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21

Die kühnen Combinationen, die Holdern auf Rother's Kosten gemacht hatte, beunruhigten ihn wenig. Er hatte eingesehen, daß Daniella auf einem Punkte angelangt war, von dem aus ein Schritt weiter sie ihm auf immer entziehen konnte. Um das zu verhindern, dünkte es ihm nicht zu viel, das als Thatsache hinzustellen, was immerhin im Gebiete der Wahrscheinlichkeit lag. Wie weit er selbst das glaubte, was er Daniella so überzeugend vorgetragen, war sehr fraglich; daß ein gut Theil Wahrheit darin lag, war nicht sein Verdienst. Was aber auch in Rother vorgegangen sein mochte – mit seiner plötzlichen Abreise hatte es eine andere Bewandtniß, als Holdern seiner schönen Freundin vorgespiegelt.

Als Daniella einige Tage vor Rother's Abreise bei diesem wie bei Helene eine veränderte Stimmung zu bemerken glaubte, hatte sie sich nicht getäuscht. Doch trug daran nur die ihnen gewordene Kunde von dem beabsichtigten Verkauf von Burghof die Schuld.

Holdern's Aufenthalt in der Nähe von Burghof und seine Bemühungen, die augenblicklich seinen Plänen günstige Stimmung der Besitzer möglichst auszunutzen, waren nicht vergeblich gewesen. Er hatte nur nothwendig gehabt, Frau von Velden die vortheilhaften Seiten des Verkaufes stets vor Augen zu halten, und bald waren die Verhandlungen so weit gediehen, daß die Sache den Freunden nicht länger verschwiegen werden konnte.

Seitdem Frau von Velden Hermann's Ansichten kannte, war ihre Abwehr ohnehin nur noch schwach gewesen; ein fatalistisches Gefühl hatte ihr den Wunsch eingegeben, die Verhandlungen möglichst schnell beendet zu sehen. Manche ihrer Gründe waren zu unbestimmter Natur, als daß sie dieselben den Freunden gegenüber hätte aussprechen können; den gewichtigsten derselben konnte sie gerade bei der Familie Asten aus Zartgefühl nicht erwähnen. Der Mensch, wenn er der entgegengesetzten Meinung der Nahestehenden im voraus gewiß ist, handelt lieber allein, und daß Graf Asten die bloß äußern Gründe nicht würde gelten lassen, davon war sie überzeugt. Das war auch die Ursache, weshalb sie Rother, nachdem sie dessen Ankunft in Paris erfahren, nicht sofort heimrief; auch ihm theilte sie von den eingeleiteten Verhandlungen nichts mit. Bezüglich Daniella's aber hatte sie ihm mütterlich warnend geschrieben, und Rother's Antwort hatte sie vollkommen beruhigt. Sie hatte daraus ersehen, daß ganz andere Gedanken ihn bewegten, daß er den Entschluß nur zur Reife wollte kommen lassen.

Holdern hatte indessen bei seinen häufigen Besuchen bei Frau von Velden seine neckenden Anspielungen auf die schöne Hebräerin und Rother öfter wiederholt, als ihr taktvoll schien, da sie nicht ahnte, wie er nur Nachrichten über die beiden ihr entlocken wollte. Endlich hatte sie, um ein für alle Mal sein Gerede abzuschneiden, ziemlich klar durchblicken lassen, was sie über Rother's Pläne für die Zukunft wußte, und auch nicht verhehlt, wohin Rother's und Helenens Wünsche in Bezug auf Daniella gingen. So war Holdern in Besitz der Nachrichten gekommen, deren er sich in seiner Weise bei Daniella bediente.

In der Gegend von Burghof war die Absicht der industriellen Gesellschaft, das Gut anzukaufen, inzwischen bekannt geworden, so sehr Frau von Velden darauf gedrungen hatte, die Sache möglichst geheim zu halten, bis sie entschieden sei. Durch Briefe aus der Heimath hatte die Familie Asten von diesen Gerüchten gehört, aber sie anfangs als ganz unglaublich zurückgewiesen. Auf das höchste wurde sie jedoch erregt, als Werthern über die Sache eingehender schrieb, so daß kaum ein Zweifel an der Wahrheit bleiben konnte. Rother bestritt dennoch hartnäckig die Möglichkeit, und der Graf fühlte sich wirklich gekränkt, daß man seinen Rath in so wichtiger Angelegenheit gänzlich umgangen hatte. Helene aber wurde von allen am schmerzlichsten dadurch berührt. Eine innere Stimme sagte ihr, was Hermann die Heimath verleidet habe; und sie kannte seine Grundsätze genugsam, um beurtheilen zu können, welch ein Sturm ihm durch die Seele gezogen sein müsse, bis eine solche Umwandlung stattgefunden. Das Bewußtsein, tief in eines Menschen Lebensglück eingegriffen zu haben, drückt schwer, wenn man sich auch noch so schuldlos fühlt. Ueberdies beunruhigte sie die Bemerkung, die Werthern seiner Mittheilung beigefügt hatte, daß allem Anschein nach Holdern der Urheber der Sache sei, da er im Interesse der Gesellschaft alle Hebel in Bewegung gesetzt habe, um den Verkauf zu Stande zu bringen. Seinem Einfluß auf Frau von Velden, die ganz von ihm geblendet sei, schrieb der Baron, werde lediglich deren Sinnesänderung schuldgegeben. Er führte dabei an, wie Holdern sich diesem neuesten Gründungswesen ganz in die Arme geworfen und bei verschiedenen Unternehmungen in einer Weise sich betheiligt habe, die er, Werthern, nur verurtheilen könne, da er sie weder mit den Standesrücksichten noch mit soliden Ansichten überhaupt vereinbart finde. Werthern sprach schließlich die Hoffnung aus, Velden werde wohl noch zur Vernunft kommen und dadurch Holdern verhindern, die Gegend mit seinen Plänen zu beglücken.

