Armand (Friedrich Strubberg)
Saat und Ernte
Armand (Friedrich Strubberg)

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Fünftes Kapitel.

Etwa zwanzig Meilen oberhalb Brazoria wohnte ein deutscher Apotheker Namens Schütz, welcher früher in Gonzales gelebt hatte und dort mit Albert befreundet gewesen war. Dieser hatte ihn als einen wissenschaftlich gebildeten Mann hochschätzen gelernt, stand immer noch in Briefwechsel mit ihm und wollte jetzt dessen Kenntnisse als Chemiker in Dandon's Angelegenheit zu Rathe ziehen.

Albert war nämlich durch Dandon's Benehmen zu der vollsten Ueberzeugung gekommen, daß die Abrechnung, welche Williams dem Gerichte vorgelegt hatte, gefälscht sei, und die Gleichheit des eigenthümlichen Papiers, welches Dandon schon seit Jahren zu seinen Briefen benutzt hatte, mit dem, auf welches die Abrechnung geschrieben war, hatte ihn auf den Gedanken gebracht, daß ein Brief Dandon's benutzt worden sein konnte, um das Document mit seiner Originalunterschrift zu versehen.

Es war Abend, als Albert die Wohnung des Apothekers erreichte und derselbe ihn mit freudiger Ueberraschung empfing. Nach den ersten Begrüßungen theilte er Schütz sofort den Grund seines Erscheinens mit und stellte die Frage an ihn, ob es möglich sei, nachzuweisen, daß Schrift auf einem Papiere gestanden habe, wenn sie auf chemische Weise von demselben entfernt worden wäre. Schütz erklärte dies nicht allein für möglich, sondern für eine gar nicht schwierige Aufgabe und bot in vorliegendem Falle mit Freuden seine Dienste an. Er ließ zeitig das Abendessen auftragen, versorgte Albert nach Beendigung desselben mit einem frischen Pferde, und kaum war die Nacht hereingebrochen, als schon beide, so schnell die Thiere sie tragen konnten, auf der Straße nach Brazoria dahinritten. Es ging gegen Morgen, als sie in der Stadt anlangten und sogleich sich zur Ruhe begaben, um noch einige Stunden sich von ihrem scharfen Ritte zu erholen.

Harry hatte den Abend und die Nacht in ganz anderer Weise verlebt. Er hatte außer einer großen Zahl seiner Bekannten alle Gerichtspersonen und alle anwesenden Advocaten zum Abendessen zu sich eingeladen, hatte beim schäumenden Weine die Nacht mit ihnen durchschwelgt und saß noch zechend und jubelnd in ihrem Kreise, als Albert mit seinem Reisegefährten das Ruhelager suchte. So heiter und sorglos sein Aeußeres aber auch erschien, so stand doch der Gedanke an eine mögliche Aufdeckung seines Verbrechens wie ein drohender Riese vor seiner Seele, und die Reue, das Document nicht den Flammen übergeben zu haben, folterte ihn auf das entsetzlichste.

Die Reue aber kam zu spät, das Document befand sich in den Händen des Gerichts, und nur Festigkeit und Entschlossenheit konnten noch zum Siege führen.

Die laute Stimme des Sheriffs hatte am Morgen kaum das Wiederbeginnen der Gerichtsverhandlungen verkündet, als der Gerichtssaal sich auch wieder Kopf an Kopf mit Zuhörern füllte, die mit gespannter Erwartung der Entwicklung der geheimnißvollen Verhältnisse zwischen Dandon und Williams harrten.

Harry erschien wie immer in elegantester Toilette mit Heiterkeit und Frohsinn auf seinen schönen Zügen und Witz und Scherz auf seinen Lippen. Links und rechts grüßte er beim Eintreten in den Saal mit fröhlichen Worten und lustigen Winken, und ehe er sich auf der Bank niederließ, sammelte er einen Kreis seiner Gäste von vergangener Nacht um sich und brach mit ihnen wiederholt in lautes Lachen aus. Als aber der

Richter eintrat und seinen Platz einnahm, setzte sich Harry nieder, schlug ein Bein über das andere und wehte sich mit seinem parfümirten Batisttuch gemüthlich Kühlung zu, während er von Zeit zu Zeit lächelnd einige Worte mit seinem Advocaten wechselte.

