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Dreißigstes Kapitel. Alle Lichter brennen.

Der Schwager war sehr erstaunt, daß Reinhard schon jetzt das Haus beziehen wolle; als er aber hörte, daß der Entschluß unumstößlich war, wollte er Reinhard unter den drei Mägden des Hauses wählen lassen, oder auch er schlug ihm vor, er solle einen Knecht zu sich nehmen, denn das dulde er als Bruder nicht, daß Reinhard so allein sei; er sei doch kein junger Mensch mehr. Stephan redete sich indes von selbst Beruhigung ein, indem er sagte, im Herbst reise er mit Madlon nach Straßburg, wohin deren Vater mit Ida käme, da tauschten sie dann ihre Kinder aus und Ida wäre gewiß grad recht, um Reinhard das Hauswesen zu führen, sie gleiche in vielen Stücken dem Lorle.

Vroni entgegnete ihrem Manne, daß Reinhard schon selber wissen müsse, was ihm gut sei. Sie ließ sich's nicht nehmen, den neu angekommenen Hausrat einordnen zu helfen; sie war nicht wenig glücklich über die vielen schönen Sachen, die der Sänger für Reinhard bestellt hatte und doch war noch das und jenes vergessen – denn ein Mann denkt doch nicht an alles – das sie aus ihrer Wirtschaft nach dem alten Hause bringen ließ.

Es war Abend, als Reinhard nach seinem Hause ging, um fortan für immer dort zu bleiben. »Behüt dich Gott, Reinhard,« sagte Vroni beim Abschied, »und ich wünsch' dir, daß der heutige Tag ein neuer Glückstag für dich sei.«

»Was ist denn heut für ein besonderer Tag?« fragte Stephan in der Nebenstube, wo er einen besseren Rock anzog, um Reinhard zu begleiten. »Stephan, sag ihm aber nichts davon,« entgegnete Vroni, »heut ist ja der Hochzeitstag von ihm und von Lorle.«

Reinhard konnte es nicht ablehnen, daß der Schwager ihn begleitete, aber im Hause angekommen bat er, ihn allein zu lassen.

Auf dem Heimwege ging der Schwager noch zum Nachtwächter und empfahl ihm, heute und die nächsten Nächte sich beim alten Hause aufzuhalten.

Reinhard war nicht lange allein, er ging durch die Hinterthüre und durch den Garten nach dem Hause Wendelins. Dort bat er Wendelin und Malva, mit ihm in sein Haus zu kommen, er habe was zu besprechen, und hier könne man gestört werden.

Die beiden folgten ihm, und Reinhard bat Malva, alle Lichter, die in Leuchtern aufgestellt waren, anzuzünden. Wein stand auf dem Tische.

»Wendelin, setzet Euch hierher,« begann Reinhard mit bewegter Stimme. »Ich will Euch was sagen, es muß aber noch unter uns bleiben. Wendelin! Von dieser Minute an sollet Ihr Vater heißen. Seid Ihr einverstanden?

»Ich heiß' schon lang Vater, von dem, der in Frankreich liegt, und von dieser da und von den andern.«

»Ihr sollt auch mein Vater heißen. Ich bitte Euch, mir Malva zur Frau zu geben.«

Wendelin schaute um und hielt sich am Tisch, daß die Flaschen und Gläser aneinander klangen. Reinhard schenkte ihm ein und sagte: »Da trinket.« Wendelin trank, er trank das Glas ganz aus und sich den Mund wischend, sagte er:

»Sie ist so jung, und –«

»Ihr wollet sagen, ich sei so alt?«

Wendelin lachte hellauf.

