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Zwei Kommentare

R(ichard) Finger, Diplomatisches Reden. Ein Buch der Lebenskunst im Sinne des Spaniers Gracian. Berlin: Verlag von Struppe u. Winkler 1927. 94 S.

Liegt Ihnen daran, zu erfahren, wie man in zehn Zeilen E.v.d. Straten-Sternberg, Sophokles, Moszkowsky, Dr. Stresemann und Gracian in einen Zusammenhang bringen kann, so erwerben Sie das Buch des Dr. R. Finger. Von einer andern Seite her aber kann dieses trostlose Machwerk bestimmt kein Interesse beanspruchen.

Gracian ist nicht nur ein großer Autor, sondern gerade heute einer der interessantesten. Es lebt in Paris ein Mann (ehemals Zeichner, heute Schriftsteller) André Rouveyre, einer der unzugänglichsten und verschrobensten, aber auch klügsten und ehrlichsten Franzosen, der dem Gracian einen ebenso glühenden wie geistvollen Kult geweiht hat. Dieser Rouveyre hat Gracianisches an sich. Bei seinem deutschen Doppelgänger ist der gleiche Kult nur aus der entgegengesetzten Ursache zu verstehen: er sucht, was ihm fehlt. Leider hat er es nicht gefunden. Er liest Gracian mit den Augen des Bildungsphilisters, sieht in ihm einen Idealisten »im edlen und echten Sinne des Wortes«, auch einen Lehrer der »ewigen durchaus bestimmten Lehren der ›Höflichkeit‹«. Das alles hat historisch genau so viel Hand und Fuß, wie die grenzenlos komische Theorie eines »deutschen Schweigens«, daß es »historisch« gäbe. Nämlich: die Deutschen seien in Rußland Nemetzi genannt worden. Nun heißt dies Wort nicht die Schweigenden sondern die Stummen. Und so wurden bekanntlich zunächst die deutschen, eigentlich holländischen Arbeiter genannt, die Peter der Große für seine Werften nach Rußland zog, Leute, die, der Landessprache nicht kundig, wie die Stummen sich nur durch Zeichen verständlich machen konnten. Das Buch ist eine Fundgrube von Geschmacklosigkeiten und Naivitäten. Ungracianischer von Gracian zu handeln, war gar nicht möglich. Freilich erklärt der Verfasser selbst, er habe seinen Autor von der »barocken Darstellung«, welche dem heutigen Geschmack nicht mehr entspricht, »reinigen« wollen. Das ist, als wollte einer das »Jahr der Seele«, von den Floskeln Georgescher Schreibart gereinigt, in sein geliebtes Esperanto übertragen.

Ein Gracian für Budiker, der war bis heute noch nicht da, und nun haben wir ihn.

 

Elisabeth Itzerott, Bemerkungen zu Friedrich Hebbels Tagebuchaufzeichnungen im Lichte christlicher Weltanschauung.

Berlin, Leipzig: B. Behrs Verlag/Friedrich Feddersen 1927. 3356 S.

Das Goethe-Schiller-Denkmal in Weimar ist gewiß nicht schön. Was würde man aber sagen, wenn einer kommt und behauptet, es sei nur die nach außen getretene Gebärde, der verkörperte Geist des Goethe-Schillerschen Briefwechsels. Gewiß, der Mann übertreibt. Aber es ist viel Wahres in seinen Behauptungen. Und jedenfalls dies: daß nur selten das würdigste Standbild des Künstlers von ihm selber gemeißelt wird. Hat er es aber einmal unternommen, dann versteht die Nachwelt mit den verunglückten Statuen im Hain der Klassik so wenig Spaß wie mit der Siegesallee. Daher käme auch heute noch jemand, der sich unmißverständlich zum Goethe-Schillerschen Briefwechsel, zu Stifters Korrespondenz, zu den Hebbelschen Tagebüchern zu äußern gedächte, nicht glimpflich davon.

Dennoch sind bei dieser Gelegenheit einige Worte zu jenen Tagebüchern selbst, die hier die sonderbarste Exegetin gefunden haben, nicht zu umgehen. Es ist – und damit kommt man dem vorliegenden Werke schon näher – verständlich, daß gerade ein innig und unbekümmert vor sich hin denkender Mensch, wie die Verfasserin dieser »Bemerkungen« es ist, auf das Buch dieses gleich weit durch Leidenschaft wie durch Mangel an Disziplin von dem Denken der Schulen entfernten Mannes verfallen konnte. Weil aber dieses Denken kleinbürgerlich in seinem Kern war, so mußten gerade Leidenschaft und Tiefe es zu abstrusen, roh improvisierten, ja brutalen Gebilden führen. »Am Feierabend« steht mit großen Lettern über dem Hebbelschen Denken geschrieben. Nach Tages Müh' und Arbeit zieht es Hebbel, den Tagebuchverfasser, in eine Laubenkolonie des Denkens, wo Grübelei sich an spiraligen Sophismen ums Spalier rankt. Hemdsärmlig, polternd oder maulend, macht er sich ans Werk. Und niemals ist man den größten Gegenständen breitspuriger, unzarter nahegetreten.

Darum läßt es, so gern mans versuchte, sich schwerlich verkennen: Mit diesem Buche ist ihm bitteres Recht geschehen. Im »Lichte christlicher Weltanschauung« hat hier ein frommes, aber süffisantes Gemüt seine Glossen zu Hebbel gemacht. Ein Autor ohne alle Einsicht in die Theologie und ohne alle Kenntnis des christlichen Denkens, das historisch auf diesen Namen ein Recht hat, ganz an vagen Gemeinplätzen des erbaulichen Schrifttums und gegen einen schemenhaften Pantheismus ausgerichtet. Häßliche Bleistiftstriche, wie man in zerlesenen Bänden sie findet, haben sich hier unleidlich artikuliert. Und wenn es schon im Charakter der Hebbelschen Tagebücher begründet ist, Leser wie die Verfasserin anzuziehen, so bleibt denn doch der doppelt peinliche Eindruck, die große alte Form des religiösen Denkens, die Interpretation, so sinnlos gehandhabt und Hebbel einem so belanglosen und schulmeisterlichen Traktate verquickt zu sehen.


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