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Zwanzigstes Kapitel. Wie der Kollaborator alles ansieht.

Reinhard hielt inne, der Kollaborator war aufgestanden und hatte den Freund mit wechselnden Mienen betrachtet. War diese Anschauung der Welt und seines eigenen Selbst zu berichtigen?

Jetzt setzte er sich wieder und sagte in gehaltenem Tone:

»Ich war nie auf Seite der Welt, die dir allein unrecht gab und deine Irrwege bestätigen mir nur meine Ansicht. Du und Lorle, ihr wart Objekt meines Studiums; ich habe jahrelang über euch gedacht und euch mir erklärt.«

Der Kollaborator hielt inne, er erwartete offenbar, daß Reinhard ihn um diese Erklärung ersuche, aber Reinhard sah vor sich nieder, und der Kollaborator mußte von selber fortfahren:

»Du darfst dir Vorwürfe machen, aber keine zu schweren. Lorle war unglücklich, das ist wahr, aber in ihrem ruhigen, gelassenen Schmerze, der wie ein stilles, kaum mehr gefühltes Austropfen des Herzblutes war, hat sich ihre Seele erhöht und geschmeidigt. Wer weiß, ob sie in fortgesetztem Widerstreit und daraus erwachsender leidenschaftlicher Erregung nicht verherbt worden wäre.«

»Ich glaube, du hast recht,« schaltete Reinhard ein.

»In einem Punkte,« nahm der Kollaborator auf, »stimme ich mit deiner Betrachtung der Unzuträglichkeit überein. Lorle fehlte ein Frauenelement und das war doppelt schwer für deine Frau. Sie war nicht dankbar.«

»Wie? Lorle undankbar?«

»Ich habe nicht undankbar gesagt, sondern präzis nicht dankbar. Wenn du, wie man sagt, ihr das Blau vom Himmel geholt, sie hätte das natürlich gefunden: du bist ja der Reinhard und sie das Lorle, und wenn du den höchsten Ruhm errungen, wenn du zum Kaiser ausgerufen worden wärest, das war ihr wieder selbstverständlich, du bist ja der Reinhard, dem alles, was er bekommt, schon lange gehört. Ihr war nichts ein Wunder, darum hatte sie keine Bewunderung und keine Dankbarkeit, und du bedurftest beider als Mensch und als Künstler.«

Reinhard lächelte schmerzlich, und der Kollaborator bestätigte.

»Klarheit ist für uns Heiden die Absolution. Sieh, so wenig die Glockenblume zu deinen Füßen sich bestrebt, zu gefallen, so wenig war ein solches Bestreben in Lorle, ja, sie hätte es für einen Treubruch gehalten, dir zu gefallen zu suchen. Hier war die Grundquelle der wildwachsenden Naivetät, aber der Kulturmensch bedarf der gekochten Speise und der Variation, der Salze –«

»Aber Freund, wohin geratest du?«

»Gut, ich danke. Laß dir nur noch meine Hauptresultate sagen. Du und Lorle, ihr wart zwei unlösliche Naturgewalten. Ich habe die Formel gestellt. Ihr wart die Naivetät und die Genialität. Jede in sich berechtigt und jede konnte nicht anders werden, ohne sich selbst zu zerstören. Die Naivetät permanentes Insichsein, die Genialität permanentes Außersichsein.«

Reinhard lehnte sich an den Baumstamm zurück, er schränkte die Arme und hörte dem Kollaborator geduldig, und wie es schien, mit gespannter Aufmerksamkeit zu.

»Naivetät und Genialität,« setzte der Kollaborator auseinander, »haben das Gemeinsame, daß sie in jedem Dinge, jedem Begegnisse, Gewöhnliches und Ungewöhnliches, das Ordentliche und das Außerordentliche sehen. Nur sieht der Geniale das Außerordentliche vor dem Ordentlichen, der Naive umgekehrt. Die Genialität sieht im Natürlichen das Wunder, die Naivetät sieht das Wunder als natürlich an. Ich meine Wunder im alten Sinne, denn wir Nachkommen der Pfahlbauern kennen keine Wunder mehr; alles ist Entwickelung, Demaskierung der Naturkräfte.«