Ein ganz anderes Bild bot Albert in seiner Unterhaltung mit Dandon; der Ernst und die Wichtigkeit der nahenden entscheidenden Augenblicke standen auf seinen edlen Zügen geschrieben und in seinen Augen war der feste Glaube, siegreich aus dem Kampfe hervorzugehen, zu lesen. Nur flüchtig und im Vorübergleiten warf er einen Blick seitwärts nach dem Eingange in den Saal, wo zwischen den zusammengedrängten Zuhörern der Apotheker Schütz stand, und dann wieder sah er verlangend nach dem Richter hin. Da klopfte dieser einigemal auf sein Pult, um die nöthige Ruhe zum Beginnen der Verhandlungen herzustellen, und sagte dann mit einem Wink nach Harry's Advocaten:

»Der Anwalt des Angeklagten kann mit seiner Vertheidigung fortfahren.«

»Wir stützen uns ausschließlich auf das Document, welches wir gestern dem Gericht übergeben haben«, begann Watrous, sich erhebend, mit einer Verbeugung gegen den Richter.

»Es ist uns sehr angenehm, daß unsere Gegner sich ausschließlich auf dieses Document stützen«, nahm Albert jetzt das Wort und hob sich von seinem Sitz empor, »denn wir werden den Beweis führen, daß dasselbe uns gegenüber ein gänzlich werthloses Papier, ein gefälschtes Document ist, und wir ersuchen den Richter um die Erlaubniß, einen Fachmann an die Schranken treten zu lassen, der das Papier einer Untersuchung und einer Probe unterwerfen soll.«

»Wir protestiren dagegen, das Document, unser Eigenthum, irgend einer Beschädigung auszusetzen«, rief Harry's Advocat aufspringend, »denn mit ihm würde unser Beweismittel zerstört werden.«

»Das Papier ist für unsere Gegner von gar keinem Werthe mehr, denn es ist in dem Hypothekenbuch in Galveston eingetragen«, fiel ihm Albert rasch in das Wort. »Euer Ehrwürden wollen darum gestatten, daß es uns zur Beweisführung der Fälschung übergeben werde.«

Watrous sprach abermals dagegen, doch der Richter gebot Ruhe und fuhr dann zu Albert gewandt fort:

»Hier ist das Document. Lassen Sie Ihren Fachmann vortreten, und die Probe damit vornehmen.«

Albert winkte nun nach Schütz hin. Dieser trat mit einer Verneigung gegen den hohen Richter vor die Schranken und empfing aus dessen Hand das Document.

Er betrachtete dasselbe mit größter Aufmerksamkeit und sagte dann nach einer Weile in ruhigem, entschiedenem Tone:

»Ich glaube, daß dies Papier einem chemischen Processe unterworfen worden ist, um Schrift davon zu entfernen, welche früher darauf gestanden hat, und ich habe die Ueberzeugung, daß ich diese Schrift wieder sichtbar machen kann.«

»So versuchen Sie es, Herr!« versetzte der Richter, worauf Schütz eine Porzellanschüssel unter seinem Rock hervornahm, sie auf den Tisch stellte, das Papier darauf legte und nun eine Flasche aus der Tasche zog, deren flüssigen Inhalt er darauf goß. Dabei neigte er sich über das Papier und sagte nach einigen Augenblicken:

»Es ist so, wie ich vermuthete; da steht die alte Schrift deutlich zwischen der neuen.«

Zugleich hob er das Papier aus der Flüssigkeit heraus, ließ dieselbe von ihm ablaufen und legte es dann vorsichtig auf Löschpapier, welches er zuvor auf dem Tische ausgebreitet hatte.

