Armand (Friedrich Strubberg)
Saat und Ernte
Armand (Friedrich Strubberg)

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Viertes Kapitel.

Die Ernte fiel über alle Erwartung günstig aus und Harry begann mit der Versendung der Baumwolle nach Neuorleans. Er übermachte dieselbe aber nicht dem von Dandon bezeichneten Hause Hardridge & Comp., sondern einem andern, ihm persönlich befreundeten, und zeichnete die Ballen auch nicht Dandon & Williams, sondern einfach mit H. Williams.

Gegen das Ende des October hatte Harry bereits gegen fünfhundert Ballen Baumwolle an seinen Commissionär in Neuorleans abgeschickt, als er eines Morgens einen Brief von Dandon erhielt.

»Endlich!« sagte er, auf die Adresse schauend. »Endlich wird der alte Schafskopf doch entdeckt haben, daß man seine Befehle wenig achtet.«

Dabei öffnete er das Schreiben und las dasselbe mit der größten Ruhe durch, als ob er auf dessen Inhalt gewartet hätte.

»So, nun kann der Tanz beginnen. Ich werde dir lustig aufspielen, du alter Narr!« fuhr Harry ebenso ruhig fort und begab sich an seinen Schreibtisch.

Dandon hatte in diesem Briefe an Harry sich darüber beklagt, daß er die Baumwolle nicht ihrer Abrede gemäß an Hardridge & Comp. gesandt und daß er sie auch nicht mit Dandon & Williams gezeichnet habe, und ersuchte ihn, ihm die Gründe zu nennen, aus welchen er so ganz gegen Uebereinkunft gehandelt habe. Namentlich aber bat er Harry, das Haus, an welches er die Baumwolle geschickt habe, zu veranlassen, die Hälfte des Erlöses daraus an ihn nach Natchez zu senden und die betreffende Abrechnung darüber beizufügen. Harry beantwortete den Brief folgendermaßen:

»Herr Dandon!

Ich habe Ihren Brief vom 19. October heute erhalten und ihn gelesen. Ueber den Inhalt desselben aber bin ich noch immer ebenso im Unklaren, als hätte ich ihn nicht gelesen. Ich verstehe nicht, mit welchem Rechte Sie sich jetzt noch in meine Angelegenheiten mischen können, nachdem wir uns auseinandergesetzt und vollständig abgerechnet haben und Sie Ihr Guthaben von mir bei Dollar und Cent baar empfingen. Im ersten Augenblick hielt ich das ganze Schreiben für einen Scherz, nachdem ich mich nun aber von dem wirklichen Ernste seines Inhalts überzeugt habe, bleibt mir nichts Anderes von Ihnen zu denken übrig, als daß Sie verrückt geworden sein müssen. Ich hoffe und wünsche, daß dieser Krankheitsanfall keine dauernden schlimmen Folgen für Sie haben möge, und bleibe mit diesem Wunsche

Ihr ergebener        
Harry Williams.«

Laut auflachend schloß und versiegelte Harry diesen Brief, steckte ihn nebst Dandon's Schreiben in seine Brusttasche und trat dann in seinem Cabriolet, von einem Neger zu Pferd gefolgt, seine Reise nach Galveston an, wo er den Brief am folgenden Tage selbst der Post übergab. Sein nächster Weg von dort aus war zu dem Friedensrichter Turner.

»Willkommen, Herr Williams!« rief dieser ihm freudig zu. »Endlich sieht man Sie einmal wieder. Wo haben Sie denn so lange gesteckt?«

»Die Baumwollenernte macht mir viel zu schaffen, doch ehrlich gesagt, ich konnte es nicht länger zu Hause aushalten und mußte meine Freunde in Galveston einmal wiedersehen«, antwortete Harry, indem er die ihm von Turner gebotene Hand mit großer Herzlichkeit drückte. »Doch Alles wohl und frisch zu Haus; kein Fieber unter den Negern?« fuhr der Friedensrichter fort.

»Gott Lob! Der Arzt wird in diesem Jahre nicht viel bei mir verdienen«, erwiderte Harry. »Ich habe aber eine recht traurige Kunde aus einem Brief ersehen, welchen ich gestern erhielt. Denken Sie sich, mein früherer Associé, Herr Dandon in Natchez, der vor einiger Zeit hier war, muß den Verstand verloren haben. Sie wissen, Sie haben doch meine Abrechnung mit ihm, nach welcher er keinen, auch nicht den entferntesten Anspruch mehr an mein Eigenthum zu machen hat, selbst beglaubigt, und nun schreibt mir der Mann über unser Geschäft und macht mir Vorwürfe über meine Baumwollenversendungen.«

»Das ist wohl nicht möglich!« fiel Turner ein. »Bündiger und reiner kann ja ein Geschäft gar nicht abgemacht werden, als es zwischen Ihnen beiden geschehen ist. Was fällt dem Manne ein?«

»Er muß übergeschnappt sein, eine andere Erklärung gibt es nicht dafür«, sagte Harry, die Achseln zuckend, und setzte, den Brief Dandon's aus der Tasche hervorziehend, hinzu: »Da ist sein Schreiben. Lesen Sie selbst und sagen Sie mir, ob der Mann seine fünf Sinne noch beisammen hat oder nicht.«

Turner öffnete den Brief, und als er denselben durchblickt hatte, gab er ihn Harry zurück, indem er sagte:

