Armand (Friedrich Strubberg)
Saat und Ernte
Armand (Friedrich Strubberg)

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Drittes Kapitel.

Der große Verlust, den Williams erlitten hatte, zog noch schlimmere Folgen für ihn nach sich, denn kaum wurde es bekannt, daß seine bedeutenden Vorräthe von Tabak verbrannt seien, so traten seine Creditoren auf und verlangten Zahlung für ihre Guthaben. Williams suchte sie zu beschwichtigen und als hochstehender Mann durch sein vornehmes Wort zu beruhigen, er wollte sie auf die nächste Ernte vertrösten und sprach von bedeutenden Summen, die man ihm in den Seestädten schulde, die aber erst im kommenden Jahre fällig würden. Alles war aber umsonst, die Gläubiger bestanden auf baarer Zahlung oder guter Sicherheit für ihre Forderungen. Um gerichtliches Einschreiten zu vermeiden, entschloß sich Williams endlich, sein ganzes Grundeigenthum zu verpfänden, seine werthvollen Zuchtstuten, von welchen er die prächtigsten Maulthiere im Lande zog, zu verkaufen und zuletzt auch seine Sklaven als Sicherheit für seine Schulden zu verschreiben.

Der Ehrenschein, die Herrlichkeit, welche Williams bis jetzt umgaben und ihn über seine Mitbürger erhoben hatten, waren verschwunden, er war nicht mehr reicher, war nicht mehr ehrenwerther als sie, und wenn früher seine alte vornehme Abkunft ihre Achtung vor ihm noch erhöht hatte, so wurde sie jetzt das Werkzeug ihres Witzes, ihres Spottes.

Vergebens suchte Williams das Wahre seiner Lage vor seiner Gattin zu verbergen, sie sah und hörte Alles, was geschah, und als er eines Abends auffallend trübe gestimmt nach Hause gekommen war und das Abendbrod schweigend und in Gedanken versunken eingenommen hatte, trat sie liebevoll zu ihm, legte ihren Arm in den seinigen und sagte:

»Warum bist Du nicht offen gegen mich, Williams? Warum theilst Du Deine Sorgen, Dein Leid nicht mit mir, sowie Du mir Deine Freude, Dein Glück sonst entgegentrugst? Wo kannst Du Deinem Herzen wohl durch Mittheilung mehr Erleichterung verschaffen, als bei Deiner treuen Lebensgefährtin? Ich weiß es ja doch, daß es schlimm mit uns steht, und dieses Wissen aus andern Quellen als von Deinen Lippen ist qualvoll und ängstigend für mich. Laß uns Gutes und Böses immer zusammen tragen!«

»Warum soll ich Dich mit unangenehmen Dingen plagen, an denen Du doch nichts ändern kannst, und warum unnöthig Dir Sorgen aufbürden?« entgegnete Williams ablehnend.

»Die Ansicht einer Frau ist oftmals unbefangener und darum richtiger als die des Mannes selbst, jedenfalls aber erleichtert Mittheilung im Unglück das Herz, und uns beiden ist das Herz in letzter Zeit sehr schwer gewesen. Komm, Williams, sei offen und sage mir Alles, was Dich bekümmert.«

Mit diesen Worten zog die Frau ihren Gatten neben sich in das Sopha, und dieser gab ihr nun einen Umriß von der Lage, in der er sich befand. Sie hörte ihm, ohne ihn zu unterbrechen, zu, und als er endlich schwieg, sagte sie:

»So laß uns jetzt überlegen und handeln, Williams; wir dürfen nicht unthätig und muthlos abwarten, bis das Haus über uns zusammenfällt. Wir wollen uns einschränken, wollen alle unsere Kräfte in Bewegung setzen und uns wieder in die Höhe arbeiten. Denke nur, wie viele Tausende ohne alle Mittel, ohne alle Hülfe beginnen und reich werden, warum sollten wir es nicht ebenso gut dahin bringen?«

»Weil uns die Zinsenlast unserer Schulden bei aller Arbeit nicht aufkommen läßt«, entgegnete Williams finster.

»Doch, Williams, nur müssen wir unsere Ausgaben beschränken. Vor allem laß uns aber an Ashmore und Harry denken, damit wir sie auf den Weg führen, selbst in rechtschaffener Weise ihr Brod zu verdienen. Wir haben sie erzogen, als könnten wir ihnen Millionen hinterlassen, sie sind daran gewöhnt, jede ihrer Liebhabereien zu befriedigen, ohne dafür zu arbeiten, und was werden sie später thun, wenn sie einst ohne Mittel und ohne Kenntnisse auf sich selbst beschränkt in die Welt treten? Nichts Gutes, Williams, und wen trifft dann die Verantwortung dafür? Laß sie ein Geschäft lernen, welches es auch sei; es ist das beste Kapital, das wir ihnen mitgeben können.«

»Geschäft!« antwortete der Mann finster; »ein Williams soll Krämer oder Handwerker werden?«