»Er ist gescheit. O der ist gescheit!« rief er. »Weiß der Baumwirt schon von der Sache?«

»Niemand weiß und niemand soll wissen als wir drei, bis zum Tag des Aufgebots, und ich habe niemand zu fragen als Euch.«

»Gewiß, den Baumwirt geht's gar nichts an; das Kind ist gestorben, die Gevatterschaft hat ein End'. Es ist schön, daß mir der Herr Reinhard die Ehre anthut und mich noch fragt, ich seh' ja schon, euch zwei kriegt man nicht mehr auseinander. Den Ehevertrag den mach' ich mit dem Herrn Reinhard, da weiß ich schon Bescheid. Jetzt, ich sag' Glück und Segen dazu.«

Reinhard steckte den Brautring an die Hand Malvas und Wendelin rief: »Schenket noch einmal ein! Der Wein ist gut, der König hat keinen besseren. So, stoßet mit an.«

Die drei stießen an und tranken. Wendelin trank wiederum ganz aus, dann rief er:

»O Malva, wenn das dein' Mutter noch erlebt, und wenn das das Lorle noch erlebt hätt'.«

Die beiden schraken zusammen über diesen seltsamen Anruf, und auch Wendelin merkte, daß er etwas Ungeschicktes gesagt habe. Malva bat Reinhard leise, dem Vater keinen Wein mehr zu geben, er sei keinen gewohnt und nun gar so starken.

Wendelin war noch nicht so weit, daß er das nicht merkte, und er sagte: »Du hast recht, Malva. Ich darf keinen Tropfen mehr trinken. Und es muß ja nicht heut alles getrunken sein. Mein Schwiegersohn schenkt mir ein, solang ich leb'.«

»Ja, Vater, Ihr sollt es gut haben.«

»Ich hab's schon gut. Und ich sag' dir, du heiratest gescheit. Du hast eine brave Frau gehabt, das ist wahr, aber die Malva, weißt? die ist aufgeweckter, und nicht so wehleidig, die ist stramm, wie die Preußen sagen; wenn dir einer was anthun will, die steht für den Mann, sie hat einmal den Schreiber vom Rentamt an der Brust gepackt und niedergeschmissen wie –«

»Aber Vater!«

»Nur noch eins. Zur Hochzeit muß mir der Herr was schenken.« Malva sah verweisend auf den Vater, dieser aber rief jubelnd: »Eine Trommel ist's, weiter nichts. Der Herr Reinhard muß mir eine rechte Soldatentrommel schenken, ich kann's noch und ich will den Wirbel schlagen. Herrrrr!«

»Da habt Ihr meine Hand. Ihr bekommt die beste Trommel, die es gibt.«

»Mich denkt's,«murmelte Wendelin glückselig, »mich denkt's, wie wenn's gestern gewesen, wie sich der Herr Reinhard hat austrommeln lassen; damals ist sein Bart noch fuchsrot gewesen, und wir Kinder sind dem Schütz nachgesprungen durchs ganze Dorf, und abends hat er unter der Linde den Burschen neue Lieder vorgesungen, bis sie sie gelernt haben. Ist's nicht so? Ist nicht alles so?«

Reinhard bestätigte, und Wendelin war stolz auf sein treues Gedächtnis. Er wollte immer weiter von den lustigen Streichen Reinhards erzählen, aber Malva bat ihn, innezuhalten.

»Hast recht. Ich red' nichts mehr.«

Vor sich hin lächelte er immer still, denn er dachte an den Grimmzorn des Baumwirts.

»Dein Vater ist wie ein glückliches Kind, das sich nichts als eine Trommel wünscht,« sagte Reinhard.

Reinhard und Malva saßen Hand in Hand beisammen. Plötzlich löste Malva ihre Hand los und betrachtete dieselbe.