»Der Mann ist toll, denn die Absicht, Sie zu betrügen zu berauben, kann man unter den obwaltenden Verhältnissen ja nicht annehmen, es würde ja jedes Gericht der Welt seine Klage gegen Sie als einen Wahnsinn zurückweisen. Offen gesagt, verehrter Herr Williams, er kam mir schon bei seinem Hiersein mit Ihnen sonderbar vor, wie er zu mir an das Pult trat und mir auf die Finger sah, als zweifle er an der richtigen Beglaubigung des Documents. Ich sehe ihn noch vor mir stehen!«

»Ach nein, bester Turner, damals war er bei ganz gutem Verstande, denn er hat mir bei der Abrechnung wahrlich nichts geschenkt. Es ist aber seine Habgier, die ihn toll gemacht hat. Ich habe ihm auch ganz kurz und bündig geschrieben, daß er verrückt sein müsse«, sagte Harry leichthin und wandte dann das Gespräch auf Politik.

Ehe er den Friedensrichter verließ, bat er ihn, bei ihm im Gasthof zu Abend zu speisen, und bemerkte, daß er noch mehrere Freunde einladen wolle. Dann suchte er den Richter Jack und auch Colonel Kinney auf, theilte ihnen dasselbe mit, was er Turner gesagt hatte, und erhielt von ihnen dieselbe Antwort, nämlich daß Dandon verrückt geworden sein müsse. Auch sie nahmen seine Einladung auf den Abend an, und außer ihnen fand sich noch ein Dutzend der angesehensten Männer aus Galveston bei ihm ein. Bei dieser Gelegenheit wurde die Sache mit Dandon nun abermals vielseitig besprochen, und alle erklärten ihn einstimmig für toll.

Harry blieb auch noch am folgenden Tage in der Stadt, um sein Verhältniß zu Dandon sowie dessen unerklärliches Betragen möglichst bekannt werden zu lassen und die Stimmung allgemein gegen denselben zu richten; denn daß derselbe die Antwort auf seinen Brief sofort in eigener Person bringen werde, darüber konnte Harry nicht im Zweifel sein. Nachdem er nun glaubte seinem verabschiedeten Compagnon in Galveston den nöthigen Empfang bereitet zu haben, reiste er ab und begab sich nach Brazoria, wo dessen Klage gegen ihn zur Entscheidung kommen mußte, wenn sie überhaupt von dem Gerichte angenommen wurde. Dort benutzte er abermals seinen ganzen Einfluß und seine ausgebreitete Bekanntschaft, um Vorurtheile gegen Dandon zu erzeugen, sprach aber dabei ohne jedes sichtbarliche eigene Interesse und bedauerte nur das Unglück, welches den ihm befreundeten armen Mann betroffen habe.

Mit einem Gefühl von Triumph kehrte er abends nach Hause zurück und mit wahrem Verlangen wünschte er die Ankunft Dandon's herbei, um ihm gegenüber zu treten und ihn in offener Schlacht zu schlagen.

Lucy küßte Harry die Hand, als derselbe aus dem Cabriolet stieg, doch als sie ihm in sein Zimmer folgte und die Lichter auf dem Tische unter dem Spiegel anzündete, da schlang er zärtlich seine Arme um sie und führte sie nach dem Kamin, wo ein leichtes Feuer aufflackerte.

»Du bist doch meine süße, meine reizende Lucy und bleibst mir immer lieber als alle Mädchen der Welt!« sagte er zu dem wonnetrunkenen, in Seligkeit erzitternden Mädchen und zog sie, in den Schaukelstuhl niedersinkend, auf seinen Schooß.

»Und Du bist mein geliebter, mein einziger Harry, bist mein Glück, meine Welt, für die ich jeden Augenblick bereit bin, meinen letzten Blutstropfen hinzugeben«, sagte die Mulattin und preßte, ihre vollen weichen Arme um seinen Nacken schlingend, ihre üppigen, liebeglühenden Lippen in langem Kusse auf seinen Mund.

»Ach Herr, ach Geliebter«, fuhr sie nach einer beseligenden Pause mit bebender Stimme fort, »könnte ich doch durch die That Dir meine Liebe, meine Treue, meine Anhänglichkeit darthun!«

»Hast Du dies nicht gethan, als Du mir hierher folgtest?« antwortete Harry, sich an der Innigkeit des treuen Mädchens weidend.

»Ich that es nicht aus freiem Willen, ich that es, weil ich nicht anders konnte, that es auch nicht für Dich, ich that es für mich selbst, für mein eigenes Glück, für meine Seligkeit«, sagte Lucy mit leiserer Stimme und barg ihr glühendes schönes Antlitz tiefer an Harry's Brust.

»Sieh, Du erinnerst mich an ein sehr wichtiges, werthvolles Papier in meiner Brusttasche, welches ich die größte Lust hätte ins Feuer zu werfen«, hob Harry an und zog die gefälschte Abrechnung mit Dandon hervor. Einige Augenblicke sah er sinnend auf das Document und fuhr dann fort: »Dies Papier ist hunderttausend Dollars werth und doch sollte ich es den Flammen übergeben, denn es könnte möglicherweise mein Leben in Gefahr bringen.«

»Wirf es hinein, schnell! Laß mich es thun, Geliebter meiner Seele«, rief Lucy erschreckt aus und griff nach dem Papier, doch Harry entzog es ihrer Hand und sagte lächelnd:

»Es ist nicht so ernst gemeint, süßes Mädchen; wenn ich es aber ruhig bedenke, so hat dies Papier eigentlich doch gar keinen Werth mehr für mich, und es ist Thorheit, daß ich mich nicht entschließen kann, es zu verbrennen. Es ist ein Document, welches ich in das Hypothekenbuch in Galveston habe eintragen lassen und dessen Vorhandensein nun gänzlich unnöthig ist, während es mir doch wirklich gefährlich werden könnte.«

»O so vernichte es, Harry. Gib es den Flammen hin, damit seine Asche mit dem Rauch durch den Schornstein verwehe. Warum zögerst Du noch?« sagte Lucy bittend und suchte, ihm schmeichelnd, des Papiers habhaft zu werden.

