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Ssofja Fedortschenko, Der Russe redet. Aufzeichnungen nach dem Stenogramm.

Deutsch von Alexander Eliasberg. München: Drei Masken Verlag [1923]. 140 S.

Das Buch enthält Sätze, Perioden, Bruchstücke, wie sie in den Jahren 1915 und 1916 von der Verfasserin stenographisch nach den Äußerungen von russischen Mannschaften festgehalten wurden. Sie war bei ihnen an der Front. Unter der Arbeit, ohne daß es auffiel, hat sie jedes Wort aufgezeichnet, das ihr bemerkenswert vorkam, keines mehr. Alle Angaben über die Person des Sprechenden und den Zusammenhang der vorgelegten Stelle fehlen. So tritt der Leser in dies Buch wie in die Stube: er weiß nicht, wovon die Rede ist. Er versteht schlechter, er hört schärfer, als wer im Bild ist. Vernimmt die Stimmen aus den unabsehbaren Gesprächen, deren epische Breite in ihren unscheinbarsten Fragmenten noch liegt. Nichts vom Epigramm ist in all den Wendungen: die undurchdringlichen dunklen Gedanken heben sich wie Refrains eines Volksliedes ab, das in der durchgehaltenen Melodie den Russen und den Juden, Gott und Teufel, Vernunft und Niedertracht, Pogrom und Krieg, die Liebe und den Schlaf, die Weiber, Tiere, Glück und Jammer laut werden läßt. Wer Bücher nicht am Maße eitler Originalität, sondern tiefer als aktuale, organisierende und bewahrende Kräfte in den Zusammenhang des Lebens einstellt, muß über diesem von einer Ehrfurcht berührt werden, die an seinem Teil gewiß dem russischen Menschen – dem Russen schlechtweg, der hier im Menschen zur Sprache gebracht wird – gilt, an ihrem Teile aber der unbegreiflichen Erscheinung der Verfasserin, die durch Monate und Jahre des tiefsten Schreckens »auf den Knien ihres Herzens« den reinsten wie den entstelltesten Stimmen dieses russischen Menschen gelauscht haben muß und erreichte, was der besonnensten Demut einzig erreichbar war: das wahre Antlitz dieses Krieges festzuhalten und sogar dies als das der Kreatur in Leiden und Triumph noch zu erkennen. Diesem wundervoll stillen dienenden Werk entspricht, daß aus den wenigen Zeilen des Vorworts man nichts über die Verfasserin Ssofja Fedortschenko erfährt. Woran alle »Vaterlandsliebe« ins Nichts der Beschämung zerrinnen muß, das hat von neuem die mütterliche Liebe zum Volkstum in diesem Buche gewiesen.


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