»Was hast du? Warum betrachtest du deine Hand so starren Blickes?«

»Lieber Herr Reinhard, lasset mir das. Es ist nicht nötig und nicht gut, daß man alles so sagt, was einem durch die Gedanken geht.«

»Nein, sag mir's, was es auch sei.«

»Aber es ist nicht am Ort und ist nicht recht.«

»Du kannst nichts Unrechtes denken.«

»Unrechtes ist es just auch nicht, aber es gehört jetzt nicht hierher.«

»Sag es nur frei.«

»Ich seh' schon, ich muß. Also Ihr wisset ja, daß die Frau . . . die Frau Professorin verordnet hat, man soll ihr ihren Trauring am Finger lassen ins Grab hinein, und da hab' ich meine Hand mit dem Ring angesehen, und hab' in die Erde hinein denken müssen. . . . Jetzt ist's also gesagt, und ich sag' auch noch: Dieser Ring da soll in Treuen an meiner Hand sein. So. Und jetzt genug an dem Tag.« Sie sah stier darein, als sie die Worte »heut an dem Tag« sagte, dann aber faßte sie sich und rief:

»Und jetzt nichts Trauriges mehr. Weiß der Herr Reinhard noch, wie wir uns zum erstenmal gesehen haben?«

»Ja, du warfst mir Rosen auf das Haupt. Wie bist du dazu gekommen?«

»Das war so. Ich sitz' auf dem Heuwagen und hab' an gar nichts gedacht, oder doch, ich denk': ach Gott, ich bin so hungrig und wenn ich heimkomm', muß ich erst kochen. Und dabei ist mir's im Herzen doch so lustig, ich weiß nicht warum. Der Herr Reinhard hat das gewiß auch schon so gehabt, es ist einem, wie wenn in der nächsten Minute jemand käm' und schenkt' einem ein goldenes Schloß. Da seh' ich einen alten Mann – der Herr Reinhard hat damals so alt ausgesehen – und da denk' ich, das ist ein alter General aus dem Krieg oder so was, er sieht so befehlerisch aus; wenn der in die Nähe kommt, der soll die Rosen haben.«

»Du erfrischest mein Alter.«

»Was alt? Ich tanz' noch mit dem Herr Reinhard. Das Tänzerle sagt, so kann's keiner wie der Herr Reinhard.«

Aufstehend rief Reinhard:

»Eben fällt mir ein, ich habe dich immer nur bei Tag gesehen, aber bei Lampenlicht siehst du noch viel schöner aus.«

»So? Bei Licht betrachtet bin ich noch schöner? Was so ein Maler nicht alles sieht! Was ist? Was soll das?«

»Erlaube mir, deine Zöpfe aufzulösen. So, so. Prächtig! Du mußt als meine Frau immer aufgelöstes Haar tragen.« Er wühlte in ihren Haaren.

»Nein, das thue ich nicht. Die Fräuleins tragen's auch so, aber die schaffen nichts. Mit den Pferdemähnen, die einem immer ins Gesicht fallen, daß man sie zurückschütteln muß, kann man nichts arbeiten.«

»Hast recht, aber in Ruhestunden.«

»Jawohl, da putz' ich mich aus, wie der Herr Reinhard will.«

Von der Straße herauf ertönte plötzlich schöner Chorgesang.

»Das ist der Ulrich mit dem hiesigen Liederkranz,« erklärte Malva, »er hat seiner Schwester gesagt, daß er dem Herr Reinhard, wenn er in sein Haus einzieht, ein Ständchen bringen will.«

Die Sänger auf der Straße sangen ein vorzeiten von Reinhard ins Dorf gebrachtes Volkslied, dann das Lieblingslied Reinhards: »Schön Schätzichen wach auf.«

»Das hast du damals auch gesungen,« sagte Reinhard zu Malva. Sie winkte Stille, und jetzt begann ein Solo, das nur von Brummstimmen begleitet war, der Wohllaut von Ulrichs Stimme drang durch die stille Nacht, und er betonte so deutlich, daß man jedes Wort vernahm.

Dort, wo einst du jung gewesen,
Willst du nun im Alter ruhn,
Hast dein Dörfchen dir erlesen,
Mußt dem Herz den Willen thun.

Schmückte dich am Tiberstrande
Reichen Lorbeers Ruhmesglanz,
Krönt dich nun im Heimatlande
Unsrer Tannen schlichter Kranz.

