugendzeit erneuerten sich jetzt, und zwar sehr zur Freude der alten Jetta. Außer der Beschäftigung mit Musik wiederholten sich aber auch jene ernsten Gespräche über Religion, nur mit dem Unterschiede, daß jetzt fast ausschließlich Rother und Daniella sie führten und dieselben sogar bald das Uebergewicht gewannen.

Nur Zufall hatte es Rother anfangs gedünkt, daß Daniella darauf hinlenkte; doch bald wurde ihre Absicht ihm klar. So eigenthümlich wie ihm damals zu Muthe gewesen, als das Kind mit Ungestüm seinen Unterricht in der Musik forderte, war es ihm jetzt, als die Jungfrau eines Abends plötzlich vor ihn hintrat und ihn bat, noch ein Mal ihr Lehrer zu sein, ihr Aufklärung über religiöse Fragen und Anleitung zum Studium derselben zu geben; damals habe sie gesagt, sie wolle später darüber nachdenken; jetzt sei der Augenblick für sie gekommen.

Glaubte der junge Mann es den dunkeln Augen, die so bittend zu ihm aufschauten? Die Bitte klang so innig – zum ersten Mal sah er ihr Antlitz mit flüchtiger Röthe sich bedecken.

Die Ueberraschung war so groß, daß er sich nur schwer fassen konnte. Er erschrak vor der Verantwortung und wollte sie überreden, sich eine andere Lehrkraft zu wählen. Eindringlich und aufrichtig rieth er ihr, sich der Leitung erfahrener und frommer Männer anzuvertrauen. Aber Daniella weigerte sich mit Entschiedenheit und wies jeden andern Vorschlag zurück.

Wie damals, behauptete sie, nur von ihm lernen zu können; von ihm allein wollte sie Aufschlüsse haben über die Gedanken, welche seine Mittheilungen in ihr wachgerufen, über das, was ihn mit Begeisterung erfülle; später könne ein eigentlicher Unterricht folgen.

Konnte Rother das wehren? Sollte er sie zurückschrecken von dem ersten Schritte auf der Bahn zum Heile? Die Theilnahme, die er stets für Daniella empfunden, seitdem das eigenthümliche Kind seinen Weg gekreuzt, war dafür zu groß und zu warm.

Eigentlichen Unterricht konnte man es kaum nennen, was in den folgenden Tagen die Stunden füllte, welche er ihr widmete.

Daniella war im Wissen ihm wohl gewachsen. Sie hatte auf dem Gebiete des Geistigen für alles Interesse gehabt, wenn auch mehr, um es flüchtig zu streifen, als etwas gründlich zu erfassen. Dennoch war sie nicht zurückgewichen vor den tiefsten Fragen des Lebens. Freilich hatten diejenigen Systeme ihr am meisten zugesagt, die den Menschen auf sich zurückführen, seine Freiheit am wenigsten binden, seinem Ich am meisten huldigen. Durch ihre Erziehung war sie wesentlich auf diesen Weg gewiesen; der Geist der Institute, denen sie ihr Wissen verdankte, hatte in gleicher Weise gewirkt.

Nur während des kurzen Aufenthaltes bei ihrem Großvater waren christliche Anschauungen ihr nahe getreten. So sehr sie sich durch dieselben angezogen fühlte – sobald als Grundlage des christlichen Princips das demüthige Bekenntniß ihr dargestellt wurde, hatte gegen eine solche Anforderung ihr Ich sich aufgelehnt, obschon sie damals noch Kind war.