Helene hatte nicht übel Lust, das Urtheil Werthern's mit dem Stempel der Einseitigkeit zu brandmarken; sie erinnerte sich, wie Holdern ihrem Schwager diesen Fehler stets vorgeworfen hatte. Doch brachte die Angelegenheit ihr von neuem zum Bewußtsein, welche Kluft Holdern von ihr trenne; denn auch ihr widerstrebte dieses Aufgeben des Angestammten. Bei jedem andern würde sie ein solches Verfahren als ein sehr unangemessenes bezeichnet haben; von Holdern dies zu sagen, konnte sie sich nicht entschließen, so peinlich ihr seine Handlungsweise war.

Diese Nachrichten waren es gewesen, welche Helene nicht minder wie Rother in jenen letzten Tagen ihres Zusammenseins mit Daniella bedrückt und beschäftigt hatten. Mit Rother hatte Helene am besten darüber reden können, da Velden's Entschluß auch seinem Herzen nahe ging. Er nahm an, daß irgend eine traurige Nothwendigkeit Velden zu diesem Schritte getrieben haben müsse.

Fast unmittelbar nach dem Briefe Werthern's waren auch directe Nachrichten von Frau von Velden und Hermann eingelaufen, welche alles bestätigten. Hermann theilte dem Grafen nur kurz und knapp den geschäftlichen Theil der Sache mit, ohne Gründe dafür anzugeben, ganz wie jemand, der einen Entschluß gefaßt hat und sich nicht gern drein reden lassen möchte. Frau von Velden dagegen hob in einem längern Briefe an Rother die vortheilhaften Seiten nach Möglichkeit hervor, zeichnete die für Hermann sich günstiger gestaltende Lage möglichst glänzend und versicherte, daß dem gegenüber das Gefühl schweigen müsse. Sie bat Rother zugleich, schleunigst heimzukehren. Auch in ihrem Briefe spielte Holdern's Name eine Rolle, so daß Werthern's Vermuthung durchaus bewahrheitet wurde.

Rother war durch diese Nachricht auf das tiefste erregt worden. Auch er hing mit warmer Liebe an der Scholle, die bisher seine Heimath gewesen, und mit der die Geschicke seines Vaters verknüpft waren. Der unruhigen, hastigen Strömung der Welt gegenüber hatte gerade diese feste Richtung, diese seßhafte Gesinnung in seinen Augen an Werth gewonnen – und nun wollten diejenigen, an denen sein Herz am meisten hing, damit brechen! Selbst wenn Frau von Velden nicht den Wunsch ausgesprochen hätte, ihn zu sehen, würde er jetzt in die Heimath geeilt sein.

Es war noch immer Rother's Absicht gewesen, Daniella zu besuchen. Er hatte gewünscht, sich gegen sie auszusprechen, da er sie für reif hielt, seine Berufswahl zu verstehen. Er glaubte ihr das schuldig zu sein als eine Art von Genugthuung nach dem, was zwischen ihnen vorgegangen.

Als aber der Brief seiner Pflegemutter eintraf, und er daraus ersah, wie nahe schon der entscheidende Moment sei, war keine Zeit zu verlieren. So blieb ihm nichts übrig, als Helene zu bitten, Daniella von seiner schleunigen Abreise zu unterrichten. Die Velden'sche Angelegenheit sollte sie noch nicht erwähnen, da Frau von Velden sich dies ausdrücklich verbeten hatte.

Graf Asten sah ein, daß Rother, wie auch die Krisis für Veldens verlaufen würde, in solcher Zeit seinen ältesten Freunden angehören müsse. Er hatte ihn daher sogleich von den Verpflichtungen gegen seinen Sohn vollständig befreit, um so mehr, als Rother dem Grafen gestand, daß er vielleicht bald einen andern Lebensberuf ergreifen werde.

Rother konnte nicht übersehen, daß Helene trotz ihrer großen Theilnahme für die Familie Velden doch stets vermied, mit ihm von Hermann zu reden, und nur in der gezwungensten Weise darauf einging, wenn die Gelegenheit es brachte. Er mußte auf den Gedanken kommen, daß eine Entfremdung zwischen den beiden eingetreten sei, wenn nicht etwa nur mädchenhafte Scheu Helene zurückhalte, indem ihre Gefühle für Hermann ihr jetzt mehr zum Bewußtsein gekommen wären.

In letzterer Ansicht wurde er bestärkt, als er sah, wie abweisend sie den augenscheinlichen Bemühungen des Grafen de Bussy gegenüber sich verhielt. Als nun die Velden'sche Angelegenheit so lebhaft besprochen wurde, war es Rother aufgefallen, daß Helene bei jeder Erwähnung Hermann's augenscheinlich litt.

Am Morgen seiner Abreise, nachdem er wegen Daniella mit Helene geredet und sie gebeten hatte, auch ferner ihren guten Einfluß auf sie auszuüben, nahm er die Gelegenheit wahr, sie zu fragen, ob sie nicht einen Auftrag an Hermann zu bestellen habe, und bemerkte dabei, ein Wort von ihr werde bei ihm gewiß schwer in die Waagschale fallen. Darauf war der Thränen-Ausbruch erfolgt, den Holdern, welcher gerade in dem Augenblick eintrat, bei Daniella so effectvoll vorgeführt hatte. Rother war überrascht, als er Helene vollständig ihre Selbstbeherrschung verlieren sah. Er hatte wochenlang in freundlicher Vertraulichkeit mit ihr verkehrt, und das argvollste Auge hätte nichts anderes entdecken können, als die einfache Gewohnheit frühester Jugend-Bekanntschaft. In diesem Augenblicke aber standen sie einander gegenüber – ihre Hand ruhte in der seinigen; er war sichtlich ergriffen, und ihr Antlitz war von Thränen überströmt.