»Aber, Williams, sind nicht unsere größten Männer Kaufleute?«

»Dazu gehört Kapital, und das kann ich den Jungen nicht mitgeben. Mögen sie es dann lieber machen wie unsere Vorfahren und mit der Büchse und dem Pflug an die Frontier gehen, dort finden sie ihr Brod.«

»Bleibt ihnen denn dieser Weg nicht später immer noch frei, wenn ihnen das Glück den Rücken kehrt, und haben nicht die größten Geschäftsmänner als Lehrlinge und mit nichts angefangen? Höre mich, Williams! Du hast so viele gute Freunde in den großen Städten, die sich eine Freude daraus machen werden, Deine Söhne in ihr Geschäft zu nehmen; versuche es und gib Deinen Kindern die Gelegenheit, selbst sich emporzuarbeiten, da wir nicht im Stande sind, ihnen eine ruhige, sorgenfreie Zukunft zu schaffen.«

Die unermüdlichen Vorstellungen der Frau siegten endlich über den Stolz und die Vorurtheile ihres Gatten und er versprach ihr, an seine Freunde in Neuyork und in Neuorleans zu schreiben und für Ashmore und Harry Stellen in deren Geschäften auszumachen. Er hielt auch Wort, und noch vor Eintritt des Winters reiste Ashmore, der ältere Sohn, nach Neuyork, um dort in eine bedeutende überseeische Handlung einzutreten, während Williams seinen Liebling Harry selbst nach Neuorleans bringen wollte, wo einer seiner alten Freunde, ein Herr Morgan, ihm zugesagt hatte, den Knaben in die Lehre zu nehmen.

Morgan's Geschäft war keins der größern in jener Stadt, es beschränkte sich auf den Handel mit dem Innern des Landes, von wo ihm die mächtige Pulsader, der Mississippi, Produkte zuführte und wohin er Waaren aller Art für die Bedürfnisse der Landbewohner sandte. Es zählte aber zu den solidesten Geschäften Und Morgan genoß den Ruf eines ausgezeichneten

Kaufmanns. Außerdem war er ein Mann von anerkannt guten Grundsätzen und achtungswerthem Charakter, sodaß Williams ihm seinen Lieblingssohn mit vollkommenster Ruhe anvertrauen konnte.

Alle Vorbereitungen zu der Reise waren getroffen. Madame Williams hatte mit größter Sorgfalt die Ausstattung ihres liebsten Kindes beendet, und sie hatte nichts weiter mehr hinzuzufügen, als ihre dringendsten Ermahnungen zum Guten und ihren herzinnigsten mütterlichen Segen.

Der Tag vor der Abreise ging zur Neige, die Abendmahlzeit war gehalten, und Williams war auf die Treppe vor dem Hause getreten, um mehreren Negern noch seine Befehle zu geben, als Madame Williams den Augenblick benutzte, ihren Arm um Harry's Schultern legte und ihn nach ihrem Gemache führte. Unter Thränen erinnerte sie ihn dort an die schweren Schicksale, die seinen Vater in letzter Zeit heimgesucht, und beschwor ihn, nun um so mehr Alles aufzubieten, um demselben Freude zu machen und im Nothfalle bald seine Stütze werden zu können. Dann ermahnte sie ihn ernst und feierlich, Gott im Herzen zu tragen und seiner bei Allem zu gedenken, was er thun, was er unternehmen würde. Endlich gab sie ihm ihren Muttersegen, schloß ihn heiß und innig an ihr Herz und benetzte unter Küssen seine Wangen mit ihren Thränen.

»Nun gehe zur Ruhe, mein Herzenssohn, damit Du morgen früh Deinem neuen Lebensziel recht frisch und stark entgegeneilst«, sagte die liebende Mutter, indem sie Harry entließ und in der Thür nochmals ihre Lippen auf seine Stirn drückte.

Harry aber ging nicht nach seinem Zimmer, sondern in den Salon, um zu sehen, ob sein Vater sich noch dort befände.

»Leg Dich schlafen, Harry«, sagte dieser, »wir müssen morgen zeitig heraus, damit wir früh nach Frankfort kommen, wo ich noch mehrere Geschäfte abzumachen habe, ehe wir nach Louisville weiter reisen können.«

Harry wünschte ihm hierauf eine gute Nacht und begab sich auf sein Zimmer, wo er bald darauf sein Licht auslöschte. Statt aber zu Bett zu gehen, legte er sich in das Fenster und schaute nach dem dichten Laube einer Ulme, die dem Schlafgemach seiner Aeltern gegenüber stand und auf welche der Lichtschein aus dessen Fenster fiel.

Endlich verdunkelte sich der Baum. Harry ergriff seinen Hut, und lautlosen Trittes eilte er aus dem Zimmer und aus dem Hause, warf noch einen flüchtigen Blick nach dem Schlafgemach seiner Aeltern und rannte dann, wie vom Wind getragen, durch den Park und auf der Straße fort nach der Farm des Herrn Baxton, denn dessen schönes Mulattenmädchen Molly hatte ihm versprochen, ihm halbwegs entgegenzukommen, um den letzten Abschied von ihm zu nehmen.

