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Oskar Walzel, Das Wortkunstwerk. Mittel seiner Erforschung.

Leipzig: Quelle und Meyer 1926. XVI, 349 S.

Der Titel dieser Folge von ästhetischen Essays besagt: man hat es hier mit einem typisch, wesenhaft modernen Buch zu tun, das heißt mit einem Buch, in dem das Richtige falsch und das Falsche richtig gedacht ist. Es ist, auf Anhieb, fesselnd, unanfechtbar, seriös, gepflegt im Ausdruck, tolerant. Aber es ist darin nicht ein Motiv, das nicht wie Kork im Strom des Seminarbetriebes oben schwimmt, nicht ein Gedanke, der um einen Gegenstand, der es verlohnt, mit einem anderen Gedanken seine Kraft mißt, nicht eine Wendung, welche nur ein Denker, dem eine Dichtung sich erschlossen hat, zuwege bringt. In Untersuchungen, deren Entstehungszeit zum Teil bis 1910 zurückliegt, trägt sich die jeweils neueste Konvention der Forschung vor und ist sich immer selbst viel wichtiger als irgend einer ihrer Gegenstände. Sie gibt dem Tage, was des Tages ist, und hat die subalterne Aktualität, die von der wahren sich in der Nuance unterscheidet, daß ihr kein Widerspruch beschieden ist. Dies Sammelbuch darf einer günstigen Aufnahme sicher sein. Es hat seinen Lohn dahin. – Nicht daß es seine Leser unbelehrt entläßt. »Grundsätzliches« und »Einzelfragen« geht der Verfasser in einer Reihe kluger, aufschlußreicher Überlegungen durch. Nur: was erschlossen wird, ist nicht die Dichtung, sondern das Schreiben und Reden darüber. »Formanalyse« ist gewiß an der Tagesordnung. Zweierlei aber bezeichnet man so. Einmal die Arbeit des begabten Spürers und versierten Methodikers. Zum andere die des Meisters, der in Sachgehalte so tief eindringt, daß ihm gelingt, die Kurve ihres Herzschlags als die Linie ihrer Formen aufzuzeichnen. So einer ist der einzige Riegl gewesen, Verfasser jener »Spätrömischen Kunstindustrie«, in der die tiefe Einsicht in das materiale Wollen einer Zeit begrifflich als die Analyse ihres Formenkanons wie von selbst sich ausspricht. Hier mußte sachgemäße Untersuchung auf die formalen Tatbestände ganz eigentlich stoßen und brauchte nicht als vorgefaßte »Themata«, freischwebende »Probleme« sie zu erörtern. Von solchen neueren Wendungen in der Ästhetik ist Walzel zwar, wie er dies selbst betont, beeinflußt worden; von Riegl freilich minder als von den abstrakteren, zweifelhafteren Schematismen Wölfflins. Wenn er (trotz seiner dankenswerten Untersuchungen zur Form der Prosa) weit hinter seinem Vorbilde zurücksteht, trägt die Schuld jene unmanierliche »Einführung«, wie sie fast allen literarhistorischen Untersuchungen das Konzept besudelt. Solange die Sippe der fatalen »Miterleber« (Walzel fühlt nichts vom Schrecken dieses Worts und dieser Sache) nicht beseitigt ist, wird literarische Kritik häßlich und unfruchtbar wie eine alte Jungfer bleiben und der Magister ihr alleiniger Galan sein. Solche Kritik wird immer durch die »Weite« ihrer Gegenstände, durch das »synthetische« Gebaren sich verraten. Der geile Drang aufs »Große Ganze« ist ihr Unglück. Liebe zur Sache hält sich an die radikale Einzigkeit des Kunstwerks und geht aus dem schöpferischen Indifferenzpunkt hervor, wo Einsicht in das Wesen des »Schönen« oder der »Kunst« mit der ins durchaus einmalige und einzige Werk sich verschränkt und durchdringt. Sie tritt in dessen Inneres als in das einer Monade, die, wie wir wissen, keine Fenster hat, sondern in sich die Miniatur des Ganzen trägt.

Solche Versuche finden sich selten genug. (Hellingraths Studie zu der Pindarübertragung Hölderlins war einer). Aber selbst der bescheidenste von ihnen desavouiert zehn Bücher von dem Schlage dieses typischen.


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