Mit Daniella gab es selten Wortfehden, wie Rother sie mit Holdern kämpfte; denn Daniella schwieg meist und ließ Rother reden. Sie kauerte nicht wie damals als Kind auf dem Boden vor der Flamme; sie saß auf dem alten Sopha, in träumerischer Haltung zurückgelehnt gegen die harte, schmucklose Wand. So horchte sie auf das System, das Rother vor ihrem geistigen Auge entrollte. Er sprach ihr von des Lebens Zweck und Ziel, von der Aufgabe, die dem Menschen damit gestellt, von der Schuld des Stolzes und von der Sühne durch Demuth; von der ewigen Liebe, von dem Kampf, der seit jener ersten Schuld in jeder Menschenbrust sich regt, und den Waffen, welche die ewige Liebe uns gab, ihn auszufechten, damit jede Seele wieder jener vollkommenen Einigung theilhaftig werden könne, für die sie geschaffen.

Glaube und Ueberzeugung wurzelten tief in Rother's Herzen. Warm und lebensvoll durchdrangen die heiligen Lehren seine Seele; sie waren das Lebens-Element seines Geistes; klar und verständnißvoll gingen sie daher über seine Lippen. Er schilderte sie in großen, festen Zügen; denn er hatte sie einem Geiste zu vermitteln, der dem Großartigen gewachsen war.

Rother hatte einen vielleicht allzu hohen Begriff von Daniella's Geist. Aber dieser Geist leuchtete aus einem Paar wunderschöner Augen, und die Lippen, die ihn wiedergaben, waren so hold, daß es wohl verzeihlich war, wenn er ihre Fassungskraft ein wenig überschätzte.

Fraglich mochte es bleiben, ob er einer andern Zuhörerin gegenüber eben so begeistert zu reden vermocht hätte, ob er auch dann so ausdauernd und von seiner Aufgabe so angeregt gewesen wäre. Doch ihm war dies unbewußt. Mit hohem Ernst erfaßte er seine Aufgabe; er glaubte an Daniella's Willen, an ihre Hingabe; er wähnte sie oft dem Glauben nahe, wenn sie so sparsam in ihren Einreden war, oder wenn sie sich mit ihm in der Auslegung der Stellen vertiefte, aus denen er mit Vorliebe ihr die Brücke vom alten zum neuen Bunde baute.

Und Daniella? Ihre Seele staunte wohl über das großartige Bild, das er vor ihr entwarf; aber sie war im Stillen mit zu verschiedenartigen Gedanken beschäftigt, um es vollkommen aufzunehmen. Sie horchte vielleicht abermals mehr dem Redner, als der Rede; sie sah, wie die Begeisterung ihn verschönte, und es entzückte sie; doch sie ließ diese Begeisterung nicht auf sich wirken; sie bewunderte den Geist, mit dem er die Lehre entwickelte, mehr als die Lehre selbst. Sie fand in diesen Unterredungen ein Mittel, ihn zu fesseln, und wie eine süße Beruhigung stahl sich die Zuversicht ihr in das Herz, daß er sich fesseln lassen werde; hatte er doch in all' dieser Zeit Asten nur ganz flüchtig berührt; nicht ein einziges Mal hatte es ihn dorthin gezogen.

Obschon diese Unterhaltungen mit Rother der eigentliche Zweck ihres Kommens gewesen, ließ sie dieselben doch ganz nebensächlich erscheinen. Vor den Leuten lebte sie einer andern Aufgabe. Bei der stets wachsenden Zahl der Verwundeten und Kranken wurde die Mildthätigkeit der Bevölkerung immer mehr in Anspruch genommen. Jeder wollte gern dazu beitragen, ihre Leiden zu erleichtern. In allen Städten, selbst in den Dörfern, von Seiten der Verwaltungen wie auch von Privaten waren Anstalten zur Aufnahme der leidenden Krieger gegründet worden. Es war begreiflich, daß man in diese Regungen allgemeiner Theilnahme möglichst Ordnung zu bringen suchte, damit Kräfte und Mittel nicht fruchtlos vergeudet würden. Die Hauptvereine der Residenz suchten ihre Anschauungen auf die Provinz auszudehnen, und Daniella sollte in Bornstadt in dieser Richtung wirken.

