Armand (Friedrich Strubberg)
Saat und Ernte
Armand (Friedrich Strubberg)

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Siebentes Kapitel.

Albert war von den Geschworenen für schuldig erkannt und das Todesurtheil über ihn ausgesprochen worden.

Der Sheriff hatte Albert, nachdem das Urtheil über denselben gefällt war, in einem geschlossenen Wagen nach dem Gefängniß gefahren, auf welchem Wege das Fuhrwerk sich der vielen Menschen halber, welche die Straßen füllten, nur langsam und mit wiederholten Unterbrechungen hatte vorwärts bewegen können. Dessenungeachtet war kein Laut, kein Hurrah, keine Verwünschung unter dem Volke hörbar geworden, denn die Verurtheilung des gefeierten, geehrten Randolph war noch Jedermann so unglaublich, daß selbst seine Feinde wie betäubt verstummten. Die äußere Ruhe aber, die auf der Einwohnerschaft lag, war eine Ruhe, eine Stille, wie sie einem Sturm vorauszugehen pflegt. Alle Gemüther waren in großer Aufregung und an allen Orten, in allen

Kreisen der Gesellschaft war von nichts Anderem als von Albert Randolph die Rede. Die zwei Parteien, die sich von Anfang des Processes für und gegen ihn gebildet hatten, traten schon an diesem Abend bestimmter auf, die eine von dem Staatsprocurator, die andere von Portman geführt, und beide hielten an diesem Abend geheime Berathungen, die bis spät in die Nacht hinein dauerten.

Auch am folgenden Tage herrschte dieselbe unheimliche Ruhe; die Freunde sowohl wie die Feinde Albert's trugen möglichste Gleichgültigkeit gegen ihn zur Schau, und doch sah man allen die Geschäftigkeit, das hohe Interesse an, womit sie im Stillen ihre Zwecke verfolgten. Unzählige Gerüchte und Vermuthungen gingen durch die Stadt, in welcher Weise die Freunde des Verurtheilten demselben zu Hülfe kommen und ihn retten wollten, und Befürchtungen wurden vielseitig rege, daß es um seinetwillen zu ernsten, vielleicht blutigen Auftritten kommen würde.

Zehn Tage war die Lebensfrist, welche das Gesetz Albert noch nach seiner Verurtheilung gestattete und während welcher es ihm auch in seiner Zelle die Befriedigung jedes Wunsches erlaubte, wenn dieselbe die Vollstreckung des über ihn gesprochenen Urtheils nicht gefährdete. Zu dieser Vergünstigung gehörte namentlich die

Erlaubniß, Besuche zu empfangen. Es durfte Jedermann, den Albert sehen wollte, zu ihm eintreten und sich im Beisein des Gefangenwärters bei ihm aufhalten; ebenso mußten ihm alle Sendungen an Speise und Trank, womit seine Freunde ihn schon am Tage nach seiner Verurtheilung überhäuften, verabreicht werden. Auch durfte er Briefe, freilich nur unversiegelte, empfangen und absenden.

Der erste Freund, der sich am Morgen nach seiner Verhaftung bei ihm anmelden ließ, war der alte Portman. Albert öffnete ihm selbst die Thür seiner Zelle und reichte ihm schweigend die Hand, Portman aber schlang seinen Arm um ihn und preßte ihn an seine Brust. Dem alten Manne fehlten gleichfalls für den Augenblick die Worte, seinen Jammer, seinen Schmerz auszusprechen, Thränen füllten seine Augen und seine Athemzüge erbebten unter der Last des Wehs, das sein Herz erfüllte. Der Druck seiner Hand aber war fest und entschlossen, als wolle er Albert damit sagen, daß er ihn seinem Verhängniß noch nicht überlassen werde.

Sie hatten sich zusammen auf das Bett gesetzt und der Wärter war an das Fenster getreten und schaute zwischen den starken Eisenstäben hinab in den Hof, der das Haus umgab.

»Muth, junger Mann, noch lebt ein gerechter Gott über uns und noch leben Ihre Freunde!« flüsterte der

Alte dem Gefangenen kaum hörbar zu und sah ihm mit aufleuchtendem Blick in die Augen; Albert aber schüttelte wehmüthig das Haupt, und dem biedern Manne die Hand drückend, sagte er:

»Dank, Dank, lieber Herr Portman! Meine Hoffnung ist auf eine bessere Welt gesetzt.«

»Nicht doch, Randolph. Die Zahl Ihrer Freunde wächst von Stunde zu Stunde, der Gedanke, daß Sie unschuldig sind und daß das Recht mit Füßen getreten wurde, um Sie persönlichen Interessen zu opfern, greift um sich. Dem Unrecht wird man Gewalt entgegensetzen; wir werden Sie retten!« flüsterte Portman abermals seinem unglücklichen Freunde zu, doch die Hoffnung hatte Albert verlassen, er drückte dem Alten die Hand, schüttelte wieder das Haupt und richtete seinen Blick nach oben. Dann sagte er mit matter, tonloser Stimme:

»Das Schicksal hat es mir nicht vergönnen wollen, Ihnen, meinem väterlichen, besten Freunde, meinen Dank für Ihre Liebe und Freundschaft durch die That zu beweisen. Ich muß als Ihr großer Schuldner aus dieser Welt gehen, und dennoch habe ich noch eine dringende Bitte an Sie.«

Dabei sah Albert durch die Thränen, die seine Augen füllten, zu Portman auf, dieser aber erfaßte seine Rechte mit beiden Händen und flüsterte ihm tief ergriffen zu: »Ermannen Sie sich. Randolph, und verlassen Sie sich auf mich und meine Freunde; wir alle setzen unser Leben für das Ihrige ein. Sagen Sie mir jetzt, was wünschen Sie, daß ich für Sie thun soll?«

»An meinen guten, braven Vater schreiben und ihn überzeugen, daß ich seiner nie mit einer Handlung, mit einem Gedanken unwürdig war! Ich selbst habe ihm vorgestern Abend geschrieben, meine Worte aber waren auf meine Unschuld gestützt; ich sagte ihm, daß ich über meine Feinde siegen und rein und fleckenlos vor der Welt dastehen würde. O Gott, nun bin ich ein verurtheilter Verbrecher!«

Bei diesen Worten sank Albert in sich zusammen und barg das Antlitz in seinen Händen.