»Nein, nein, es soll leben. Diesen Triumph kann ich mir nicht versagen«, versetzte Harry und trug das Document nach seinem Schreibtisch, wo er es mit noch andern Papieren, die er bei sich trug, verschloß.

Lange sollte Harry nicht auf die Nachricht von Dandon's Ankunft in Galveston warten, denn kaum hatte er die Möglichkeit berechnet, daß derselbe seinen Brief erhalten und den Weg bis nach der Insel zurückgelegt haben könnte, als er auch schon einen Expressen von seinem Spediteur in Galveston erhielt, durch den derselbe ihm meldete, daß Herr Dandon dort eingetroffen wäre.

Harry brach sofort auf und langte am folgenden Morgen gleichfalls auf der Insel an. Beim Eintreten in das Unionshotel empfing man ihn sogleich mit der Neuigkeit, daß sein früherer Compagnon in dem Washingtonhotel eingekehrt sei, daß er verrückt wäre, wie ein brüllender Löwe in der Stadt umherlaufe und vergebens Jemand zu finden suche, der seine tollen Geschichten glauben wolle. Er sei schon bei allen Advocaten gewesen und habe ihnen Geld auf Geld geboten, seine Klage gegen Harry zu übernehmen, sie hatten ihn aber alle ausgelacht und ihm gerathen, er möge sich eines Bessern besinnen und wieder nach Hause reisen.

Harry jubelte und jauchzte bei dieser Erzählung in seinem Innern auf, seine äußere Erscheinung aber behielt den Ausdruck des Bedauerns und der Theilnahme, und wiederholt sagte er mit einem leidvollen Athemzug:

»Der arme Mann! Es ist recht traurig für ihn.«

Kaum hatte er seine Toilette geordnet, als er sich zu dem Richter Jack begab, der ihn auch mit der Nachricht von Dandon's Erscheinen begrüßte.

»Er ist richtig da und so toll wie möglich. Denken Sie sich, daß der Mann es mir ins Gesicht abgeleugnet hat, mit Ihnen bei dem Friedensrichter gewesen zu sein und mich und Kinney aufgefordert zu haben, eine Abrechnung mit Ihnen dort zu bezeugen. Da hört denn doch wirklich Alles auf.«

»Er ist toll, wie ich Ihnen gesagt habe, denn eine solche Frechheit bei gesundem Verstande ist nicht denkbar«, sagte Harry. »Dennoch wollen wir versuchen, ob wir ihn nicht dadurch zur Vernunft zurückfahren können, wenn Sie und Kinney mit mir vor ihn treten. Es ist ja gar nicht möglich, daß er es dann noch in Abrede stellen kann. Haben Sie jetzt Zeit, so lassen Sie uns Kinney abholen und zusammen zu dem Manne gehen, vielleicht gelingt uns das gute Werk, ihm den Verstand wiederzugeben.«

Der Richter Jack war gern erbötig, Harry's Vorschlag auszuführen, und beide eilten nun zu Kinney, der sie gleichfalls mit Worten der Verwunderung über Dandon's Verrücktsein empfing. Auch er erklärte sich sofort bereit, einen Versuch zu machen, ob man ihn nicht zu Verstande bringen könne, und einige Minuten später traten sie in das Washingtonhotel ein.

Der Wirth theilte ihnen mit, daß Herr Dandon auf seinem Zimmer wäre, und meldete Harry auf dessen Ersuchen bei jenem an.

»Wo ist der Mensch?« rief Dandon und eilte der Thür zu, als Harry, von seinen Begleitern gefolgt, ruhig in das Zimmer auf den Alten zutrat.

»Aber, verehrter alter Freund, ist es denn möglich, daß Gott weiß was Ihnen die Erinnerung so weit geraubt haben sollte, daß Sie unsere freundschaftliche Auseinandersetzung und Abrechnung sowie den Empfang Ihres Guthabens von mir vergessen haben konnten?« sagte Harry mit theilnehmendem Tone und hielt Dandon die Hand dann mit den Worten hin: »Besinnen Sie sich doch! Wir waren ja zusammen bei dem

Friedensrichter Turner, und diese beiden Herren erzeigten uns ja die Gefälligkeit, das von Ihnen ausgestellte und mit Ihrem Namen unterschriebene Document zu bezeugen.«

»Elender, nichtswürdiger Schwindler, wie kannst Du die unerhörte Frechheit haben, mir eine solche Lüge ins Gesicht zu sagen!« rief Dandon, mit rasender Wuth auf ihn zu- und wieder von ihm zurückspringend, als sei er von einer Natter gebissen worden.