Der Richter verließ in großer Aufregung sein Pult und trat an des Apothekers Seite, um sich von der Wahrheit zu überzeugen, doch kaum hatte er seinen Blick auf das Papier geheftet, als er in höchster Entrüstung ausrief:

»Es ist ein Brief des Herrn Dandon gewesen. Hier steht: >Mein lieber Freund Williams!< und oben darüber: >Natchez, den 12. Juli!<«

Dabei warf der alte würdige Mann einen Blick voll der tiefsten Verachtung nach Harry hin, ergriff dann das gefälschte Domment und legte es mit den Worten vor die Geschworenen auf den Tisch:

»Ueberzeugen Sie sich selbst, meine Herren! Es ist eine ruchlose, teuflische Fälschung, und ich glaube nicht, daß Herr Watrous noch weitere Anstrengungen machen wird, einen so vollständig überführten Verbrecher zu vertheidigen.«

Harry war bleich geworden wie der Tod, er bebte am ganzen Körper, und als sein neben ihm sitzender Vertheidiger sich erheben wollte, um dem Ritter zu antworten, zog er ihn krampfhaft zu sich heran und stotterte ihm zu:

»Berufen Sie sich auf die Zeugen Kinney und Jack.«

»Euer Ehrwürden wollen erlauben!« hob Watrous sich erhebend nun an. »Die Herren Kinney und Jack sowie der Friedensrichter Turner sind ja bereit, es zu beschwören, daß Herr Williams mit Herrn Dandon sie aufforderte, das Document zu unterzeichnen, was sie auch in Gegenwart des Friedensrichters thaten, demnach muß Herr Dandon doch mit Herrn Williams abgerechnet haben.«

»Wir sind bereit, zu beschwören, daß Williams mit einem Manne, der Herrn Dandon sehr ähnlich sah, uns aufforderte, das Document zu bezeugen«, fiel ihm Kinney mit heftiger Stimme in das Wort; »daß dieser Mann aber kein Anderer als Herr Dandon war, darauf können wir nicht schwören, denn wir haben uns nicht mit ihm unterhalten, wir haben ihn nicht einmal ein Wort reden hören.

»Ich habe nichts mehr zur Vertheidigung des Angeklagten vorzubringen«, nahm jetzt Watrous das Wort, zog seine Hand aus den Händen Harry's, der dieselbe krampfhaft umfaßt hielt, und trat mit einem verächtlichen Blick von ihm hinweg. Dieser aber sank wie vernichtet in sich zusammen und stierte mit hoffnungsloser Verzweiflung vor sich auf den Fußboden.

Die Verhandlung hatte ihr plötzliches Ende erreicht; das starre Schweigen, welches die Zuhörermenge erfaßt hatte, gab einem schnell lauter werdenden Gemurmel Raum, aus dem nur Worte der Entrüstung, der Verdammung hörbar wurden, und einzelne Stimmen riefen Schmähungen nach dem Fälscher hin, sodaß der Sheriff seine Gewalt geltend machen mußte, um die Ruhe herzustellen.

Der Richter gab nun eine kurze Uebersicht über den verhandelten Fall, ermahnte dann die Geschworenen, nach Pflicht und Gewissen ihren Wahrspruch zu fällen, und ließ sie durch den Sheriff aus dem Saale führen.

Harry saß allein und verlassen auf der Sünderbank zusammengekauert und dachte an Holcroft, wie derselbe ihm von dem Wagen des Henkers seinen Abschiedsgruß zuwinkte.

Dandon zitterte und bebte in dem Glück, welches so plötzlich über ihn gekommen war, und die ungeheuern Summen, welche er in seinen Negern besaß und welche dieselben ihm nun einbringen sollten, tanzten wie goldenes Gaukelspiel vor seinem Geiste.

Er drückte wiederholt Albert's Hand und Arm und flüsterte ihm Worte des Dankes zu.

»Sie sind mein Retter, mein guter Engel gewesen; Apollo Dandon hat ein dankbares Herz, er gibt Ihnen sein einziges Kind, seine Blancha dafür!« stotterte er in seinem Glücke hervor und drückte dann wieder die Hand Albert's in der seinigen.

»Lassen Sie uns hinausgehen, Herr Dandon, ich habe mit Ihnen zu reden«, sagte Albert, gleichfalls überglücklich, nahm den Arm des Alten und schritt mit ihm durch die Menge, die ehrerbietig Raum für sie machte und Ausrufe des Lobes, der Verehrung ertönen ließ.

