Armand (Friedrich Strubberg)
Saat und Ernte
Armand (Friedrich Strubberg)

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Fünftes Kapitel.

Der Tag neigte sich, als Holcroft und Harry Williams Toilette gemacht hatten, ihr Hotel verließen und sich nach der Alameda begaben, um dort die vornehme und schöne Welt der Hauptstadt Mexicos in vollem Glanze zu sehen.

Sie erreichten das eiserne Gitterthor dieser öffentlichen, mit Parkanlagen und Springbrunnen gezierten Promenade und mäßigten gleich beim Eintreten in dieselbe ihre Schritte, überrascht von dem prächtigen Schauspiel, welches sich ihren Blicken darbot. Die Vornehmen und Reichen Mexicos durchzogen lustwandelnd die saubern Wege der Alameda, und die reiche strahlende Toilette der Damen zeigte, daß eine festliche Veranlassung sie hierher geführt hatte. Man erwartete Santa-Anna. In Seide rauschend, von luftigen Spitzengewändern umwogt, mit der reizenden, malerischen Basquina angethan und mit Diamanten und Perlen geschmückt, zogen sie dahin, die schönen Frauen und Mädchen, heute mit offenem Visir; denn zurückgeworfen waren ihre Mantillen und enthüllten den Zauber ihres reichsten Schmucks, ihrer schwarzen Augen. Leicht und elastisch wiegten sie sich auf ihren wunderbar zierlichen Füßen, geschmeidig war jede Bewegung ihres üppig schönen Körpers, und das Fächerspiel in ihren kleinen Händen entfaltete seine höchste Beredtsamkeit. Wie ein Gewinde von Blumen des sonnedurchglühten Tropenlandes schwebte der Strom dieser reizenden Nachkommen der Altspanier durch den Park, und zwischen ihnen hervor prunkten die glänzenden Uniformen vieler der Helden, die unter Santa-Anna gefochten hatten. Doch waren unter den anwesenden Männern auch alle andern Stände und namentlich die Geistlichkeit zahlreich vertreten. Je mehr die Sonne sich zu den westlichen Gebirgen hinabsenkte, je feuriger die eisigen Spitzen der beiden Vulkane im Süden erglühten, um so zahlreicher wurde die Menge, die hier sich spazierend bewegte oder auf den Ruheplätzen sich niedergelassen hatte.

»Das ist ein anderes Bild, Holcroft, als das in der Bucht an der afrikanischen Küste; es erinnert an Neuorleans, und ich weiß wahrlich nicht, ob diese Mexicanerinnen unsern Creolinnen von Louisiana nicht den Rang streitig machen«, sagte Harry lebhaft erregt, als er mit seinem Gefährten zwischen dem bunten Gewoge hinschritt.

»Sie sind schön und reizend, wie ich es Ihnen ja oft sagte; wild und unbändig in ihrer Leidenschaft, sei es Liebe, sei es Haß; unsere Creolinnen aber sind edler und schöner, und die stillere Glut ihrer Gefühle ist tiefer und dauernder«, entgegnete Holcroft.

»Sehen Sie nur, wie sie gehen, wie ihre Augen umherblitzen, wie ihre Fächer schwirren und wie sie sich schmiegen und biegen! Beim Himmel, sie sind reizend«, fuhr Harry in wachsender Begeisterung fort und sah bald hier, bald dorthin nach den vorüberwandelnden Damen, deren Aufmerksamkeit die beiden fremden Ge stalten nicht entgingen.

Namentlich war es die unleugbar elegante Erscheinung des schönen Harry, welche die Blicke der Mexicanerinnen auf sich zog und diese häufig ihr Fächerspiel nach ihm hin richten ließ.

Plötzlich erschallten an dem andern Ende des Parks laute Vivas, der Name Santa-Anna ging von Mund zu Mund, und der Menschenstrom richtete sich ihm entgegen.

Ein großer, schöner Mann mit rabenschwarzem Haar und dunklen, mit durchdringendem Blick um sich schauenden Augen kam in prächtiger Uniform, die Brust mit Orden bedeckt und von vielen hohen Offizieren begleitet, durch die Anlagen herangeschritten, und Alles trat zur

Seite und verneigte sich tief vor ihm. Seine Haltung war stolz und gebietend und doch freundlich und höflich, und wie er vorwärtsschritt, erwiderte er links und rechts die Artigkeiten, die man ihm entgegenbrachte. Dieser Mann war Santa-Anna, der Held so vieler Schlachten, der Liebling des mexicanischen Volks und, wie er sich selbst nannte, der Napoleon Amerikas.