»Herr Dandon, Ihre Anschuldigung gegen Herrn Williams trifft auch mich und meinen Freund, den Colonel Kinney hier, und wenn wir beide nicht die Ueberzeugung hätten, daß Sie toll wären, so würden wir Sie für Ihre Beleidigung zur Rechenschaft ziehen. Einem Verrückten gegenüber kann aber von Beleidigung keine Rede sein. Sie sind nicht zurechnungsfähig«, sagte der Richter Jack in höchster Entrüstung und fügte mit zorniger Stimme noch hinzu: »Kinney und ich, wir beide haben Ihre Abrechnung mit Herrn Williams in Ihrer Gegenwart vor den Augen des Friedensrichters Turner als Zeugen unterschrieben und alle Gerichte der Welt können an der Vollstreckung Ihrer vollständigen Abfindung mit Herrn Williams nicht zweifeln.«

»Es ist nicht wahr, es ist höllischer Raub, der an mir begangen werden soll, und weder Sie noch diesen

Herrn Kinney oder den Friedensrichter habe ich in meinem Leben von Angesicht zu Angesicht gesehen«, schrie Dandon umherspringend und sich wie ein Rasender geberdend.

»Lassen Sie uns gehen, meine Herren«, nahm Kinney das Wort. »Der Kerl ist toll, und wenn er sich ferner untersteht, Schmähreden gegen uns auszustoßen, so werde ich ihn von Gerichtswegen gefangen nehmen und nach Hause senden lassen.«

»Aber, alter Freund, so nehmen Sie doch Vernunft an und machen Sie sich nicht lächerlich«, sagte Harry mit gutmüthigem, mitleidigem Tone, wieder auf Dandon zutretend. Doch dieser fuhr wie vor einem Pestkranken zurück und rief mit entsetzter Stimme:

»Komm nicht in meine Nähe, Du Ungeheuer, Du Ausgeburt der Hölle!«

»Kommen Sie, Williams! Lassen Sie den wahnsinnigen Menschen gehen; wenn er noch viel Unfug macht, so bringen wir ihn in Sicherheit«, nahm der Richter Jack das Wort wieder, ergriff Harry's Arm und zog ihn mit sich aus dem Zimmer, während Dandon die Hände über seinem Kopfe rang und seiner Wuth durch Stampfen mit den Füßen und durch unzusammenhängende Worte der Verzweiflung Luft machte.

Kaum hatten die Drei ihn verlassen, als er in fliegender Eile zu einem Kaufmann Namens Miers rannte, um bei ihm sein verzweifelndes Herz auszuschütten. Miers war der einzige Mann in der Stadt, der in Dandon keinen Narren, wohl aber in Harry Williams einen ruchlosen Betrüger sah. Erklären konnte er sich es nicht, wie die Fäden gesponnen waren; daß Dandon aber niemals mit Harry Williams abgerechnet hatte, davon war er überzeugt.

Dandon kam wie vernichtet zu ihm in das Zimmer geeilt und berichtete ihm mit stotternder Stimme die ungeheure That, die Harry Williams so eben durch sein Erscheinen vor ihm begangen habe.

»Es wäre kein Wunder«, sagte er mit bebender Stimme, »wenn man verrückt würde, denn die Hölle selbst kann keine größern Martern erfinden, als dieser ruchlose Bösewicht über mich gebracht hat. Was soll ich thun, was soll ich anfangen, um wenigstens als vernünftiger Mensch angesehen zu werden und meinem Rechte einen Weg zu verschaffen?«

»Sind Sie denn bei dem Advocaten Osler gewesen?« fragte Miers, indem er Dandon einen Lehnsessel hinschob und ihn nöthigte, sich darin niederzulassen.

»Bei allen, bei allen war ich schon: sie verhöhnten mich, lachten mich aus, nannten mich toll und verrückt und riethen mir, Vernunft anzunehmen und wieder nach Hause zu reisen«, antwortete Dandon, die Hände ringend.

Miers schwieg jetzt und schien einem plötzlich in ihm aufkeimenden Gedanken zu folgen, nach einer kurzen Pause aber sagte er:

»Hier finden Sie keinen Rechtsbeistand, man hat zu sehr gegen Sie vorgearbeitet.«

Dann schwieg er wieder einige Augenblicke und hielt die Lippe zwischen seinen Fingern gefaßt, fuhr aber gleich wieder fort:

»Es gibt einen Advocaten in Texas, der Ihnen helfen würde, wenn Sie ihn zu sprechen bekämen, ehe man ihn gegen Sie einnimmt. Er ist einer der angesehensten, rechtlichsten Männer im Lande und vielleicht der erste Advocat auf dem ganzen amerikanischen Continent.«

»Um Gottes willen, nennen Sie mir den Mann, damit ich zu ihm fliegen kann!« rief Dandon aufspringend und ergriff mit, beiden Händen die Rechte des Kaufmanns.

»Er heißt Randolph und wohnt in Gonzales«, antwortete Miers. Dandon fuhr zusammen.

»Randolph sagen Sie? Wo ist er zu Hause? Kam er aus den Vereinigten Staaten?« fragte er mit klangloser Stimme, als ob eine Schuld sie in seiner Brust zusammenklemme.

»Ja, Randolph ist sein Name; er muß schon sehr lange in Gonzales wohnen, hat aber erst, seit Texas frei ist, seine Praxis als Advocat begonnen«, entgegnete Miers und sah Dandon verwundert an, da ihm die plötzliche Veränderung von höchster Aufregung zu vollständiger Erschlaffung seines Wesens auffiel.