Holdern wurde doch stutzig, so sicher er Helenens Liebe zu sein glaubte. Er war zwar Gentleman genug, zu thun, als bemerke er die Aufregung der jungen Dame nicht, und nahm die Erklärung, daß Rother's plötzlicher Abschied der Grund dieser Situation sei, anscheinend als genügend hin. In scherzhafter Weise sprach er sein Erstaunen aus, Rother überhaupt noch hier zu finden, und behauptete, die gemessensten Befehle von seiner Pflegemutter zu haben, so daß er sogar zu Zwangsmaßregeln befugt sei, falls der ungetreue Sohn nicht unverzüglich die Reise in die Heimath antrete; deshalb finde er sich auch im Augenblick seiner Ankunft sofort im Hohenwaldau'schen Hotel ein – eine Redensart, welche freilich nicht buchstäblich zu nehmen war, da er schon seit mehrern Tagen in Paris weilte.

Rother war nicht in der Stimmung, auf Scherze einzugehen. Auch er legte Holdern die bei der Familie Velden eingetretene Wendung zur Last. Er schützte die Eile der Abreise vor, um das Zusammensein möglichst abzukürzen, damit die Velden'sche Angelegenheit nicht zur Sprache käme. Helenen empfahl er noch einmal Daniella, und zwar in einer Weise, die Holdern genugsam errathen ließ, um was es sich handele, und daß es Zeit sei, einzuschreiten, ehe es zu spät.

Helene war zum ersten Male durch Holdern's Ankunft nicht erfreut. Sein Verhalten in der Velden'schen Angelegenheit verstimmte sie, und daß er gerade in diesem Augenblicke erschien, steigerte ihre Aufregung. Daß Helene sich sogleich nach Rother's Abschied zurückgezogen hatte, wie auch, daß de Bussy und der Geistliche Rother das Geleit gegeben, war vollkommen wahr, und nur wenige Striche waren nothwendig, um diese Wahrheit zur Carricatur zu verzerren, wie Holdern es gethan. Er war um so schonungsloser, da es seine Eitelkeit aufstachelte, Rother sowohl bei Helene wie bei Daniella sich entgegentreten zu sehen.

Rother's Gedanken, als er an jenem Tage der glänzenden Stadt den Rücken wandte, waren indessen von keiner der beiden lieblichen Mädchengestalten in Anspruch genommen. Seit jenem Tage in dem Ordenshause war ihm klar geworden, wonach er ferner zu streben haben werde. Es gibt ja solche Tage, die plötzlich uns das erschließen, was lange in unserm Innern geschlummert, wo auf einmal der Entschluß uns deutlich entgegentritt aus dem Nebel, der bisher ihn verhüllte.

Nicht mit Unrecht hatte Daniella damals den Ausdruck in Rother's Zügen auffallend gefunden: es war die Ruhe der Entscheidung, die darüber ausgebreitet war. Höchstens noch das »Wann« beschäftigte ihn, da selbst über das »Wo« jener Augenblick schon entschieden hatte.

Je mehr er sich der Heimath näherte, desto mehr aber traten selbst diese Gedanken zurück; einzig beschäftigte ihn noch die Angelegenheit des Verkaufes von Burghof. Es war ihm unmöglich, seine Pflegemutter wie seinen Freund zu verstehen; ihre Sinnesänderung war zu groß. Er theilte die bange Ahnung des Grafen Asten, daß irgend ein Rückgang in den Verhältnissen den Entschluß zur traurigen Nothwendigkeit gemacht haben müsse.

Höchlich überrascht war Rother, als er auf dem Bornstadter Bahnhofe Hermann's hohe Gestalt erblickte; denn seine Mutter hatte nicht geschrieben, daß sie ihn zu Hause erwarte. Der Freund schien seiner zu harren.

Fast zwei Jahre waren verflossen, seit die Freunde sich nicht gesehen. Sie waren zu echte Landeskinder, um die Freude ihres Wiedersehens anders als durch einen kräftigen Händedruck kundzugeben. Erstaunt sah Rother, daß des Freundes Antlitz so ruhig war, während er unter den obwaltenden Umständen das Gegentheil erwartet hatte und selbst seine Bewegung kaum zu bemeistern vermochte. Auch Hermann's Worte entsprachen so wenig Rother's Befürchtungen, daß sein elastischer Sinn sich schon der Hoffnung hingab, der Entschluß des Verkaufes sei rückgängig geworden, besonders als der Freund in seiner alten Rolle des Vormundes ihn an die Besorgung des Gepäcks mahnte.

»Du scheinst zu vergessen, daß ich lange Reisender von Beruf war,« scherzte Rother. »Fahren wir gleich nach Burghof, oder hast du andere Absichten?« fuhr er fort, als er sah, daß kein Fuhrwerk bereit war. »Wie wußtest du überhaupt, daß ich kam?«

»Mutter schrieb mir, sie habe dir alles mitgetheilt, und ich dachte mir, daß du unverzüglich kommen würdest,« sagte Hermann sehr ruhig. »Seit zwei Tagen bin ich hier, dich zu erwarten. Ich denke, wir gehen erst in die Stadt, ehe wir weiter fahren. Mutter weiß nicht, daß ich hier bin,« fügte er hinzu, indem er den Weg zur Stadt einschlug.

»Seit zwei Tagen hier und noch nicht in Burghof gewesen?« frug der Freund erstaunt – denn das sah Hermann so unähnlich wie möglich.

»Nein, ich hatte Geschäfte,« lautete Hermann's kurze Antwort.

In Rother stieg nun wieder die Sorge auf, er möge zu spät kommen. Wie er bei diesem Gedanken zu Hermann aufsah, schien ihm derselbe noch größer und kräftiger als früher. Er wähnte, der dunkele Vollbart, der jetzt das Antlitz umrahmte, habe es so verändert. Aber der kalte, fast gleichgültige Ausdruck belehrte ihn eines andern. Noch mehr fiel ihm auf, daß Velden mit keinem Worte nach den Freunden in Paris fragte.