Man hatte auch dort schon nach Kräften gearbeitet. In den verschiedenen Lazarethen wirkten Ordensfrauen; auch die weltliche freiwillige Krankenpflege war allerseits thätig, und die Frauen der Stadt widmeten sich derselben auf die aufopferndste Weise. Für Daniella's Absicht, sich daran zu betheiligen und eine leitende Stellung dabei zu erringen, war es gerade der günstigste Augenblick. Sie hatte in der Residenz von tüchtigen Autoritäten manche praktische Anleitungen erhalten und eine gewisse Sachkenntniß erworben, die hier, wo man noch wenige Erfahrungen gewonnen hatte, sehr wohl zu verwerthen war. Die großartige Weise, wie sie auch hier mit Geldspenden sich betheiligte, die Mühe, der sie sich unterzog, weitere Gaben vom Hauptverein zu erwirken, die Verbindungen, die ihr zu Gebote standen, alles das waren kräftige Hebel, ihr, trotzdem sie fremd war, Geltung zu verschaffen. Wenn auch zu Anfang einige Stimmen laut wurden gegen die Anmaßung der jungen Fremden, wußte sie doch mit so viel Klugheit und Tact zu Werke zu gehen, daß sie bald alle entgegenstehenden Meinungen besiegt hatte.

Mit den Ordensfrauen in den Lazarethen stand Daniella auf dem besten Fuße. Die frische Thatkraft, mit der sie jede Verbesserung in's Werk zu setzen suchte, und die Freundlichkeit, mit der sie den Wünschen der Pflegerinnen nachkam, der Eifer, mit dem sie das Wohl der Kranken sich angelegen sein ließ, die Art besonders, wie sie Mittel und Wege zu finden wußte, den langsamen Geschäftsgang zu durchbrechen, wenn es nothwendig war, machten sie sehr beliebt. Ihr Eifer für die Einführung aller neuen Systeme entlockte freilich den im Amte ergrauten Pflegerinnen mitunter ein leichtes Lächeln.

Daniella ehrte nicht minder die hingebende Thätigkeit der Schwestern. Doch erscheint ja meist nichts leichter, als berufsmäßige Aufopferung; die Menschen vergessen zu schnell nur, daß ein solcher Beruf ein stets sich erneuerndes Opfer des Willens, der Neigungen und der Kräfte bleibt.

Daniella fand es natürlich, für das, was sie leistete, genannt und anerkannt zu werden. Sie bewunderte an sich selbst das begeisterte Mitgefühl, das sie für die Leidenden hatte. Ihr erschien es ganz einfach, daß ihr für ihr Wirken eine gewisse Oberherrschaft zufiel. Ihrem Großvater aber gereichte die Wichtigkeit, die sie dadurch gewann, zu ganz besonderer Freude. Der Name Veitel glänzte ihm zwar ein paar Mal in Begleitung von ganz erschreckend großen Zahlen auf den Subscriptionslisten entgegen; denn Daniella schonte des Großvaters Beutel bei solchen Gelegenheiten am wenigsten. Aber, wie er zu sagen pflegte: »Er konnte es ja.« Und er hätte noch mehr gekonnt für seine Enkelin, die ihm so viel Ehre machte; denn was war das alles gegen die Wonne und den Stolz des Tages, wo das schwarze Haus in der Domgasse den Besuch eines der ersten Verwaltungsbeamten empfing! Bei einem Aufenthalt in der Stadt machte der hohe Beamte Fräulein Hirsch in Anerkennung ihrer Bemühungen für die Verpflegung der kranken Krieger seinen Besuch und bat um ihre Begleitung zu derjenigen der Pflege-Anstalten, in der sie besonders ihren Anordnungen Eingang verschafft hatte.

Daniel Veitel datirte jetzt seine Zeitrechnung von dem Tage, wo sein Haus so geehrt worden war, wo er seine Enkelin in solcher Begleitung hatte die Domgasse hinabschreiten sehen.

