Armand (Friedrich Strubberg)
Saat und Ernte
Armand (Friedrich Strubberg)

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Zweites Kapitel.

Kaum graute der Morgen, als Albert mit dem Gedanken an seine neue Nachbarin erwachte, schnell sich ankleidete und mit der Hand durch seine prächtigen schwarzen Locken fahrend an das Fenster eilte, um nach Dandon's Haus hinüber zu blicken. Alle Fenster fand er noch geschlossen, die Balkonthür aber noch wie am Abend vorher offen. Er ließ nun schnell die Vorhänge vor seinem Fenster zusammenfallen, sodaß er zwischen ihnen durch die Fremde beobachten konnte, ohne von ihr bemerkt zu werden.

Sicher mußte sie von ihrer gestrigen Reise sehr ermüdet sein, denn schon warf die Sonne ihre ersten Strahlen auf Albert's Wohnung und noch war von der Dame kein Lebenszeichen zu erkennen.

Wie gewöhnlich kam jetzt die braune Haushälterin Dandon's von dem Frühmarkte zurück, ein Neger trug ihr einen schwer beladenen Korb und einen großen Fisch in das Haus nach, die Thür schloß sich und die vorige Stille herrschte dort abermals.

Albert saß, mit immer größerer Spannung nach den Fenstern der Schläferin hinüberschauend, als plötzlich die Vorhänge hinter einem derselben sich bewegten, die unverkennbare reizende Hand dieselben zurücklegte und die sehnlichst Erwartete das Fenster weit öffnete.

Es waren nur Augenblicke, in denen es Albert vergönnt war, die reizende Erscheinung der Fremden anzustaunen, und doch waren die Augenblicke hinreichend, ihr Bild makellos und unverlöschlich seiner poetischen Seele einzuprägen; hätte er sie nie wiedergesehen, so würde dies ihr Bild ihn doch als Ideal weiblicher Schönheit über das Grab hinaus begleitet haben. Schlank und hoch war ihre Gestalt, über ihrem vollen Busen hob sich auf schneeigem, zartem Hals ihr kleiner, wunderbar schön geformter Kopf, dessen glänzendes dunkelbraunes Haar das edle längliche Oval ihres Gesichts einrahmte und in schweren ungezwungenen Locken auf ihre Schultern herabfiel. Ihre Züge waren fein geschnitten, zierlich gebogen ihre schöne Nase, scharf und reizend gezeichnet ihre frischen Korallenlippen und ihre Zähne blendend weiß, und unter den graziös geschwungenen dunklen Brauen schauten ihre hellbraunen Antilopenaugen sinnend und seelenvoll hervor. Ihre ganze

Erscheinung war natürlich vornehm und ihre Bewegungen ruhig und leicht.

Kaum hatte sie die Vorhänge zurückgeschoben, das Fenster geöffnet und einen Blick aus demselben über den Platz gethan, als sie in das Zimmer zurückging und vor Albert's Augen verschwand.

Athemlos spähte dieser dennoch durch das Glas, um ihr noch einmal zu begegnen; seine Stirn glühte, seines Herzens Schläge hatten sich verdoppelt und eine Sehnsucht hatte ihn erfaßt, wie sie ihm bis jetzt unbekannt geblieben war.

Er wollte aufspringen und hinaus in die Straße eilen, um Näheres über Dandon's Familienverhältnisse zu erforschen, und doch war die Gewalt des augenblicklichen Verlangens, die Unbekannte noch einmal zu sehen, stärker als sein Wille und hielt ihn auf seinem Sessel hinter den Vorhängen zurück.