Velden war jedoch nicht finster schweigsam, wie er sonst gewesen, wenn irgend etwas ihn bedrückte. Er sprach über Rother's Reisen und erzählte von seinem eigenen Leben in der östlichen Provinz, als ob zu Hause gar nichts vorgefallen sei; auch verbreitete er sich über seine Absichten bezüglich seiner Carrière und seines letzten Examens.

Auf dem Wege mochte Rother das gefährliche Thema nicht berühren; zu heiß brannte es ihm auf der Seele. »Der Osten scheint dir nicht übel zu bekommen,« sagte er in scherzendem Tone. »Ich weiß nicht, ob es der Gegensatz zu den kleinen Franzosen ist, aber du kommst mir reckenhafter vor wie jemals. Ich würde dich kaum erkannt haben, so verändert dünkst du mir.«

»Dagegen kann ich dir das Compliment machen, daß du dich möglichst wenig verändert hast,« erwiderte Velden anscheinend heiter. »Wenn ich dich sehe, meine ich, es sei erst gestern gewesen, daß wir hier unser erstes Abenteuer bestanden, wo das kleine Ding mit den großen Augen dich anstaunte.« Sie lenkten gerade in die Domgasse ein. »Du bist der Alte geblieben, bis auf deine Locken, die ja gefallen sind – schrecklicher Eingriff in deine Künstlerschönheit! Welche reizende Delila – oder muß ich Daniella sagen? – forderte ein so grausames Opfer?«

»Sie fielen der Erzieher-Würde zu Ehren,« sagte Rother. »Herbert behauptete, er werde so mehr Ehrfurcht vor mir haben.«

»Bist du denn jetzt Erzieher oder Künstler –, oder was bist du, und was willst du?« fragte Velden heftig. »Darin wenigstens bist du unveränderlich genug, daß man nie recht weiß, was man in dir sieht.«

»Für's erste noch etwas von allem. In meinem Leben muß das, was Frucht bringen soll, sich langsam entwickeln, wenn auch endlich ein Strahl es rasch zur Reife bringt.«

»Du wirst dich zersplittern mit deiner Gefühls-Philosophie und deinem ewigen Wechsel,« gab Velden in fast geringschätzendem Tone zurück. »Ich hörte, Fräulein Daniella sei auch in Paris gewesen und habe sich bis zu den ersten Kreisen aufgeschwungen. Holdern erzählte es der Mutter,« fuhr Velden fort, als wolle er den Freund ausforschen.

»Auch ich habe es ihr mitgetheilt. Ich sah Fräulein Daniella viel beim Baron Hohenwaldau. Astens haben mir das Herzlichste für dich aufgetragen.«

Hermann schien seine Worte zu überhören, da sie eben in den Gasthof eintraten; er that wenigstens so.

Der alte Besitzer des Gasthofes bewillkommnete laut und herzlich die jungen Herren, die er seit ihrer Knabenzeit kannte, besonders Rother, von dem er so lange nichts gehört habe, wie er sagte. Er fragte, was die schöne Kunst mache, und ließ es sich nicht nehmen, die jungen Leute in das Zimmer zu geleiten, wo Velden alles zum Empfange des Freundes schon angeordnet hatte.

Der Wirth des von Alters her weit bekannten Gasthofes »Zum goldenen Roß« hatte zu viel Interesse an allen, die zu dem Kreise seiner Bekanntschaft gehörten, als daß er nicht erst Erkundigungen nach den Astener Herrschaften eingezogen hätte. Er that das in dem gemüthlich vertraulichen Tone, wie echte Anhänglichkeit ihn eingibt. Außer in diesem Ländchen herrscht vielleicht nur in England noch dies gegenseitige gute Verhältniß zwischen Bürger und Aristokraten. Es ist ein gesunder Zustand, wo jeder sich so wohl fühlt in seiner Haut, daß er den andern gern gelten läßt.

Der Wirth kramte dann auch seine Neuigkeiten aus. Er wußte besonders viel von all' den neuen Projecten zu erzählen, die jetzt in der Umgegend auftauchten. Als vorsichtiger Landesbewohner meinte er, es müsse sich erst ausweisen, was daran wäre; da kämen Fremde von da hinten her, Franzosen und Engländer, und wer weiß was alles, die alle möglichen Anlagen im Plane hätten. Geld müßten sie haben wie Heu, oder es müsse sich später merkwürdig rentiren; denn sie zahlten, was man wolle, und schlecht leben thäten sie auch nicht. Der Herr Baron von Holdern sei recht mit dazwischen. Er müsse auch schon schöne Geschäfte gemacht haben; denn er wolle, wie man sage, seine alte Burg wieder prachtvoll herstellen lassen. Der alte Herr hatte bei dieser Erzählung vielleicht die kleine Nebenabsicht, bei Velden auf den Busch zu klopfen, war aber tactvoll genug, keine nähern Anspielungen zu machen.

Velden hatte während dieses Geplauders eine kühle Zurückhaltung bewahrt, als berühre ihn dasselbe kaum. Es konnte kluge Vorsicht sein. Aber fast unnatürlich war der geschäftsmäßige Ton, in welchem er von dem Verkaufe zu reden begann, als die Freunde allein waren. Er setzte Rother die Sachlage auseinander, die Vortheile des Anerbietens und die gegenseitigen Berechnungen abwägend, als seien das die einzig noch zu bedenkenden Punkte.