Der Morgen war da, doch der Tag graute noch nicht, als in den Zimmern der Dienerschaft in Williams' Hause Licht gemacht wurde und in der Küche das Kaminfeuer unter den schwarzen Händen der Köchin aufloderte, die das Frühstück für die Herrschaft bereiten wollte.

Da kam Harry fliegenden Laufes herangeeilt und spähte schon von weitem nach dem Schlafzimmer seiner Aeltern.

»Sie schlafen noch!« sagte er halb athemlos, eilte vorwärts und sprang wenige Augenblicke später die Treppe hinauf in den Salon. Er hatte die entgegengesetzte Thür erreicht, als dieselbe sich vor ihm öffnete und die Kammerfrau seiner Mutter mit einem Licht in der Hand vor ihm stand.

Beide fuhren erschrocken zurück und starrten einander verwundert an.

»Mein Gott, junger Herr, wo kommen Sie denn schon her?« fragte die Negerin in höchstem Erstaunen.

»Wenn Du ein Wort sagst, so schieße ich Dich todt!« entgegnete Harry mit unterdrückter Stimme, machte ein heftige drohende Bewegung mit der Faust nach der

Sklavin hin und schoß an ihr vorüber nach seinem Zimmer. Er warf seine Kleidung von sich, sprang in das Bett und hatte nur wenige Minuten gelegen, als die Zimmerthür sich öffnete und Williams mit den Worten hereintrat:

»Halloh, Harry, schläfst Du noch? Es ist Zeit, daß wir uns rüsten!«

Dann verließ er das Gemach wieder, und Harry beeilte sich, seine Toilette zu machen und dann seinen Koffer zu packen.

Als er in den Salon trat, wo der Frühstückstisch bereits gedeckt war, kam seine Mutter auf ihn zu, strich mit der Hand über seine Locken und küßte ihn auf die Stirn, worauf sie sagte:

»Hast Du gut geschlafen, Harry, und hast Du von Deiner Mutter geträumt, die Du jetzt verlassen willst?«

»Sehr gut, liebe Mutter«, antwortete Harry, indem er dieser die Hand drückte, zugleich aber einen verstohlenen drohenden Blick auf die Kammerfrau warf, die vor dem Tische stand und nach ihm hinsah.

Madame Williams wiederholte nun nochmals die Ermahnungen, die sie Harry am Abend vorher gegeben hatte, bis ihr Gemahl in das Zimmer trat und an dem Frühstückstische Platz nahm.

Nach beendetem Mahle fuhr der Wagen vor, der Harry davontragen sollte; noch einmal drückte die Mutter ihren Lieblingssohn an ihr Herz, der letzte Abschied ward genommen, auch die Dienerschaft sagte ihrem jungen Herrn Lebewohl, und unter tausend Segenswünschen bestieg er mit seinem Vater das leichte offene Fuhrwerk. Fort trabten damit die davorgespannten mächtigen Braunen, und solange Madame Williams ihrem theuern Kinde noch mit dem Blicke folgen konnte, wehte sie ihm mit ihrem thränenfeuchten Tuche ihre Grüße, ihren Segen nach.

Am zweiten Abend langten die Reisenden in Louisville an und bestiegen am folgenden Morgen dort ein Dampfboot, auf dem sie ohne Aufenthalt Neuorleans erreichten.

Morgan, welcher in frühern Jahren in der Nachbarschaft des Herrn Williams gewohnt hatte, freute sich sehr, ihn wiederzusehen, bewillkommnete ihn und seinen Sohn aufs herzlichste und versprach diesen wie sein eigenes Kind zu behandeln.

Schon am nächsten Tage trat Harry in das Geschäft ein und machte durch sein gewandtes, liebenswürdiges Wesen, sowie durch seine ungewöhnlich schöne Handschrift einen sehr angenehmen Eindruck auf seinen Lehrherrn.

Williams, der mehrere Tage in der Stadt verweilte, fühlte sich durch das Lob, welches sein Freund Morgan über seinen Sohn aussprach, sehr geschmeichelt und bemerkte mit stolzer Zufriedenheit:

»Ja, Freund Morgan, Harry ist auch nicht von dem gewöhnlichen Schlag, er ist ein echter Williams!«

In der That hatte aber Morgan auch alle Ursache, mit seinem neuen Zögling zufrieden zu sein, denn es bedurfte nur der leisesten Anweisung, um ihn Alles nach seinem Wunsche thun zu lassen. Harry war augenscheinlich in die ihm von der Natur angewiesene Lebensbahn eingetreten, für die sie ihn mit den glänzendsten Anlagen ausgestattet hatte. Er begriff außerordentlich leicht, erkannte bald den Unterschied in der Qualität der Waaren, rechnete im Kopf mit größter Schnelligkeit, besorgte alle ihm ertheilten Auftrage immer rasch und genau, und wo bei deren Ausführung seinem eigenen Urtheile ein Spielraum gelassen wurde, entschied er stets zum größten Beifall seines Principals. Sein angenehmes Aeußeres aber und namentlich sein liebenswürdiges, freundliches Benehmen machten sich bald für das Geschäft werthvoll geltend, denn Jedermann gewann ihn lieb und wollte nur von ihm kaufen und mit ihm handeln. Morgan pflegte, wenn es einmal in dem Gewölbe an Käufern mangelte, scherzweise zu sagen: »Harry, Sie brauchen sich nur in die Thür zu stellen und wir haben gleich so viele Kauflustige, wie wir uns wünschen können.«

