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Vierundzwanzigstes Kapitel. Madonna im Exil.

Die beiden Freunde saßen im ehemaligen Baumgarten Wendelins.

»Ich glaube,« sagte der Kollaborator, »daß Orest und Pylades in einer Gewitternacht oder sonst einmal auch hart aneinander gerieten, eben weil sie die besten Freunde waren. Und weißt du, daß wir eine ähnliche Aufgabe haben, wie die beiden?«

Reinhard sah den Freund fragend an. Der Kollaborator erklärte:

»Wir haben das Götterbild wieder in seinen Tempel zurückzubringen. Leider hast du keine Schwester, die wir nebenbei retten und die vielleicht den Orest –«

»Ich bitte, mein Kopf ist etwas benommen. Uebersetze dich aus dem Klassischen ins Süddeutsche.«

»Du bist jetzt wieder da, und das Madonnenbild muß wieder an seine Stelle, wohin es gestiftet war.«

»Der Fürst hat es erworben. Ich verstehe nicht, wie er das thun konnte.«

»Der Fürst? O nein, deine ehemalige Gönnerin und Freundin, die Gräfin Felseneck hat den Wunsch des Fürsten ausgeführt; sie hat durch ihre Schwester gute Verbindungen mit der Klerisei.«

»Wo ist das Bild jetzt?«

»In der Galerie. Es ist eine Lohnbedientenmerkwürdigkeit. Du hast doch gewiß auch tiefes Verlangen, das Bild wiederzusehen. Die Naivetät Lorles war damals auf deine Künstlerschaft übergegangen; da war nichts Absichtliches, alles nur unschuldige Wirklichkeit.«

»Es wird mir doppelten Schmerz machen,« entgegnete Reinhard. »Ich möchte, ich weiß es nicht anders zu sagen – ich möchte das Bild sehen, aber die Malerei nicht.«

»Warum?«

»Weil es aus der Zeit stammt, als ich noch nicht malen konnte.«

»Du thust dir unrecht. Ich habe deine Diana und Endymion auf der Weltausstellung gesehen – ich war mit in der Jury für die mineralogische Abteilung, damals hieß es ja, du seiest gestorben. – Das Bild ist schön gemalt, mit etwas mehr oder weniger Bravour als die Franzosen und Italiener auch leisten. In deiner Lorlemadonna ist aber etwas Holbeinisches, das sagen alle Kenner, dein Nachfolger im Amte auch; da ist eine Innigkeit und Wärme, eine Andacht und Liebe, es klingt daraus wie Harfenton und zugleich wie ein Volkslied, ja wie eine Bachsche Passion, so wahrhaftig, so deutsch, nur deutsch und lauter ganze Noten, keine zerhackten Töne. Das Bild ist in der Galerie wie im Exil. Du mußt es erlösen. Ich bin, wie du weißt, ein Unkirchlicher, aber ich sage doch, das Bild gehört nur dahin, wo zur Orgel gesungen und gebetet wird.«

Reinhard sah schweigend auf den Freund, dessen Züge wahrhaft schön wurden, als er so sprach. Bei all seiner Weichlichkeit und Absonderlichkeit war er doch in Aeußerung der Verwerfung wie der Verehrung ein gewaltiger wahrhaftiger Mensch.

Reinhard legte die Hand auf die Hand des Freundes und der Kollaborator hielt still; diese warme Berührung schien ihn mit neuer Lebenskraft zu durchdringen. Er fürchtete sich aber vor einer enthusiastischen Aeußerung und sagte: »Komm, wir wollen den Wechselbalg sehen. Gehen wir nach der Kirche und sehen wir, was dort hängt.«

Sie gingen miteinander, und der Wirt schaute ihnen verwundert nach.

»Die Herren Gelehrten und Künstler sind doch wunderliche Menschen,« sagte er zu seiner Frau, »hat man gemeint, die reißen einander die Kopfe herunter, und jetzt sind sie wieder Bruder-ander.«

»Es sind beide grundgute Menschen und gescheit,« erwiderte Vroni, »gescheite Menschen besinnen sich und sind wieder gut miteinander.«


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