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Ein Schwarmgeist auf dem Katheder: Franz von Baader

David Baumgardt, Franz von Baader und die philosophische Romantik. Halle/ Saale: Max Niemeyer-Verlag 1927. VI, 402 S. (Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte; Buchreihe. 10.)

Wenn die philosophischen Leistungen des nachkantischen Idealismus in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts der Nichtachtung anheimfielen – »Zurück zu Kant« hieß das Schlagwort –, so war die Lehre Baaders um diese Zeit schon in Vergessenheit geraten. Kaum, daß der Name noch in den Listen der Philosophiegeschichte geführt wurde; auf die abstrusen, dunklen Schriften sich einzulassen, war die Versuchung um so geringer, als schwierige Kontroversen – den Einfluß Schellingscher Gedanken auf Baader, Baaderscher auf Schelling betreffend – sich an sie anschlossen. Wahrscheinlich um diese Zeit hat die Legende vom »Naturphilosophen« Baader sich entwickelt. Die Unverständlichkeit wird das tertium gewesen sein, auf Grund dessen man zwischen Männern wie Ennemoser, Oken, Windischmann auf der einen Seite und Baader auf der anderen die Gleichung versuchte. Berichtigt hat diese Einschätzung zunächst nicht ein historisches sondern ein sachliches Interesse. Ausgehend von der Lehre Rudolf Steiners war 1915 Max Pulver zu einem intensiven Baader-Studium vorgedrungen, dessen Ertrag der Auswahlband des Inselverlages Franz von Baader, Schriften. Ausgew. und hrsg. von Max Pulver, Leipzig 1921. darstellt. Diese Ausgabe ist noch heute die zugänglichste; die sechzehnbändige der sämtlichen Schriften ist selten. Im Gegensatze zu Pulver setzt Baumgardt in seinem umfangreichen Werke, das – nach Franz Hoffmann, dem fanatischen aber unselbständigen Schüler Baaders – zum ersten Male die Gedankenwelt des Philosophen in ihrer ganzen Breite aufrollt, sich weniger werbende als wissenschaftliche Ziele.

Im deutlichen Bewußtsein der Gefahr, die gerade hier ein jeder laufen würde, der, um sich seinem Gegenstande inniger zu nähern, zum »Konstruieren« schreiten würde, hat der Verfasser eine höchst schmiegsame, dem Gegenstande glücklich angeformte, jede Gewaltsamkeit meidende Darstellung sich zu eigen gemacht. Wahrscheinlich ist zudem die Haltung Baaders bei aller Intransigenz in der Formulierung im Grunde zu eklektisch, um Konstruktionen an ihr nahezulegen. Noch weniger hätte man sich von einer laufenden kritischen Auseinandersetzung mit einem Denker zu versprechen, der exegetisch und kommentierend – bald auf den römischen Katholizismus, bald auf Jakob Böhme, bald auf die griechische Kirche gestützt –, dafür in der Form aber um so ungebundener und rhapsodischer vorgeht. Nein, wenn die akademische Zurückhaltung des Verfassers hin und wieder zu weit gehen sollte, so wäre es dem Physiognomischen gegenüber. »Wenn Baader denken wollte, so bedurfte er stets – wenigstens in seinem Kopfe – eines unendlichen Aufwandes. Er bedurfte einer Elektrisirmaschine, einiger Galvanischer Batterieen, einiger Scholastiker, der Mystiker ohnehin, zumal Jakob Böhme's, und auch wohl wo möglich einiger Bände von Kants Werken.« Baumgardt hat diese vorzügliche Charakteristik Baaders durch Alexander Jung in dessen »Charakteren, Charakteristiken und vermischten Schriften« gekannt; in einer Anmerkung verweist er auf sie. Was seine eigene Darstellung angeht, so ist sie zu tief fundiert, als daß die breitere Verwertung physiognomischen Materials – von Brieffragmenten und Gesprächsüberlieferungen – ihre wissenschaftliche Dignität hätte gefährden können. Freilich ist solche Verfahrungsweise, die in Schriften über Staatsmänner, Dichter oder Kaufleute üblich ist, an Philosophen selten versucht worden. Aber warum eigentlich nicht? Für Baader hätte sie als Motto – ich zitiere aus dem Gedächtnis – das Wort seines Saint-Martin tragen können: »Ce n'est pas la tête qu'il fault se casser pour saisir la verité, c'est le cœur.«