Unter der Damenwelt aber insbesondere erregte der auffallend schöne junge Mensch bald sehr großes Aufsehen, denn in der Mittagszeit, um welche in der Regel das Geschäft für einige Stunden ruhte und wo das Haus schon Schatten auf das Trottoir davor warf, stellte er sich gewöhnlich vor die Thür und unterhielt sich damit, die schöne Welt an sich vorüberwandeln zu lassen. Er trug die sauberste, blendend weiße Wäsche, war immer in weißes oder doch hellfarbiges Leinenzeug gekleidet und hatte den besten Schneider in der Stadt. Weit mehr aber als seine gewählte, sorgfältig und doch dem Anschein nach nachlässig getragene Kleidung fiel sein natürlicher vornehmer Anstand auf, den er, ohne es zu wissen, in jeder seiner Bewegungen zeigte. Es war ihm so oft gesagt worden, daß er ungewöhnlich schön sei, ja, noch täglich wurde ihm dies, wenn auch nicht mehr mit Worten, bemerkbar gemacht, und der Spiegel bewies es so unbestreitbar, daß man sich nicht darüber wundern konnte, wenn Eitelkeit ein Hauptzug in seinem sich entwickelnden Charakter wurde. Seine aristokratischen weißen Hände pflegte er mit Sorgfalt, seine Hauptaufmerksamkeit aber verwandte er auf sein mächtiges Haar, welches, in natürlichen vollen Locken seinen schönen Kopf schmückte. Mit seiner Eitelkeit aber war noch kein Eigeninteresse verbunden, er wollte durch seine körperlichen Vorzüge nichts erreichen, er war nur eitel, weil es ihm Vergnügen gewährte, zu gefallen. Herrn Morgan machte es Freude, diesen netten jungen Burschen in seinem Geschäft zu haben, und anstatt dessen Eitelkeit zu steuern und ihn von den vielerlei großen und kleinen Ausgaben, wozu sie ihn verleitete, abzuhalten, bestärkte er ihn selbst darin und setzte ihm schon bald nach seinem Eintritt in das Geschäft neben dem Taschengeld, welches er ihm für seines Vaters Rechnung zahlte, selbst noch einen kleinen Gehalt aus. Eine goldene Kette an seine silberne Uhr, ein goldener Siegelring und eine solche Tuchnadel waren sehnlichst erwünschte Gegenstände, die Harry sich sogleich auf seinen Gehalt hin anschaffte und die er mit so viel anscheinender Nachlässigkeit trug, als ob sie gar keinen Werth für ihn hätten.

Durch die zunehmende Selbstständigkeit und wirkliche Gediegenheit, mit der Harry, so jung er auch noch war, seine Stelle von Tag zu Tag mehr ausfüllte, trat er auch täglich mehr aus den Kinderschuhen heraus. Seine ganze Wirksamkeit war die eines Erwachsenen. Man wandte sich an ihn wie an einen Erwachsenen, er sprach und handelte so, und seinem Gefühl nach war er auch schon erwachsen, obgleich er mit Leidwesen noch zu den Männern emporblicken mußte, so hohe Absätze er auch unter seinen Schuhen trug, und obgleich er auch zu seinem großen Verdruß immer noch keine Vorboten eines Bartes an seinem Kinn entdecken konnte.

Seine geschäftliche Stellung aber beseitigte mehr oder weniger den Unterschied der Jahre zwischen ihm und denen, mit welchen er zu verkehren hatte. Infolge hiervon wurde er mit vielen Leuten näher bekannt und vertraut und erhielt vielseitig Einladungen von denselben. Bald holte man ihn am Sonntag nachmittags in einem Cabriolet ab, um eine Fahrt auf der Muschelstraße durch den Sumpfwald bei der Stadt zu machen, bald nahm man ihn abends mit in den Circus, in das Theater oder in einen Austernkeller, und Bekannte, die ihm im Alter nicht so fern standen, führten ihn sogar in die weltberühmten Quadronenbälle von Neuorleans ein. Unter den Einladungen, die Harry zu Theil wurden, kamen auch mehrere von Freunden des Herrn Morgan, die ihn in ihre Familien einführten und wo er alsdann nach Landessitte ein- für allemal für jeden Abend willkommen geheißen wurde, um unter der Veranda oder im Garten ein Plauderstündchen zu halten, eine Promenade auf dem Werfte am Flusse hinauf zu machen oder aber mit den jungen Damen in die Abendkirche zu gehen.