»Mutter zu Lieb' würde ich davon abgestanden haben,« fuhr er fort, als er sah, wie Rother's Augen mit fast vorwurfsvollem Staunen auf ihm ruhten. »Aber es war thöricht von mir, nicht längst einzusehen, daß ihr die Lebensweise dort nicht mehr zusagen kann, und daß es auch für sie wohlthuender sein wird, in andere Lebenskreise einzutreten.«

»Hermann, ist es denn nothwendig?« fragte Rother dazwischen. »Gibt es kein Mittel, der Eventualität noch vorzubeugen? So viel härtere Jahre sind ja ertragen, so viel schwerere Zeiten überwunden worden – und deine Mutter war in den letzten Jahren so hoffnungsreich.«

»Nothwendig, nein,« sagte Hermann, sich erhebend, als sei darüber nicht weiter zu streiten. »Eine Nothwendigkeit in dem Sinne, wie du meinst, liegt nicht vor. Aber der Vortheil liegt einfach auf der Hand. Ein solches Angebot für ein an sich nicht werthvolles Object wird vielleicht nie wieder gemacht werden. Die Nähe der Wälder bei Burghof ist für die Fabrik sehr wichtig, und das gibt der Gesellschaft die Möglichkeit, so viel zu zahlen.«

»Deine Wälder, deine schönen Wälder, auf welche du so stolz warst!« rief Rother, ganz entsetzt über den kalten Ton, in welchem Velden sprach; er wurde dadurch schmerzlicher berührt, als wenn der Freund in Klagen ausgebrochen wäre.

Velden zuckte die Achseln. »Man kann nur die praktische Seite und den Vortheil im Auge behalten,« sagte er, mit großen Schritten auf und nieder schreitend, indeß eine finstere Falte aus der Stirne sich zeigte. »Am vernünftigsten ist es überhaupt, sein Herz an nichts zu hängen und nur an das zu denken, was reellen Nutzen bringt.«

»Und deine Grundsätze, deine Ansichten über Pflicht und Beruf der angestammten Familien?« rief Rother noch lebhafter. Er meinte, Hermann müsse zur Besinnung kommen. »Deine Stellung hier im Lande, die Ehrenpflichten, die sich daran knüpfen, der Einfluß, den dein unabhängiger Besitz dir gibt – denkst du nicht daran?«

»Man braucht nur einen Blick in die Welt zu werfen, um zu sehen, wo allein jetzt aller Einfluß ruht,« gab Hermann zur Antwort, anscheinend so ruhig mit seiner Cigarre beschäftigt, als verhandele er die gleichgültigste Sache von der Welt. »Geld ist eben jetzt die einzige Macht, die Gefühlsspielerei ist nichts; alle Idealisterei kann das nicht wegleugnen.«

Rother sah Hermann an, als sei er ihm fremd geworden. Eine Entrüstung, wie er sie noch nie gegen seinen Freund empfunden, bemächtigte sich seiner. »Ich bin kein Aristokrat, Hermann,« sagte er ernst und ruhig. »Ich stehe unwillkürlich, wie jeder es thut, zu dem Stande, dem ich von Geburt angehöre. Aber nicht allein mein Leben mit und unter euch hat mich erkennen lassen, daß ihr eine Berechtigung für euer Standesbewußtsein habt, daß eine tiefe, innere Bedeutung auch für das Volksleben darin liegt. Wollt ihr der besitzende Stand sein, der auf der Scholle streng hütet, was nur durch langjährigen Bestand gedeiht, so habt ihr recht darin. Wollt ihr den unabhängigen Theil des Volkes bilden, der nicht von den augenblicklichen Schwankungen des Erwerbes berührt wird, sondern sich auf das stützt, was ihm an Ansehen schon durch seine Vorväter überkam, so ist das ein berechtigter Anspruch. Aber dann habt ihr auch kein Recht, für jedes Linsengericht, das euch geboten wird, dies Geburtsrecht daran zu geben und einen baaren Vortheil dafür einzutauschen. Man kann nichts beanspruchen, für das man nichts leistet. Wollt ihr das preisgeben, worin die Wurzel eueres Ansehens liegt, worauf der Nutzen sich gründet, den euer Stand bringt, dann ist euer ganzes Standesbewußtsein nur leeres Wortgeklingel, nur hohle Phrase.«

»Anton!« rief Hermann, sich plötzlich aus seiner Ruhe aufrichtend und den sonst so maßvollen Freund überrascht anblickend. »Du bist sehr bitter. Ich denke nicht daran, meine Stellung aufzugeben; ich kann jeden Augenblick mich neu ankaufen, wann und wo ich will.«

»Nein, die Stellung nicht – die wollt ihr freilich nie aufgeben!« rief Rother schneidend, und seine Wangen glühten, sein schönes Auge leuchtete. »Deine Stellung nicht, – aber deine Pflichten gibst du auf. Der Fleck, wo du geboren und erzogen wurdest, der dir von deinen Vätern überkommen, der ist dir gewissermaßen anvertraut. Keine Macht des Goldes kann bewirken, was mit den geringsten Mitteln deiner Mutter stiller Rath, deiner Mutter milde Leitung geleistet hat. Deine Vorväter waren kaum ihrer Stellung würdig – du würdest viel wieder gut zu machen haben, das weißt du; dennoch aber sieht schon jetzt dort alles auf dich und folgt unwillkürlich dem Impuls, der von dir ausgeht. Das ist der Zauber des Alt-Angestammten, das ist die Macht, die Gott dem Höhergestellten verliehen hat! Du willst diese Stelle jetzt aufgeben, nicht weil die Nothwendigkeit dich zwingt, sondern weil Gold dich lockt. Du willst die Gegend fremden Einflüssen preisgeben, willst sie Menschen in die Hand legen, deren lose Grundsätze du kennst, die darauf angewiesen sind, die Menschen rücksichtslos auszubeuten. Du willst eine Schaar seßhafter, zufriedener Landleute in eine treibende Arbeiterbevölkerung umwandeln! Sie werden deinem Beispiel folgen, das ist gewiß. Auch sie werden darangeben, was ihnen bisher heilig war, um des raschern Gewinnes willen. Was soll den Bauer vor Zersplitterung seines Eigenthums behüten, was soll dem geringen Mann Zufriedenheit und Genügsamkeit bewahren, wenn er sieht, wie ihr Höherstehende alles der Gewinnsucht preisgebt? Ihr klagt über den Rausch der Zeit und achtet vielleicht kaum darauf, wie der fiebernde Pulsschlag zunimmt … Und er nimmt zu, nimmt stetig zu,« fuhr Rother noch ernster fort. »Du sprichst von einem Blick in die Welt, – hättest du den mit Bedacht gethan, dann würdest du das wahrgenommen haben. Aus der Genußsucht und dem hastigen Streben der einen nach Gold wächst der Neid der andern, und mit ihm der Haß, der allen vernichtenden Grundsätzen Thür und Thor öffnet. Noch mag der Tag der Katastrophe fern sein; aber heimlich dringt das Unheil heran, um plötzlich alles zu überfluthen. Jeder, der einen festen Platz aufgibt, zerlöchert den Damm, den nur der stabile Theil des Volkes der Fluth entgegensetzen kann.«

