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Elftes Kapitel.

Mutter Marannele trank hinter den Weggehenden schnell das Kirschwasser aus, das Aloys hatte stehen lassen, dann legte sie sich in die Kissen zurück und schloß die Augen, aber ihre Züge lächelten.

Plötzlich richtete sie sich wieder auf und murmelte vor sich hin:

»Ich mein', ich könnte jetzt hören, wie sein Herz und wie ihr Herz schlägt. Die Welt wird immer wieder jung. Jetzt brennt's!« Es fiel ihr die Geschichte von dem Brandstifter aus Ahldorf ein, der sein Haus angezündet hatte und hierher ins Wirtshaus ging; er saß beim Schoppen und im Denken, was fern von hier vorging, rief er plötzlich laut: Jetzt brennt's!

Es brannte, aber doch anders, als die Mutter gedacht hatte.

Jung Marannele und Aloys waren ohne ein Wort zu reden die Treppe hinabgegangen, er hielt sich am Geländer, sein Schritt war unsicher. An der untersten Stufe standen sie still und das Mädchen sagte. »Ich dank' dir tausendmal, daß du noch zu uns kommen und so gut zu meiner Mutter gewesen bist. Wie ich höre, gehst du bald wieder fort.«

Jung Aloys schien das nicht zu hören, er drehte die hölzerne Kugel, die an der Treppenpfoste aufgesteckt war.

Jung Marannele öffnete die Hausthüre, ein warmer breiter Sonnenstrahl drang herein, auch der Hund kam mit lechzender Zunge, betrachtete die beiden, schüttelte den Kopf und legte sich in den Schatten unter der Treppe.

»Mach nur die Thüre wieder zu,« sagte Aloys. Sie gehorchte. Er drehte fort und fort die Kugel, daß man das Rollen vernahm.

»Ich hab' dich was fragen wollen,« begann er tief aufatmend.

»Frag du nur, es soll mir lieb sein, wenn ich dir Bescheid geben kann.«

Jung Aloys zögerte lange, dann sagte er: »Besinn dich, der Hund erinnert mich an was. Bist du nicht an dem Tag, wo ich hier ankommen bin, draußen in einem Acker an der Horber Steige gewesen und hast leise gesungen und dann dem Hund zugerufen?«

»Ja freilich. Ich hab' deinen großen Hut gesehen, aber sonst nichts. Ich hab' dem Fremden guten Tag sagen wollen, aber es ist mir gewesen, wie wenn ich nicht dürft'; ich hab' in unserem Haferacker Disteln ausgejätet. Aber darf ich wissen, warum du das fragst?«

»Ich wollt', ich hätt' damals gethan, was mir durch den Kopf gefahren ist.«

»Was ist's denn gewesen?«

»Es ist besser, ich sag's nicht. Ich mein' aber, du hast mir was zu sagen.«

»Ja wohl. Ich danke dir, daß du mit meiner Mutter so geduldig gewesen bist und . . .«

»Was und?«

»Es hat mir das Herz gerührt, wie du deinen Vater so im Herzen hast und noch im Leben vor dir. Mein Vater ist tot und ich möcht' für ihn reden. Du hast vielleicht gehört, daß mein Vater sich über den deinigen lustig gemacht hat. Er hat gern Spaße gemacht, aber er ist kein böser Mann gewesen, gegen niemand, aber weißt so . . . so . . . übermütig und neckisch, und . . . ja . . . da hab' ich dich bitten wollen, sag deinem Vater, er soll dem meinen in der Ewigkeit verzeihen.«

»Das ist so gut wie geschehen. Ich wollte nur, mein Vater hätte dich gehört und könnte dich jetzt sehen.«

»Das wünsch' ich auch und ich weiß gewiß, er thät' zu dem, was ich sag', nicht nein sagen!«

Aloys erbebte und schaute um und um. Die Kugel am Treppenpfosten flog aus dem Pflock, aber er haschte sie noch schnell und steckte sie wieder auf.

»Weißt, was ich jetzt möcht'?« rief er stockend.