»Die Zeit, Randolph, wird Ihre Unschuld darthun und die Verbrecher entlarven«, nahm Portman wieder tröstend das Wort und redete ihm immer wieder Hoffnung und Muth ein, indem er ihm die angesehensten, einflußreichsten Männer der Stadt als seine Freunde bezeichnete, die in dem festen Glauben an seine Unschuld Alles daran setzen würden, ihn zu retten.

»Nun will ich an Ihren Vater schreiben und ihm sagen, daß der alte Portman Sie hochachtet und verehrt und Ihr Leben mit dem seinigen schützen wird«, sagte der Alte dann sich erhebend, drückte Albert mit einem ermuthigenden Blick nochmals die Hand und verließ eilig die Zelle.

Die Sonne versank und die Dunkelheit der Nacht hatte sich über die Stadt gelegt, als Blancha ihren Shawl über den Kopf hing und von Susanna gefolgt ihre Wohnung verließ. Mit entschlossenen eiligen Schritten ging sie über den Platz nach Newberry's Haus und zog dort die Thürschelle.

»Ist Mac-Coor da?« fragte sie heftig bewegt mit bebender Stimme, als Madame Newberry ihr die Thür öffnete.

»Noch nicht, beste Blancha;, er wird aber kommen«, entgegnete diese und geleitete sie in das Zimmer.

»Wird er auch sicher kommen? Ich muß und will ihn sprechen«, nahm Blancha abermals das Wort.

»Ganz sicher. Er hat es meinem Manne versprochen«, antwortete die Frau.

»Wenn er kommt, beste Newberry, so lassen Sie mich mit ihm allein, damit man Ihnen kein Zeugniß über meine Unterhaltung mit ihm abfordern kann.«

»Gern thue ich, was Sie wünschen, gute Blancha; es schaudert mir aber, Sie mit diesem Menschen allein zu wissen. Seien Sie vorsichtig mit ihm, er könnte Ihr

Vertrauen mißbrauchen und Sie und Herrn Randolph verrathen.«

»Nein, nein, gute Newberry. Auch der böseste Mensch thut gern etwas Gutes, wenn es ihm ebenso viel einbringt als das Böse; es ist eine Wohlthat, eine Beruhigung für sein Gewissen. Der Allmächtige hat mich mit dem Glück gesegnet, leicht Eingang in den Herzen der Menschen zu finden; ich will dieses harte, verstockte Sünderherz erweichen, es soll sich mitleidig meinen Bitten öffnen und sein Blut freudig für das Leben meines Albert einsetzen. Sie werden es sehen, beste Newberry, dieser feile Mörder, dieser Mac-Coor ist noch tausendmal besser als diese herzlosen Menschen, die Albert verdammten!«

Da erklang die Schelle. Blancha preßte erschrocken beide Hände auf ihr Herz und die Frau sah ängstlich nach der Thür; es war aber nur ein Augenblick des Zögerns, dann schritt Blancha rasch in den Corridor hinaus und öffnete die Hausthür.

Wie vor dem Manne, der hereintrat, fliehend, eilte sie in die Stube zurück und blieb, sich nach ihm umsehend, erst vor dem Kamin stehen.

Ein nicht sehr großer, muskulös gebauter junger Mann mit glänzend schwarzem Lockenhaar und tief dunkeln Augen trat im schwarzen Frack in den Eingang des

Zimmers und verneigte sich ehrerbietig mit den Worten: »Die Damen wollen entschuldigen, wenn ich störe. Herr Newberry aber ließ mich um diese Zeit hierher entbieten und Pünktlichkeit ist meine Gewohnheit.«

»Ich, Blancha Dandon, bin es, Herr Mac-Coor, die Sie bitten ließ, hierher, zu kommen, und ich danke Ihnen dafür, daß Sie meinen Wunsch erfüllten«, sagte Blancha mit freundlichem Tone und ging dem jungen Manne einige Schritte entgegen. »Treten Sie näher und nehmen Sie Platz!« fuhr sie dann fort, indem sie auf den Armstuhl neben dem Kamin zeigte und sich demselben gegenüber in einen Sessel niederließ. Zugleich winkte sie mit den Augen ihrer Freundin zu, welche noch zögernd an der Thür stand, und als dieselbe darauf das Zimmer verließ, hob sie zu Mac-Coor gewandt wieder an:

»Setzen Sie sich, Herr Mac-Coor, ich habe eine Bitte an Sie zu richten.«

Mac-Coor aber blieb in seiner Stellung neben dem Armstuhl, auf dessen Lehne er seinen linken Arm stützte, stehen und sagte:

»Es ist nicht schwer, diese Bitte zu errathen, Fräulein. Ich war im Gerichtshaus, als Sie für Herrn Randolph vor die Schranken traten.«

Blancha erfaßte es eiskalt und vergebens rang sie nach Worten. Mac-Coor aber kam ihr zu Hülfe, indem er fortfuhr:

»Es ist der schmählichste Mord, den man an Herrn Randolph begehen will. Er ist ein Ehrenmann und das Opfer des elendesten Brodneids. Die beiden Zeugen, welche aussagten, ihn mit der Mulattin am Flusse gesehen zu haben, waren falsch und durch einen hiesigen Advocaten erkauft, denselben, der mich zu gleicher Aussage dingen wollte. Ich wies seinen Antrag zurück, obgleich er ein hohes Gebot that.«

»Gerechter Gott! dann steht es ja in Ihrer Macht, das über Herrn Randolph gefällte Urtheil umzustoßen und seine Unschuld an den Tag zu bringen«, fiel ihm Blancha heftig in das Wort und streckte ihm ihre beiden Hände bittend entgegen.

