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Einunddreißigstes Kapitel.

Als Hirtz wohlgekleidet in die Stube zurückkam, erklärte Aloys, daß er ihn sofort zu Marannele begleiten wolle; er habe allen Respekt vor dem Vormund, aber er wolle selber für sich reden.

Hirtz lächelte schelmisch, der Aloys hatte heute ein ganz verändertes Behaben, dennoch sagte er: »Ja, komm nur mit. Im Garten blühen noch Rosen und Nelken. Willst du dir gleich einen Strauß an den Rock stecken, damit man weiß, daß du ein Freier bist? Verzeihen Sie, Herr Oberst, aber wir sind hier so.«

»Ich weiß, man heißt die Hiesigen die Spöttler.«

»Es heißt keine Kuh Bläß, sie hat einen weißen Fleck.«

Während Waldfried nach dem Adler fuhr, ging Aloys mit Hirtz durch die hintere Gasse nach dem Hause Maranneles.

Er erschrak, da der Forstwirt auf der Hausbank saß und den Schlüssel zur Hausthür in der Hand hielt. Ist der als Wache bestellt und will man ihn gar nicht mehr ins Haus lassen?

Der Forstwart stand indes auf, reichte die Willkommhand und wartete die Erlaubnis der Schwiegermutter nicht ab, sondern öffnete die Thür.

Jung Marannele sah unbemerkt aus ihrer Kammer herab, sie stand entkleidet hinter der Fensterpfoste. Sie zog ihr Sonntagsgewand an; es dauerte lange, die Haften wollten nicht schließen, die Bänder sich nicht knüpfen; als sie endlich damit zustande gekommen war, brach sie eine Nelke ab vom Blumenbrett vor dem Fenster und steckte sie in den roten Brustlatz.

Unterdes drehte Aloys die runde Kugel am Treppengeländer wie liebkosend, dann ging er hinan, er trat mit Hirtz in die Stube. Niemand war da, aber ein Kranz von Epheublättern hing um das Bild seines Vaters. Er hörte Geräusch in der Kammer und rief:

»Liebe Base! Ich bin wieder da.«

»Und ich hin schon lang da,« tönte es scharf zurück. Der Forstwart winkte ihm mit der Hand, er solle sich aus dem Weibergethue nichts machen.

»So, auch wieder hiesig?« rief Alt Marannele eintretend. »Nicht wahr, wir sind der Gutgenug, wenn man anderswo nicht ankommen kann? Was meint Er denn? Man läßt sich an die Wand lehnen: wart ein Weilchen, ich will sehen, ob ich nicht eine Vornehmere krieg'. Wenn's nicht ist, komm' ich wieder . . .«

»Mutter! Es ist nicht recht, daß Ihr so redet. Ihr zerreißet mir ja das Herz,« entgegnen Aloys.

»Was, Herz? Glaubst du, ich geb' mein Kind einem solchen Menschen in die weite Welt hinaus? Wir haben auch unsern Stolz.«

»Aloys! Ich leid's nicht, daß sie dich so plagt,« rief Jung Marannele in die Stube stürmend und sich an den Hals von Aloys hängend, »du bist mein und ich bin dein. Und Mutter, jetzt saget Ihr kein Wort mehr.«

Sie konnte vor Weinen nicht weiter reden und Aloys umhalste sie und jauchzte hoch auf. Endlich sagte er:

»Ich hab' schon was verdient, aber soviel nicht.«

»O,« rief die Mutter schelmisch, »ich hab's ja nicht ernst gemeint. Der kennt uns Nordstetter noch nicht,« wendete sie sich zu Hirtz und dem Forstwart.

Auch Hirtz lächelte schelmisch und that einen Brief aus der Tasche von Ignazia und las vor, wie sie Aloys hoch hielt, wie sie ihn aber nicht nehmen könne, da er ihr gestanden habe, daß er Marannele liebe.

Alle waren voll Glückseligkeit und Aloys fragte:

»Lebt dein Hund noch?«

Lautauf wurde gelacht, und Alt Marannele erzählte die bekannte Geschichte von dem Manne aus Schwandorf, der nach dreißigjähriger Abwesenheit die erste Frage an den Vater richtete:

›Vater, lebt unsere alte Katze auch noch?‹

Diese Geschichte verbreitete große Lustigkeit, und der Forstwart berichtete, daß die Mutter den Hund habe erschießen lassen wollen, daß aber Marannele ihn gerettet habe, und er habe den Hund an einen Mann aus dem Badischen, der auf dem Feldberg wirte, verkauft.

Man hatte nach dem Adler geschickt. Waldfried kam; ihm voraus wurde der Korb mit weißhalsigen Flaschen getragen. Vor dem Haufe spielte der krumme Klaus Yankee Doodle und die Weise vom schwarzbraunen Mädichen.

Aloys bat, seinem Vater das Wort zu geben und einiges aus dessen Brief vorzulesen.

Ludwig Waldfried willfahrte.

Bei der Stelle, wo Mutter Mechtilde das Gleichnis von der verbotenen Frucht im Paradiese anbringt, rief Hirtz:

»Das ist aber ganz echt, die erzige Tochter vom Mathes vom Berg.«

»Und das könnte kein Pfarrer besser auslegen,« fügte der Forstwart mit seinem Grundbaß hinzu: »Wenn nur auch meine Frau da wär', die hat auch solche Redensarten.«

Alt Marannele hieß alle schweigen und bat Waldfried, weiter zu lesen.

