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Carl Albrecht Bernoulli, Johann Jacob Bachofen und das Natursymbol.

Ein Würdigungsversuch. Basel: Benno Schwabe u. Co. 1924. XXVI, 697 S.

Es gibt eine »Geschichte der klassischen Mythologie und Religionsgeschichte während des Mittelalters im Abendland und während der Neuzeit«. Sie ist von Otto Gruppe, einer gelehrten Kapazität, verfaßt. Auf ihren 250 Seiten, die der verschrobensten mythographischen Spekulationen gedenken, findet sich nirgends von Bachofen auch nur der Name. Man hat es dergestalt versiegelt und verbrieft, daß dieser Baseler Forscher, der in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts seine Werke verfaßte – die »Gräbersymbolik der Alten«, das »Mutterrecht«, die »Sage von Tanaquil« sind die drei Hauptschriften – für den offiziellen Betrieb der Altertumswissenschaft nicht gelebt hat. Wenn's hoch kommt, gilt ihm dieser Forscher für einen Außenseiter, dem eine große Gelehrsamkeit und ein großes Vermögen erlaubte, privaten Passionen für antike Mystik nachzugehen. Man weiß, daß demgegenüber immer dort seine Name genannt wurde, wo die Soziologie, die Anthropologie, die Philosophie unbetretene Wege einzuschlagen sich anschickten. Bachofen begegnet bei Engels, bei Weininger und neuerdings mit höchstem Nachdruck bei Ludwig Klages. Der »Kosmogonische Eros« dieses großen Philosophen und Anthropologen – um den uneigentlichen Terminus »Psychologe« Klages zum Trotz zu vermeiden – ruft erstmalig mit Autorität Bachofens Gedanken auf. Sein Buch entwirft ein System der natürlichen und anthropologischen Tatsachen, auf denen die Grundschicht der antiken Kultur beruht, als welche Bachofen die patriarchalische Religion des »Chthonismus« (Erd- und Totenkultus) erkennt. Unter den Wirklichkeiten der »natürlichen Mythologie«, die Klages in seiner Forschung aus jahrtausendelanger Vergessenheit dem menschlichen Gedächtnis zu erneuern sucht, stehen in erster Reihe die sogenannten »Bilder« als wirkliche und wirkende Bestandteile, kraft deren eine tiefere, in der Ekstase einzig sich erschließende Welt in die Welt der mechanischen Sinne durch das Medium des Menschen hineinwirkt. Bilder aber sind Seelen, seien es Ding- oder Menschenseelen; ferne Vergangenheitsseelen bilden die Welt, in welcher das Bewußtsein der Primitiven, das dem Traumbewußtsein der heutigen Menschen vergleichbar ist, seine Wahrnehmungen empfängt. Bernoullis Bachofenwerk ist Ludwig Klages gewidmet und sucht ins Gradnetz von dessen Gedankenschema die ganze Breite der Bachofenschen Welt pünktlich einzutragen. Dieses Unternehmen ist um so fruchtbarer, als es zugleich die Auseinandersetzung mit Klages und seiner ausweglosen Verwerfung des gegebenen »technischen«, »mechanisierten« Weltzustandes mit sich führt. Eine Auseinandersetzung, die das philosophische, besser gesagt theologische Zentrum nicht umgangen hat, aus dem heraus Klages seine Untergangsprophetie mit einer Gewalt richtet, welche die Versuche anderer Kulturrichter, wie Georges Kreis sie hervorbrachte, auf immer abgetan scheinen läßt. Siegreich werden wir freilich diese Auseinandersetzung nicht nennen können, während wir von ihrer Notwendigkeit weit strenger noch als Bernoulli selbst überzeugt sind. Sie bleibt also noch zu liefern. Es wäre sehr zu bedauern, wenn der unmäßige Umfang dieser Schrift der Aufmerksamkeit des philosophischen Lesers dieses ihr hochwichtiges Zentrum entgehen ließe. Leider hat Bernoulli sich verführen lassen, jede ephemerste Aktualität, die irgendwo mit Bachofen zusammenhängt, aufzunehmen. Von daher lastet bisweilen ein schwüler Boudoirdunst über der Darstellung. Was in Bernoullis Schrift über Overbeck und Nietzsche durch die polemischen Zwecke gerechtfertigt sein mochte, ist hier zu einem Anstoß geworden, den man in der gleichen Lässigkeit wie die zahlreichen sprachlichen Formlosigkeiten begründet sehen wird. Dem außerordentlichen Verdienst der Schrift tut das nicht Abbruch. Sie ist von dem alten Baseler Verlage Benno Schwabe, der das »Mutterrecht« in zweiter Auflage verlegte, würdig herausgebracht und mit einem ergreifend schönen Bildnis Bachofens versehen worden.


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