Das Lazareth, wohin sie den Beamten begleitete, war hauptsächlich durch ihre Bemühungen entstanden, und bei den meisten Einrichtungen in demselben hatte sie die neuesten Grundsätze zur Geltung gebracht. Auch hier leisteten Ordensfrauen den Dienst. Daniella kannte sie fast alle persönlich. Aber eine ihr bis jetzt unbekannte schlanke hohe Dame zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Das klösterliche Gewand trug sie nicht, sondern ein einfach dunkeles Kleid und ein schlichtes weißes Häubchen auf dem vollen Haar. Unzweifelhaft zählte sie nicht zu den Schwestern, nicht ein Mal zu den Novizinnen, deren Tracht Daniella kannte.

Die Unbekannte war eben einer Schwester beim Austheilen der Suppe an die Kranken behülflich. Die anmuthige Würde ihrer Haltung verrieth, daß sie den höhern Ständen angehöre. Daniella entsann sich, kürzlich dieselbe Gestalt in Begleitung einiger Schwestern auf der Straße gesehen zu haben. Ein ihr selbst unerklärlicher Impuls veranlaßte sie, gerade diese Fremde jetzt zu ersuchen, eine Probe der Speise näher zu bringen, damit die Herren sie untersuchen könnten.

Ein momentanes Stocken der jungen Dame und eine dunkele Röthe, die ihr Gesicht überflog, verriethen die Verlegenheit, welche bei der Zumuthung sie erfaßte; doch willfahrte sie alsbald dem ausgesprochenen Wunsche. Auf einen Wink der Schwester verließ sie dann aber sofort den Saal.

Einige Augenblicke hatte sie in fast dienender Stellung vor Daniella gestanden, Suppe und Löffel ihr darreichend. Die Aufmerksamkeit der Beamten war von der Speise sehr abgelenkt worden durch den Liebreiz des Gesichtchens, das in der unkleidsamen Tracht und bei dem demüthigen Amte doppelt überraschte.

Daniella hatte eine Ahnung, als sei die Dame ihr nicht ganz fremd, indeß die Herren sich nicht enthalten konnten, Bemerkungen über die ungewöhnliche Erscheinung auszutauschen.

Daniella's Neugier ließ es dabei nicht bewenden. Bei ihrem nächsten Besuche bei der Oberin erkundigte sie sich nach der schönen Fremden.

Die fromme Frau schätzte Daniella's frische Thätigkeit, und seit einiger Zeit betrachtete sie das junge Mädchen noch mit besonderm Interesse, als suche sie in ihren Blicken zu lesen, was im Innern vorgehe. Ihren Uebereifer, ihre mitunter etwas gönnerhafte Miene belächelte sie still. Auch jetzt entlockten Daniella 's lebhafte Fragen ihr ein Lächeln. Die junge Dame sei die älteste Comtesse Asten, berichtete sie, welche seit einigen Wochen an der Krankenpflege theilnehme.

Daniella schien sprachlos vor Verwunderung, so daß die Nonne zur Erklärung sagte, eine selbst so thätige junge Dame wie sie werde gewiß begreifen, daß in Zeiten der Noth jeder das Bedürfniß habe, seine Kräfte mit einzusetzen. Comtesse Asten, fuhr sie fort, leiste sehr geschickt ihnen Hülfe, die um so willkommener sei, als viele der Schwestern auswärts beschäftigt und der Hände fast zu wenig seien für die Arbeit.

Daniella fragte, wie es komme, daß sie in all' der Zeit die Comtesse nicht bei den Kranken gefunden.

Die Oberin erwiderte, es sei nicht ihr Brauch, junge, ungeübte Kräfte in der Krankenpflege zu verwenden, da solche meist wenig nützten. Im Hause, in der Küche, bei der Bedienung der Schwestern, die jetzt so angestrengt wären, sei Beschäftigung in Fülle zu finden; ein ordnender Kopf und eine thätige Hand seien ihnen dort sehr nothwendig gewesen. Comtesse Asten habe überall tapfer zugegriffen; sie müsse recht häuslich erzogen sein, da sie in allem so gut Bescheid wisse. Man habe sie nur in den letzten Tagen in den Krankensälen mit zu Hülfe nehmen müssen, weil durch die Erkrankung einer Schwester eine Aushülfe nothwendig geworden.