Harry und Holcroft waren ihm gleichfalls entgegengegangen und kamen in seine Nähe in dem Augenblick, als er auf eine reich gekleidete hohe Frauengestalt zutrat, sich mit großer Höflichkeit vor ihr verneigte und ihr augenscheinlich einige Schmeichelworte sagte, denn die Dame erhob drohend ihren Fächer und schien ihm scherzend Vorwürfe darüber zu machen, indem sie zugleich auf einen ältlichen kleinen Herrn deutete, der mit entblößtem Haupte neben ihr stand und gleichfalls so eben dem Kriegsgott seine Huldigung in tiefster Ehrerbietung dargebracht hatte.

Noch ein zweiter Begleiter befand sich an der andem Seite der Dame, welcher sich auch höflich vor Santa-Anna verneigt hatte, wenn auch weniger unterwürfig in seiner Haltung als der ältliche Herr. Er war im schwarzen Frack und trug den runden Hut und sehr weiße Wäsche, drei Hauptbedingungen in der Toilette des amerikanischen Gentleman.

»Wer sind die beiden Herren, die mit dem General sprachen?« fragte Harry einen jungen Mann, der neben ihm stand und gleichfalls die Gruppe betrachtete.

»Der Alte ist der Graf Don Ventura Romero, ein Mitglied des Staatsraths, und die Dame ist seine Frau. Der andere Herr aber ist der amerikanische Consul hier, Herr Murphy«, antwortete der junge Mann, und Harry dankte ihm für die Auskunft.

Jetzt verabschiedete Santa-Anna sich bei der Gräfin, grüßte ihre Begleiter und setzte seinen Spaziergang fort, da wandte sich jene nochmals nach ihm um, und im Vorübergleiten blieb ihr Blick auf Harry haften. Mit sichtbarer Ueberraschung schaute sie ihn an, ihre großen schwarzen Augen blitzten für einen Moment ihm entgegen, dann entfaltete sie den Fächer und entzog ihr schönes Antlitz dem aufflammenden Blick Harry's.

»Haben Sie es bemerkt, Holcroft, wie sie hierher sah?« sagte er mit halblauter Stimme und erfaßte seines Gefährten Arm.

»Langsam, langsam, junger Mann! Wenn Sie bei jedem solchen Blick so auflodern wollen, so verbrennen Sie, ehe die Nacht einbricht«, entgegnete Holcroft mit seiner gewohnten Ruhe. »Das ist hier Weibersitte, aber durchaus noch keine Auszeichnung. Uebrigens, schön war die Frau, das ist wahr. Sehen Sie nur, welche vornehme, prächtige Gestalt sie ist!«

»Ich muß sie kennen lernen. Morgen mache ich Murphy meinen Besuch, er soll mich ihr vorstellen, denn sie ist das schönste Weib, welches meine Augen je gesehen«, sagte Harry in stürmischer Bewegung und zog Holcroft am Arme mit sich fort der Gräfin nach.

»Lassen Sie uns langsam gehen, am Ende des Wegs wird sie umkehren und uns dann begegnen«, versetzte Holcroft und mäßigte seine Schritte.

Wie er es vorausgesagt, so geschah es. Als die Frau das Ausgangsthor der Alameda erreichte, blieb sie stehen und überredete ihre Begleiter, noch einen Gang mit ihr durch den Park zu machen, worauf sie sich umwandten und auf demselben Wege zurückkehrten.

Ihre Unterhaltung mit dem Consul an ihrer rechten Seite war jetzt außerordentlich lebhaft, ihr ganzer biegsamer Körper schien durch graziöse Bewegungen Theil daran zu nehmen, der Fächer flog bald auf, bald zu und die Blitze ihrer Augen trafen Harry häufiger, je näher sie ihm kam.

»Sie sind ein eisiger Nordländer, an dem unsere Tropensonne umsonst ihre Glut verschwendet«, sagte sie zu dem Consul im Vorüberschreiten an Harry und ließ ihren Feuerblick, auf diesen gerichtet, in wollüstiger

Ermattung unter den sinkenden langen schwarzen Wimpern ersterben.

»Das Weib könnte mich wahnsinnig machen«, stieß Harry mit flüsternder Stimme heraus, indem er den Arm seines Begleiters krampfhaft an sich drückte und über die Schulter nach ihr zurückschaute. Sie hatte den Griff ihres Fächers dicht an ihr Antlitz gehoben und Harry begegnete in dem kleinen Spiegel an demselben abermals ihrem großen schwarzen Auge.