»Das scheint so, Fräulein, und doch könnte es zu nichts führen. Der Advocat würde es ableugnen, da keine dritte Person sein Anerbieten mit anhörte, und außerdem hat er Mittel in Händen, um meine Glaubwürdigkeit mit Erfolg in Abrede zu stellen. Ich darf nicht gegen ihn auftreten.«

»So sagen Sie mir, liegt es in Ihrer Macht, Herrn Randolph durch List oder durch Gewalt zu befreien, zu retten? Sie wurden mir genannt als ein Mann, der vor keinem Unternehmen zurückschrecke. Ich besitze die Mittel, Sie zu belohnen«, sagte Blancha entschlossen.

»Gewalt würde sofort seinen sichern Untergang nach sich ziehen. Man spricht von einem solchen Vorhaben seiner Freunde; bei dem ersten Versuch aber, ihn gewaltsam zu befreien, wird man ihn im Gefängniß tödten und einen Aufstand dadurch im Aufkeimen ersticken. Es sind hierzu bereits die nöthigen Vorkehrungen getroffen und Aufträge gegeben worden. List und Geld allein sind die Mittel, womit man es wagen darf, ihm zu Hülfe zu kommen«, entgegnete Mac-Coor und sah, die Rechte langsam in den Busen schiebend, sinnend vor sich nieder.

»Das Geld dazu ist in meiner Hand und um Ihre Hülfe flehe ich Sie an«, sagte Blancha sich erhebend und trat, ihre Hände vor ihrer Brust faltend, dicht vor den gefürchteten Mann. »Sie thun ein gutes, ein edles Werk, ein Werk der Barmherzigkeit, für das der Allmächtige Ihnen seinen Segen nicht versagen wird. Helfen Sie, Herr Mac-Coor, auch mir werden Sie dadurch das Leben erhalten!«

»So wäre es möglich«, sagte dieser nach einer Weile noch immer in Gedanken versunken und fuhr dann, seine dunkeln Augen auf Blancha heftend, fort: »Ich bin bereit, Fräulein, das Unternehmen zu wagen, und hoffe, es wird gelingen, Sie selbst aber müssen mir dabei behülflich sein.«

»Mit Gefahr meines Lebens werde ich Alles wagen.

Was soll ich thun?« antwortete Blancha mit aufstrahlendem Blick.

»Ich habe oftmals eine Negerin Ihnen folgen sehen, ist sie treu und können Sie sich auf sie verlassen?«

»Unbedingt. Sie ist hier im Hause«, entgegnete Blancha rasch.

»Bitte, lassen Sie dieselbe hereinkommen, ich möchte sie nur einen Augenblick sehen«, sagte Mac-Coor mit einer Verneigung, worauf Blancha die Schelle zog und der eintretenden Dienerin auftrug, Susanna in das Zimmer zu senden. Wenige Augenblicke nachher erschien die Negerin, Mac-Coor trat neben sie, maß sie mit den Augen und hieß sie dann sich wieder entfernen. Darauf wandte er sich abermals zu Blancha und sagte:

»Sie ist beinahe so groß wie ich und wird ganz meinem Zweck entsprechen. Es ist Ihnen bekannt, Fräulein, daß es Ihnen frei steht, Herrn Randolph in seiner Haft zu besuchen. Machen Sie von diesem Rechte morgen und übermorgen Gebrauch und zwar gegen Abend und nehmen Sie die Negerin mit in seine Zelle. Lassen Sie sie dabei einen Sonnenhut mit langem Schirm aufsetzen, damit möglichst wenig von ihrem Gesicht zu sehen ist, und versorgen Sie dieselbe mit einem recht großen Tuche. Man gestattet Ihnen vorzugsweise gern den Eintritt zu dem Gefangenen. Dessen Wärter wird schon von selbst, sicher aber auf Ihren Wunsch das Zimmer verlassen und durchaus nicht unwillig sein, zur Belohnung dafür einige Goldstücke von Ihnen beim Abschied zu empfangen. Auch den andern Wärtern, welche die Thüren für Sie öffnen, lassen Sie eine solche Belohnung zukommen. Auf dem Rückweg bitte ich dann mir hier im Hause, wo ich Sie erwarten werde, eine Unterredung zu gestatten. Ich hege die beste Hoffnung für das Gelingen des Unternehmens und erlaube mir nun auch die Frage, Fräulein, wie viel die Freiheit und Sicherheit des Herrn Randolph Ihnen werth sein wird.« Bei diesen letzten Worten machte Mac-Coor eine höfliche Verbeugung und setzte noch hinzu: »Ich wage meine eigene Freiheit und Sicherheit.«

»Einen Preis kann ich nicht dafür bestimmen, Herr Mac-Coor. Nennen Sie ihn selbst, hoffentlich werde ich im Stande sein, ihn zu zahlen«, entgegnete Blancha mit einem bittenden Blick.

»Für die Bemühungen, Herrn Randolph dem Tode zu weihen, erhielt der Advocat Rammon zehntausend Dollars; ich denke, die Rettung vom Tode wird ebenso viel werth sein«, versetze Mac-Coor leichthin.