Dandon holte tief Athem und sagte beruhigt:

»So, er wohnt also schon seit vielen Jahren in Gonzales.«

Darauf schwieg er einige Augenblicke, während welchen er sich wieder in den Stuhl sinken ließ, und sagte dann:

»Ich will sofort zu ihm reisen und ihn um seinen Beistand bitten.«

»Thun Sie es, wenn es dunkel geworden ist, damit Ihre Feinde nichts von Ihrer Abreise gewahr werden und Ihnen nicht folgen können«, sagte Miers. »Ich will sogleich einen Expressen nach der Westspitze der Insel senden und die Ueberfahrt von dort für Sie bestellen. Auch will ich sorgen, daß ein Wagen nach eingebrochener Dunkelheit für Sie bereit steht. Machen Sie sich zur Reise fertig und am Abend kommen Sie wieder hierher.«

Dandon schöpfte neue Hoffnung und verließ den theilnehmenden Helfer in der Noth unter tausend Danksagungen.

Mit einbrechender Nacht war Dandon auf dem Wege nach dem westlichen Ende der Insel und am folgenden Morgen bestieg er auf dem Festlande ein Maulthier, welches ihn in fliegendem Paßgange in der Richtung nach Gonzales davontrug. Ohne mehr Rast oder Ruhe, als seinem Thiere nothwendig war, eilte Dandon dahin, und schon am vierten Abend, als die Sonne hinter der flachen duftigen Ferne versank, erreichte er das Ziel seiner mühevollen Reise.

Kaum nahm er sich in dem Gasthof die Zeit, den Staub von seiner Kleidung zu wischen oder seinem sonst so gepflegten Aeußern einige Aufmerksamkeit zu schenken, er fragte nur nach der Wohnung des Advocaten Randolph und wandte dann eilig seine Schritte trotz aller Ermüdung derselben zu.

Albert saß hinter dem kleinen, mit blühenden Rosenranken überhangenen Fenster seines Arbeitszimmers, hatte die Feder niedergelegt und schaute in den dämmernden Abend hinaus; er folgte aber mit seinen Gedanken nichte der Sonne, deren Bahn noch durch das glühende Roth am westlichen Himmel bezeichnet wurde, sie zogen nach Osten hin, zu der Geliebten seiner Seele, zu seiner Blancha.

Da sah er einen fremden Herrn rasch unter dem Fenster vorübergehen und hörte gleich darauf im Hause seinen Namen nennen. Er stand auf und wandte sich der Thür zu, da flog dieselbe auf und Dandon und Albert standen einander gegenüber.

Starr und regungslos wie zwei Bildsäulen hielten sie ihre Blicke auf einander gerichtet und beider Oberkörper blieben für einige Augenblicke in der wie im Schreck zurückweichenden Stellung, doch faßte sich Albert zuerst, indem er die Worte ausstieß:

»Mein Gott, Herr Dandon!«

Dieser hatte den Thürpfosten ergriffen, um sich an ihm aufrecht zu halten, denn seine Glieder zitterten und es war ihm, als müsse er in die Erde sinken. Endlich ermannte er sich aber und sagte:

»Ich habe nicht geahnt, daß Sie es wären, bei dem ich Hülfe suchen wollte, Herr Randolph. Verzeihen Sie!« Dabei trat er rückwärts wieder mit dem Fuße aus der Zimmerthür.

»Nicht doch, Herr Dandon!« rief Albert ihm aber zu. »Treten Sie herein; wenn Sie Hülfe bei mir suchen wollten, so soll das Unrecht, welches Sie mir thaten, nicht zwischen uns stehen. Womit kann ich Ihnen dienen?«

Dabei schritt er zu dem Alten hin, legte seine Hand auf dessen Schulter, führte ihn so in das Zimmer und nöthigte ihn, sich in einem Sessel niederzulassen.

Dandon blickte wie vernichtet vor sich nieder und schwieg. Albert aber setzte sich zu ihm und fuhr beruhigend fort:

»Sagen Sie mir offen, Herr Dandon, womit ich Ihnen helfen kann, und seien Sie meiner Hülfe gewiß. Ich trage keinen Groll gegen Sie im Herzen.«

Er sagte diese Worte mit unverkennbarer tiefer Ergriffenheit und nahm dabei die Hand des Alten freundlich in die seinige.

»Herr Randolph«, stotterte Dandon jetzt, heftig erschlittert, ohne zu Albert aufzublicken, »wie kann, wie darf ich Ihre Hülfe in Anspruch nehmen! Ich war es ja –«

»Lassen Sie die Vergangenheit ruhen, Herr Dandon«, fiel ihm Albert rasch ins Wort. »Ich habe nur einen Vorwurf für das Unrecht, welches ich selbst thue, nicht aber für das, was mir zugefügt wird. Vertrauen Sie mir! Es macht mich glücklich, wenn ich Ihnen einen wesentlichen Dienst erweisen kann. Was bringt Sie so schnell nach Texas zurück, welches Sie noch vor kurzer Zeit so zufrieden verlassen hatten? Haben Sie sich in dem Herrn Williams geirrt?«

»So ist's, Herr Randolph. Der Mann ist der Hölle entsprungen! Woher aber wissen Sie?« rief Dandon außer sich.