»Das schändliche Unrecht, welches man Ihnen in Natchez angethan hat«, hob Dandon, als sie in das Freie hinaustraten, wieder an, »verbietet Ihnen, in den Vereinigten Staaten zu wohnen, ich werde aber mit Blancha auf meine Plantage am Bernardflusse ziehen und Ihnen, meinem Retter, dort deren Hand geben. Wir wohnen dann zusammen und theilen den ungeheuern Nutzen, den wir dort ernten.«

»Herr Dandon«, nahm Albert das Wort, indem er dessen Hand ergriff und stehen blieb, »die Sprache hat keine Worte für das Glück, für das Dankgefühl, womit Sie durch Ihre Einwilligung in meine Verbindung mit Ihrer Tochter Blancha meine Seele erfüllt haben, lassen Sie aber auf unserer Vereinigung keine Sünde, keinen Fluch lasten. An jedem Dollar, den Ihre Neger am Bernardflusse Ihnen werth sind, hängt eine Thräne, die Ihnen in Ihrer letzten Stunde auf der Seele brennen wird. Geben Sie den unglücklichen, ihrer Freiheit beraubten Menschen dieselbe zurück, und jeder Dollar, den sie Ihnen erarbeiten werden, wird Ihnen Glück, Segen und Freude bringen.«

»Herr Randolph,« stieß Dandon wie vom Blitz getroffen hervor und stierte ihn zurückfahrend an, »bedenken Sie, daß diese Neger einst Ihr Eigenthum werden!«

»Solange eine Sünde an ihrem Besitz klebt, mag mich Gott davor behüten!« entgegnete Albert mit einem

Ausdruck des Entsetzens, fuhr aber gleich in mildem, freundlichem Tone fort, indem er zugleich Dandon's beide Hände ergriff:

»Hören Sie mich, Herr Dandon; folgen Sie mir um Ihres eigenen, um des Glücks Ihres Kindes willen! Sie sind ohne die Neger ein sehr reicher Mann; dieselben werden gern für Sie arbeiten und Ihnen noch mehr Schätze verdienen; geben Sie die Unglücklichen, Betrogenen frei und der Allmächtige wird Sie tausendfach dafür segnen.«

»Nimmermehr! Wo denken Sie hin, Herr Randolph! Wissen Sie denn nicht, welches Kapital damit verloren gehen würde? Unter keiner Bedingung!« rief Dandon in höchster Aufregung und zog seine Hände zurück.

»So werde ich sofort die Klage wegen Betrug und Raub gegen Sie anhängig machen, Herr Dandon, und Arrest auf die Sklaven und auf Ihre Person legen lassen«, nahm Albert nun mit ernster Stimme das Wort. »Ueberlegen Sie wohl, was Sie thun, Herr Dandon, und bedenken Sie, daß ich Ihnen bei dieser Klage nicht als Retter erscheinen würde.«

Dandon wurde bleich und zitterte an allen Gliedern; er bat, er flehte, er beschwur, drohte mit dem Verluste Blancha's. Albert blieb unerschütterlich fest bei seiner Erklärung und verlangte augenblickliche Entscheidung. Er ließ dem Alten nicht einen Zoll breit Spielraum, drängte ihn unablässig und zwang ihn endlich, seine Zustimmung zu seiner Forderung zu geben. Dann nahm er ihn beim Arm, suchte Ashmore Williams mit ihm auf und stellte diesem als dem muthmaßlichen spätern Besitzer der Sklaven gleichfalls die Wahl, dieselben frei zu geben oder ihretwegen vor Gericht gezogen zu werden.

Ashmore, gebeugt von dem Schicksale, welches über seinem Bruder schwebte, willigte gern ein und versprach, wenn er in den Besitz der Sklaven kommen sollte, den Freiheitsbrief für dieselben durch Albert ausfertigen zu lassen.

Ein wilder, wogender Lärm von dem Gerichtsgebäude her unterbrach plötzlich ihre Verhandlungen und der Ruf »Schuldig!« verkündete, daß die Geschworenen schon ihren Wahrspruch abgegeben hatten. Alles drängte sich jetzt nach dem Hause hin, um das Urtheil zu vernehmen, welches über Harry gefallt werden würde.