Wo er in einer Familie erschien, wurde er gern gesehen; die jungen Schönen fühlten sich diesem bartlosen reizenden Bürschchen gegenüber weniger genirt und verlegen, sie wurden unglaublich schnell mit ihm bekannt und vertraut, zumal da Harry schon einige Vorkenntnisse im Umgange mit dem zarten Geschlecht mit nach Neuorleans gebracht hatte, und sie entschuldigten es gern mit seiner Jugend, seiner kindlichen Unschuld, wenn er sich verstohlen kleine Freiheiten erlaubte, die sie heirathsfähigen Jünglingen oder Männern nicht hätten verzeihen dürfen. Er war ja in der That nur noch ein Kind, welches darum gern küßte, weil ihn vielleicht seine Mutter oder auch seine Amme so sehr viel geküßt hatte. Wie gesagt, Harry war von den Mädchen gern gesehen, kam aus einer Familie in die andere und war bald der Liebling nicht allein der jungen Damenwelt, sondern auch von Schönen reifern Alters und reiferer Erfahrung, die sich gern von ihm in die Kirche begleiten ließen, bei sich zu Hause seine Besuche empfingen und seinem mitunter noch kindischen Benehmen durch liebevolle Winke, Belehrungen und Anweisungen mehr eine männliche Festigkeit zu geben suchten.

Während Harry in seiner vielseitigsten Ausbildung mit Riesenschritten vorwärts ging, wollte sich über dem Hause Williams kein Glücksstern wieder zeigen. Freilich brachten die lobenden Berichte über Harry freudige Augenblicke in seine Familie. Herr Williams empfing sie mit Stolz und Genugthuung und seine Gattin las sie unter Freudenthränen und leisen Dankgebeten zum Himmel, aber diese Freude, dieses Glück wurde immer bald wieder durch die Bedrängnisse von ihnen gescheucht, welche ihre zerrütteten Vermögensverhältnisse über sie brachten.

Williams hatte seinen bedeutenden Grundbesitz mit Haus und Hof und sein ganzes Inventar mit Vieh, Pferden und Maulthieren denjenigen seiner Gläubiger verschrieben, welche in Danville und in der nahen Umgegend wohnten, seine Neger aber, noch einige sechzig an der Zahl, waren einem seiner bedeutendsten Creditoren, einem alten Freunde in Richmond in Virginien, als Sicherheit für seine Forderung verpfändet. Dieser Freund hatte Williams das bedeutende Kapital auf dessen Bitte mit Freuden vorgestreckt, ohne dafür eine Sicherheit zu fordern, weil jener ihm versprach, dasselbe sofort nach Verkauf seiner Tabake zurückzuzahlen; als diese aber verbrannt waren, hatte Williams ihm schnell seine sämmtlichen Neger gerichtlich verschrieben, damit seine andern, ihm weniger befreundeten Kreditoren keinen Beschlag auf dieselben legen könnten. Er hatte ihm dies sofort mitgetheilt und von ihm eine dankende Anerkennung für seine freundschaftliche Fürsorge empfangen, sowie die Weisung, ihm das Kapital ganz nach seiner Bequemlichkeit zurückzuzahlen.

So standen Williams' Vermögensangelegenheiten im Frühjahr, als die Vorbereitungen zu einer neuen Ernte getroffen werden mußten. Er rechnete und rechnete, konnte aber kein günstiges Resultat von derselben erwarten. Die Zinsen, die er zu zahlen hatte, waren zu bedeutend, als daß er selbst bei der reichsten Ernte und den höchsten Preisen ernstlich ans Abtragen seiner Schulden hätte denken können, und sollte eine Mißernte eintreten, so würde er nicht einmal im Stande sein, die Zinsen zu bezahlen.

Mit finstern, trüben Ahnungen bewegten sich seine Gedanken in den Grenzen seines Eigenthums und schweiften oft über sie hinaus in die Ferne, um ein Stück Erde zu erspähen, wo er wieder die goldene Vergangenheit zur Gegenwart machen könnte.

Es gab ein Land, welches nach Allem, was man bis jetzt davon wußte, zu solchen, hochfliegenden Hoffnungen berechtigte, welches bei halber Arbeit doppelte Ernten lieferte, welches nicht mit dem Fluch verheerender Krankheiten belastet war und welches einen schuldbeladenen Fremden als schuldfreien Bürger in sich aufnahm. Dieses Land war Texas, welches mit Coahuila einen