»Die Frau ist wunderbar schön«, sagte Holcroft, »und sie scheint sich wirklich für meinen hübschen jungen Freund zu interessiren. Glück auf! Nur vergessen Sie nicht, daß man in diesem Lande den Dolch vortrefflich zu führen weiß.«

»Lassen Sie uns umkehren und ihr folgen!« bat Harry und blieb stehen.

»Wenn Sie Ihnen wirklich eine Auszeichnung zugedacht hat, so würde Ihr Nachfolger ihr nicht angenehm sein. Sie müssen den Weibern immer zeigen, daß Sie den Schein meiden und daß ihre Geheimnisse sicher bei Ihnen bewahrt sind«, entgegnete Holcroft belehrend.

»Sie kommt uns aber aus den Augen, wenn wir nicht schneller gehen.«

»Thut nichts. Sie weiß recht gut, daß ihr Blick gezündet hat, und will sie Ihnen noch einmal begegnen, so wird sie schon umkehren. Ich glaube es aber nicht«, versetzte Holcroft, und er hatte Recht gehabt, denn vergebens suchte Harry nach ihr unter der wandelnden Menge; sie war verschwunden.

Am folgenden Tage fuhr Harry in einer Staatscarrosse bei dem amerikanischen Consul, Herrn Murphy vor und wurde mit Artigkeit von demselben empfangen. Er theilte ihm mit, daß der Stammsitz seiner Vorfahren in Tennessee gelegen wäre, daß er aber, von den großen Vorzügen des schönen Texas angelockt, sich dort angesiedelt habe und daß er der Hoffnung lebe, bald den amerikanischen Adler seine Flügel über dies gesegnete Land ausbreiten zu sehen.

»Das ist ein Wunsch, der jeden guten Amerikaner beseelen muß, Herr Williams, den man hier im Lande jedoch nicht laut werden lassen darf; seien Sie ja vorsichtig in Ihren Aeußerungen. Santa-Anna hält eine strenge Polizei.«

»Ich sah Sie gestern Abend in der Alameda im Gespräch mit ihm und bedauerte, daß ich Ihnen noch keinen Besuch gemacht hatte, sonst würde ich Sie gebeten haben, mich dem General vorzustellen«, bemerkte Harry.

»Das kann dieser Tage geschehen, denn er besucht regelmäßig die Alameda, und ich mache dort an jedem Abend meine Promenade.«

»Da ich den Winter hier zuzubringen gedenke, so würde ich Ihnen auch sehr dankbar sein, wenn Sie mich gelegentlich mit einer und der andern angesehenen Persönlichkeit bekannt machen wollten. Ich mache eine Ausnahme von unsern Landsleuten im Allgemeinen und liebe es, mich in Formen zu bewegen.«

»Sie haben ganz Recht, Herr Williams«, entgegnete der Consul; »der Amerikaner liebt zu sehr das »I don't care«, und dies hat mich in meiner Stellung schon oft in recht große Verlegenheit gebracht. Um so angenehmer ist es mir, meinen Freunden hier einen meiner Landsleute vorstellen zu können, der diesem allgemein bekannten Fehler der Amerikaner widerspricht. Gestern Abend schon fragte mich nach Ihnen eine sehr interessante geistreiche Dame, die Gräfin Romero. Wir gingen einige Male an Ihnen vorüber. Wer war der Herr, der Sie begleitete?«

»Gleichfalls ein Landsmann, mit dem ich im Postwagen von Veracruz hierher bekannt wurde; einer von jenen, die sich nicht geniren können. Er heißt, glaube ich, Holcroft.«

»Holcroft? Holcroft? Wenn ich mich recht besinne, stand einmal ein Holcroft als Pirat vor dem Gerichte in Neuyork, er log sich aber durch. Kommen Sie jedenfalls diesen Abend wieder nach der Alameda, da werde ich die Gelegenheit wahrnehmen, Sie einem oder dem Andern vorzustellen.«

Harry erwähnte der Gräfin Romero nicht, sondern wollte es in der Hoffnung, daß sie an diesem Abend wieder auf der Promenade erscheinen würde, einer passenden Gelegenheit überlassen, mit ihr bekannt zu werden, und mit glühender Erwartung dieses Augenblicks kehrte er in das Hotel zurück und eilte zu Holcroft in dessen Zimmer.

»Mein Glücksstern ist im Aufgehen«, sagte er zu ihm, indem er vor den Spiegel trat und mit der Hand durch sein Lockenhaar fuhr. »Meine Schöne hat sich gestern bei Murphy erkundigt, wer ich sei, und heute Abend werde ich mit ihm die Alameda besuchen; hoffentlich erscheint auch die Gräfin wieder auf der Promerade.«

»Nochmals Glück auf, nur nehmen Sie sich in Acht, diese Mexicaner sind etwas eifersüchtig«, entgegnete der Sklavenhändler warnend.