Ohne daß Baader es geradezu mit dem Epochenreichtum des Schellingschen Denkerlebens aufnehmen könnte, hat doch auch sein Philosophendasein die typisch romantische Prägung: auch sein Weg ist von weithin sichtbaren Stationen seines Innenlebens geteilt, auch er verläuft in jähen Kurven, die ihn jeweils in neue intellektuelle Landschaften stellen. Mit seinen frühesten schriftstellerischen Zeugnissen, den Tagebüchern, die Baumgardt inzwischen an anderer Stelle Franz von Baader, Seele und Welt. Franz Baader's Jugendtagebücher 1786-1792. Eingel. und hrsg. von David Baumgardt, Berlin 1928. herausgegeben hat, erscheint Baader als bewegtes leidenschaftliches Kind der Geniezeit. Und die Gebärde des Sturmes und Dranges hat er – darin F. H. Jacobi vergleichbar – als Denker durchaus beibehalten und als Mann sich in die Philosopheme eines Böhme oder Pasqually mit dem gleichen Enthusiasmus gestürzt, mit dem er als Heranwachsender seinen Stimmungen sich hingab. Nicht immer hat ihn dabei der extreme Spiritualismus geleitet, der seine Spätzeit bestimmt. Baader hat wie so viele Romantiker – Novalis, Steffens, G. H. Schubert – das Bergfach studiert und dabei physikalische und industrielle Tatsachen und Lehren sich zugeeignet, deren Verbindung mit den romantischen Naturtheorien zunächst ganz offen geblieben ist. Eine Reise nach England, die er von 1792 bis 1796 mit einem Bruder unternahm, der Ingenieur war, schien vorübergehend dem Empirismus eines Hobbes oder Godwin die Vorherrschaft in seiner Gedankenentwicklung zu geben. Freilich bleibt diese Wendung in dem Gesamtzusammenhange seines Daseins Episode. Aber kennzeichnend ist an ihr die Gesinnung, die diesen Mann mehr als irgend einen seiner Genossen darauf verwies, allen und selbst seinen spätesten spekulativsten Überzeugungen irgend einen Einfluß auf die Wirklichkeit zu verschaffen. So kommt ein Universalismus zustande, der wie ein romantisches Gegenbild zu dem gedrängt erfüllten Wirkungskreise Goethes erscheinen kann.

Neben den fachlichen Studien begriff sein Interesse das gesamte Gebiet des Okkulten ein. Versuche mit Quellenfindern und Magnetopathen waren ihm ebenso geläufig wie Mutungen und Eisenbahnbauten. Dazu kam eine, nicht nur theoretische, Befassung mit volkswirtschaftlichen Fragen; jahrelang ist er kaufmännischer Leiter einer Glashütte gewesen. Politisch hat er gleichfalls mit Leidenschaft eingegriffen, und die Vermutung, daß der Plan zur Heiligen Alliance von 1815 sein Werk ist, hat vieles für sich, wenn sie sich auch nicht aktenmäßig belegen läßt. Als schließlich Baaders politische Ziele – beherrscht von seiner Lieblingsidee einer Aussöhnung der verschiedenen christlichen Bekenntnisse und vor allem des römisch-katholischen mit dem griechisch-orthodoxen – einen mehr und mehr chimärischen Charakter annahmen, haben sie ihn hart an den Rand des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ruins geführt. So ist es wohl mehr oder minder mit all diesen Aktionen gewesen: sie hatten keine tonische Wirkung aufs Ganze seiner Lebensführung, wie man sie bei Goethe mutmaßen darf, sie markierten nur immer neue Brennpunkte seiner exzentrischen Geistesart. Es ist in dieser rings ausgreifenden Praxis – so gut wie in seiner verrannten Kritik der griechischen Kunst und seinen nicht minder primitiven Ideen einer christlichen – ein geradezu barbarisches Element unverkennbar. Auch gibt es, wie Jung schön gesagt hat, »in der ganzen deutschen Literatur gewiß keine Sprache, die in dem Grade barbarisch und sinnig zugleich wäre, als die Baaders«.