Daniella wich fast einen Schritt zurück vor Schrecken, als sie die Aufzählung von Helenens Beschäftigungen hörte. Es liegt etwas Romantisches, das Gemüth Ansprechendes darin, an dem Lager eines armen Verwundeten zu sitzen, ihm die Schmerzen zu erleichtern und aus seinen Augen den Dank zu lesen; das Bewußtsein der guten, edlen Handlung verklärt diese Thätigkeit in den eigenen Augen wie in den Augen der Welt. Aber in solch' untergeordneter Beschäftigung bescheiden und ungenannt auszuharren, wie die Comtesse, an der unscheinbarsten Stelle seine Kräfte zur Verfügung zu stellen! Vielleicht war nie ein Wort in so aufrichtigem Schrecken über Daniella's Lippen gekommen, wie die Frage: »Aber warum thut die Comtesse das? Was kann sie dazu bewegen? Will sie in den Orden treten?«

»Das glaube ich nicht,« erwiderte die Nonne sehr ruhig. »Sie will einfach sich nützlich machen, uns aushelfen, ohne weiteres Aufsehen zu erregen. Dazu ist jeder Platz recht, wo man etwas leisten kann. Doch würde der Graf ungern seine Tochter an unbeschützter Stelle sehen. Bei uns ist, wie gesagt, Arbeit in Hülle und Fülle.«

Daniella war stumm. Es berührte sie eigenthümlich, daß die Oberin nicht ein Mal ein Wort des Lobes für Helenens Entschluß hatte, sondern ihn ganz natürlich fand, und gerade darauf so großen Werth legte, daß ihr Wirken unbeachtet blieb. Sie selbst glaubte viel geleistet zu haben, hatte sich aber auch in dem Ruhme gesonnt, der dadurch auf sie fiel. Sie war eine zu aufrichtige Natur, um sich nicht einzugestehen, daß sie die Beachtung der Menschen dafür auch haben wollte.

Wenn wir aus uns heraus das Thun unseres Nebenmenschen nicht verstehen, suchen wir fernerliegende Gründe dafür. Daniella grübelte darüber, was Helene Asten zu diesem Entschluß getrieben haben könne. War das der erste Schritt zu der Entsagung, von welcher Holdern gesprochen? Plötzlich fiel ihr Rother's Anwesenheit in Bornstadt ein, und mit einem unheimlichen Gefühl drängte sich ihr die Bemerkung auf, daß er nie von diesem Entschluß Helenens gesprochen hatte. Er mußte es doch wissen – warum hatte er so hartnäckig geschwiegen? War er deshalb in der letzten Zeit nicht in Asten gewesen? Sie zuckte zusammen bei dem Gedanken; die Vorstellung, daß er um ihretwillen Asten vernachlässigt habe, war ihr so süß gewesen, und nun fand sich eine so ganz andere Erklärung; Helene war die Zeit hindurch hier gewesen. – Sie war geneigt, Helenens ganzes Thun für Heuchelei und Intrigue zu halten.

Als an dem Abende Rother zu ihr kam, fand er sie nicht in der Stimmung für die gewohnten Gespräche. Sie fragte ihn alsbald, ob er von der Anwesenheit Helenens bei den Ordensschwestern gewußt, und was die Comtesse zu diesem seltsamen Entschluß wohl getrieben habe.