»Jedenfalls hast du kein Recht, mich anzuklagen,« sagte Hermann dumpf. »Du selbst warst einst derjenige, der gegen meine allzu zähe Anhänglichkeit sich erhob. Du selbst nimmst den Wechsel leicht, sobald etwas dir nicht mehr zusagt.«

»Nein, nicht gegen deine Anhänglichkeit, nur gegen deine damalige Auffassung, nur für dich und dein Eigen leben zu wollen, dagegen sprach ich. So eng darf euer Lebenskreis nicht gezogen sein. Ihr sollt mehr sein wie der Bauer; denn ihr müßt die großen und hohen Interessen im Auge behalten, ihr müßt sie kennen lernen, um sie wahren zu können. Das ist die Pflicht des geistig Gebildeten, dem nicht das Loos der Hände-Arbeit ward. Für höhere Zwecke zu wirken, war die Aufgabe des Ritterthums, aus dem ihr hervorgegangen seid; und auch ihr sollt leben für das Ideal, euern Kindern es vererben. Du kannst das nicht ganz vergessen haben,« setzte er hinzu, als er sah, wie Hermann sich persönlich abwandte und mit erregten Schritten das Zimmer durchmaß. Die starre Ruhe verließ ihn dabei, ein Ausdruck des Schmerzes glitt über sein Antlitz.

Rother betrachtete den Freund eine Weile schweigend und, als ginge ihm endlich ein Licht auf, trat er an ihn heran und legte die Hand auf seine Schulter. »Hermann, würdest du je daran gedacht haben, Burghof aufzugeben, wenn du Helene Asten errungen hättest?«

Velden zuckte zusammen und wandte mit heftiger Bewegung sich ab. »Es gibt Fragen, die selbst der beste Freund lieber nicht stellt,« sagte er rauh.

»Hast du auch darin gewechselt, oder hast du keine Hoffnung?« fragte Rother weiter, ohne seine Entgegnung zu beachten. »Helene wie du, ihr steht beide ja noch im Beginn des Lebens. Allzu traurig wäre es, wenn ein Mißverständniß trennen sollte, was von Kindheit an geeint war.«

»Von Kindheit an geeint?« wiederholte Velden noch abstoßender. »Das Privilegium eines wechselnden Geschmackes, das du für dich allein willst gelten lassen, nehmen auch schöne Damen in Anspruch.«

»Helene gehört nicht zu solchen,« sagte Rother ernst. »Sei nicht ungerecht, Hermann; dein schroffes Wesen könnte leicht dein Lebensglück zerstören. Helene ist voll warmer Theilnahme für deine Angelegenheit, und ich kann dir sagen, daß sie die Annäherung aller andern zurückweist. Ich habe beobachtet, wie sie dem Grafen Bussy auswich – eine glänzende Partie, einer der besten und ehrenwerthesten Männer, die man sich denken kann.«

Ueber Velden's Züge flog ein fast ironisches Lächeln. »Ich fürchte, ich werde mich mit ihm als Leidensgefährten trösten müssen,« sagte er. »Wir ehrenwerthen Männer machen nicht immer Glück!« Als sei es ihm Bedürfniß, sich auszusprechen, blieb er jetzt vor Rother stehen und fragte, heiser vor Bewegung: »Anton, kannst du's verstehen, daß ein Mädchen wie Helene Asten einen Mann ohne Principien, ohne Religion liebt?«

»Meinst du Holdern?« frag Rother erregt. »Nein, Hermann, es ist unmöglich – du mußt dich täuschen! Das ist nur ein Hirngespinnst.«

Velden schüttelte den Kopf. »Du kennst wenig von Frauenherzen,« sagte er. »Je kühner, je frecher ein Mann mit ihnen spielt, desto leichter unterjocht er sie; je geheimnißvoller sein Leben ist, desto mehr Reiz übt es auf sie aus. Man muß erst untergetaucht haben in des Lebens dunkelste Fluth, um ihnen interessant zu werden!« rief Velden in der Bitterkeit seines Schmerzes, der plötzlich sich Bahn brach.