»Das thut nichts zur Sache. Theilen Sie mir schnell mit, was Ihnen hier begegnet ist; ich sehe, es muß etwas Ernstes, etwas Wichtiges sein! Schnell! Ich helfe Ihnen, wenn es in meiner Kraft steht«, sagte Albert in wachsender Aufregung und ergriff abermals die Hand des Alten.

Diesem war es jetzt, als habe sich seine Brust geöffnet und das Angstgefühl, das ihn zu ersticken drohte, einen Ausweg gefunden. Er erfaßte die Rechte Albert's mit krampfhafter Bewegung und sagte:

»Ja, ja, Sie sind ein edler Mensch, mein Freund, mein Retter in der höchsten Noth. Sie können, Sie werden mir helfen, schon wegen des Andenkens an mein einziges Sie verehrendes Kind, an meine brave gute Blancha werden Sie es thun!« Und nun erzählte er so schnell, als seine Aufregung es erlauben wollte, was zwischen ihm und Harry Williams sich zugetragen hatte.

Albert hörte ihm zu, ohne ihn zu unterbrechen, und auch nachdem Dandon seine Mittheilung beendet hatte, saß er noch eine Zeit lang in sich versunken da, als vergleiche er die verschiedenen Gedanken, die sich ihm bei der Erzählung des Alten aufgedrängt hatten. Nach einer Weile hob er seinen Blick langsam zu ihm auf, sah ihn ernst und forschend an und sagte, ihn fest im Auge haltend:

»Ist das Alles Wahrheit, was Sie mir dagesagt haben, Herr Dandon?«

»Wahrheit, lautere, reine Wahrheit, Herr Randolph. Ich schwöre es bei dem Wohle meines einzigen Kindes, meiner theuern Blancha, daß ich Ihnen Alles so berichtete, wie es sich zugetragen, und daß ich Ihnen nichts verschwieg«, antwortete Dandon mit mehr Festigkeit und Vertrauen.

»So haben Sie ein schweres Verbrechen begangen, Herr Dandon, und aus der bösen Saat ist eine böse Ernte für Sie erwachsen. Ihr Theilnehmer an dem Sklavengeschäft hat sich gegen Sie gewandt, um Ihnen die Strafe dafür zu geben und wahrscheinlich später selbst die Strafe für sein doppeltes Vergehen zu ernten. Ich bin Ihr Richter nicht und will es nicht sein, ich werde Sie vor Gericht gegen Ihren ruchlosen Widersacher schützen, doch niemals aus dem Auge verlieren, was ich der Menschheit schuldig bin. Ich will morgen mit Ihnen nach Brazoria aufbrechen, um Ihre Klage anhängig zu machen, denn in acht Tagen hält dort das höchste Gericht seine Sitzung.«

Als Albert dies sagte, ergriff Dandon mit stürmischer Bewegung dessen Hand und stammelte dann Worte des Dankes hervor, doch Albert bat ihn, sich zu beruhigen, und fragte dann:

»Haben Sie Ihre Correspondenzen mit Williams bei sich?«

»Hier sind meine sämmtlichen Papiere, welche Bezug auf meine Geschäftsverbindung mit ihm haben«, antwortete Dandon, zog zwei Paquete aus seinen Taschen hervor und reichte sie Albert hin.

»Wir dürfen den verbrecherischen Erwerb der Sklaven jetzt nicht berühren, sondern müssen bei dem gemeinschaftlichen Besitz beginnen, denn der Erwerb war ein Criminalverbrechen, Herr Dandon, und Niemand kann aus einem selbst begangenen Unrecht vor dem Gesetze ein Recht herleiten. Auch unsere Gegner müssen in ihrer Vertheidigung vermeiden, dieses Erwerbs zu erwähnen, und deshalb sind Ihre Correspondenzen mit Williams von um so größerer Wichtigkeit. Ich will die Papiere noch heute durchsehen und werde morgen früh bereit sein, die Reise mit Ihnen anzutreten.«

Bei diesen Worten erhob sich Albert, geleitete Dandon aus seiner Wohnung und entließ ihn mit dem Versprechen, am folgenden Morgen zur Abreise vor seinem Gasthause sich einzufinden.

Den Ritt nach Brazoria legten sie in drei Tagen zurück, und am vierten reichte Albert im Namen Dandon's die Klage ein.

Niemals hatte in Texas eine Privatangelegenheit größeres Aufsehen gemacht und allgemeineres Interesse erweckt, als der Rechtsstreit zwischen Harry Williams und Apollo Dandon, zumal da Albert Randolph als Vertreter für die Rechte des letztern auftrat; denn Randolph und Williams waren zwei Namen, die in dem Siegeslorbeer der jungen Republik als zwei Edelsteine glänzten. Aus der ganzen Umgegend von Brazoria strömten die Männer dieser Stadt zu, um den Gerichtsverhandlungen beizuwohnen, und, von Galveston fanden sich Hunderte zu gleichem Ende dort ein.

Daß Dandon in dem Advocaten Randolph aus Gonzales einen Rechtsbeistand gefunden hatte, war für Harry eine unerwartete, jedoch nicht beunruhigende Nachricht, wenn er auch gehofft hatte, daß irgend ein talentloser, in der Achtung des Volkes nicht so hochstehender Anwalt in Brazoria seinen Gegner vor Gericht vertreten würde; denn es war ja unmöglich, die Echtheit der Abrechnung mit Dandon und die von dessen Quittung in Zweifel zu ziehen, geschweige denn ihre Fälschung zu beweisen. Er sah nicht nur mit der größten Zuversicht einer für ihn günstigen Entscheidung des Gerichts entgegen, nein, er verlangte nach dem Augenblick des Triumphs, den er über den alten betrogenen Mann feiern würde; mochte der ihm persönlich nicht bekannte Advocat Randolph einen noch größern Namen haben, als es schon der Fall war, so mußte seine Geschicklichkeit ja doch an den unumstößlichen Beweisen, die Harry gegen Dandon in Händen hatte, scheitern.

