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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Zu Ludwig Waldfried und nach Nordstetten zurück oder eigentlich heim wollte Aloys, aber der Weg dahin führt nicht über den Feldberg. Ist es aber nicht so, daß man oft in der Herzensbedrängnis einen Umweg macht?

Der Ginster blühte golden am Waldesrande, die Schwarzamsel sang noch am späten Abend, der Abendtau senkte sich auf Baum und Gras und kühlte Aloys die heiße Stirne. Die Sonne sank hinab und das Abendrot durchzog den Wald mit einem Feuerdufte, die Bäume schüttelten sich leise wie von innerer Lust, Aloys atmete hoch auf.

Es war Nacht, als Aloys am hellerleuchteten freundlichen Wirtshause ankam, ein großer Hund kam ihm entgegen, er bellte nicht, er schmiegte sich dem Fremden an.

Wie mag es dem Hunde dort ergangen sein, der die unschuldige Ursache des traurigen Zufalls geworden?

Alles, was Aloys dazwischen erlebt, war vergessen, er dachte nur jener Stunde, da er, die Hand auf den Kopf des Hundes haltend, am Hause Maranneles gestanden hatte.

Der Wirt kam, hieß den späten Gast willkommen und sperrte den Hund ein, der jämmerlich heulte.

Am Morgen, nachdem Aloys auf der Bergspitze, »Höchste« genannt, gewesen, saß er einsam in der behaglichen Nische des Gasthofes und schrieb:

Auf dem Feldberg am 4 Juli 187—

»Liebe Eltern!

Auf dem höchsten Berge eurer Heimat, am höchsten Tage unseres Landes schreibe ich euch.

Ich bin allein, ich habe heute noch mit keiner Menschenseele gesprochen, aber ich bin bei euch und mit den Millionen, die heute das frohe Fest begehen, und ich spreche zu euch.

Lieber Vater! Die Lerchen singen auch hier oben, aber sie singen mir was Besonderes. Man sieht hier weit, alle Schweizerberge, o es ist herrlich, und man sieht auch in die Gegend von Nordstetten, man sieht den Hohenzollern.

Lieber Vater! Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll.

Sie haben hier oben eine Sternwarte erbaut, wo sie die Sterne am Tag sehen können; aber ich sehe zwei Augensterne am Tag und in der Nacht. Da drunten sind so viel Dörfer und Städte mit so viel tausend Menschen, aber keiner hat mehr im Herzen, als ich, Trauriges und Fröhliches . . . .

Ich will, so gut ich kann, ordentlich berichten. Also.

Ich komme aus dem Hause Ivos und gehe, wie ich gekommen bin, allein. Ich danke Euch, lieber Vater, daß Ihr mir befohlen habt, dahinzugehen; es ist auch so gut für mich gewesen. Ich hab' mich erprobt. Es sind prächtige Menschen, der Vater und die Tochter. Er hat freilich Aberglauben gegen Amerika. Vater! Wir wissen daheim gar nicht, was für ein Aberglaube hierzulande gegen Amerika herrscht; das muß zu Eurer Zeit ganz anders gewesen sein. Aber das hat nicht den Entscheid gegeben. Die Tochter ist ein Mädchen, fein und schön. Aber nicht für mich. Und es ist mir eigentlich recht, daß alles so gekommen. Denn ehrlich gestanden, ich bin nur zum Ivo, um meine Schuldigkeit zu thun, im Herzensgrund habe ich aber gewünscht, daß nichts draus wird.

Ich will in Ordnung erzählen.

Also lieber Vater, es ist gut, daß Ihr nicht mit nach Nordstetten seid. Es sind so viel Menschen dort verdorben und gestorben und alles anders, als wie Ihr fort seid. Von der Aufsässigkeit gegen Amerika ist in Eurem Ort noch wenig zu verspüren, im Gegenteil, viele meinen noch, bei uns wäre das Paradies. Der Hirtz ist ein braver Mann und ist's wert, daß Ihr ihn Freund heißet.