»So darfst du nicht von Helene Asten reden,« sagte Rother vorwurfsvoll. »Du weißt, daß du ihr Unrecht thust.«

»Helene, – ja, ich weiß; sie ist zu rein, zu unberührt von der Welt, um einen Mann wie Holdern zu verstehen,« sagte Velden weicher. »Aber sie liebt ihn dennoch!« Rother wollte ihm in die Rede fallen. »Nein, schweige,« sagte er fast herrisch; »ich weiß es von ihren eigenen Lippen. Sie war aufrichtig genug, mich nicht im Unklaren zu lasten.«

»Das kann nur eine momentane Verirrung sein,« wendete Rother ein. »Nur für Augenblicke kann der Mann über sie Macht erlangt haben. Aber nie, nie wird Graf Asten seine Tochter einem Menschen wie Holdern anvertrauen.«

»Holdern hat auch in dieser Beziehung den rechten Weg eingeschlagen,« bemerkte Velden bitter. »Durch die Industrie ist jetzt ungemessenes Geld zu erlangen. Holdern hat Bedeutendes gewonnen, schon jetzt gebietet er über große Mittel, – du hast es selbst vorhin von dem Wirthe gehört. Graf Asten wird dem reichen Freier seine Tochter nicht versagen. Auch bei Henny hat der Zauber des Reichthums über alle Bedenken fortgeholfen.«

»Du bist auch ungerecht gegen den Grafen, Hermann. Du weißt so gut wie ich, was Henny's Neigung von früh an war, und wie zutrauensvoll Asten sie einem so bewährten Manne wie Werthern geben konnte. Ueberdies setzest du auch zu viel Vertrauen in diese neueste Goldmacherkunst. Ich bin wahrlich nicht gegen die Industrie; sie ist ein notwendiges Element des Volkslebens, und wo sie langsam und gediegen sich entwickelt, gereicht sie dem Allgemeinen zum Vortheil. Dies hastige Aufschießen neuer Unternehmungen aber hat etwas Ungesundes. Der Werth, den man den Gegenständen künstlich beimißt, kann nicht von Dauer sein. Die Hoffnungen, die man auf all' diese Unternehmungen setzt, können nicht in Erfüllung gehen. Nicht weniger ist dies eine Epidemie, wie jene, als man glaubte, Gold im Tiegel brauen zu können. Vor allem aber darf euer Stand sich dem Schwindel nicht in die Arme werfen. Denke nicht, daß die Industrie euch willig ihren Zauberstecken in die Hand gibt; höchstens läßt sie euch einige Goldkörner zukommen, um euch damit zu gewinnen. Ihr könnt doch nicht alle Privilegien haben,« fuhr er lächelnd fort. »Auch der rasche, geschäftskundige Blick, die ausdauernde Arbeitskraft ist vielfach etwas Angestammtes. Holdern wird nur ausgenutzt; auf die Länge bleibt er nicht an der Spitze, ungeachtet des momentanen Gelingens, mit dem er jetzt prahlt. Die scharfe Berechnung des echten Industriellen hat er nicht; nur der leichte Gewinn lockt ihn. Wenn er auch wahrlich nicht der echte Typus eueres Standes ist, so bleibt er doch Aristokrat, mit welchen fremden Federn er sich schmücken mag.«

Rother hatte ruhig geredet. Velden sah ihn immer aufmerksamer an. War das der leichtherzige Künstler, der unbekümmerte Knabe, auf dessen Weltkenntniß er eben noch geringschätzend herabgesehen hatte? »Woher hast du das alles?« fragte er erstaunt. »Du hast viel gedacht, scheint es, hast dich gut umgeschaut in der Welt, indeß wir dich bloß in deine Kunst vertieft glaubten.«

»Du denkst wohl, das gehe mich alles nichts an?« entgegnete Rother. »Ihr praktischen Menschen glaubt das immer; aber vielleicht,« setzte er sinnend hinzu, »sieht man doch die Welt am richtigsten von dem höchsten Standpunkte. Aber nun sage mir, Hermann, wer ist der größte Idealist, du oder ich? Weil das Lächeln einer Frau nicht dir sich zuwandte, willst du brechen mit den Grundsätzen, die du Jahre hindurch für recht und gut erkannt hast? Weil das Herz, das du erstrebtest, nicht gleich dein wurde, willst du alles über Bord werfen, was dem Manne höher stehen muß und auf die Länge auch stets höher steht, als die Liebe? Thue keinen Schritt, den du später nicht wieder gut machen kannst!«

»Und du, verstehst du nicht auch das Gefühl, das mit allem brechen läßt?« gab Velden unmuthig zurück. »Was ließ dich damals von dem Berufe dich abwenden, der dir von Kindheit an am höchsten gedünkt, – was anders, als ein paar schöne Augen? Was scheint dir jetzt wieder das leid zu machen, was du so eifrig begonnen, als daß du sie wohl nicht erringen kannst? Du weißt so gut wie ich, ein wie grausamer Tyrann das Gefühl sein kann.«

Eine dunkele Röthe flammte über Rother's Züge bei diesem Stiche. Er war im Begriff, zu entgegnen, wie wenig zutreffend der Vorwurf sei; aber ein Gefühl echter Männlichkeit ließ ihn sich beherrschen. »Ich glaube kaum, daß dieses Motiv mich geleitet,« erwiderte er ruhig. »Aber es gibt eine Erkenntniß, die nur langsam reift. Vielleicht hattest du recht, mich eine unruhige Natur zu nennen.«

»Ich wußte von Anbeginn, daß der Künstlerberuf dir nicht genügen würde,« versicherte Velden.

»Ich denke heute nicht minder hoch darüber, wie damals,« sagte Rother, »und ich danke Gott für die schöne Gabe. Aber eben, nachdem man sich in der Welt umgeschaut, leuchtet uns am deutlichsten ein, daß im Grunde nur eins die Hauptsache, nur eins nöthig ist.«

»Du kehrst zu deinem ersten Berufe zurück – du willst dennoch Priester werden?!« rief Hermann, durch das Interesse an des Freundes Schicksal von seinen Angelegenheiten ganz abgelenkt. »O, Anton, das ist mehr wie Ueberraschung! Aber irrst du nicht vielleicht auch jetzt? Läßt du dich nicht hinreißen?« Er suchte im Antlitze des Jugendgefährten zu lesen; er meinte, er müsse die Spuren eines Schmerzes oder einer Entsagung darin sehen.

