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Im ganzen Gebiet der Literarhistorie ist kaum etwas ausfindig zu machen, was undankbarer wäre, als ein Porträt – ein Lebens- und ein Geistesbild – der deutschen Barockpoeten einem heutigen Leser vorzustellen. Dieser Aufgabe hat sich Gundolf, nach seinen letzten Veröffentlichungen zu schließen, annehmen wollen. Die Schwierigkeiten liegen hier schon in der Methode. Von dem in dieser Form Möglichen, Gebotenen und Erlaubten sind die Vorstellungen nur schattenhaft; bis in die Ausgeburt, den literarhistorischen Roman, gibt es keine Entartung, die sie nicht schon an sich erfahren hätte. Aber daß und wie diese Fragen von Gundolf in früheren Schriften gelöst wurden, weiß man. Und auch wer diese Lösung anficht, von Virtus und Fortuna, Kairos und Tyche in diesen Zusammenhängen nichts wissen will, wird ihm die Methode vorgeben müssen und bei Schriften wie dem »Gryphius« Friedrich Gundolf, Andreas Gryphius, Heidelberg: Weiß'sche Universitätsbuchhandlung 1927. 63 S. vor allem auf den baren Gewinn an sachlicher Einsicht in Gestalt und Schaffen des Dichters achten. Diese Einsicht trifft auf Widerstände, die jenseits des methodisch Kontroversen liegen.
Die Dichterfigur des deutschen Barocks als Typus ist allen den kanonischen Gestalten – olympischen Göttersöhnen wie romantischen Traumwandlern –, die sich das vorige Jahrhundert vom Dichter gemacht hat, gleich fremd. Wer heutzutag im Gryphius blättern will, muß eine glückliche Hand haben oder tut besser, zu einer jener Anthologien zu greifen, mit denen der Teufel Büchern, die ihre Seele an ihn verkauft haben, junge, unschuldige Leser in Haufen zuführt. (Dieser Barockanthologien schreibende Teufel – diab. erud. comm. – nennt sich, je nach Umständen, Klabund oder Unus.) Und wenn die Bücher dem Neuling verschlossen bleiben, so hat das Schicksal dieser Dichter ihm nicht mehr zu sagen. Opitz, Lohenstein, Gryphius sind Bürokraten, hohe Beamte im Dienste des schlesischen Adels oder der schlesischen Städte gewesen, und ihre Lebenslinie fasziniert bei aller Willkür ebenso wenig wie die Silhouette der reichen Amtstracht, in der das Frontispiz ihrer Bücher sie darstellt. Beschäftigung mit deren Formenwelt, das ist der einzige Zugang zu dieser Dichtung. Und damit hat es seine eigene Bewandtnis. Denn diese Form wirkt um so spröder und grandioser, je besser dem Betrachtenden gelingt, sie lediglich als solche, in ihrem Umriß, unangesehen der Gestalt, die sie im Einzelwerke annimmt, ins Auge zu fassen. Das heißt aber im Grunde nichts anderes, als man begreift sie nur aus der Sprache.
Die Formen der barocken Dichtung Deutschlands, welche im Trauerspiel, das alle anderen umfaßt, den Gipfel haben, sind vor allem Formen des Ausdruckes, dann erst (und in gewissem Sinne sogar nie) der Kunst. Mag diese Dichtung in der Formensprache wie immer dunkel und sinnlos scheinen, das Studium ihrer Sprachform erhellt sie. Aber was hilft es, hier zu insistieren? Gundolfs Gedankengänge und die Wege der Barockforschung sind durchaus divergierende Linien, bilden noch nicht einmal den rechten Winkel der Negation, der in seinem Kleistbuch so sehr frappierte. Von der Formenwelt Gryphiusscher Dichtung, der der Trauerspiele zumal, ist dem Verfasser nichts aufgegangen. »Gryphius' Dramen«, so meint er, »unterscheiden sich von seiner Lyrik grundsätzlich nur durch den Umfang.«
Man kann sich nicht radikaler vergreifen. Der König, der Intrigant, das Martyrium, der Schauplatz, die Apotheose sind ebensoviel sachliche Kristallisationszentren. Genauer, sie bilden das Gerüst des Märtyrerdramas. »Körperliches Leiden als solches«, wirft Gundolf ein, »ist nicht tragisch«. So hat einst Lessing diesem Drama den Prozeß gemacht. Nichts hoffnungsloser als die magistrale Haltung, magisterhaft ihm nachtun zu wollen. Lessings Recht – des Polemikers, der mit lebendigen Kräften im Streit lag – kann nicht das Recht des Historikers sein und kann dem neueren Denker nicht ersparen, den Dingen sachlich auf den Grund zu gehen. Davon ist Gundolf hier weit entfernt. Hegels große Entdeckung: der Geist sei im historischen Verlaufe niemals, was er sich glaubt, diese magna charta der wahren Geschichtschreibung ist ihm so fremd, daß er genau im Sinn der überkommenen Wälzer das Drama der Epoche aus ihrer Dramaturgie erklärt.
Befreiend wirkt einzig seine Behandlung des Gryphiusschen Lustspiels. Hier wird der professoralen Stupidität, die im »Horribilicribrifax« den Vorläufer einer deutschen Komödie erblickt, der überfällige Bescheid erteilt. Im übrigen bleibt alles beim alten. Und darum hat es nicht viel zu heißen, wenn der Verfasser im Vorwort den »modischen Taumel, der die erwünschte Neuerforschung der deutschen Barockpoesie begleitet«, Snobismus schilt und seine eigene Untersuchung nach Maßgabe der ewigen Normen und Werte zu führen verspricht. Muß gerade ihm entgegengehalten werden, daß Normen nur gestaltet, in Bildern leben? Und was hat ihn bewogen, an Gryphius zu rühren, wenn er sie nicht in seinem Trauerspiel erkannt hat?