Der Tag, an dem die Sitzungen des höchsten Gerichts in Brazoria ihren Anfang nehmen sollten, erschien, und das Haus, in welchem sie gehalten wurden, füllte sich zum Erdrücken mit Zuhörern.

Harry mit seinem Rechtsbeistand, dem Advocaten Watrous, hatte sich auf die vorderste Bank gesetzt, die Geschworenen nahmen ihre Plätze ein, und der Richter begab sich nach seinem Sitze, als Albert Randolph, von Dandon gefolgt, in den Saal trat und der vordersten Bank zuschritt.

Wie vom Blitz getroffen, fuhr es Harry beim Anblick Albert's durch die Glieder, er wurde todtenbleich und der Herzschlag stockte in seiner Brust; dennoch hielt er ihm seine Augen offen entgegen, um ihm zu zeigen, daß er seinem Blicke nicht ausweiche. Albert sah mit eiserner kalter Ruhe und Geringschätzung auf ihn nieder, schritt, ohne ihn weiter zu beachten, an ihm vorüber und ließ sich an Dandon's Seite auf der Bank nieder.

Der Sheriff zeigte jetzt an, daß die Klage Dandon's gegen Williams verhandelt werden solle.

Albert erhob sich und trat vor die Schranken, um die Klage zu begründen, und eine Todtenstille lag auf der versammelten Menge, als Harry plötzlich von der Bank emporschoß und, die Hand nach dem Richter hin ausstreckend, rief:

»Gestatten Sie mir wenige Worte, Euer Ehrwürden, damit das Gericht nicht durch einen verurtheilten, unter dem Galgen entsprungenen Verbrecher entehrt werde. Dieser Randolph wurde in Natchez wegen Mord und Fälschung zum Tode durch den Strick verurtheilt und entfloh dort aus dem Gefängnisse; er kann hier nicht im Namen meines geisteskranken Widersachers gegen mich dessen vermeinte Rechte vertreten. Ich rufe Herrn Dandon als Zeugen gegen ihn auf, denn die Fälschung, die Randolph beging, war gegen diesen selbst gerichtet!«

Wie ein Donnerschlag trafen diese Worte Richter und Zuhörer, wie betäubt stierten alle nach Albert hin, und Jedermann schien den Athem anzuhalten und auf die Antwort des hochgeachteten, gefeierten jungen Mannes zu warten, Albert aber schwieg, ließ stolz und hochaufgerichtet seinen aufflammenden Blick über die Menge hinschweifen und wandte dann seine großen dunkeln Augen fragend nach dem Richter.

Diesem fehlten für einige Augenblicke die Worte, dann aber sagte er mit feierlicher Stimme:

»Albert Randolph, Held von Alamo, Retter der Republik, was haben Sie hierauf zu antworten?«

Noch waren die Worte des würdigen alten Mannes nicht verhallt, als es wie ein Sturm von aller Lippen losbrach und die Hurrahs für Albert Randolph das Haus in seinen Grundmauern erschütterten.

Albert aber winkte dankend und um das Wort bittend nach der Zuhörermenge hin, die jubelnden Donnerrufe derselben verhallten und eine Todtenruhe trat wieder ein.

»Das Opfer von Neid und Mißgunst wurde ich in Natchez zum Tode verurtheilt; ich war schuldlos an den Verbrechen, deren man mich anklagte, und schwöre dies bei dem Allmächtigen Gott, der mir zu Hülfe kam und mir in meiner letzten Stunde gnädig sein möge.«

Hier schwieg Albert einen Augenblick, gab aber durch eine Bewegung mit der Hand zu verstehen, daß er weiter reden wolle, und fuhr dann mit lauter Stimme fort:

»Mit der Unabhängigkeitserklärung von Texas aber wurde zugleich die allgemeine Vergebung für die begangenen Sünden der Freiheitskämpfer der Republik ausgesprochen und darum weise ich den Protest dieses Herrn Williams gegen mein Auftreten für Herrn Dandon hier auf das bestimmteste zurück.«

Sobald das letzte dieser Worte auf Albert's Lippen erstarb, brach abermals der Sturm von Hurrahs aus der Versammlung hervor, und erst nach geraumer Zeit gelang es dem Sheriff, die Ruhe wiederherzustellen. Dann nahm der Richter das Wort und bat Albert, mit Begründung der Klage gegen Williams zu beginnen.

Derselbe folgte dieser Aufforderung, legte dann aus Harry's Briefen an Dandon dem Gerichte eine große Anzahl von Beweisen vor, daß die Baumwollenplantage am Bernardflusse gemeinschaftliches Eigenthum dieser beiden Herren sei, und verlangte schließlich, daß Williams darthue, in welcher Weise er sich mit Herrn Dandon über dessen Antheil an demselben abgefunden habe.