Aber Rother's Antlitz war sonnig und sein Auge blickte mit der frühern heitern Klarheit. »Glaubst du, ich predigte anders als ich handele? Glaubst du, ich wendete finster der Welt den Rücken? Nein, sie ist schön und freundlich mir gewesen. Doch etwas Höheres und Schöneres winkt mir, und das möchte ich fest im Auge behalten. Aber du hast auch recht gehabt, als du fürchtetest, ich könnte mich leicht zersplittern; ich habe das selbst empfunden und deshalb möchte ich mich jetzt dem Höchsten ausschließlich widmen.« Er betonte das Wort »ausschließlich« so, daß es Hermann auffiel.

»Was meinst du damit?« fragte er eifrig. »Du kannst nichts anderes wollen, Anton, als das, was wir oft als Kinder uns träumten: daß du ein tüchtiger Seelsorger einst würdest. Es ist ein schöner Beruf, zu dem du mit deinem Verständniß für alles und jedes dich vortrefflich eignest!« Der Freund schwieg noch immer. »Du, der lebhafte Mann, würdest den Ordensberuf nicht wählen dürfen. Du würdest die Beschränkung nicht ertragen,« setzte er hinzu, gegen eine Ahnung ankämpfend, die sich ihm aufdrängte.

»Vielleicht eben um deshalb wäre der Ordensstand mir heilsam,« versetzte Rother ruhig. Aber diese Antwort diente nur dazu, Hermann's Erregung zu steigern. Der Gedanke, daß durch Eintritt in einen Orden der Freund ihm gänzlich entrückt sein werde, schnürte ihm das Herz zusammen; daß die Erfüllung seines Wunsches, Rother in dem geistlichen Beruf zu sehen, unter dieser Gestalt kommen könnte, hatte er nie geträumt.

»Es ist nicht möglich, Anton!« rief er; »sage, daß es nicht ist! Warum wolltest du einen solchen Schritt thun, wo dir hier eine so schöne Wirksamkeit blühen könnte?«

»Warum?« entgegnete Rother. »Vielleicht aus demselben Grunde, weshalb ich dir sagte: bleibe hier. Wenn es wie Sturm in der Luft liegt, thut jeder am besten, sich auf den Posten zu begeben, wo er hoffen darf, am meisten zu leisten. Gerade so meine ich im festen Verbande mit Gleichgesinnten am ersprießlichsten wirken zu können; meiner Seele, die so vieles lockt, dünkt die Schranke des Gehorsams nothwendig. Ich glaube zwar nicht, daß unsere Zeiten eben schlechter oder schwieriger sind als früher; jede Zeit hat ihre eigenen Kämpfe, ihre vorwiegenden Kennzeichen. In unserer Zeit essen die einen so lange von den Früchten der Erkenntniß, bis sie wähnen, stark genug zu sein, um bis zum Himmel sich aufzuschwingen; die andern berauschen sich in dem Wein des Genusses, bis ihr Sinn sich nicht mehr über den Erdenstaub zu erheben vermag. O, du glaubst kaum, welch' reißende Fortschritte diese Richtung macht! Ein jeder muß sich dagegen stemmen nach seinen Kräften. Sieh', wenn so laut, so offen aller Orten das Bestreben sich geltend macht, das Licht des Glaubens auszulöschen, dann faßt einen die Sehnsucht, die Wahrheit hinauszutragen über Meer und Land, daß sie den Völkern leuchte überall! Wenn man den Taumel sieht, in welchem jeder für das Irdische so athemlos schafft, dann lernt man Entsagung und Demuth schätzen als die ruhige Oase, in die man sich retten möchte. O, Hermann, verlasse deinen Posten nicht, wenn auch Opfer und Entsagung von dir gefordert werden!« Er hatte des Freundes Hand gefaßt und sah fast bittend zu ihm auf.

Hermann hatte das Gesicht abgewandt, um das Ueberwallen des Gefühls zu verbergen, das der Entschluß des Freundes bei ihm erweckte. Bei diesen Worten aber, aus denen solch' innige Begeisterung sprach, wandte er sich zu Rother um.

»Du bist ein seltsamer Mensch, Anton. Fürwahr, deine Beurtheilung der Welt mag die bessere und richtigere sein. Meine Mutter hat recht: du wirst vielen vieles werden,« sagte er leise. »Dir zu folgen, würde kein Wankelmuth sein. Doch ich werde der Mutter das Opfer bringen müssen; auch ihr ist das Gut zur Last geworden, und sie hat lange genug die Bürde getragen.«

»Ich glaube kaum,« sagte Rother, »daß sie diese Auffassung theilen wird. Sobald sie erfährt, daß du deinen Schmerz überwunden hast, wird auch ihr die Liebe und Lust an dem bisherigen Lebensberuf wiederkehren. Das Wort, das mein Vater einst zu ihr sprach: des Menschen Glück liege darin, für einen edeln Gedanken uneigennützig zu leben, ist zu lange ihres Lebens Regel gewesen, als daß sie jetzt ihr untreu werden könnte. Ein einziges Wort von dir wird ihr alles wieder leicht machen. Und auch dich wird die Zeit damit aussöhnen!«

Hermann seufzte schwer auf, als ob er an diese Aussöhnung nicht glauben könne.

»Nicht einmal der Trost würde mir bleiben, dich einst in der Nähe haben zu können!« sagte er kopfschüttelnd, als er sich etwas später zu dem Freunde in den Wagen schwang, der sie nach Burghof führen sollte. Dennoch stieg schon ein Anfang von Befriedigung in ihm auf, als er nach einigen Stunden seine Heimath wieder vor sich liegen sah. Das süße Gefühl des Eigen brach sich um so kräftiger Bahn, je unnatürlicher er es vorher zu verleugnen gesucht.


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