Staat der neuen Republik Mexico bildete, dem aber das Recht zustand, sobald seine Bevölkerung bis zu einer bestimmten Zahl herangewachsen war, sich von Coahuila zu trennen und einen Staat für sich zu bilden. Um seine Seelenzahl nun rasch zu vergrößern, hatte Texas ein Gesetz erlassen, welches jedem Fremden das Recht gab, sich dort anzubauen, und welches ihn während der ersten zehn Jahre von allen Abgaben befreite. Sein Boden war fruchtbarer als der irgend eines andern südlichen Staates Amerikas, seine Weiden fanden an Reichthum nirgends ihresgleichen, und vor allem war es das einzige wirklich gesunde Land des weiten amerikanischen Südens. Freilich bestand es noch aus einer hier und dort unterbrochenen Wildniß, nur an der Golfküste und von dort aus an den Flüssen hinauf befanden sich einzelne Ansiedlungen, und die wildesten, kriegerischsten Indianer durchschwärmten sengend und mordend diese Gegenden; was waren dem Amerikaner aber alle Beschwerden, alle Entbehrungen und alle Gefahren, wo solche Vortheile, solche Aussichten, mit wenig Mühe reich zu werden, ihm geboten, wurden! Kaum war das Gesetz zur Beförderung der Einwanderung in Texas erschienen und in den Vereinigten Staaten bekannt geworden, als Tausende von Amerikanern aufbrachen und nach diesem gepriesenen Lande wanderten. Es waren aber nicht alleine die Vorzüge des Bodens und des wunderbar schönen Klimas, welche diese zahlreichen Wanderungen veranlaßten, Texas bot noch andere Vortheile, die für viele Amerikaner von noch weit größerer Wichtigkeit waren: man konnte dort weder wegen Schulden noch wegen Vergehen gegen das Gesetz verfolgt werden. Alle, welche in den Vereinigten Staaten ihren Creditoren entgehen oder der Gerechtigkeit entlaufen wollten, eilten über die Grenze nach Texas und fanden dort einen Freihafen, in dem sie ohne alle Verantwortlichkeit für ihr bisheriges Leben ein neues beginnen konnten.

Die Berichte über dies herrliche Land füllten mehr und mehr die Zeitungen in den Vereinigten Staaten, und Privatnachrichten der ersten dorthin Ausgewanderten wurden immer häufiger veröffentlicht. Alle Mittheilungen darüber lauteten überaus günstig, und während anfangs nur von dem Schicksal schwer Verfolgte oder dem Gesetze Verfallene sich zu dem Wagniß, nach Texas zu gehen, entschlossen, begannen jetzt Leute dorthin zu ziehen, die eine sorgenfreie glückliche Existenz in ihrer Heimat dafür aufgaben.

Die Wunder von Texas waren in ihren Beschreibungen auch nach dem alten Kentucky gedrungen, und Williams las mit immer größerer Spannung, mit immer regerem Interesse die Berichte darüber.

Das reichste Land konnte er dort zu einem Spottpreise bekommen, seinen Viehstand konnte er ohne alle Kosten unbegrenzt vermehren, weil die Weide jahraus jahrein frisch und grün blieb, und wenn er, statt Tabak hier, dort Baumwolle pflanzte, so steigerte sich sein Gewinn auf das Sechsfache.

Der Entschluß, dorthin auszuwandern, reifte schnell in ihm, und nur die Art und Weise, wie er es ausführen sollte, beschäftigte noch seinen Geist. Zu diesem Ende sprengte er selbst aus, er habe am Mississippi eine Plantage gekauft, wohin er bald mit Familie und Negern zu ziehen beabsichtige. Seine Gläubiger in der Nähe waren durch Pfänder für ihre Forderungen sicher gestellt, und es konnte ihnen gleichgültig sein, was er mit den Sklaven beginnen würde. Er unternahm zum Schein mehrere Reisen nach besagter Plantage und sprach dann bei seiner Rückkehr allenthalben von dem vortheilhaften Handel, den er beim Ankauf derselben gemacht habe.

Seine Gläubiger unterrichtete er selbst davon, daß er bald auf sein neues Gut übersiedeln werde und daß er seinen Rechtsanwalt bevollmächtigt habe, seine Besitzung in Kentucky zu verpachten, weil er dieselbe nicht verkaufen, sondern für einen seiner Söhne behalten wolle; die Schulden, welche darauf hafteten, werde er in kurzer

Zeit abtragen. So machte er seine beabsichtigte Auswanderung bekannt, ohne daß Jemand etwas Auffälliges darin finden konnte, im Gegentheil, durch den erdichteten Ankauf der sehr werthvollen Plantage, die er mit dem vollen dazu gehörigen Inventar erstanden haben wollte, von der aber Niemand wußte, in welcher Gegend sie lag, hatte er sich wieder neuen Credit geschaffen. Einem ihm befreundeten Advocaten übertrug er seine Geschäftsangelegenheiten unter Generalvollmacht, ließ ihn aber gleichfalls im Unklaren darüber, wo seine neue Besitzung liege. Er nahm Abschied von seinen Nachbarn mit der Versicherung, daß er recht oft sie besuchen und daß er in ein paar Jahren seinem Sohne Ashmore den hiesigen Familiensitz übergeben werde, ließ die Gegenstände, die er mitnehmen wollte, im Stillen nach Louisville fahren und plötzlich brach er selbst mit Frau und Kindern und von sämmtlichen Negern gefolgt dorthin auf, während er zugleich die Schlüssel zu seinen Häusern seinem Anwalt übersandte. In Louisville bestieg er das Dampfboot, auf dem er die Fahrt bis Neuorleans bedungen hatte, und langte nach Verlauf von einer Woche wohlbehalten in dieser Stadt an.