Ein Bauernbursch rief: »Hoch lebe unser neuer Bürger, der Herr Professor Reinhard!« Dreifach in wohlgestimmtem Rufe ertönte das Hoch.

»Wir wollen durch den Garten heim,« sagte Malva, »der Herr Reinhard muß die Sänger heraufrufen und ihnen einen Trunk geben.«

»Nein, bleibt, ich gehe zu den Sängern hinab.«

Reinhard ging auf die Straße, sprach seinen herzlichen Dank aus und entschuldigte sich, daß er die Sänger nicht heute bewirte, er sei zu bewegt, und er hoffe, bald ein Fest anzuordnen.

Während Reinhard auf der Straße war, zöpfte Malva schnell wieder ihr Haar.

Singend zog die Schar drunten ab, Ulrich unter seinen Jugendgenossen.

Reinhard kehrte zu den Seinen zurück, er sah staunend auf Malva, aber er sagte nichts, er wollte sie in ihrer Art gewähren lassen.

»Ich mein', wir sollten jetzt heim,« sagte Wendelin aufwachend.

Vater und Tochter verließen das Haus, Reinhard gab ihnen den Schlüssel zur Hinterthüre mit.

»Vater, ich hab' eine Bitt,« sagte Malva im Garten.

»Du darfst um alles bitten, ich thu' dir alles; du machst mich zum König.«

Malva bat den Vater, er möge in der unteren Stube, wo Heu lag, bleiben, damit Reinhard nicht so allein sei in dieser Nacht.

»Hast recht, ich will's ihm sagen.«

»Nein, dann leidet er's nicht. So vornehme Herren sind gar scheu, und haben's nicht gern, daß man was Besonderes thut wegen ihrer, denen muß man ungesagt was Gutes kochen.«

»Hast recht! Der kriegt eine Frau, die ist wie angefrehmt für ihn. Du bist gescheiter wie das Lorle.«

»Vater, redet jetzt nicht wieder davon.«

»Du glaubst doch nicht, daß das Lorle heut nacht im Sterbekleide zu ihm kommt, weil er eine andre gern hat? Da hätt' sie viel in der Welt herumspringen müssen.« Er lachte, und Malva bat ihn, stille zu sein, er aber fuhr leise fort:

»Kennst du auch das Lied von ›Heinrich schlief‹, der wieder geheiratet hatte? Wir haben's oft in der Kaserne gesungen:

›Zwölfe schlug's, da drang durch die Gardine
Eine kalte marmelweiße Hand;
Wen erblickt er? Seine Wilhelmine
Die im Totenhemde vor ihm stand.‹«

So sang Wendelin leise und Malva bat ihn dringend, doch ruhig zu sein, denn Reinhard könne ihn hören.

»Ach Gott!« klagte sie, »Ihr machet einem noch Aengste und ich hab' schon Schweres genug heimlich niederzudrücken. Wenn ich es vorher gewußt hätt', heut hätt' die Verlobung nicht sein dürfen.«

»Was ist denn heut?«

»Heut ist ihr Hochzeitstag, sie hat ihn immer gefeiert und hat mir erzählt, wie sie miteinander im Mondschein gefahren sind und der Rapp ist angespannt und der geht in die Luft hinaus. Brauchet Euch aber nichts zu fürchten, Vater. Ich fürcht' mich auch nichts mehr.«

»Weißt, was mich noch am meisten freut?« pisperte Wendelin sich ermannend, » das, daß der Schwager sich grün und blau ärgert. Ja, guten Morgen, Schwager, jetzt ist es ausgeschwagert. Jetzt sind wir da. Genug und fertig. Auf den Posten!« schloß Wendelin, »ich bin sieben Jahr Soldat gewesen und fürcht' mich nichts.«

Leise wurde nochmals geöffnet, und Wendelin legte sich in der untern Stube ins Heu und schlief bald.


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