»Was?«

»Dir einen Kuß geben.«

»Und ich dir auch.«

Die beiden umhalsten und küßten sich und schienen nicht mehr voneinander lassen zu können. Sie sahen und hörten nichts mehr von der Welt, sie hörten den leisen Schritt nicht oben am Treppengeländer und sahen nicht, wie Mutter Marannele mit frohlockendem Blicke herniederschaute.

»Verzeih mir! Ich dank' dir!« sagte Aloys endlich. »Leb wohl!«

Er öffnete rasch die Hausthüre und stürmte davon.

Jung Marannele setzte sich auf die unterste Treppenstufe. Die Turteltauben da oben in der Stube gurrten so tief und so unaufhörlich und lachten dann wieder so schelmisch: Kukeruku! Unsere Haustochter und der Vetter Aloys haben einander geküßt! Kukeruku!

Wie vor sich selbst verbergend, bedeckte Jung Marannele ihr Angesicht mit der Schürze und dachte, was denn das sei, daß Aloys so plötzlich und mit so seltsamen Worten davongestürmt war.

Sie ging lange nicht zur Mutter hinauf. Als sie endlich doch an ihr Bette kam, fragte die Mutter:

»Ist der Vetter Aloys bis jetzt da blieben?«

»Nein, er ist schon lang fort.«

»Wie gefällt er dir?«

»Der Vetter Aloys scheint ein braver Mensch und kann auch gut reden, aber wunderlich ist er doch auch.«

Die Alte lächelte in sich hinein, wie wenn sie sagen wollte: Ich hätt's vor meiner Mutter auch so gemacht. Wart nur! du beichtest mir schon!

Laut aber sagte sie: »Häng ein Tuch über den Käfig, damit die Turteltauben still sind, ich weiß nicht, was die heut haben, sie thun wie närrisch und ich möcht' schlafen. Ja, der Vetter Aloys! Was die Leut' so einfältig schwätzen! Da haben sie gesagt, er sei nicht besonders schön. Jetzt mir gefällt er, er hat so getreue Augen und einen Mund, aus dem geht gewiß kein unrecht Wort heraus.«

Jung Marannele fand nichts darauf zu erwidern, und die Mutter fuhr fort:

»Er ist viel gewitzigter, aber er hat doch noch viel von seinem Vater. Lern von mir, Kind! Ich bin nicht so gut geschult wie du, aber das kannst du doch von mir lernen. Wenn man machen will, daß ein Mensch sich ganz hergibt und noch dafür dankt, muß man ihm Gelegenheit geben, seine Gescheitheit an den Tag zu bringen, und wenn man ihm dann zu verstehen gibt: so gescheit wie du ist kein zweiter Mensch auf der Welt, dann kann man mit ihm machen, was man will. Hast mir sonst nichts zu sagen?«

»Ich muß ins Schießmauernfeld in unsern Hopfenacker.«

»Willst du nicht vorher essen? Du hast ja noch nicht zu Mittag gegessen.«

»Ich hab' jetzt keinen Hunger,« erwiderte Marannele, zog die Tischschublade auf und schnitt sich ein groß Stück Brot ab, das sie zu sich steckte, »behüt' Euch Gott! Mutter!« sagte sie abgewendet und ging davon.

»Der Acker hat seinem Vater gehört,« rief die Mutter noch nach, und für sich dachte sie: »Sie haben das gewiß ausgemacht, daß sie sich dort treffen. Aber wenn ihr nichts redet, ich kann warten.«

Alt Marannele fühlte sich in der That frischauf, und sie überlegte, was besser sei, krank sein oder aufstehen; sie kann aufstehen, das fühlte sie, und es ist nicht ganz gelogen, wenn sie Aloys sagte, sein Besuch habe sie gesund gemacht. Es hat freilich sein Gutes, wenn man besucht werden muß, man hat den Besuch fester, aber jetzt darf man den Aloys nicht mehr fremden Leuten überlassen, besonders nicht der Muhme Rufina, man muß ihnen den Weg verlegen. Die beiden sind jetzt draußen miteinander im Hopfenacker, das beste wäre, jetzt gleich fertig machen.

Sie ruhte noch geraume Weile, da hörte sie Männerschritte.

»Wer ist da?«

»Euer Schwiegersohn, der Forstwart.«

»Du kommst wie gerufen. Wart, ich kann aufstehen. Ich komm' in die Stub'.«


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