Das stürmische Geschäftsgewühl, welches hier während der letzten acht Monate geherrscht hatte, war verwogt, die meilenlange Reihe von Schiffen, die sich vor der Stadt am Ufer des Mississippi hinaufgezogen hatte, war sehr gelichtet, die Werfte von Gütern entblößt und die Straßen waren menschenleer; denn die heiße Jahreszeit hatte begonnen und der grimme Feind, das gelbe Fieber, wurde täglich erwartet. Die vielen tausend Kaufleute, welche das Riesengeschäft nach der halben Welt von hier aus geleitet hatten, waren wie Zugvogel nach Norden gereist die unermeßlich reichen Creolenfamilien, welche während der Wintermonate hier geglänzt hatten, auf ihre Plantagen zurückgekehrt, und die wohlhabenden Bürgerfamilien von Neuorleans selbst hatten sich nach den schönen bewaldeten Ufern der nahen herrlichen Landseen begeben, um dem Fieber aus dem Wege zu gehen und sich von der geleisteten rastlosen Arbeit zu erholen.

Auch Herr Morgan wohnte mit seiner Familie schon seit einer Woche an dem prächtigen Ponchartrainsee und hatte Harry in der Stadt zurückgelassen, damit derselbe dort sein Eigenthum wahre und den wenigen Geschäften vorstehe, welche noch zu besorgen sein sollten.

Williams hatte seinen Sohn von seinem Vorhaben und von der ungefähren Zeit, wann er in Neuorleans einzutreffen denke, unterrichtet, und als er gelandet war und kaum seine Effecten auf das Werft geschafft hatte, kam Harry in einem Miethwagen angefahren, um die Seinigen zu bewillkommnen.

Mit Erstaunen blickten die Aeltern ihm entgegen, sie trauten ihren Augen nicht, sie konnten es nicht begreifen, daß dieser elegante junge Gentleman ihr Knabe Harry sein sollte. Harry aber schien ihre Verwunderung nicht zu bemerken, seine Eitelkeit wich dem kindlichen Gefühle der Liebe zu seinen Aeltern, er flog zuerst der Mutter in die Arme und unter Freudenthränen preßte sie ihn an ihr Herz. Dann empfing ihn sein Vater in gleich freudiger, herzlicher Weise und seine Geschwister umarmten und küßten ihn jubelnd und jauchzend.

Nach dem ersten Bewillkommnen aber nahm Williams die Hand seines Sohnes und sagte, indem er dieselbe schüttelte:

»Ich freue mich, Harry, Dich so zu finden. Du hast Dich brav gehalten und bist Gentleman geworden, sowie es einem Williams zukommt. Ist Herr Morgan in der Stadt?«

»Nein, er wohnt am See; ich kann es ihm aber heute noch sagen lassen, daß Du hier bist«, erwiderte Harry in einem ernsten Geschäftston.

»So wollen wir ihn gar nichts davon wissen lassen, bis ich ihm von Texas aus schreibe; es würde nur zu vielerlei Fragen Veranlassung geben, die ich zum ??? unbeantwortet lassen müßte, und so ist es besser, ich reise stillschweigend durch. Wann geht ein Boot nach Galveston ab?«

»Morgen Abend oder übermorgen früh; der Kapitän sagte mir, daß er es möglich zu machen hoffe, noch morgen die See zu erreichen, damit er übermorgen bei guter Zeit in Galveston landen könne. Wir wollen hernach an Bord gehen, wo er Dir selbst das Nähere mittheilen wird.«

»Das paßt ganz vortrefflich. Nun aber zur Hauptsache, Harry. Wie ist es mit den Negern? Hast Du Vorkehrungen getroffen?«

»Woodfolk, der Sklavenhändler, erwartet sie, er hält Alles für ihren Empfang bereit und wird das Geschäft sofort mit Dir abschließen. Sie bleiben an Bord, bis ich Euch in das Hotel gebracht habe und zu ihnen zurückkehre, um sie zu Woodfolk zu bringen unter dem Vorwande, daß ich sie in ein Wirthshaus führen wolle. Sind sie einmal in den Mauern des Sklavenhändlers, so haben wir keine Schwierigkeiten mit ihnen mehr zu befürchten.«

»Wird es nicht auffallen, wenn Du so viele Neger durch die Stadt führst?« fragte Williams ängstlich.

»Auffallen – diese paar Neger? Ja, wenn es einige Tausend wären! Nun aber laßt uns nach dem

Hotel fahren«, entgegnete Harry und zeigte nach dem Wagen hin.

Madame Williams hatte mit wachsendem freudigem Erstaunen ihrem Sohne zugehört, plötzlich aber, als müsse sie dem Dränge ihres Herzens Worte geben, ergriff sie seine Hand und sagte: »Aber, Harry, Du bist ja in den wenigen Monaten so ganz anders geworden, daß man Dich kaum wiedererkennt; siehst ja aus wie ein Herr und sprichst wie ein alter Geschäftsmann!« Dabei strich sie ihm die Locken zurück, küßte ihn auf die Stirn und setzte lächelnd noch hinzu: »Bist aber doch noch mein lieber Herzensjunge, und wenn Du Dein Haar auch noch so sehr parfümirst.«

»Das gehört dazu«, fiel Williams ein; »ein junger Mann muß etwas auf sich halten, sodaß das Volk auch in seinem Aeußern gleich erkennt, daß er einem guten Geschlechte angehört. Nun laß ihn gehen, Frau, damit wir erst zur Ruhe kommen und dann die Neger in Sicherheit bringen.«

Harry sprang nun von dem Werfte auf das Dampfboot, sagte dem Comptoiristen desselben, daß er wegen des Gepäcks und der Neger des Herrn Williams bald wieder zurückkehren werde, und bestieg dann mit den Seinigen den Wagen, der sie schnell in das Hotel brachte.