»Trinken Sie zuerst noch, Herr Oberst und wir auch,« schob indes der Forstwart ein und trank sein Glas mit Behagen und schmatzte.

Bei der Stelle, daß man im Himmel einander auch nicht ausweichen könne, weinte Alt Marannele laut und rief zu dem Bilde:

»Ja, du verdienst einen ewigen Kranz.«

Jung Marannele aber faßte beide Hände des Aloys und sagte:

»Du bist ein guter Sohn. Ich will auch eine gute Tochter sein. Ich will deinem Vater die Händ' unter die Füße legen. Und mein Vater sieht jetzt gewiß vom Himmel herunter und lacht glückselig.«

»Schwiegermutter! Wollet Ihr nicht auch mit uns?« fragte Aloys.

»Ich bleib' daheim die paar Jahre noch, ich hab' nicht weit mehr bis da hinüber,« sagte sie nach dem Kirchhof deutend, und weinte wirkliche Thränen . . . .

»Ich leid's nicht und ich leid's nicht,« hörte man plötzlich eine Frauenstimme von der Straße herauf.

»Das ist deine Muhme Rufina,« sagte Hirtz.

»Ich will ihr entgegen gehen,« sagte Jung Marannele aufstehend.

»Nein, lieb Marannele,« beschwichtigte Aloys. »Sie könnte dich beleidigen und das darf nicht sein. Da laß mich hinstehen.«

»Hat recht. Das ist ein Mann!« bestätigte der Grundbaß des Forstwarts hinter Aloys drein, und er gönnte sich wieder ein volles Glas für sein gutes Wort.

Draußen aber hörte man kreischen: »Die alte Schlange hat dich verführt! Halt mich nicht! Laß mich hinein!«

Die Thüre wurde aufgerissen und die Muhme rief:

»Ich bin seine nächste Verwandte. Ich leid's nicht:. Er kann heiraten, wen er will, aber keine von Nordstetten ohne meine Einwilligung.«

»Beruhigen Sie sich, Frau Muhme,« sagte Ludwig Waldfried. Die hohe Gestalt und die freundlich gebietende Stimme schien die zitternd Erregte zu beschwichtigen; sie starrte mit offenem Munde den Fremden an.

»Ja, Herr Oberst, beruhigen Sie die Muhme, die es gut meint,« fügte Aloys bei.

»Wer ist das? Was ist das für ein Oberst? Woher ist der?« fragte die Muhme heftig.

»Herr Oberst Waldfried aus Amerika.«

»Und der ist wegen deiner kommen?«

»Ja.«

»Aus Amerika hierher?«

»Nicht ganz.«

»Herr Oberst! Sie sehen aus, wie ein gerechter Mann. Wissen Sie alles?« fragte Rufina.

»Ja, und ich habe Vollmacht vom Vater Aloys und der Mutter Mechtilde. Liebe Frau Muhme.«

»Ich bin kein' Frau, ich bin freiledig.«

»Also liebe Muhme . . .«

»Die Muhme Rufina soll leben, hoch!« fiel der Forstwart ein, und alles rief mit und wiederholte den Ruf.

Muhme Rufina lächelte und stieß mit dem Oberst an und dann mit allen anderen, nur mit Alt Marannele stieß sie nicht an.

Jetzt kam auch die Schwester von Ahldorf; sie brachte einen großen Busch Rosmarin und umarmte die Schwester, dann steckte sie jedem einen bänderverzierten Strauß Rosmarin an den Rock; auch die Muhme mußte sich den Schmuck gefallen lassen.

Jung Marannele und Jung Aloys schrieben schnell einen Brief nach Amerika. Ludwig Waldfried und der Schuster Hirtz schrieben dazu.

Mit Rosmarin geschmückt gingen Jung Aloys und Jung Marannele miteinander nach dem Schießmauernfeld, dort saßen sie am Feldrain und hielten einander an der Hand. Die Hopfendolden waren aufgebrochen und dufteten voll süßer Würze. Ueber ihnen sangen die Lerchen. Die beiden waren lange still.

»Marannele,« sagte Aloys, »vielleicht haben wir das Glück, daß deine Brüder zu uns kommen. Es ist noch jedem Nordstetter gut gegangen, der sich bei meinem Vater angesiedelt hat und verdorbene Menschen sind brav geworden.«

»Ich kann schwören,« erwiderte Marannele, »daß das eben mein stiller Gedanke war, vielleicht kommen meine Brüder zu uns.«

Sie legte ihren Kopf an seine Brust und sagte: »Ich höre dein gutes Herz klopfen.«

Still hielten sich die beiden umschlungen. Sie sprachen vom Abschied aus dem Dorfe und von der Ankunft in Amerika und sie gedachten auch des armen Ohlreit, dem nicht mehr zu helfen gewesen war. Seit jenem Tage, da sie hier zum erstenmal beisammen waren, hatten sich die Beeren der Eberesche gerötet und in flammendem Rot prangten die Wangen der beiden Liebenden.

Die Goldammer im Wipfel des Baumes sang: I, wie ist es jetzt so schön, schön . . .


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