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Achtunddreißigstes Kapitel. Verfügung über sich selbst.

Der heutige Abend soll mich nicht mehr hier finden, gelobte sich Reinhard beim Erwachen und er vermochte, sich das volle Bild Malvas zu vergegenwärtigen.

Er fertigte mit rascher Hand die Zeichnungen zu dem bestellten Hausrat, die er dem Kunsttischler versprochen hatte.

Er wanderte durch die Straßen, überlieferte die Zeichnungen und nun war's Zeit, die Gräfin aufzusuchen. Sie wohnte neben dem Hause, in dem er ehedem mit Lorle gelebt. Er bannte jedes Zurückdenken aus seiner Seele und ließ sich bei der Gräfin melden; sie ließ ihn sofort eintreten, sie war in einem weiten Morgengewand und trug eine feine weiße Haube. Sie reichte ihm die Hand, sie drückte die seine nicht mehr.

»Ach!« klagte sie, »wir sind eben doch alt. Bitte, keine Schmeichelei! Ich habe mich gut konserviert, Sie auch, trotzdem Sie und ich viel gelitten. Mein guter Mann war lange krank, und man hat Not und Sorge mit Kindern und Enkeln. Wie habe ich mich gefreut, eine gute Stunde mit Ihnen zu sein und in Jugendidealen zu schwelgen, und nun hat meine Schwester über mich verfügt und ich kann Ihnen, oder sage ich besser mir, nur eine Viertelstunde gönnen. O, das Leben ist nichts als Unruhe.«

Gräfin Ida war nur Großmutter und gegen ihn nur mütterliche Freundin. Reinhard kam kaum zu Wort und die Gräfin sagte, er müsse während ihrer Anwesenheit bei ihrer Tochter sie besuchen und ihr dort ausführlich erzählen, denn die Fama berichte doch immer falsch.

Als sich Reinhard zum Abschied erhob, reichte sie abermals leise die Hand, und wie sich zusammenfassend, sagte sie:

»Verzeihen Sie einer vielleicht altväterischen Großmutter, die den Wunsch hat, daß Sie sich in der Heimat nicht deplaciert fühlen mögen. Sie haben vergessen, daß hier nicht Paris, nicht Rom und London ist. Wenn man hier Damentoiletten kauft, so bleibt das nicht verborgen. Ich rate Ihnen aus alter Freundschaft, vorsichtiger zu sein.«

Reinhard erwiderte etwas, er wußte nicht was, und ehe er sich's versah, stand er wieder auf der Straße. Alle Welt spielt mit dir und du lässest dich wie ein Fangball hin und her werfen, sagte er sich vorwurfsvoll, und er mußte sich auf sein Selbst besinnen. In solcher Stimmung heftet sich die unruhige Seele leicht an Aeußeres. Mit einem Eifer, als wäre er der Aufseher, sah er den Pflasterern zu, die die Straße neu pflasterten, und dann las er die Schilder an den gegenüber stehenden Häusern, als müßte er sich das alles genau merken. »Notar Kräutler« stand hier neben angeschrieben, da in dem Hause, wo er früher mit Lorle gewohnt hatte. Das ist's ja, was du unbewußt suchtest. Reinhard ging hinein.

Der Notar, ein Mann von ruhiger gemessener Haltung, begrüßte ihn geschäftsmäßig. Als aber Reinhard seinen Namen nannte, rief der Mann, die Hände zusammenschlagend:

»Was? Sie sind's? Es hieß ja vor einigen Jahren, Sie seien tot. Entschuldigen Sie. Ich bin ganz verwirrt. Ja, Sie sind's, ich erkenne Sie wieder. Sie waren damals ein junger Mann und ich ein kleiner Knabe. Wir wohnten ja früher zusammen in diesem Hause, und als die Mutter krank war und starb, pflegte uns Ihre selige Frau.«

Ein Schreiber unterbrach mit einer Meldung den Notar, dieser erklärte, er wäre jetzt für niemand zu sprechen und in zutraulicher Redseligkeit fuhr er fort:

»Ich habe mit meiner Familie Ihre Frau vor drei Jahren besucht und ihr gedankt, sie hatte große Freude an uns, sie wollte auch ein Testament machen. Es ist wohl nicht geschehen?«

Reinhard verneinte, und der Mann fuhr fort:

»Ich war einmal sehr bös auf Sie, Herr Professor. Ich war mit Ihrer Frau auf dem Paradeplatz, als sie mit dem Soldaten aus ihrem Dorfe sprach, und der Herr Professor wurden sehr zornig. Am Abend kam sie zu mir und brachte mir einen Apfel; ich sehe noch, wie schön rot er war und da sagte sie mir: Albrecht – so heiß' ich – Albrecht, mein Mann ist nur von den Hoflakaien geärgert gewesen, drum war er so zornig; sonst ist er so gut, wie es keinen andern mehr auf der Welt gibt.«

Reinhard errötete. Ein Funke aus seiner Zornesflamme war in die Seele des Kindes gefallen, und Lorle hatte ihn ausgelöscht. Der Notar aber fügte lächelnd hinzu:

»Ja, man weiß nicht, was alles die böse Zeit gemacht hat. Damals war's unschicklich oder wenigstens auffällig, wenn eine Frau aus höherem Stande mit einem gemeinen Soldaten sprach; jetzt, bei der allgemeinen Volkswehr, erscheint uns solche Auffassung unbegreiflich. Aber lassen wir das! Ich denke an Ihre selige Frau wie an eine Erscheinung aus der höheren Welt, und auch meine Kinder wissen von ihr.«

Reinhard empfand einen tiefen Schmerz. Das war ja, wie in der Sage von jener Heiligen, überall, wo Lorle gewandelt, sproßten Rosen empor, und ihm wurden die Rosen zum Dornstrauch.

Er wollte umkehren. Sollte er gerade diesem Manne die Bestimmungen für seine neue Ehe kundgeben? Er faßte sich gewaltsam und ließ in aller Form Rechtens sein Testament aufsetzen. Er vererbte sein ganzes namhaftes Vermögen, falls er kinderlos sterbe, an Malva, ausgenommen war eine Summe für den Unterhalt von Fabian; seine Skizzenbücher und Sammlungen sollten Reihenmeyer zufallen.

Das Testament war fertig; der Notar reichte ihm die Hand und versprach, doppelte Ausfertigung alsbald in den Gasthof zu schicken.

Als Reinhard in seine Wohnung kam, fand sich eine Deputation der Künstlerschaft ein, die ihn zu einem Feste einlud, das man ihm zu Ehren veranstalten wollte; er dankte und bat, davon abzustehen, denn er müsse alsbald abreisen. Er schrieb noch einen Brief an den Hofmarschall, seine schnelle Abreise entschuldigend. Mit dem nächsten Zuge eilte er heimwärts.


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