»Ich verbürge mich mit meinem Worte, mit meiner Ehre, Herr Mac-Coor, Ihnen diesen Betrag auszuzahlen, sobald Herr Randolph in Sicherheit ist«, antwortete Blancha, in wachsender Hoffnung tief aufathmend, und setzte sehr bewegt noch hinzu: »Auf meine Dankbarkeit aber dürfen Sie rechnen, solange ich lebe!«

»Und ich werde mir Ihren Dank verdienen, Fräulein. Ich will Herrn Randolph retten oder mit ihm untergehen. Es ist nicht oft, daß meine Hülfe zu einer guten That gesucht wird«, sagte Mac-Coor und gab Blancha nun noch mancherlei Winke, wie sie sich bei ihren Besuchen in dem Gefängniß verhalten solle. »Nun muß ich aber gehen und meine Freunde aufsuchen für den Fall, daß ich ihrer bedürfen sollte«, versetzte er schließlich, verneigte sich ehrerbietig und entfernte sich mit dem Versprechen, am folgenden Abend sich wieder hier einzufinden.

Erst nach Mitternacht suchte Blancha das in vergangener Nacht nicht von ihr berührte Lager, geistig und körperlich erschöpft sank sie darauf nieder, doch die Bilder, die ihr die aufgekeimte Hoffnung vorspiegelte, wurden immer freundlicher und bald führte sie der mitleidige Schlaf im Traume an das Herz des Geliebten.

Lange Zeit hatte am folgenden Morgen Susanna an dem Lager ihrer Herrin gestanden und die glückliche Ruhe auf deren bleichem Antlitz hatte ihre Augen mit Thränen gefüllt; es war ja nur ein Traum, der diese Ruhe hervorbrachte, und mit Bangen harrte die treue

Dienerin des Augenblicks, wo ihre Herrin erwachen und die gräßliche Wirklichkeit wieder vor sich sehen würde. Jetzt trat Susanna zurück, denn Blancha bewegte sich und schlug die Augen auf. Kaum aber war sie vollständig erwacht, als sie ihr Antlitz in dem Kissen verbarg und bitterlich zu weinen begann.

»Weinen Sie nicht, Fräulein; hoffen Sie, daß noch Alles gut werden wird. Der Allmächtige steht Ihnen sicher bei«, sagte die Sklavin, ihre eigenen Thränen bezwingend, und neigte sich zu ihrer Herrin nieder, diese aber trocknete ihre Augen und erhob sich schnell von ihrem Lager. Die machtlose Ergebung in ihr namenloses Unglück, welche sie beim ersten Erwachen übermannte, wich vor der Hoffnung, die Mac-Coor in ihr belebt hatte, und der Gedanke, daß sie an diesem Abend selbst den Geliebten wiedersehen, selbst schon etwas für seine Rettung thun solle, richtete sie auf und fachte ihre Willens-, ihre Lebenskraft von neuem an. Bedenklichkeiten, Rücksichten gab es auf dem Wege zu diesem Ziele nicht mehr für sie, und selbst die Möglichkeit, daß ihr Vater ihr hindernd entgegentreten könne, schreckte sie nicht, da sie entschlossen war, äußersten Falls von seiner Gewalt sich loszusagen.

Nach beendigtem Frühstück, als Susanna das Zimmer verlassen hatte, verschloß Blancha die Thür und

öffnete dann in ihrem Secretär ein geheimes Fach, dessen Vorhandensein nur ihr selbst bekannt war. Sie nahm viele Werthpapiere aus demselben hervor, unter denen sich auch die zwanzigtausend Dollars befanden, welche Albert ihrem Vater gerettet und dieser ihr zum Geschenk gemacht hatte. Außerdem enthielten die Papiere kleinere Kapitalien, welche Blancha von ihren seligen Mutter geerbt hatte, und dann auch die von ihrer Zinsen zurückgelegten eigenen Ersparnisse. Obige zwanzigtausend Dollars, welche in städtischen Obligationen bestanden, verbarg Blancha in ihrem Kleide, legte die andern Papiere wieder in das geheime Fach und verschloß den Secretär.

Sie hatte dabei fortwährend das Haus des Herrn Newberry bewacht, weil die Zeit sich nahte, wo derselbe sich gewöhnlich nach seinem Geschäftslokal begab, denn sie wünschte ihn vorher noch zu sprechen. Schnell setzte sie nun ihren Hut auf, warf einen leichten Seidenshawl um und eilte hinüber zu Newberry, dem sie in dem Augenblick, als dieser das Haus verlassen wollte, begegnete.

»Ich habe eine Bitte an Sie, Herr Newberry«, sagte sie, indem er sie in das Zimmer geleitete. »Sie sollen mir die zwanzigtausend Dollars städtische Obligationen, welche Sie die Güte hatten, mir damals anzuschaffen, als mein Vater mir das Kapital schenkte, in

Banknoten umsetzen. Ich werde, wie Sie wissen, hoffentlich das baare Geld bald nöthig haben.«

»Gott gebe, daß Sie desselben bedürfen«, entgegnete Newberry. »Es sind aber doch nur zehntausend Dollars, die dieser Mac-Coor für die Befreiung des Herrn Randolph verlangt?«

»Ganz recht. Doch wenn der Himmel mir dabei gnädig ist, so werde ich das übrige Geld auch gebrauchen«, fuhr Blancha tief bewegt fort. »Wechseln Sie mir die ganze Summe in Noten zu fünfhundert Dollars um, nur eine Note lassen Sie sich in kleinem Gelde geben.«

Während Blancha dies sagte, zog sie die Papiere aus ihrem Kleid hervor, entfaltete sie und zählte sie Herrn Newberry zu.