Unweit des Eingangs in das Gebäude stand Lucy an die Wand gelehnt und hielt ihr Antlitz in dem Tuche, welches sie über den Kopf gehangen hatte, verborgen. Sie weinte bitterlich und rang unter dem Tuche ihre Hände in tiefster Verzweiflung.

»Er wird gehangen werden«, tönte es wiederholt von Vorübergehenden in ihr Ohr, und dann zuckte sie zusammen, als führe ihr ein Dolchstoß durch das Herz. Dennoch blieb sie stehen; sie mußte das Urtheil wissen, welches jetzt über Harry gesprochen wurde, sie mußte ihn retten oder mit ihm sterben. Ihre Angst, ihre Verzweiflung steigerten sich von Minute zu Minute, es war ihr, als wollten ihre Kniee zusammenbrechen, als fühle sie ihr Herzblut fließen, der Gedanke aber an den einzig Geliebten ihrer Seele hielt sie aufrecht, bis plötzlich die Menschen aus dem Gerichtsgebäude hervorströmten und sie die Worte vernahm: »Zum Galgen verurtheilt!«

Ihre Kniee zitterten, ihr Herzschlag stockte, und mit dem kaum hörbaren Rufe: »Gott, sei barmherzig!« sank sie zusammen. Kaum aber hatte sie mit ihren Händen den Boden berührt, als sie sich wieder aufraffte und mit fliehenden Schritten davoneilte. An dem letzten Hause der Straße, die am Flusse hinaufführte, stand ihr Pferd, sie riß dessen Zügel von der Einzäunung, an der sie denselben befestigt hatte, schwang sich in den Sattel und sprengte in Carrière davon. Ohne dem Rosse eine Minute Zeit zum Verschnaufen zu geben, jagte sie auf der Straße dahin und erreichte Harry's Plantage, wo sie dem schaumbedeckten Thier Sattel und Zeug abnahm, es dann sich selbst überließ und eilig nach Harry's Zimmer eilte. Wie immer, wenn derselbe sich vom Hause entfernte, hatte er ihr auch diesmal die Schlüssel zu seinem Secretär eingehändigt; sie zog dieselben aus ihrem Kleide hervor, öffnete rasch den Schreibtisch und nahm sämmtliches darin vorräthiges Geld aus ihm hervor. Es belief sich auf beinahe sechstausend Dollars, theils in Gold, theils in Banknoten.

Dann ging sie in ihr Zimmer, warf sich in der Mitte desselben auf ihre Kniee nieder und flehte unter Thränen zum Allmächtigen auf, er möge ihr beistehen, Harry zu retten.

In Jammer und Wehklagen verbrachte sie den Tag in ihrer Stube, als aber der Abend kam und die Dämmerung über die Erde strich, da eilte sie hinaus nach der Einzäunung, in welcher Harry's Reitpferde umhergingen. Sie sattelte die besten zwei von ihnen, füllte die Satteltaschen mit Mundvorrath und Kleidungsstücken, bestieg das eine Roß und trat, den Zügel des andern in der Hand, eilig den Rückweg nach Brazoria an.

Harry war zum Tode verurtheilt worden, weil das Gesetz diese Strafe für eine derartige Fälschung bestimmte, dennoch hatten die Richter dieselbe ungern über ihn ausgesprochen, und die Nachricht davon wurde im Allgemeinen mit großem Widerstreben aufgenommen. Die Zeit war noch zu neu, wo Harry sein Leben für das Wohl des Landes und des Volkes in Gefahr gebracht und in demselben Gefängnisse gesessen hatte, in dem er jetzt eingeschlossen war. Außerdem aber hatte er so unzählig viele Bekannte und Freunde und war so Vielen gefällig und hülfreich gewesen, daß man sich dem Gedanken nicht hingeben wollte, Harry könne gehangen werden. Auf seinem Wege nach dem Gefängnisse wurde ihm mancher tröstliche Blick, mancher beruhigende Wink zugesandt, und hin und wieder hörte er die Worte: »Hat nichts zu sagen, Williams, Eure Freunde leben noch!«

Jetzt saß er in dem Blockhause eingeschlossen und vor demselben ging ein Wachposten auf und nieder.