»Aber, Freund, wohin willst du?«

»Bitte, nur noch das. Die Naivetät ist der Schmetterling, dessen Auge gar nicht so gestellt ist, daß er sehen und wissen kann, wie schönfarbig seine Flügel sind; die Genialität beguckt ihre bunten Flügel und – aber nein, ich kann nicht im Bilde fortfahren. Ich wollte nur noch sagen, das Wort ihres Vaters ›Nur stät‹ war in Lorle Gestalt geworden, in deinem Grundwesen aber liegt, daß dir alles Stetige, Regelmäßige, alltäglich Wiederkehrende lästig ist. So warst du von je. Schon in unsrer Kindheit. Niemand kann mehr als ich das an dir schätzen, was – ich finde kein andres Wort – noble Gesinnung zu nennen ist, aber dir fehlte und fehlt jede Selbstsucht. Du und Lorle, ihr wart beide nur Natur. Keines von euch war eigentlich gebildet, und darum konnte sich keines an dem andern und nach dem andern bilden.«

Der Kollaborator hielt endlich inne und Reinhard entgegnete:

»Ich habe ein Selbstporträt gemacht, aber so wie du mich im Spiegel zeigst, habe ich mich noch nie gesehen. Versprich mir nur, daß du mir keinen Nekrolog schreibst, wenn ich sterbe.«

»O!« schaltete der Kollaborator ein, aber Reinhard faßte seine Hand mit den Worten: »Laß uns jetzt praktisch reden. Unser Ideal verwirklicht sich. Du ziehst mit ins Dorf. Die zeitweilige politische Stimmung des Dorfes darf dich nicht stören. Das hat sich geändert und wird sich wieder ändern. In deine Seele mich versetzend, aus dir denkend, habe ich den Trost gefunden: Ein Bildwerk von Menschenhand bleibt, wie es geschaffen wurde, alles, was aber aus sich lebt, muß sich wandeln, weil und solange es lebt. Ist das nicht auch dein Gedanke?«

»Gewiß! Du bist auf dem rechten Wege!« rief der Kollaborator, seine Brille neu zurechtrückend. »Ich habe die Formel dafür: Am Baume der Menschheit, wie hier an dieser Weißtanne, ersetzt sich die abgestorbene, verholzte Zelle durch immer neue, lebensfähige.«

»Soll gelten. Also wir bauen uns unsre Zelle und erfüllen sie mit Schönheit und Ruhe. Du schenkst mir aus deinen tiefen Kellern auf Flaschen gezogenen Geist ein und ich dafür leibhaftigen Wein. Lieber, alter Kamerad! Damals, als du deines Amtes entsetzt wurdest, sagtest du: Ich nehme nie mehr eine Anstellung. Es gibt Pferde, die lieber verdursten, als mit dem Zaum im Maul saufen. Erinnerst du dich noch? Es war in der Nacht auf dem Schloßplatz.«

»Wohl erinnere ich mich noch,« erwiderte der Kollaborator lächelnd, es that ihm gar wohl, daß der Freund so seine Worte behalten. Reinhard fuhr fort:

»Es war ein Ideal unsrer Jugend, daß wir beide miteinander still unser Leben beschließen. Es kann sich nun noch erfüllen. Ich glaube nicht mehr, daß es Glück auf der Welt gibt, aber Ruhe, vielleicht auch Frieden, möchte ich die kurze Zeit noch gewinnen. Ich habe das alte Haus zur Linde gekauft, dort leben wir selbander und ich will von dir lernen, so daß ich als gebildeter Mann sterbe. Wir richten das alte Haus neu her, im alten historisch und klimatisch gemäßen Landschaftsstil, und im Inneren bequem und behaglich. Ich bin sechs Wochen älter als du, ich verzichte auf mein Erstgeburtsrecht, du sollst Herr über alles sein, nur zwei Zimmer laß mir. Mich friert und ich will mich an deinem warmen Blicke sonnen. Ich habe die Liebe nicht verstanden, vielleicht verstehe ich die Freundschaft.«

»Woldemar! Alter, gewaltiger . . . Halt ein! Es ist zu viel.«

»Nein, laß mich das noch sagen. Du kannst deine Forschungen nach dem Pfahlbauer Reihenmeyer, seinem Kulturstand und Hausstand fortsetzen und ich, ich sammle alles Volkstümliche in Tracht und Geräte, was jetzt untergehen will.«

»Da hast du recht. In dreißig Jahren gibt's keine Volkstrachten und keine Volksbräuche mehr. Alles wird Landwirt oder ländliches Proletariat.«

»Also gut oder schlimm. wie du willst. So sammeln wir. Zwei Zimmer sollen ein Museum des eben vergehenden Volkslebens sein. Gib mir die Hand. Wir bleiben bei

»Ich kann nicht. Ich kann nicht,« wiederholte der Kollaborator, zitternd vor Erregung. »Aber es ist gewonnen. Du bist ein Sohn des Mutes. Ich kenne deinen Weg. Ich freue mich, dir ihn zu künden.«


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