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George Moore, Albert und Hubert. Erzählung.

Deutsch von Max Meyerfeld. Berlin: S. Fischer Verlag 1928. 102 S.

George Moore ist ein großer Erzähler – kein Epiker. Denn seine Welt ist gesetzlos. Ihn hat nicht die Vision einer Epoche und einer Stadt regiert wie Balzac, nicht ein Kanon von Leidenschaft vorgeschwebt wie Stendhal, nicht eine politische Idee bezwungen wie Zola. Er hat auf Balzac, auf Zola geschworen, alle erdenklichen Einflüsse, den von Bourget, von James erfahren, aber bestimmt wurde er doch immer von unberechenbaren Impulsen, und das Bezeichnendste bleiben daher seine autobiographischen Schriften, in denen, wie Chesterton sagt, »die Ruinen George Moores im Mondlicht sich ausbreiten«. In der Tat ist das Atmosphärische die Stärke dieses irischen Dichters. Moore hat bekanntlich als Maler begonnen und in seinen Pariser Jahren im engsten Verkehr mit den Impressionisten gestanden. Wüßte man das nicht, so bliebe dennoch erkennbar, daß seine Novellistik das einzige literarische Gegenstück zur Kunst eines Sisley, einer Morisot ist. Diese Verwandtschaft, diese Isolierung bezeichnen ebenso genau sein Können wie die Grenzen seiner Bedeutung. Er hat sie mit der Wendigkeit und Zerstreutheit seines Schaffens sich selber gesetzt. Wenn die ihn aber um das Höchste brachten, so haben sie ihm dafür doch eines geschenkt: die wunderbare Frische seiner Schriften.

Diese Frische hat auch dies Buch von den beiden Frauen. Albert und Hubert nämlich sind Frauen in Männertracht. Sie begegnen sich auf die seltsamste Art, kreuzen sich einmal, haben nichts miteinander zu schaffen. Dies eine Mal aber ist genug, damit die eine glücklichere von beiden ins Leben ihrer Schicksalsschwester eine Losung wirft. Und wie die andere nun um dieses Schlüsselwort ihr ganzes Leben aufbaut, das ist der Hergang dieser Geschichte. Wie lautet diese Parole? »Mach es wie ich! Heirate ein Mädchen!« Die Schönheit und die feenhafte Wahrheit in alledem ist aber dies: es geht hier nicht um Sexualia, die beiden Mädchen sind nicht Transvestiten, sind Proletarierinnen, die ein Zufall des Broterwerbs in diese Kleider gesteckt hat, die ihnen langsam auf den Leib gewachsen sind. Albert aber findet kein Mädchen, sondern nur die wahrste, trübseligste aller Liebschaften auf ihrem Wege. »Wie sag ich's ihr? Wie bring' ich's über die Lippen? Wie hat denn Hubert es ihrem Mädchen gesagt?« Sie wird alt, und ihr ungelebtes Leben beginnt in Gestalt einer Leidenschaft an ihr Rache zu nehmen. Der Geiz bemächtigt sich ihrer. Das ist sehr wahr, und vielleicht hätte eine anekdotische Wendung den Schluß dieser Erzählung ihrem Ablaufe ebenbürtig gemacht. Wir leiden ungern, daß der Tod uns dies Buch vor den Augen zuschlägt.

Ich liebe Geschichten, in denen nicht von Regen und Sonnenschein die Rede ist und zu denen ich mir das Wetter selbst machen kann. Von diesem Schlage ist die vorliegende. Und wenn die wahrsten, verborgensten Freuden des Lesers sind, Orte, Menschen und Stunden, von denen ein Buch ihm erzählt, auf seine Weise von der Phantasie umdunkeln oder erhellen zu lassen, um einen Namen, eine Beschreibung ein Netz von Erinnerungen und Fragen zu weben, so ist er bei keinem lieber zu Hause als bei George Moore.


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