Es war Nacht. In den Straßen von Brazoria herrschte lautes Leben, denn die vielen Fremden aus dem Lande, welche bei den Gerichtsverhandlungen betheiligt waren oder nur ihnen beiwohnen wollten, nahmen die Gelegenheit wahr, mit ihren Freunden und Bekannten den Abend vergnügt zu verbringen.

Die Trinkhäuser waren mit Menschen überfüllt und vor denselben saßen und standen die Leute zusammen, und allenthalben wurde die Verurtheilung Harry's besprochen. So sehr man aber auch dem Richterspruche

Gerechtigkeit widerfahren ließ, so machte sich doch das Gefühl des Bedauerns, des Mitleids für den Verurtheilten allgemein geltend und Aeußerungen wie: »Schade um den netten Kerl! – Verdammt, Texas schuldet ihm mehr als seine Begnadigung! – Wenn der Vogel nur morgen früh ausgeflogen wäre!« hörte man häufig, von kräftigen Flüchen begleitet, laut werden.

Diese guten Wünsche hatten aber keine längere Tragweite und in der Gegend des Gefängnisses blieb es öde und still.

Es ging auf Mitternacht, als sich Jemand dem Kerker näherte und der Wachposten: »Wer da?« rief.

»Ein Freund«, antwortete eine zarte Stimme und ein Mulattenknabe trat leisen Schritts zu dem Posten heran.

Es war die treue Lucy in ihrer frühern Knabentracht, die ihrem Herrn, ihrem Geliebten zu Hülfe kommen wollte.

»Ich bin der Hausbursche des Herrn Williams«, sagte sie zu dem Posten, indem sie die Mütze von ihrem schönen Kopfe nahm, den sie abermals seines Schmucks, der prächtigen Lockenfülle, beraubt hatte. »Ich komme mit der Bitte, mich mit meinem Herrn reden zu lassen, wenn Sie es erlauben dürfen, Herr.«

»Bei Gott, ich würde es Dir erlauben, Bursche, und wenn ich es auch nicht dürfte! Williams ist ein braver Texaner, und es wäre eine Schande für die Republik, wenn man ihn eines alten Geizhalses wegen, der vom Mississippi herüberkam, aufhängen wollte; er hat ja sein Leben oft für unsere Freiheit eingesetzt, und hinge es von mir ab, so sollte er nicht lange in diesem verdammten Käfig sitzen«, erwiderte der Posten, indem er nach dem Blockhause zeigte, von welchem sie noch einige vierzig Schritte entfernt standen.

»Es hängt ja aber von Ihnen ab, Herr, meinem guten Gebieter, dem Freund des Volkes, die Freiheit zu geben; er wird sich Ihnen gewiß dankbar zeigen«, antwortete Lucy rasch und faltete bittend die Hände auf ihrer Brust.

»Es hängt von mir ab, allerdings, doch würden die Herren vom Gerichte mich morgen selbst in diesen Kasten setzen und als einen Criminalverbrecher richten. Williams hat keine Macht und keine Mittel mehr, mich zu schützen oder mich zu entschädigen, wenn ich das Weite suchen müßte«, sagte der Posten und schüttelte den Kopf.

»Wenn mein Herr nun aber doch noch Mittel in Händen hätte, um Sie zu belohnen und Sie zu entschädigen für den Fall, daß Sie hier Ihre Heimat aufgeben müßten, wie groß sollte die Summe sein?« nahm

Lucy wieder das Wort und suchte ihre Bewegung zu bemeistern.

»Ja, wenn ich ein paar tausend Dollars dabei verdienen könnte, dann möchte das Gericht zur Hölle gehen; mich sollte es wohl laufen lassen«, sagte der Posten auf den Vorschlag eingehend.

»So helfen Sie ihm, Herr, ich bitte, ich beschwöre Sie! Helfen Sie Herrn Williams, er zahlt Ihnen zweitausend Dollars sofort baar aus; er ist im Besitz des Geldes«, fiel Lucy weinend ein und warf sich, ihre Hände flehend zu dem Mann erhebend, vor ihm auf ihre Kniee nieder.

»Hat er wirklich das Geld, Bursche? Verdammt, hättest Du mir eine Lüge gesagt, so sollte es Dir das Leben kosten«, versetzte der Mann und hob die Faust drohend empor.