»Mögen sie die ersehnten Zinsen tragen, dann wird nie ein Kapital besser angelegt sein; Gott gebe seinen Segen dazu!« sagte Newberry mit innigster Theilnahme und verbarg die Papiere in seinem Rock. Dann fuhr er fort: »Wo soll ich Ihnen das Geld aushändigen?«

»Ich werde es gegen Abend hier selbst abholen«, entgegnete Blancha, worauf Newberry sich auf den Weg machte, um den Auftrag auszuführen, jene aber zu dessen Frau in das Erdgeschoß ging, wo dieselbe mit häuslichen Obliegenheiten beschäftigt war.

Nach kurzer Besprechung mit Madame Newberry, wobei letztere die Hoffnung Blancha's mit allen ihr zu Gebote stehenden tröstlichen Worten zu beleben suchte, verließ diese das Haus und begab sich nach Portman's Wohnung.

Die schwarze Dienerin, welche ihr die Thür öffnete, geleitete sie in das Empfangszimmer und entfernte sich dann, um sie bei ihrem Herrn zu melden.

Blancha war heftig ergriffen; der Augenblick vor den Schranken in dem Gerichtsgebäude, wo sie Portman zuletzt gesehen hatte, stand mit seiner ganzen stürmischen Aufregung wieder lebendig vor ihrer Seele, sie bebte und wankte und ließ sich in einen Armsessel niedersinken. Es war ihr so beklommen, so eng um das Herz, mit angehaltenem Athem lauschte sie durch die sie umgebende Stille nach dem Tritte des alten Herrn, und doch mußte sie ihn sehen, mußte ihm ihr Herz ausschütten und mit ihm über die Rettung des Geliebten reden. Er kam immer noch nicht. Sollte er sie nicht sehen wollen? dachte Blancha und erhob sich wieder aus dem Stuhl. Sie mußte ihn sprechen! Da hörte sie langsame Schritte durch den Corridor herankommen und gleich darauf trat Portman in den Salon.

»Mein Gott! Sie, verehrtes Fräulein!« sagte er fast erschrocken. »Die Negerin hat mir einen verkehrten

Namen genannt; wie kann ich mich entschuldigen, daß ich Sie habe warten lassen?«

»Keine Entschuldigung, Sie edler braver Mann; helfen Sie mir lieber Worte finden, um Ihnen meinen Dank, meinen heißesten Dank für Ihre Hochherzigkeit, Ihren Edelsinn auszusprechen, mit denen Sie sich meines unglücklichen Geliebten angenommen haben!« rief Blancha ihn unterbrechend, ergriff seine Hand und preßte, noch ehe er es verhindern konnte, ihre Lippen auf dieselbe, während ihre Thränen sie benetzten.

»Ruhig, ruhig, Sie edles Mädchen, noch ist nicht Alles verloren«, sagte Portman tief ergriffen, indem er ihr seine Hand entzog, seinen Arm zärtlich um ihre Schultern legte und sie nach dem Armsessel führte.

»Herrn Randolph's Freunde mehren sich von Stunde zu Stunde«, fuhr der alte Herr fort, indem er sich auf einem Stuhl neben Blancha niederließ. »Die Ueberzeugung von seiner Unschuld geht wie ein Lauffeuer von Haus zu Haus und seine Feinde werden es kaum wagen, uns entgegen zu treten, wenn wir mit Gewalt seine Freiheit fordern.«

»Um Gotteswillen nicht!« rief Blancha erbleichend und erfaßte mit beißen Händen die Rechte Portman's. »Man wird ihn bei dem ersten derartigen Versuch in seinem

Kerker tödten. Die Weisungen dazu sind bereits gegeben. Um des Himmels willen keine Gewalt!«

Portman erschrak sichtbar und verstummte, seinen Blick auf Blancha heftend, für einige Sekunden, dann sagte er rasch:

»Das kann nicht sein, Fräulein. Von wem erhielten Sie diese Kunde?«

Blancha fuhr zusammen, sie schaute erröthend vor sich nieder und schwieg, Portman aber, der bemerkte, daß sie die Quelle nicht zu nennen wünschte, aus welcher ihr die Nachricht zugekommen war, fuhr beruhigter fort:

»Nein, nein, das ist ja nicht möglich. Das Gesetz selbst kann ja keinen Mord begehen und würde es doch thun, indem es dem Verurtheilten die Lebensfrist abkürzte, die es ihm gestatten muß. Bauen Sie auf mich, Fräulein. Sie sollen sehen, es geht Alles gut.«

»Nein doch, verehrter Herr Portman, es wird nicht gut gehen, wenn man Gewalt gebrauchen will«, fiel ihm Blancha außer sich in das Wort. Man wird Herrn Randolph tödten. Mac-Coor hat es mir gesagt!«

»Mac-Coor?« stieß Portman zurückfahrend aus. »Mac-Coor, der Bandit?«

»Ja, Herr Portman. An den Banditen habe ich mich gewandt, um das Leben des Geliebten gegen Mörder zu schützen!« rief Blancha entschlossen, und wie

Wetterleuchten blitzten Ihre Augen dem Alten entgegen.

»Dann haben Sie ihre eigene Sicherheit in die Hand des gefährlichsten Menschen gelegt. Mac-Coor wird Sie an die Feinde Randolph's verrathen«, versetzte Portman ängstlich.

»Das wird er nicht, mein Gold wiegt so schwer wie das unserer Feinde und eine gute That ist leichter gethan als eine böse. Mac-Coor will Randolph retten oder mit ihm untergehen!« entgegnete Blancha begeistert und theilte Portman nun mit, was der Bandit ihr aufgetragen hatte, zu thun.

