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Sechstes Kapitel. Es geht ein Geist um.

Reinhard redete kein Wort. dafür war der Schwager um so wortreicher.

»Es denkt mir noch, wie du da allemal drei Stufen auf einmal genommen hast; jetzt mußt halt auch eine nach der andern nehmen. Laß den Martin voraus. Martin, mach' die Läden und Fenster auf! Seit dem Tag nach ihrem Begräbnis ist alles zu; es ist, wie wenn alles auf dich gewartet hätte. Ja, das muß dein sein und niemand anderm auf der Welt. Da ist unser Lorle dreißig Jahr auf und ab gangen.« Er sagte letzteres mit weinendem Tone und jetzt weinte er wirklich und rief: »O meine einzige Schwester! Meine liebe Schwester! Warum hast du sterben müssen? Verzeih' mir, Bruder, daß ich dir das Herz so schwer mache. Aber wir sind ja Brüder, wir sind Brüder.«

Er warf sich an die Brust Reinhards und schluchzte.

Reinhard suchte den Schwager zu beruhigen und ward damit seiner eigenen Herzbewegung Meister. Es war ihm, wie wenn alles redete, jede Treppenstufe, das Geländer, die Küchenthüre, die große Bank.

Stephan öffnete die große Stube, die nach dem Baumgarten liegt. Das volle Mittagslicht strömte herein und er sagte jetzt mit gefaßterem Tone: »Da hat sie gewohnt, da hast du sie gemalt und da habt ihr euch verlobt; sie hat nicht auf die Straß' gehen wollen, sie hat immer gesagt, was geht mich das an? Sie hat gelebt wie eine Klosterfrau, aber nicht traurig, das nicht. Sie hat gesagt, den Nußbaum da, den habest du im ersten Jahr, wie du hier gewesen, gepflanzt. Schau, wie groß er ist und wie voll er steht. Siehst du dort den Brunnen? Der ist neu. Weißt, es war immer ein nasser Fleck dort, da hat unser Lorle nachgraben lassen, und jetzt ist das der beste Brunnen im Dorf. Der Doktor sagt, es sei ein Stahlsäuerling, besonders gut unterm Wein. Das Recht mußt du mir lassen, daß ich da an deinem Haus Sauerwasser hol' für meine Gäste. Schau, da in der Kammer hat ihr Bett gestanden, sie hat's der Malva vermacht, ich hätte Einsprache thun können, aber ich will keinen Prozeß, nur keinen Prozeß! Jetzt halt! ich muß dir was sagen: da in ihrer Stube, da nehm' ich mein Wort zurück. Ich setze dir gar keinen Preis fürs Haus, es ist dein für jeden Preis, den du sagst; es bleibt alles brüderlich unter Brüdern. Jetzt verzeih'! Ich hab' Leut im Feld, ich muß Heu einthun. Mach dir dein Herz nicht schwer und denk', daß du daheim bist bei den Deinigen. Behüt' dich Gott.«

Reinhard war allein, er setzte sich ans Fenster, wo der Nußbaum seine Aeste heranschickte, und jetzt brach's hervor, ein Thränenstrom, so schwer, so voll.

Lorle! Lorle! war das einzige, was er rufen konnte, er legte den Kopf auf das Fenstersims, wo ihre Hand so oft geruht. Als er endlich aufschaute, stand Martin unter der Thür und sagte: »Ich hab' mich noch gar nicht bedankt, daß der Herr Reinhard meiner Mutter selig, der Bärbel, ein steinern Kreuz hat setzen lassen. Ja, wenn die am Leben blieben wär', wär' alles nicht so geworden. Hundertmal hat die Professorin mir gesagt, Martin, hat sie gesagt, deine Mutter, die Bärbel, ist meine zweite Mutter gewesen. Meinem Sohn, dem Kammersänger, hat die Frau Professorin, wie er allbereits ein kleiner Bub' war, eine Geig' gekauft, er kann gut geigen, erst später ist er Sänger geworden.«

Reinhard ging festen Schrittes allein durch das ganze Haus. Plötzlich war's ihm, als hätte sich Lorle nur neckisch versteckt wie damals in der Brautzeit. Alle die Jahr waren nicht vergangen, die beiden Liebenden lebten noch jung und frisch . . .

Auf einer alten Truhe am Giebelfenster, dort wo Lorle damals dem Gesange Reinhards unter der Linde gelauscht, dort saß er lange und preßte die zitternden Hände ineinander. »Tot! Alles tot!« stöhnte er endlich vor sich hin.

Er ging hinab, Martin wartete auf der Treppe, und als er endlich wieder auf der Straße stand, verschloß Martin das Haus.

Reinhard reichte ihm still die Abschiedshand, aber Martin sagte, er wolle ihn begleiten, hinter ihm drein gehen, wenn er's wünsche.

»Ah so!« entgegnete Reinhard, »du fürchtest, daß sie die Drohung wahr machen und mich tot schlagen?«

»Wer hat das dem Herrn Reinhard hinterbracht?«

»Ein Waldknecht.«

»Gewiß der Maurus. Es ist aber nicht wahr, es ist bloß Geschwätz, und hernach bin doch allbereits ich da. Im Gegenteil, Herr Reinhard, Ihr müsset Euch auch hier anbauen, Ihr könnt hier so alt werden wie der Hohlmüller, der ist bald neunzig. Dort neben meinem Sohn, dem königlichen Kammersänger, müßt Ihr Euch anbauen.«

Er zeigte Reinhard ein wohlgebautes Haus auf der Anhöhe und erzählte, daß dort sein Sohn die Sommerferien zubringe. Er wiederholte, daß der Sohn sein Glück der Bärbel und dem Lorle verdanke; von der Mutter, die viel mit Lorle gesungen, habe er die schöne Stimme, und Lorle habe ihn Musik lernen lassen. Der Sohn käme in der nächsten Zeit mit Frau und Kindern; die Frau sei auch Sängerin und eine Adlige, aber gar nicht stolz.

»Er kommt nächsten Sonntag,« sagte Martin mit Behagen, »er richtet's immer so ein, daß er am Sonntag kommt; da ist's lustig, lustiger als die Kirchweih. Mein Ulrich hat's gescheit gemacht. Wir heißen mit dem Geschlechtsnamen Flohberger, da hat er den Floh springen lassen und er heißt jetzt nur Berger.«


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