Lieber Vater! Entweder komm' ich wieder allein heim, oder nur mit der, die ich meine. Ja, lieber Vater! Es ist gegen meinen Willen geschehen, aber lieber will ich einsam sterben, eh ich gegen Euren Willen heirate. Und sie ist die Tochter vom Marannele; der Jörgli muß ein arger Spöttler gewesen sein, aber ich glaub' nicht, daß es Bosheit gewesen ist. Sie ist groß und soll ihrem Vater ähnlich sehen; aber gewiß nur von außen. Wie wir zum erstenmal beisammengesessen haben an dem Ebereschenbaum im Schießmauernfeld, wo Euer Acker gewesen ist, da hat sie nichts als mich ermahnt, ich soll einem Menschen helfen, der sie nichts angeht und der am Verkommen gewesen. Da könnet Ihr ihr gutes Herz sehen. Das Jung Marannele – ich kann nichts von ihr sagen, ich hab' sie so gern und ich hätt' nie geglaubt, daß ich so sein kann. Wo ich hinseh', sehe ich ihre Augen. Das kann ich sagen, gesund ist sie und hell wie der Tag, und sie hat ein fröhliches Herz und ist schaffig, wie die Mutter sagt.

Liebe Eltern! Die eine Stunde bin ich so verzagt und so matt und die andere meine ich, ich könnte es mit der ganzen Welt aufnehmen und könnte Bäume ausreißen. Ich habe mein Leben von euch, liebe Eltern, und ich meine, ich bringe noch ein gutes und frisches dazu mit.

Die eine von den zweien spart einen Dienstboten im Haus und die andere hätt' noch einen mehr gebraucht. Ich will nicht ungerecht sein, die Ignazia kann auch schaffen, und es wäre ein Stolz, so eine Frau zu haben; aber ich brauch' keine Frau zum Stolz vor anderen, sondern nur zum Liebhaben für mich, und ich kann für das Marannele doppelt schaffen.

Lieber Vater! Wenn Ihr Euer Wort zurücknehmen könnet, wär' alles gut. Ich bring' Euch aber keine Schwiegertochter, die Ihr nicht mit Freude Tochter heißet. Es schickt sich nicht für mich, da noch was zu sagen. Aber was kann das arme Kind dafür? So wenig als ich. Ich hab' beim Ivo erst recht gesehen, daß ich keine andere heiraten kann. Und ich kann mich auch von keiner Frau von oben herunter ansehen lassen. Aber es wär' unrecht, wenn ich sagen wollt', die Ignazia sei stolz. Lieber Vater und liebe Mutter, ich gehe nicht mehr nach Nordstetten, wenn ihr nicht ja saget. Ich verspreche euch aber, nie einen Vorwurf zu machen. Liebe Eltern! Ich bin ganz klar, wenn auch mein Brief nicht in Ordnung ist; ich weiß genau, was ich will und was ich soll. Ich bleibe beim Herr Oberst Waldfried, bis ich Antwort von euch habe. Gott gebe, daß sie eine gute sei, die glücklich macht

euren treuen Sohn
Aloys.

Liebe Eltern! Ich kann von allem anderen jetzt nichts schreiben, ich will alles erzählen und noch besser könnte ein anderes erzählen, das bei mir wäre.

Ich überlese, was ich da geschrieben habe. Ich komme euch vielleicht närrisch vor, aber ich bin ganz bei Verstand; ich meine, ich hab' erst jetzt Verstand und klare Augen bekommen und – jetzt ist's genug. Ich werde doch nicht fertig.«

Mit hellem Jauchzen, als hätte er bereits die Antwort in der Tasche, eilte Aloys den Berg hinab.

Er traute der abgelegenen Post nicht; er nahm den Brief mit bis nach Freiburg, und dort an der Eisenbahn gab er ihn selber auf und fuhr mit demselben Zuge, mit dem der Brief abging, bis nach Rastatt. Dort schaute er lange dem Zuge nach, der seinen Brief mit fortnahm, dann wendete er sich das erquickungsvolle Murgthal hinauf.


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