Portman schwieg und schaute sinnend vor sich hin, nach einer Weile aber sagte er:

»Es wäre nicht unmöglich, daß dieser Mensch es ehrlich meinte, und nicht unmöglich, daß er sein Versprechen ausführte; er ist einer der gewandtesten Gauner, denen ich im Leben begegnet bin.«

»So stören Sie ihn in dem Versuche nicht; die Gewalt bleibt ja immer noch ein letztes Mittel«, bat Blancha, indem sie die Hand des Alten ergriff.

»Freilich, freilich, es wäre so besser für den Fall, daß man solche Vorkehrungen gegen eine gewaltsame Befreiung Randolph's getroffen hätte. Dieser Mac-Coor weiß mehr als andere Leute«, versetzte Portman, wie zu einem Entschluß kommend, und nach einigen Augenblicken fuhr er entschlossen fort:

»So steht unsere Hoffnung nun auf zwei Stützen. Gebe der Himmel, daß das gute Werk durch Ihre Vermittlung gekrönt werde!«

Dann rieth er Blancha noch, Niemand weiter in das Geheimniß zu ziehen, und versicherte ihr, daß er für den Nothfall mehr wie hinreichend Freunde stellen werde, um die Befreiung Randolph's durchzusetzen.

Mit neuer Hoffnung belebt, verließ Blancha unter Thränen des Dankes den treuen väterlichen Freund ihres Albert und kehrte nach Hause zurück, um dort in Sehnsucht und Bangen die Stunden bis zum Wiedersehen des Geliebten ihrer Seele zu verbringen. Endlich, endlich neigte sich der Tag und die Sonne stand nahe über dem endlosen Urwalde an der Westseite des Mississippi, als Blancha in Schwarz gekleidet und von Susanna gefolgt über den Platz nach Newberry's Wohnung eilte. Herr Newberry harrte ihrer bereits mit dem Gelde, welches er für sie eingewechselt hatte, und überreichte es ihr mit dem nochmaligen Wunsche, daß es segensreiche Zinsen tragen möchte. Blancha empfing es dankend, verbarg es in ihrem Kleide und bat dann Herrn Newberry, einen verschlossenen Wagen für sie kommen zu lassen, der sie nach dem Gefängniß bringen solle. Während der freundliche Mann sogleich selbst davoneilte, um ihren Wunsch zu erfüllen, suchte Madame Newberry ihr Muth für die Ausführung ihrer Aufgabe einzuflößen und erklärte, daß sie selbst mit ihrem Gemahl Blancha bis nach dem Gefängnisse begleiten werde, um ihr dort behülflich zu sein, ohne Schwierigkeiten Einlaß zu bekommen. Herr Newberry, sagte sie, wäre persönlich mit dem ersten Beamten des Hauses bekannt.

Bald darauf kam Newberry mit dem Wagen vorgefahren, die beiden Damen nahmen mit ihm darin Platz, Susanna setzte sich zu dem schwarzen Kutscher auf den Bock und fort ging es in gestrecktem Trabe durch die Stadt dem Gefängnisse zu.

An dem Thore angelangt, welches durch die hohe Mauer in den großen Hof führte, der das Gefangenhaus rund umgab, verließ Herr Newberry den Wagen, zog die Schelle und bat den Wächter, der die kleine Pforte öffnete, er möge den Inspector Huskin in seinem Namen bitten, auf einige Augenblicke zu ihm zu kommen. Der Wächter schloß den Eingang wieder, und kurze Zeit darauf erschien der Inspector. Aus der Pforte tretend, erkannte er sogleich Newberry und sagte freundlich:

»Ah, Herr Newberry! Wie komme ich zu dieser Ehre?«

»Es ist nicht für mich, bester Herr Huskin, daß ich Ihre Güte in Anspruch nehme; es ist für eine Dame, der Sie sicher gern eine Gefälligkeit erzeigen werden«, entgegnete Newberry, den Mann begrüßend, und drückte ihm mit Herzlichkeit die Hand.

»Für eine Dame?« wiederholte dieser, indem er seinen Blick auf den verschlossenen Wagen richtete. »Womit kann ich denn derselben dienen?«

»Der Name wird es Ihnen schon sagen«, fuhr Newberry fort. »Es ist Fräulein Blancha Dandon, die sich mit einer Bitte an Sie wendet.«

»Fräulein Dandon?« versetzte Huskin überrascht. »Wohl weiß ich es, weshalb sie hierher kommt. Wer wollte ihr nicht gern gefällig sein!«

Hier schwieg der Inspector einen Augenblick und sagte dann:

»Es ist zwar gegen Vorschrift, nach Sonnenuntergang noch Besuch zu dem Verurtheilten einzulassen, mit Fräulein Dandon aber wird man sich wohl eine Ausnahme erlauben dürfen. Offen gesagt, bei hellem Tage, wo viele Menschen hier ein und aus gehen, würde es nicht einmal ganz passend für die junge Dame sein, einzutreten.«

Bei diesen Worten schritt der artige Mann an den Wagenschlag, öffnete denselben und sagte, sich ehrerbietig verneigend:

»Gern, hochgeehrtes Fräulein, erfülle ich Ihren Wunsch, obgleich meine Dienstpflicht es mir eigentlich nach Sonnenuntergang untersagt. Ich halte es als Christ für meine Pflicht, dies Werk der Liebe zu unterstützen.«

Hiermit reichte er Blancha die Hand und war ihr behülflich, den Wagen zu verlassen, während Madame Newberry ihr folgte und sich im Aussteigen die Augen trocknete.