Rother schien im ersten Augenblick frappirt über ihr Zusammentreffen mit Helene. Doch dann antwortete er ziemlich das gleiche, was die Oberin gesagt hatte; nur daß er die Verdienstlichkeit ihres Wirkens enthusiastisch hervorhob. Er nannte es rührende Bescheidenheit, daß sie ihre Thätigkeit so anspruchslos verborgen halte. Graf Asten, erzählte er, habe nicht gern seine Zustimmung gegeben; doch habe er den Willen der Tochter geehrt und anerkannt, daß es Recht sei, nicht zurückzustehen, wo so viele Hülfe nothwendig. Im stillen Bornstadt sei es auch am leichtesten, alles Aufsehen zu vermeiden, wie sie gewünscht. Die wenigen Personen, die darum gewußt, habe der Graf ersucht, darüber zu schweigen. Unter dem Schutze und der Anleitung so erfahrener Pflegerinnen sei der Schritt ja auch durchaus nicht unpassend gewesen, wohingegen das ganz selbständige Hinausgehen zu den Kriegsschauplätzen doch viel gegen sich habe. Mehrere junge Mädchen der Stadt seien übrigens in gleicher Weise im Lazareth beschäftigt.

Danielles gereizte Stimmung wurde nicht verbessert durch das Lob, das er Helenen spendete, während er über ihr eigenes Wirken noch nie ein Wort gesagt hatte. Sie konnte die Frage nicht unterdrücken, ob er Helene seit ihrer Abwesenheit in der Stadt öfter gesehen habe. Rother bejahte das. Seine Bekanntschaft mit der Oberin habe es möglich gemacht; auch sei er ihr auf der Straße begegnet und habe einige Male Briefe und Bestellungen von Asten zu besorgen gehabt.

Daniella konnte in Rother's einfachen Antworten keine Spur von Befangenheit entdecken; aber ihr unruhiger Geist mußte noch die letzte Probe anstellen. Ihr Antlitz zeigte sich kalt und gleichgültig, aber ihre Stimme bebte, als sie die Meinung äußerte, Comtesse Asten werde diese Zeit wohl als Vorschule für den Eintritt in den Orden ansehen; sie wolle gewiß ihren Vater an den Gedanken gewöhnen, anders sei es doch nicht zu erklären, daß sie sich in dieser Weise den Klosterschwestern anschließe.

Der Eindruck, den diese Worte machten, war größer, als sie selbst gedacht. Rother sah sie einen Moment betroffen an, als sei ihm der Gedanke noch gar nicht gekommen, und fragte dann hastig, ob die Oberin vielleicht eine daraus hinzielende Andeutung ihr gegenüber gemacht habe. Daniella verneinte das und sagte, es sei nur ihre eigene Schlußfolgerung, die aber doch ganz nahe liege; da keine einzige Dame aus den höhern Kreisen der Provinz etwas Aehnliches unternommen habe, müsse ein anderer Grund mitwirken.

Diese Antwort steigerte Rother's Aufregung, und er bestritt auf das heftigste, daß Helene jemals Neigung zum Klosterleben gehabt. Aber je mehr er dagegen sprach, desto mehr verrieth er, daß der Gedanke bei ihm Wurzel gefaßt hatte. Ein Schreckbild schien in ihm aufgestiegen zu sein; die Schönheit des Berufs der frommen Schwestern, den er eben noch so hoch erhoben hatte, war in diesem Augenblick ganz vergessen.

Das gab Daniella einen Stich in's Herz. Ihre Eifersucht loderte hell auf. Unwillkürlich stellte sie sich vor, was Rother sagen würde, wenn sie ihm jetzt plötzlich erklärte, sie sei entschlossen, der Welt zu entsagen und sich ganz Gott und dem Klosterberuf zu widmen. Sie vermuthete, er würde das sehr nützlich für ihr Seelenheil finden und einen Sieg seiner Religion darin erkennen – der Gedanke aber erfüllte sie mit Bitterkeit.

Sollte Holdern Recht behalten? Würde Helene nicht ruhen, bis ihr Fanatismus den Geliebten zu gleicher Entsagung gezwungen?


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