So wenig Williams sich auch über die ungewöhnlich schnelle geistige und körperliche Veränderung in seinem Sohne aussprach, so war er doch ebenso sehr davon überrascht wie seine Frau und sah ihm mit Verwunderung und Stolz zu, wie er Alles rasch und zweckmäßig für ihn besorgte. Seine Dienste waren ihm aber auch sehr willkommen, denn nur seiner Vorbereitung und Anordnung hatte er es zu danken, daß er sich nur so kurze Zeit in Neuorleans aufzuhalten brauchte, und es drängte ihn mit großer Unruhe, den letzten Schritt aus den Vereinigten Staaten zu thun. Nicht daß er wirklich Grund zu Befürchtungen gehabt hätte, seine Creditoren mochten seine Flucht entdecken und ihn an der letzten Grenze noch zurückhalten; das böse Gewissen aber ruft dem Schuldigen unaufhörlich Gefahren zu und läßt ihn nicht zur Ruhe kommen. So war es mit Williams. Er ließ Harry alle Einrichtungen treffen, nur um sich so wenig als möglich in den Straßen zu zeigen. Einige Stunden nach seiner Ankunft in der Stadt fuhr er mit Harry zu dem Sklavenhändler, schloß den Verkauf der Neger mit ihm ab, empfing das baare Geld dafür und kehrte in das Hotel zurück. Mit Sehnsucht erwartete er nun den Augenblick, wo er sich mit den Seinigen und seiner Habe auf dem Dampfschiffe befinden und der See zusteuern würde. Seine Hoffnung wurde erfüllt, der folgende Abend traf ihn schon an Bord; der Abschied von Harry ward genommen, und fort schnaubte der Dampfer den Riesenstrom hinab dem Golf zu.

Die Reise ging schnell und ohne Störung von statten, denn am folgenden Abend, als die Sonne in die See hinabtauchte, landete das Schiff an der texanischen Insel Galveston vor der Stadt gleichen Namens.

Mit einem »Gott Lob!« frei aufathmend, betrat Williams die neue Heimat, die ihn, jeder Schuld ledig, begrüßte.

Die vierzig Meilen lange und einige Meilen breite Insel, welche sich vor der Mündung der Galvestonbai eine Meile vom Festlande aus den grünen klaren Wogen des schönen Golfs von Mexico erhebt, war mit Ausnahme des kleinen Städtchens Galveston noch gar nicht angebaut und noch mit der reichen Grasdecke überzogen, welche ihr die Natur gegeben hatte. Das wunderbar herrliche Klima, der ewige Sommer und der unaufhörlich kühlende, erfrischende Seewind geben der Insel so viel Angenehmes, daß man ihre Mängel darüber vergißt, denn ihr Boden ist nicht reich und alles Wasser, welches aus ihrem Schooße gewonnen wird, ist mehr oder weniger salzig, sodaß Thiere und Menschen mit ihrem Durst auf das Regenwasser, welches sich in Cisternen sammelt, angewiesen sind. Dagegen ist die Weide vortrefflich und die Jagd nach Wasservögeln über alle Beschreibung reich.

Williams erkannte, daß der Insel eine reiche Zukunft blühe; das Städtchen war im Wachsen, sein Schiffswerft dehnte sich aus, die Zahl der Schiffe in seinem Hafen mehrte sich und seine Lage sicherte ihm den ersten Rang als Stapelplatz für die Produkte von Texas. Land konnte er auf der Insel für einen sehr niedrigen Preis kaufen, die Weide bot ihm Gelegenheit, ohne alle Kosten einen bedeutenden Viehstand zu halten, und da sich sehr viele entlaufene Neger in der Stadt aufhielten, so konnte er für sein baares Geld Arbeitskräfte leicht erhalten.

Bald nach seiner Ankunft hatte er sich von allen Verhältnissen unterrichtet, kaufte an der Südseite der Insel einen Strich Landes von ungefähr viertausend Morgen und richtete sich dort eine Farm ein. Sein Wohngebäude stellte er auf eine in die See hinauslaufende Anhöhe, gegen welche sich die durchsichtigen, schaumgekrönten Wogen des Meeres in ununterbrochenem Laufe brausend heranwellten und, auf dem spiegelglatten Sande des Strandes ersterbend, die herrlichsten Fische und Krebse zurückließen, welche dann durch eine der später folgenden Wellen ihrem trockenen Grabe wieder entrissen und in ihre nasse, krystallhelle Heimat zurückgeführt wurden.

Williamspoint, wie die Landspitze genannt wurde, hatte die Natur zu einem der reizendsten Punkte auf der Insel geschaffen und die Ansiedlung krönte sie bald nach ihrer Entstehung mit dem reichen Schmucke der Cultur, mit Gärten, Feldern und Heerden.


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