»Nein, nein, ich sage keine Lüge, er wird Ihnen die Summe sogleich aushändigen, so wahr ein Gott über uns lebt! Lassen Sie mich einige Worte mit ihm reden und dann wird er es Ihnen selbst sagen«, antwortete Lucy und sprang, ohne die Antwort abzuwarten, nach der Thür des Gefängnisses.

»Herr, Herr, ich bin es, Ihr Bursche Charly!« rief sie an die Pforte schlagend. »Ich habe sechstausend Dollars bei mir und der Posten will Sie für zweitausend befreien; sagen Sie ihm, daß Sie das Geld bei sich haben!«

In diesem Augenblicke trat der Wächter herzu und rief:

»Hollah, Herr Williams, können wir ein Geschäft zusammen machen?«

»Jawohl, Freund. Ich zahle Ihnen sofort zweitausend Dollars, wenn Sie mich befreien, und meinen ewigen Dank bekommen Sie mit in den Kauf«, antwortete Harry und setzte nach einigen Augenblicken noch hinzu: .»Ich glaubte, ich hätte keine Freunde mehr. Wer sind Sie, edler Mann, der noch nicht vergessen hat, daß ich hundertmal mein Leben für Texas und dessen Volk aufs Spiel setzte?«

»Ich bin John Hays, derselbe, welcher Ihre Mulattin Lucy über den Fluß setzte, als sie in der Nacht zu Colonel Jack ritt, um dessen Bruder und Ihnen Hülfe gegen die verdammten Mexicaner, die Sie erschießen wollten, zu verschaffen.

»O Freund Hays, helfen Sie mir auch jetzt! Mit zweitausend Dollars können Sie sich im Westen eine schöne Heimat gründen, wenn man Ihnen hier Ihre edle That mit Undank lohnen wollte«, rief Harry mit aller Gewalt seiner Beredtsamkeit.

»Haben Sie das Geld auch wirklich, Herr

Williams? Sie wissen recht gut, daß meines Bleibens hier nicht länger wäre«, sagte Hays noch zögernd.

»Ich schwöre es Ihnen, Freund, bei Allem, was mir heilig ist; ich zahle Ihnen zweitausend Dollars aus, sobald Sie mich befreit haben. Nun eilen Sie!« antwortete Harry in dringendem Tone.

»So sei es!« versetzte der Posten nach einer augenblicklichen Pause. »Ich will mir einen Schlüssel für diese Thür holen, eine Axt, und komme sogleich zurück.«

Damit sprang er fort, den Häusern zu, welche in einiger Entfernung durch die Dunkelheit zu erkennen waren.

»Du mein Glück, mein Leben, meine Lucy, wie soll ich Dir danken, Du braves, gutes Mädchen!« rief Harry jetzt mit überströmendem Gefühl seiner neu erwachten Hoffnung.

»Ach, Harry, rede nicht von Dank, es ist ja mein eigenes Leben, für das ich handle, für das ich den Schutz des Allmächtigen anrufe. Wenn der Mann nur Wort hält!« antwortete Lucy, sich fest an die Thür anlehnend.

»Er hält Wort«, sagte Harry, sich selbst beruhigend. »Zweitausend Dollars sind für ihn eine große Summe, und außerdem ist er mir zugethan, er wird keine Zeit verlieren, um das Geld zu verdienen.«

»Hast Du Pferde mitgebracht?«

»Den Falben und den Rappen, Geliebter; sie stehen dort unten im Holze. Auch für Lebensmittel habe ich gesorgt«, entgegnete Lucy und kämpfte gegen die Thränen, die ihr die Angst und die freudige Hoffnung in die Augen drängten.

Die Hoffnung sollte aber siegen, denn bald wurden flüchtige Schritte hörbar und Hays kam durch die Dunkelheit herangeeilt. Er trug eine Axt, stellte seine Büchse an das Blockhaus und trat mit den Worten an dessen Thür:

»Da bin ich, Herr Williams. Gehen Sie von der Thür weg, damit Ihnen kein Splitter in die Augen fliegt.«

Dann schwang er die schwere Axt durch die Luft und ließ sie sausend gegen das Thürschloß fliegen, daß es weit durch die Nacht hinschallte. Hieb auf Hieb führte er nun schneller und gewaltiger gegen die starke Pforte, bis sie plötzlich aufflog und Harry aus seinem Kerker hervortrat.