Eine »gewisse Symmetrie der angebrachten kleinen Barbareien« mag auch seine Lebensführung geziert haben, vielleicht erklärt das die Unbill, die Baader von seinen Zeitgenossen zu erleiden hatte, und bestimmt macht es Wilhelm v. Humboldts Urteil verständlich, der Baader zu den Menschen zählte, »die sich für überzeugt halten, daß man bisher auf einem ganz falschen und oberflächlichen Wege gegangen ist, die eigene und tiefere Ideen über das Wesen der Dinge zu besitzen meinen, die aber, gerade vielleicht wegen ihrer Tiefe, andern geradezu, besonders bei der Anwendung auf die leblose Natur, mystisch erscheinen«.

Es ist im Grunde nur eine andere und glückliche Wendung des gleichen Gedankens, wenn Baumgardt die besondere Figur der Baaderschen Lehre weniger auf eigentlicher Originalität, denn »auf einer ... höchst lebendigen und einer frappierend tiefen Kontrastierung mit sonstigem Denken der Zeit oder der unmittelbaren Vergangenheit« beruhen sieht. Im übrigen mag schon die Leidenschaft dieser Kontrastierung darauf führen, wieviel von dem, wogegen Baader sich gewandt hat, in ihm selber lebendig war. Vor allem war es die Aufklärung. Sehr einleuchtend entwickelt Baumgardt, wie Baader in der Diagnostik der sozialen Lage der arbeitenden Klassen fast allen Zeitgenossen voraus war. Denn so romantisch seine Theorie ist, so weltbürgerlich war die Praxis, die er aus ihr entwickeln wollte. Nicht nur, wo sie das Verkehrs- oder Hüttenwesen betrifft, sondern genau so in der kirchlich-religiösen Verfassung. »Wie die Religion ›die Idee aller Ideen‹, so soll die Kirche ›die Corporation aller Corporationen‹, ›der Bürge alles Idealen sein‹ ... D.h. über alle ›nationalen Schranken‹ hinweg sollte ein solcher Klerus frei als ein ›Geist der Humanität‹ und der Liebe, als ein allen Menschen zu gewährendes Licht, erst allen verwandten Corporationen, dem Staat wie der öffentlichen Wohlfahrt und der Wohltätigkeit, der Wissenschaft wie der Kunst ›zur sichernden Basis und zum Leiter dienen‹.« Es ist der Tempel Sarastros, mit den »drei Graden unseres besseren und ewigen Lebens, der Religion, der Speculation und der Poetik«, der im Fluchtpunkt der Baaderschen Konstruktionen auftaucht. Darum möchte es wohl auch nicht buchstäblich zu nehmen sein, was Baumgardt von der Eignung des Philosophen sagt, »auf dem entscheidenden und schwersten philosophischen Gang, den auch wir heute wieder zu gehen haben, auf dem Weg zu einem neuen ›Mythos‹ ... als ... Ansporn« zu »helfen«.

Haben wir diesen Weg zu gehen? Täten wir's, würden wir Baaders Lehre, die der Verfasser so fest in ihren Boden gerammt hat, als Weiser und nicht vielmehr als Marterl am Wege finden?


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