»Sie haben es mich ja gelehrt, zu wagen«, entgegnete Harry lachend und fuhr dann, seinen Castorhut mit dem Aermel seines Rockes glättend, fort:

»Ich fürchte, Holcroft, unsere Neigungen werden uns jetzt wieder wie früher in Neuorleans nach verschiedenen Richtungen ziehen, denn ich beabsichtige die Kreise der höhern Gesellschaft hier zu besuchen, die für Sie keinen

Reiz haben. Wir wollen unsern Liebhabereien keine Gewalt anthun, da aber zusammen genießen, wo dieselben uns zusammenführen.«

»Das versteht sich von selbst, Williams«, entgegnete Holcroft. »Ich glaube aber, daß Sie eher meinen Wegen folgen werden, als ich den ihrigen. Ich will heute Abend einmal mein Glück im Spiel gegen das dieser Mexicaner messen; sie sollen nicht ungeschickt darin sein, doch glaube ich, sie noch etwas lehren zu können. Sie spielen leidenschaftlich und übersehen dabei leicht die Gewandtheit eines ruhigen Gegners.«

Mit großer Ungeduld erwartete Harry diesen Abend. Er hatte schon lange, ehe die Sonne sich neigte, aufs sorgfältigste seine Toilette beendet und dabei namentlich auf sein Haar und seinen Bart alle Aufmerksamkeit verwandt. Wiederholt trat er vor den bis auf den Fußboden reichenden Wandspiegel, betrachtete sich darin von allen Seiten, zog seinen Frack glatt um seine schlanke Taille und ordnete die Schleife des leicht um seinen Nacken geschlungenen Tuchs.

Endlich sank die Sonne zu den Gebirgen hinab, Harry setzte seinen Biber mit einer leichten Seitenneigung auf seine glänzenden Locken, nahm die weißseidenen Handschuhe von dem Tische und eilte mit Flügelschritten nach der Alameda hin. Es war noch zu früh, die Wege waren noch leer, nur hier und dort im Schatten der Bäume hatten sich einzelne Besucher auf den Ruhesitzen niedergelassen und die Blumenverkäuferinnen wählten eben an den Wegen ihre Plätze und ordneten in den großen, aus Palmblättern geflochtenen Wannen die prächtigen Sträuße, die sie zum Verkauf bieten wollten. Harry wandelte mit seinen Hoffnungsgedanken langsam durch den Park hin und her und ließ sich zuletzt unweit des großen Springbrunnens auf einer Steinbank nieder, von welchem Platze aus er einen großen Theil der Promenade übersehen konnte. Kurz vor dem Versinken der Sonne begannen von allen Seiten Spazierende in die Alameda einzutreten, und deren Wege füllten sich rasch. Harry verweilte allein auf der Bank und wurde der Gegenstand der Betrachtung manches schönen Augenpaars, und mancher feurige Blick, mancher Fächergruß fand verstohlen seinen Weg zu ihm. So viel Schönheit und Grazie aber auch an ihm vorüberzog, so hatte er doch augenblicklich kein Gefühl dafür, die hohe reizende Gestalt der Gräfin und ihre Zauberaugen standen zu lebendig vor seiner Erinnerung. Plötzlich legte sich eine Hand auf seine Schulter und der Consul Murphy, der sich ihm von hinten genaht hatte, wünschte ihm guten Abend.

»Ich hatte mich an jener Seite nach Ihnen umgeschaut, da sah ich Sie hier sitzen und freue mich, Sie gefunden zu haben, Herr Williams«, sagte er, indem er Harry die Hand reichte. »Nun lassen Sie uns ein wenig gehen und zwar diesen Weg gegen den Hauptstrom, dann sehen wir am schnellsten, wer von Bekannten hier ist.«

»Ich schätze es als ein großes Glück für mich, in Ihnen, Herr Consul, einen so liebenswürdigen Landsmann gefunden zu haben, da ich außer meinen Creditbriefen keine Empfehlung mit hierher brachte. Apropos, ehe mir ein Anderer zuvorkommt, machen Sie mir das Vergnügen, morgen bei mir zu Mittag zu speisen. Leider kann ich Ihnen noch keine weitere Gesellschaft bieten als die meinige, mit der Zeit aber hoffe ich einen ausgewählten Bekanntenkreis um mich zu sammeln.«

Diese Worte richtete Harry mit der ihm eigenen vornehmen Höflichkeit an seinen neuen Bekannten, worauf dieser ihm mit einer Verbeugung erwiderte:

»Sehr gern, Herr Williams, Sie sind mir aber mit der Einladung auf morgen zuvorgekommen; ich selbst wollte mir die Ehre von Ihnen erbitten. So müssen Sie mir denn die Freude machen, diesen Abend bei mir zuzubringen.«

Harry nahm gleichfalls die Einladung an, gab Murphy dann seinen Arm und nun schritten sie zusammen dem Wandelzuge entgegen. Während des Gehens nannte der Consul die Namen der hervorragenden Persönlichleiten, welchen sie begegneten, und fügte kurze Umrisse ihrer Verhältnisse und Stellungen bei. Man grüßte ihn häufig sehr freundlich, er redete aber Niemand an, sondern ging nur grüßend vorüber.

»Wenn ich nicht irre, kommt dort die Gräfin Romero, die Dame, welche sich gestern nach Ihnen erkundigte«, sagte Murphy plötzlich, in die Ferne spähend. »Ich werde Sie ihr vorstellen, und wie ich hoffe, zu Ihrer beiderseitigen Zufriedenheit; sie kann äußerst liebenswürdig sein.«

Harry murmelte etwas wie: »Sehr dankbar, sehr angenehm« und folgte dabei dem Blick seines Begleiters, bis er selbst unter den vielen sich nahenden Damen die schlanke Gestalt der Gräfin erkannte. Schon von weitem bemerkte er, daß ihr Blick ihn entdeckt hatte, und sichtbar bewegt schritt sie nach wenigen Augenblicken an der Seite ihres Gatten auf den Consul zu.

»So ist mein Hoffen erfüllt«, sagte die Condesa mit klangvoller, lieblich tönender Stimme zu Murphy, indem sie sich mit aller Grazie verneigte und ihn durch das Senken ihres Fächers begrüßte, zugleich aber sich mit Blick und Bewegung etwas seitwärts zu Harry hinwandte. »Ich habe wirklich darauf gehofft, Sie wieder hier zu treffen, weil es mir gestern nicht gelang, Sie Ihrer ernsten Stimmung zu entreißen, und weil ich so sehr gern noch einen zweiten Versuch dazu machen wollte.«

»Sie sollen heute mit mir zufrieden sein, Condesa; mein junger Begleiter hier wird mir dabei behülflich sein«, entgegnete der Consul, sich lächelnd verbeugend, zeigte auf Harry und fuhr fort: »Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen Herrn Williams, einen Plantagenbesitzer aus Texas, vorstelle. Condesa Donna Laodice Romero«, sagte er dann zu Harry.

Dieser sowie die Gräfin verneigten sich gegenseitig, ihre Blicke hielten einander gefesselt und beiden schoß das Blut in die Wangen; doch Murphy entzog Harry dem Zauberbann der schönen Frau, indem er ihn nun auch mit deren Gemahl, dem Conde Don Ventura Romero, bekannt machte.

»Es ist mir sehr erfreulich, Sie kennen zu lernen, Herr Williams«, sagte der Graf. »Werden Sie längere Zeit bei uns verweilen?«

»Ich gedenke den Winter hier zuzubringen. Wie wäre es auch möglich, sich von so viel Schönem, so viel Reizendem, wie Mexico bietet, bald wieder zu trennen!« entgegnete Harry mit einem aufflammenden Seitenblick nach der Condesa.

»Es ist wohl nur der Reiz der Neuheit, der Sie hier erfreut, Herr Williams, denn Texas soll ja der Blumengarten unseres Reichs sein«, nahm die Gräfin das Wort und hielt, unter ihren langen, schwarzen Wimpern hervorschauend, ihren schwärmerisch glühenden Blick auf Harry's glänzende blaue Augen geheftet.

»Ein Blumengarten allerdings, aber ein wilder, in dem die Natur sich noch nicht veredelt hat. Solche Himmelsblüten, wie sie hier dem Auge strahlen, habe ich früher nie gesehen«, entgegnete Harry, den schönen Augen der Gräfin feurig begegnend.

»Auf Ihrem Wege hierher haben Sie doch nur wenig von unserer Flora gesehen, wenn Sie mich aber gelegentlich auf meinem Landsitze beehren wollen, Herr Williams, so werde ich Ihnen wirklich sehr schöne Blumen zeigen«, fiel der Graf ein und wandte sich dann zu Murphy, der im Begriff gewesen war, eine Frage an ihn zu richten.

»Vielleicht gefallen Ihnen aber unsere, wie Sie sagen, veredelten Blumen bei näherer Bekanntschaft weniger als Ihre wilden Naturkinder in Texas, und Ihre Sehnsucht nach diesen würde Sie eiligst zu ihnen zurückführen«, fuhr die Gräfin mit noch wärmerem Blick und gedämpfter Stimme fort, indem sie mit Harry ihrem Gatten und dem Consul nachschritt.