Der Advocat Watrous trat nun für Harry vor, zog mit einem verächtlichen Lächeln die gefälschte Abrechnung aus seiner Tasche und reichte sie dem Richter mit den Worten hin:

»Ich glaube, Euer Ehrwürden, es wird außer diesem rechtsgültigen Document keiner weitern Beweise bedürfen, um festzustellen, daß Herr Dandon nichts mehr von Herrn Williams zu fordern hat und daß die Klage jenes Herrn nur auf einer Störung seiner geistigen Kräfte begründet ist.«

Das Erscheinen dieses entscheidenden Dokuments brachte allgemein das größte Erstaunen hervor, der Richter las es mit wachsender Ueberraschung und gab es dann mit einem verdammenden Blick auf Dandon den

Geschworenen zur Ansicht hin, die nun gleichfalls verwundert und verächtlich nach diesem schauten.

»Sie haben mir von einer Abrechnung mit Herrn Williams ja nichts gesagt, Herr Dandon«, hob Albert mit einem Vorwurf im Tone zu diesem gewandt an.

»Ich habe auch nie eine solche mit ihm gemacht und weiß nichts von diesem Document«, antwortete Dandon erbleichend mit bebenden Lippen, worauf Albert mit ihm an den Tisch trat, um das Papier selbst in Augenschein zu nehmen. Immer ernster, immer finsterer wurden beim Durchsehen desselben Albert's Züge und als er endlich Dandon's Unterschrift und die der beiden Zeugen sowie die Beglaubigung des Friedensrichters erblickte, sagte er mit harter Stimme:

»Haben Sie dies unterschrieben, Herr Dandon?« Dandon zitterte am ganzen Körper, seine Augen schienen aus ihren Höhlen springen zu wollen, und indem er das Papier mit bebender Hand erfaßte, stotterte er: »Es ist meine Unterschrift!«

»Was sagen Sie?« rief Albert entrüstet aus und ergriff zornig den Alten bei der Schulter.

»Ja, ja, es ist meine Unterschrift, doch das ganze Document ist mir fremd; ich habe niemals mit Williams abgerechnet, so wahr mir Gott helfe!« fiel ihm Dandon rasch ins Wort.

Der Advocat Watrous war hinzugetreten und wollte Albert das Papier aus der Hand nehmen, doch dieser wies ihn zurück und sagte:

»Entschuldigen Sie, ich wünsche es noch näher zu betrachten.«

Dann wandte er sich mit beruhigendem Tone wieder zu Dandon und sagte flüsternd zu ihm:

»Fassen Sie sich, Herr Dandon, und betrachten Sie das Papier genau. Ist es nicht solches Papier, welches Sie zu Ihren Briefen benutzen? Ich meine, mehrere Ihrer mir eingehändigten Notizen wären auf solches gestreiftes bläuliches Papier geschrieben.«

»Ja, ja, es ist mein Briefpapier; ich kaufte es vor vielen Jahren in Philadelphia und glaube kaum, daß außer mir noch ein Anderer solches Papier besitzt«, entgegnete Dandon, das Blatt betrachtend.

»Haben Sie jemals bemerkt, daß die Tinte, die Sie gebrauchen, nach einiger Zeit diesen röthlichen Schein annimmt, und benutzen Sie immer nur eine und dieselbe Tinte?« fragte Albert mit zunehmender Spannung.

»Niemals wird meine Tinte roth und schon seit Jahren gebrauche ich nur eine und dieselbe Tinte«, versetzte Dandon sich ermuthigend, als Harry seinem Anwalt einige Worte zuflüsterte und dieser wieder zu Albert trat und ihm das Document aus der Hand nehmen wollte.

»Noch einen Augenblick, Herr Watrous«, sagte Albert zu dem Advocaten, wandte sich dann rasch nachdem Richter um und sagte, indem er ihm das Papier entgegenhielt:

»Ich erkläre dies Document hiermit für eine Fälschung und werde den Beweis für meine Behauptung führen. Euer Ehrwürden wollen die weitern Verhandlungen auf morgen verlegen und für die Sicherheit dieses Documents Sorge tragen, denn es ist wahrscheinlich in das Hypothekenbuch in Galveston eingetragen, und man könnte es jetzt wohl rathsam finden, dies Original aus der Welt zu schaffen.«

Bei diesen sehr laut und bestimmt gesprochenen Worten entstand eine allgemeine Bewegung und Laute der Verwunderung, der Entrüstung und des Beifalls wurden gehört. Da erhob sich Colonel Kinney von seinem Sitze und sagte in ungehaltenem Tone: »Herr Randolph, Ihre Erklärung wird sich hoffentlich nur auf das Document selbst beziehen, nicht aber auf meine und des Herrn Jack Unterschrift, die wir in Gegenwart und auf Ansuchen des Herrn Dandon darunter setzten.«

»Es ist nicht wahr, ich habe dies Papier nie früher gesehen, noch habe ich Sie um Ihre Unterschrift als Zeuge gebeten«, fiel Dandon ihm heftig in das Wort, worauf der Richter Ruhe gebot und die Klagsache

Dandon gegen Williams bis auf den folgenden Morgen vertagte.

Albert dankte dem Richter, nahm Dandon beim Arm und verließ eiligst das Haus. In dem Hotel angelangt, ließ er sofort sein Pferd satteln, ermahnte Dandon, nach eingebrochener Dunkelheit den Gasthof nicht zu verlassen, und sprengte mit dem Versprechen davon, in der Nacht wieder zu ihm zurückzukehren.


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