»Der Allmächtige wird Sie mit seiner Barmherzigkeit, seinem Segen dafür belohnen«, sagte Blancha, ihre Thränen bekämpfend, zu dem Manne und legte ihre gefalteten Hände aufs Herz. Dann fuhr sie in bittendem Tone fort:

»Meine Dienerin Susanna darf mich wohl begleiten und mit mir bei Herrn Randolph eintreten?«

»Natürlich darf sie das, Fräulein. Wollte Gott, ich könnte Ihnen mehr gewähren als dieses!« sagte Huskin tief bewegt und begegnete dem dankstrahlenden Blick des unglücklichen Mädchens.

»Soll der Wagen Sie hier erwarten, Fräulein?« fragte Newberry.

»Ach nein, Susanna ist ja bei mir, ich gehe lieber zu Fuße nach Hause«, entgegnete Blancha, drückte dann ihrer Freundin zum Abschied die Hand, grüßte deren

Gatten und wandte sich nun der Pforte zu, durch welche sie, von Susanne gefolgt, mit dem Inspector eintrat.

Es war düster geworden; öde und still lag der weite Hof um das Gebäude, an dessen Fenstern Blancha's Blick suchend hin und her schweifte und vor denen sie schaudernd die starken Eisenstäbe erkannte. Da schritt der wachthabende Posten mit der Büchse im Arm auf seinem Rundgang um das Gefängniß hinter dessen Seite hervor und Blancha verhüllte schnell ihr Gesicht mit dem Schleier.

Bebenden Schritts ging sie neben dem Inspector her. Bald hörte sie das Pochen ihres eigenen Herzens, bald setzte dasselbe seine Schläge aus, der Athem stockte in ihrer Brust und es war ihr, als müsse sie zusammensinken; im nächsten Augenblick aber durchströmte sie wieder neue Kraft bei dem Gedanken an das nahe Wiedersehen des Geliebten und sie hätte die Schritte des Mannes an ihrer Seite beflügeln mögen.

Der Eingang war erreicht, die starke Thür öffnete sich und Huskin ließ mit einer Verbeugung Blancha vor sich eintreten, dann wandte er sich ihr folgend zu dem Thürwächter und sagte, auf die hinter ihm gehende Susanna zeigend:

»Untersuchung ist bei dieser nicht nöthig, sie ist F"raulein Dandon's Dienerin.«

Hierauf geleitete er Blancha nach dem ersten Stock, zog derb an der verschlossenen Gangthür die Schelle und gab dem sie öffnenden Thürwächter eine gleiche Weisung in Bezug auf die Negerin. Auch im zweiten Stock, wohin er Blancha führte, überhob er den Wärter der Verpflichtung, die Dienerin zu untersuchen, ob sie irgendwelche unerlaubte Gegenstände bei sich trage, und schritt nun in dem langen Corridor voran bis an eine schwer mit Eisen beschlagene Thür. Hier blieb er mit dem Wärter stehen, wandte sich zu Blancha und sagte:

»Dies ist die Zelle des Herrn Randolph, Fräulein. Wünschen Sie bei ihm angemeldet zu werden?«

»Nein, ich danke sehr. Ich will mich selbst anmelden«, entgegnete Blancha mit bebender Stimme, indem sie zitternd den Thürgriff erfaßte. »Vorher aber sage ich Ihnen, verehrter Herr, für die Barmherzigkeit, die Sie an mir üben, meinen tiefinnigsten, heißesten Dank.«

»Ist keines Dankes werth, Fräulein; ich that nicht mehr als Menschenpflicht. Sollten Sie heute oder später noch meiner Dienste bedürfen, so bitte ich mich durch den Wärter benachrichtigen zu lassen.«

Hierbei verneigte sich der Inspector, sagte dann dem Diener leise einige Worte und ging nun eilig in dem Corridor zurück, während Blancha mit zitternder Hand die Thür der Zelle öffnete.

Albert stand in der Fenstervertiefung, mit der Schulter gegen den Fensterrahmen gelehnt, seine gefalteten Hände hingen vor ihm herab, sein Haupt war hintenüber an die Wand gesunken und sein Blick folgte den Wolken, die eilig über ihm am Himmel da hinzogen. Da hörte er die Thür sich öffnen und erwartete den Wärter hereinschreiten zu hören, der Tritt aber war ein fast lautloser, Albert sah sich nach der Thür um, trotz des Düsters der hereinbrechenden Nacht erkannte er eine Frauengestalt, die die Arme ausbreitete – »Blancha, Blancha!« rief er mit einem herzzerreißenden, halberstickten Schrei und hielt die Geliebte in seinen Armen, an seinem Herzen.

Es war ein Augenblick höchster Seligkeit und tiefster Verzweiflung, und hätte selbst ein qualvoller Tod sie jetzt erfaßt, so wären sie glücklich gestorben. Kein Wort, kein Laut kam über ihre Lippen, ihre Thränen flossen ungehindert, und nur das leise Schluchzen der treuen Susanna, welche die Thür hinter sich geschlossen hatte, unterbrach die Stille. Lange Zeit standen sie so einander fest umschlingend da, die unglücklichen Liebenden, ohne ihrem Schmerze Worte zu geben, und der letzte Tagesschein war verblichen, als Blancha zuerst das Schwelgen brach und sagte:

»Ich bringe Dir Hoffnung, Albert!«

Dieser aber schwieg und schloß, das Haupt schüttelnd, Blancha's Mund mit seinen Lippen.

»Doch, doch, Albert. Ich hoffe ja selbst; laß mich Dir sagen, worauf«, hob Blancha wieder an; da klopfte es leise an die Thür, und indem dieselbe sich ein wenig öffnete, drang ein heller Lichtstrahl in das kleine Zimmer. Albert trat rasch hinaus, empfing von dem Wärter eine brennende Lampe und trug sie herein auf den Tisch.