»Solcher Zauber läßt keinen freien Willen, er fesselt unbedingt und macht zum glücklichsten Sklaven«, antwortete Harry noch leiser und sah der Gräfin noch fester in die Augen.

Diese schlug sie aber nieder, entfaltete ihren glänzenden Fächer vor ihrem Antlitz und that einige Schritte zögernd, wodurch die Entfernung von ihrem Gemahl vergrößert wurde, dann richtete sie ihre Augen mit allem Liebreiz wieder auf Harry und sagte:

»Fürchten Sie sich nicht vor solchen Ketten? Die spanischen Blumen beanspruchen ungetheilte Aufmerksamkeit.«

»Die Ketten, die ein Engel schmiedet, sind unzerreißbar und beseligend, und der Glückliche, der sie trägt, wird sich nimmer nach Freiheit sehnen, denn er würde ja seinen Himmel verlassen müssen«, antwortete Harry mit halblauter Stimme, während die Aufregung, die sich seiner bemächtigte, sich in seinen Augen spiegelte.

»Herr Williams, Herr Williams«, versetzte die Condesa mit einem Glutblick und drohte lächelnd mit dem Fächer, dann folgte sie eilig ihrem Gemahl und sagte, denselben einholend:

»Sie vergessen in Ihrer Unterhaltung ganz, daß Sie mit einer Dame promeniren, meine Herren; ich kann Ihnen ja kaum folgen.«

In diesem Augenblick bogen sie um eine Gebüschgruppe und standen vor Santa-Anna. Sie traten überrascht zur Seite und verneigten sich, um ihn vorüberziehen zu lassen, er aber schritt mit einer grüßenden Handbewegung auf die Gräfin zu, faßte dann, sich verbeugend, an seinen Federhut und sagte:

»Die eine Sonne ist verschwunden, um der andern die Herrschaft zu lassen; ich habe mich nach ihren Strahlen gesehnt, schöne Condesa.«

»Vor der Sonne Mexicos, Eure Herrlichkeit, muß jede andere verbleichen, und dem Kriegsgott ergab sich Venus selbst«, antwortete die Gräfin mit einer graziösen Bewegung ihrer Hand gegen den Feldherrn und verneigte sich vor ihm.

»Nicht doch, Eure Erlaucht, der Gefangene, der Besiegte war der Kriegsgott. Selbst ein Gott kann dem Zauber höchster weiblicher Schönheit nicht widerstehen«, versetzte Santa-Anna, indem er seine Rechte auf sein Herz legte und sich tief vor der Gräfin verbeugte. Dann wandte er sich freundlich zu dem Grafen und zu dem Consul und bemerkte jetzt erst, daß Harry mit zu ihrer Gesellschaft zähle.

»Wer ist der schöne junge Mann, der mit der Condesa spricht?« fragte er die beiden Herren, worauf Murphy erwiderte:

»Ein reicher Baumwollenpflanzer aus Texas; erlauben mir Eure Herrlichkeit, Ihnen denselben vorzustellen?«

»Wird mir sehr angenehm sein, Herr Consul«, entgegnete Santa-Anna und wandte sich zu Harry, den Murphy aus seiner Unterhaltung mit der Gräfin zog und ihn als Herrn Williams aus Texas dem General vorführte.

»Sie sind geborener Amerikaner, Herr Williams?« hob Santa-Anna nach gegenseitiger Begrüßung an.

»Und zwar in Tennessee geboren, Eure Herrlichkeit«, antwortete Harry mit freundlicher Höflichkeit.

»Die Einwanderung der Amerikaner in Texas hat in den letzten Jahren sehr zugenommen und viele äußerst tüchtige Männer haben sich dort niedergelassen. Wenn das amerikanische Element sich nur leichter mit dem mexicanischen verbinden wollte, sie bleiben aber immer wie Wasser und Oel geschieden. Wie ich höre, sollen in den östlichen Gegenden, wo viele Amerikaner wohnen, die Mexicaner weggezogen sein.«

»Das mag wohl mehr seinen Grund in der Verschiedenheit ihrer Beschäftigung finden, Eure Herrlichkeit. Die Mexicaner in Texas haben immer von der Viehzucht gelebt und nur für ihren Bedarf Brodstoff gebaut, während der Amerikaner mehr Ackerwirthschaft treibt und durch seine Felder die Weideplätze der Mexicaner unterbricht.