»So, das wäre geschehen. Nun lassen Sie uns schnell abrechnen, Herr Williams«, sagte Hays und zog ihn wieder in das Blockhaus. »Ich habe ein Licht mitgebracht, daß wir sehen können.« Während er nun das Licht anzündete, trat Lucy zu Harry und reichte ihm ein Papier mit Banknoten, welches dieser eiligst öffnete und seinem Befreier die bedungene Summe daraus zuzählte.

»Meinen Dank, Herr Williams!« sagte Hays. »Nun will ich machen, daß ich fortkomme. Auch Sie werden sich wohl nicht länger hier aufhalten!«

»Verkaufen Sie mir Ihre Büchse, Hays«, nahm Harry das Wort, »ich möchte ihrer vielleicht dringend bedürfen.«

»Meinetwegen; für fünfzig Dollars steht sie Ihnen zu Diensten«, antwortete Hays, reichte Harry das Gewehr und seine Kugeltasche hin und empfing das Geld dafür. Dann drückte er Harry die Hand, wünschte ihm eine glückliche Flucht und verschwand eiligst in der dunkeln Ferne, während jener mit der Mulattin dem nahen Gehölz zueilte, wo die Pferde ihrer harrten.

Harry trat schnell zu dem Rappen hin und wollte dessen Zügel von dem Aste lösen, da warf die Mulattin sich schluchzend und unter Freudenthränen an seine Brust, schlang ihre Arme um seinen Nacken und stammelte Worte überwältigender Seligkeit hervor.

»Ja, ja, Du bist mein guter Engel, meine Lucy«, sagte Harry, sie an sich drückend. »Jetzt aber laß' uns eilen, die Minuten sind kostbar.«

Hiermit entwand er sich der Umarmung des wonnetrunkenen Mädchens und schwang sich auf sein Pferd, während Lucy ihre Thränen trocknete und den Falben bestieg. Der anbrechende Tag fand sie schon viele Meilen von Brazoria entfernt, auf einsamem Wege den weiten Prairien des Nordens von Texas zueilend.

Die Nachricht von Harry's Flucht wurde in Brazoria mit großer Freude begrüßt und Niemand fiel es ein, ihn zu verfolgen; dagegen wurde an diesem Morgen die Straße nach dem Gefängnisse nicht leer, man wollte den leeren Käfig, aus welchem der Vogel entflohen war, in Augenschein nehmen, und manches Hurrah für Harry Williams wurde vor der zersprengten Thür des Gefängnisses laut.

Wenige Tage später frischte eine Nachricht von Galveston die Erinnerung an Harry noch einmal unter der Einwohnerschaft von Brazoria auf; man hatte nämlich in der Stadt in dem Wirthshause, in welchem der Spieler Capper sich damals aufgehalten hatte, von dessen sonderbarer Veränderung seiner Kleidung gehört, sie mit dem an Dandon verübten Betrug in Zusammenhang gebracht und somit denselben aufgeklärt. Die Begebenheit erhielt dadurch etwas Komisches, es wurde darüber wie über einen guten Scherz gelacht und Alles wünschte dem genialen, liebenswürdigen Urheber desselben eine glückliche Reise.

Ashmore Williams trat als Dandon's Associé in die Stelle seines Bruders ein und beide Compagnons erschienen mit Albert Randolph vor Gericht und stellten

Freibriefe für ihre von Havanna eingeschmuggelten Sklaven aus. Dieselben verblieben jedoch mit Ausnahme von nur wenigen auf der Plantage am Bernardflusse und arbeiteten dort für einen geringen Lohn.

Dandon blieb noch mehrere Wochen auf der Besitzung, und als er von ihr schied, um sich nach Natchez zurückzubegeben, übernahm es Albert, seine Interessen auf der Plantage zu überwachen und von Zeit zu Zeit persönlich sich Einsicht in den Stand der Dinge dort zu verschaffen.


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