Susanne hatte abermals die Thür zugedrückt, während Blancha ihren Arm um den Geliebten schlang und sich mit ihm auf der Bank neben dem Tische niederließ.

»Nun höre, mein Albert, worauf sich meine Hoffnung gründet«, hob Blancha wieder an, indem sie ihre Thränen zu bemeistern suchte. »Ich habe mir den Beistand eines Mannes gewonnen, dessen Name Dich vielleicht erschrecken wird, den aber auch Dein bester, treuester Freund, der alte Portman, für befähigt hält, Deine Rettung zu vollbringen. Es ist Mac-Coor.«

»Mac-Coor?« wiederholte Albert langsam und sinnend. »Mac-Coor ist ein gefährlicher Mensch und doch habe ich auch Gutes von ihm gehört; er hat seine Freiheit, sein Leben häufig ohne alles Eigeninteresse für seine Freunde eingesetzt. Was will er denn für mich thun? Wie will er mir zu Hülfe kommen?«

»Das weiß ich nicht, er hat mir aber gelobt, Dich zu retten oder mit Dir unterzugehen, und daß er es wirklich so meinte, habe ich in seinen Augen gelesen«, antwortete Blancha mit erglänzendem Blick, drückte ihre Hände fest um Albert's Rechte und theilte ihm nun Alles mit, was Mac-Coor ihr aufgetragen hatte, ihm zu sagen und selbst zu thun. Dann berichtete sie auch ihre Unterredung mit Portman und schloß mit den Worten:

»Laß uns hoffen, Albert, Gott wird uns nicht verlassen!«

Wenn nun auch diese Hoffnung an schwachen Fäden hing, so belebte sie doch die Herzen der beiden Liebenden und ließ während ihres kurzen Zusammenseins die Verzweiflung nicht aufkommen. Zwar versiegten ihre Thränen nicht, kein Lächeln stahl sich auf ihre abgehärmten Züge, und kein frohes, freudiges Wort trat auf ihre Lippen, aber Worte des Trostes hatten beide für einander und Worte der Liebe, der Treue bis über das Grab hinaus.

Eilig und unbemerkt wie wenige Minuten war ihnen bereits eine Stunde verflossen, als Blancha zum Abschied noch einmal sich in die Arme des Geliebten schmiegte, noch einmal seine heißen Küsse empfing und ihre Thränen mit den seinigen vereinigte; dann wiederholte sie nochmals, was sie ihm im Auftrage Mac-Coor's gesagt hatte, hüllte sich in ihren Shawl und schied von Albert schmerzdurchbebt, doch mit dem Versprechen, am folgenden Abend wiederzukommen.

Als sie in den Corridor hinaustrat, kam ihr der Wärter entgegen, um die Thür, welche aus diesem Stock in den ersten hinabführte, für sie zu öffnen.

»Ich danke Ihnen, Herr, für Ihre Güte«, sagte Blancha mit dem süßesten Ton ihrer Stimme und drückte mehrere schwere Goldstücke in die Hand des Mannes. »Bis morgen«, fügte sie ihn grüßend noch hinzu, indem sie mit Susanna die Treppe hinabschritt, und wurde dann am Fuße derselben von dem Wächter im ersten Stock empfangen. Auch diesen sowie gleichfalls den an dem Ausgange aus dem Hause belohnte sie in derselben freigebigen Weise, und als sie dann den Hof durchschritten und das Thor in der denselben umgebenden Mauer erreicht hatte und der Pförtner sie in die Straße hinausließ, beschenkte sie dankend auch diesen reich und sagte ihm, daß sie am folgenden Abend wiederkommen und seine Güte abermals in Anspruch nehmen werde.

Kurze Zeit, nachdem Blancha die Zelle Albert's verlassen hatte, trat dessen Wärter in dieselbe ein, um ihm seine letzten Dienste für diesen Tag zu widmen.

Albert lag, dem Zimmer den Rücken zukehrend, zusammengekauert auf seinem Bett, hatte seinen Kopf in den Kissen verborgen und bedeckte mit seinem Taschentuch, welches er vor die Augen hielt, noch vollends das Gesicht, sodaß von seinem Kopfe nichts zu sehen war als ein Theil seines schwarzen Lockenhaares.

Der Wärter blieb einen Augenblick stehen und schaute mitleidig nach ihm hin, dann trug er Wasser in das Waschgefäß, holte eine Caraffine mit frischem Wasser zum Trinken und fragte Albert nun mit theilnehmendem, höflichem Tone, ob er noch einen Dienst von ihm verlange. Albert aber gab ihm keine Antwort, änderte seine Lage nicht und winkte nur mit der Hand rückwärts nach dem Wärter hin, um ihm anzudeuten, daß er ihn verlassen solle.

Dieser folgte schweigend dem Winke, indem er in Albert's Benehmen nur dessen grenzenlose Verzweiflung erblickte, trat in den Gang hinaus und verriegelte und verschloß die starke Thür.

Es war aber nicht die Verzweiflung, welche Albert in dieser Weise auf das Bett niedergeworfen hatte, es war der Hoffnungsfunke, der ihm durch die Geliebte gebracht worden war, denn Mac-Coor hatte ihm dies Benehmen durch Blancha vorschreiben lassen. Kaum hatte der Wärter die Thür hmter sich geschlossen, als Albert von seinem Lager aufsprang, sich in der Mitte des Zimmers auf die Kniee warf und mit erhobenen Händen zum Allmächtigen flehte, ihm mit seiner Barmherzigkeit beizustehen und seine Rettung gelingen zu lassen.


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