»Wie ist die Stimmung der amerikanischen Bevölkerung von Texas gegen die hiesige Regierung?« fuhr Santa-Anna fort und hielt seinen Blick auf Harry geheftet.

»Sehr unzufrieden mit Bustamente; die Nachricht von dessen Fall wird dort noch größern Jubel hervorrufen als hier, und die Begeisterung für den Sieger, den Helden Santa-Anna wird von Texas aus durch die ganzen Vereinigten Staaten widerhallen«, antwortete Harry mit einer Verbeugung.

»Es freut mich, etwas gethan zu haben, was in dieser Provinz Beifall finden wird, ich habe mich immer sehr für sie interessirt und werde stets ihr Wohl im Auge halten. Uebrigens ist Texas von der Natur zur Viehzucht bestimmt, denn die ganze nördliche Hälfte Amerikas hat solche reiche, ewig grüne Weiden nicht aufzuweisen wie dieses Land.«

»Dagegen muß ich Eurer Herrlichkeit aber bemerten, daß auch kein anderer Theil dieses Landes so reichen, unerschöpflichen, ergiebigen Boden neben so fruchtbarem, namentlich so gesundem Klima besitzt, und daß kein Land auf der ganzen Erde so vorzügliche Baumwolle erzeugt wie Texas. Hätte es die Arbeitskräfte, welche den Vereinigten Staaten zu Gebote stehen, so würde es in kurzer Zeit der reichste Staat auf diesem Continent sein.«

»Sie verstehen unter Arbeitskräften die Sklaven. Sklaverei aber, dieser Fluch, der auf Nordamerika lastet und der ihm zum Verderben werden wird, ist Gott Lob aus unserm Reich verbannt und soll nie, solange ich mitzureden habe, über unsere Schwelle treten. Ich weiß recht gut, daß die amerikanischen Ansiedler in Texas große Mengen von farbigen Arbeitern nach dort gebracht haben, wenn dieselben aber Sklaven bleiben, so ist es ihr eigener Wille, denn nach unsern Gesetzen sind sie frei, sobald sie den Fuß auf mexicanische Erde gesetzt haben.«

»Ich stimme den Grundsätzen Eurer Herrlichkeit in Bezug auf Sklaverei aus innigster Ueberzeugung bei, ich halte sie für ein verbrecherisches, den Menschen herabwürdigendes und brandmarkendes Institut«, sagte Harry mit anscheinend tiefster Entrüstung und fügte noch hinzu: »Wenn wir in Texas nur so glücklich wären, von den Millionen arbeitender Indianer, die hier im Innern des Landes wohnen, einen Theil nach unserer Provinz übersiedeln zu können, denn die, welche unser Land durchstreifen, sind wilde Kannibalen, die dem Fortschreiten unserer Cultur einen gewaltigen Damm entgegenstellen.«

»Unsere nordöstlichen Staaten leiden ebenso viel durch diese Indianer und ich werde es mir zur Hauptaufgabe machen, unsere Grenzen gegen dieses Gesindel zu schützen, sobald unsere innern Zustände geregelt sind und meine Stimme bei der Regierung unseres Reichs mehr Gewicht hat; zu viele Köpfe zersplittern ihre Kraft.«

Diese letzten Worte sagte Santa-Anna halb vor sich hin, als ob ihn für den Augenblick ein mächtiger Gedanke der Gegenwart entzöge.

»Diese Zeit wird hoffentlich nicht fern sein, Eure Herrlichkeit; die neue Präsidentenwahl steht nahe bevor«, fiel Harry mit schmeichelndem Tone ein.

»Sollte man mir die Ehre erzeigen, so werde ich mich des reichen, schönen Texas ganz besonders annehmen. Wann reisen Sie nach dort zurück?«

»In nicht langer Zeit«, antwortete Harry mit gedämpfter Stimme und warf einen Blick nach der Gräfin, als fürchte er, daß diese seine Worte vernehmen möchte.

»So werden Sie vor der Wahl wieder dort sein und können meine Absichten bekannt machen«, versetzte Santa-Anna und fügte, sich gegen Harry verneigend, noch hinzu:

»Es wird mir angenehm sein, Sie in meiner Wohnung zu begrüßen.«

Dann verabschiedete er sich von der Gräfin und deren Gemahl, reichte dem Consul vertraulich die Hand und schritt zu den Offizieren zurück, die seiner in einiger Entfernung harrten.

