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Einunddreißigstes Kapitel. Dreißig Jahre und eine Nacht.

Alles still! Nun ist sie endlich erreicht, die so lang erstrebte, fast nicht mehr wirklich geglaubte, vollkommene Ruhe im eigenen Hause, von keinem künstlerischen Streben, von keiner Leidenschaft bewegt; stilles, wünscheloses Dasein.

Dieses Leben mit Malva wird das rechte; ruhig, erfrischend, tief ergeben, und in gewandter Vorsorglichkeit.

Reinhard lag am offenen Fenster und schaute hinein in den Garten; alles still, nur der Brunnen rauschte, der Brunnen, den sie hatte fassen lassen. Nein, nicht zurückdenken heute, vorwärts! das Leben ruft, ein still beruhigtes.

Ein großer Nachtfalter war hereingeflogen, er flatterte ums Licht. Reinhard erhaschte ihn, ließ ihn hinausflattern in den Garten und schloß das Fenster. Er lächelte vor sich hin, denn er dachte: der Kollaborator würde sagen, das ist das Bild deines Lebens, du warst auch solch ein Falter, der sich verbrennen wollte, und eine milde Hand rettete dich und gab dich dem Leben wieder.

Es schlägt ein Uhr vom Kirchturm, die Geisterstunde ist vorüber. Reinhard löschte die Lichter und legte sich nieder.

Schlafe jetzt! sagte er sich fast laut, aber der Schlaf läßt sich nicht befehlen.

Da ist die Stube, darin sind dreißig Jahre Leben verbracht, zahllose, wortlose Gedanken schweben in der Luft. O, du Reine, Holde, wie schwer hast du getragen und wie schwer büße ich. Wie ist es möglich, daß so viel inniges, süßes Leben tot ist? Jene Sitte der Hindus, daß Gatte und Gattin miteinander im Feuer verzehrt werden, war schön und tief.

Wendet euch weg, ihr Gedanken, wendet euch zu jetzt, zu heute, zu morgen.

Ich werde mich nicht im Dorfe trauen lassen, ich will dem Wendelin sagen, daß er mit Malva an einen einsamen Ort kommen muß, dann reisen wir hierher.

Wenn das Lorle das erlebt hätte, hat der einfältige Wendelin gesagt, das kam doch heraus wie eine Wirrnis.

Horch! Was ist das? stöhnt es nicht unter dir?

Reinhard richtete sich auf. Es ist still. Wunderlich, wie abergläubisch man werden kann! Es war doch etwas wie Stöhnen aus tiefer Menschenbrust. Ich will künftig nachsichtig sein gegen den Aberglauben der Menschen. Die Aufregung gaukelt uns allerlei vor. Das werde ich dem Kollaborator berichten.

Reinhard suchte seine Gedanken an den Kollaborator zu heften. Das Denken an ihn gibt Ruhe, und er würde gutmütig lächeln, daß ich ihn als Schlafmittel suche.

War das nicht wieder ein Stöhnen?

Malva hatte recht, wir hätten erst gemeinsam einziehen sollen und der Schwager hat auch recht, ich hätte einen Knecht zu mir nehmen sollen. Aber seit wann bin ich denn so feig? Schäme dich! Morgen schaff' ich mir einen starken, treuen Hund an. Wie ich das nur vergessen konnte.

Der Nachtwächter ruft zwei. Also schon eine Stunde! Ich will den Mann heraufrufen, aber was sage ich? Nein, die Nacht ist lind, ich bin so aufgeregt, ich will nicht schlafen und kann nicht, ich wandere hinaus. Nein! Vor was fliehst du denn? Du mußt schlafen.

Halt! Das ist keine Täuschung! Jetzt wälzt es sich vor deiner Thür, es raschelt, es knackt. Mit zitternder Hand macht Reinhard Licht, er öffnet die Thür, da schreit es: »Lorle! Lorle!« Das Licht entfällt seiner Hand und ein Dämon umschlingt ihn und würgt ihn. Reinhard schreit laut auf, da poltert es die Treppe herauf. »Was ist? Wer ist da?« ruft Wendelin. Reinhard schreit mit halb erstickter Stimme. Da wirft sich Wendelin auf den Angreifer, reißt ihn los und wirft ihn zu Boden wie einen Sack.

»Licht! Licht!« ruft er, »was ist das?«

Es gelingt Reinhard, Licht zu machen, und da sehen sie den blödsinnigen Fabian auf dem Boden stöhnen.

»Du bist's, du verfluchter Kerl,« schreit Wendelin, »und du hast mich in den Finger gebissen.« Reinhard mußte Einhalt thun, so grausam mißhandelte Wendelin den Blödsinnigen.

Der Blödsinnige sah sich kaum befreit, als er zum Angriff überging, und beide Männer bedurften aller Kraft, um ihn zu bewältigen. Wendelin band ihm endlich Hände und Füße zusammen.

Der Nachtwächter kam und bald nach ihm der Baumwirt.

»Lorle!« schrie der Blödsinnige, als man ihn davontrug; es war, wie wenn ein Tier das Wort rief, es war nicht wie eine Menschenstimme.

Der Tag brach an, ein heller, frischer Tag. Der Baumwirt kam wieder und suchte Reinhard zu beruhigen.

»Der arme Kerl hat geglaubt, das Lorle sei wieder da, da er Licht im Hause gesehen hat, und du bist selber schuld; du hast darauf bestanden, daß wir ihn nicht mehr einsperren. Wendelin!« wendete er sich plötzlich, »wie kommst du daher? Was hast du hier zu thun?«

Noch bevor dieser antworten konnte, fiel Reinhard ein: »Ich danke Euch herzlich, lieber Nachbar. Gehet jetzt heim, ich komme bald zu Euch.«

Wendelin ging in sich hinein lächelnd davon. Der Schwager blieb bei Reinhard.


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