»Unser zukünftiger Herrscher war ja äußerst liebenswürdig gegen Sie, Herr Williams«, sagte die Condesa, wieder an Harry's Seite tretend. »Er ist ein großer Mann, den der Himmel unserm Lande als rettenden Engel gesandt hat; nur ein solcher Kopf, ein solcher Arm kann uns vor einer Pöbelherrschaft bewahren. Er ist aus alter guter Familie und weiß den Werth zu schätzen, den der Adel für ein Land hat.«

»Herr Williams«, wandte sich jetzt der Graf zu Harry um, »unser gemeinschaftlicher Freund, der Herr Consul, ist so freundlich und will uns das Vergnügen Ihrer Gesellschaft an diesem Abend mit genießen lassen, wenn Sie mit ihm denselben bei uns verbringen wollen.«

»Ich bin der reiche Gewinner bei dieser Aenderung und fühle mich sehr geehrt und beglückt durch Ihre Güte, Herr Graf«, erwiderte Harry mit großer Höflichkeit. »Ehe ich aber die Einladung annehmen lann, muß ich von der Frau Gräfin hören, ob auch sie ihre Zustimmung dazu gibt.«

»Unverhoffte Freude macht stumm«, entgegnete die Condesa mit wonnigem Lächeln, »sonst würde ich der Bitte meines Gemahls die meinige beigefügt haben; jetzt bitte ich Sie, Herr Williams, unser Haus zu Ihrer Heimat zu machen. Rechnen Sie diese Worte nicht als spanische Form, sondern betrachten Sie dieselben als wirklich so gemeint. Je öfter Sie von dieser unbegrenzten Einladung Gebrauch machen, um so dankbarer werden wir, mein Gemahl und ich, Ihnen sein.«

Der Graf stimmte den Worten seiner Gattin bei und schlug nun mit dem Consul den Weg nach dem Ausgang aus der Alameda ein, während die Gräfin mit Harry an ihrer Seite in einiger Entfernung folgte.

»Zürnen Sie mir auch nicht darüber, daß ich die Veranlassung zu der Einladung gab?« fragte die Condesa mit süßem Tone ihren jungen Begleiter.

»Ich würde Ihnen selbst dann nicht zürnen können, wenn Sie mir die Seligkeit Ihrer Huld wieder entziehen wollten; es würde mich aber endlos unglücklich machen«, erwiderte Harry mit bittendem Tone.

»Ich laufe größere Gefahr, eine Freude wieder zu verlieren, die ich mir vielleicht nur durch diese Huld verschaffte und welche zu erhalten die Kräfte mir fehlen«, sagte die Gräfin mit halblauter, weicher Stimme und sah mit allem Zauber ihrer Augen zu Harry auf.

Im Vorübergehen an den vielen Lustwandelnden in der Alameda wurden sie fortwährend der Gegenstand großer Aufmerksamkeit und Alles schaute neugierig dem interessanten jungen Fremden nach, der sich so eifrig mit der vornehmen schönen Condesa unterhielt.

Harry und der Consul verbrachten einen äußerst angenehmen Abend bei Romeros, der Graf zeigte sich als liebenswürdiger Wirth, und die Gräfin bot Alles auf, ihren Gästen die Zeit angenehm zu vertreiben; sie würzte die Unterhaltung, indem sie ihrem Gatten und dem Consul in Allem das Widerspiel hielt, bekämpfte beide mit Scherz und Witz und rief Harry oft für sich in die Schranken. Auch ließ sie ihre Harfe bringen und spielte und sang zur Bewunderung und zum Entzücken aller. In ihrer allgemeinen Bemühung aber, die Männer zu erheitern, versäumte sie nicht, durch Ton, Blick und Bewegung Harry auszuzeichnen und das in ihm hervorgerufene Interesse für ihre Person noch mehr zu beleben. Glühend fühlte er jeden Blitz ihrer Augen seine Glieder durchzucken, wie himmlische Musik traf ihn der Ton ihrer süßen, klangreichen Stimme, und träumend verließ er das Palais, träumend von dem Glücke, welches so hohe Schönheit, so bezaubernde Liebenswürdigkeit zu spenden im Stande sein würde.

Harry machte von der unbeschränkten Einladung der Gräfin Gebrauch und besuchte täglich ihr Haus. Bei diesen Besuchen behandelte ihn der Graf mit großer Zuvorkommenheit und Freundlichkeit, und das Benehmen der Condesa gegen ihn wurde immer vertrauter, immer wärmer, aber auch immer weniger unbefangen und immer ernster. Oft verstummte sie plötzlich in munterem Gespräch und sah gedankenvoll vor sich nieder, oder ihr Blick heftete sich in stiller Glut für Augenblicke starr auf Harry's Gestalt, dann brach sie aber mit um so größerer Lebendigkeit wieder das Schweigen und suchte in wilder Heiterkeit den Ernst zu verbergen, der sie übermannt hatte.


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