Da schwebte es wie eine Nebelwolke durch den Salon heran der Glasthür zu, in weißem duftigem Morgengewande trat die Ersehnte heraus auf den Balkon, und als ob sie ihrer heimatlichen Umgebung ihre Grüße bringen wolle, ließ sie ihren seelenvollen Blick um den ganzen Platz wandern. Daß sie ihre schönen Augen gerade auf dem Fenster, hinter welchem Albert, nach ihr hinüberspähte, längere Zeit ruhen ließ, trieb diesem, obgleich er ja wußte, daß die Veranlassung dazu mit seiner Person nichts zu schaffen haben konnte, das Blut noch mehr nach dem Herzen. Sie sah wieder und wieder nach ihm her, und es kam ihm vor, als würde ihr Blick wärmer, wenn er auf seinem Fenster ruhte. Wie ein Blitzstrahl schoß es ihm plötzlich durch die Seele. Wer hatte vor ihm hier gewohnt? War es ihr Herz, das ihren Blick immer wieder nach diesem Fenster führte?

Er hatte die Vorhänge erfaßt, um sie auseinander zu reißen und sich im Fenster zu zeigen, da blickte das schöne Mädchen vor sich nieder, legte ihr Batisttuch auf das Eisengeländer des Balkons und senkte ihren Arm darauf, um sich auf denselben zu stützen, ihre reizenden Hände aber ließ sie übereinandergelegt von der Balustrade herabhängen.

Albert war wieder wie festgebannt und umfaßte mit seinem Blick das bezaubernde Bild, das sein Glas ihm so klar und deutlich zeigte. Sie war schöner als Alles, was er vorher gesehen, sie war lieblicher und anmuthiger als Alles, was seine Phantasie ihm bisher vorgegaukelt hatte, sie war eine Fee, eine Göttin von Wolken umgeben!

Jetzt aber erhob sie sich von dem Eisengeländer, sah noch einmal nach Albert's Fenster herüber und verschwand dann in dem Salon.

Nun aber mußte Albert wissen, wer sie war; er sprang vom Fenster zurück, ordnete schnell seine Toilette und eilte aus dem Zimmer, um Erkundigungen einzuziehen.

In der Hausflur begegnete ihm die Frau seines Hauswirths, Madame Newberry, und wollte mit einem freundlichen Morgengruß an ihm vorübergehen, Albert aber blieb bei ihr stehen und fragte sie höflich:

»Wer hat denn vor mir in meinem Zimmer gewohnt, Madame Newberry? Mir träumte in vergangener Nacht von den frühern Bewohnern desselben.«

»Dann haben Sie von einem sehr schönen Mädchen geträumt, das mit seiner Mutter mehrere Jahre bei uns gewohnt hat. Damals, ehe mein Mann die Stelle als städtischer Kassirer bekam, hielten wir ein Logirhaus. Die Damen hießen Perry und die Tochter hat sich nach dem Norden recht glücklich verheirathet; sie war die beste Freundin des schönen Fräuleins Dandon hier gegenüber, das nun schon seit einigen Monaten bei ihr zu Besuche ist. Wenn dasselbe zurückkehrt, nehmen Sie Ihre Augen, noch mehr aber Ihr Herz in Acht, Herr Randolph«, entgegnete die Frau lächelnd, verneigte sich und ging die Treppe hinab die in das Erdgeschoß führte.

»Fräulein Dandon?« wiederholte Albert gedankenvoll und schritt zur Thür hinaus in die Straße. Vergebens aber flog sein Blick an der Fensterreihe des schönen Mädchens vorüber, es war nicht da, und doch sah Albert es im Geiste noch auf die Balustrade gelehnt vor sich.

Es war Frühstückszeit; er eilte an dem Platze hin und nach dem Hotel, verweilte dort aber nur kurze Zeit und begab sich dann nach der Office des Herrn Portman. Die Arbeit, welche er vornahm, wollte seine Gedanken nicht fesseln, er hielt zwar seinen Blick auf die Schrift geheftet, er sah sie aber nicht, statt ihrer sah er die schöne Hand seiner Nachbarin vor sich auf dem Papier, oder er begegnete deren Blick, wie sie nach seinem Fenster herüberschaute. Wie gut war es doch gewesen, daß er sich ihr nicht plötzlich zwischen den Vorhängen gezeigt hatte, dann hätte sie sicher nie wieder zu ihm herübergeblickt. Er wollte auch die Vorhänge geschlossen lassen, sie sollte gar nicht erfahren, wer jetzt die Zimmer bewohne. Wenn er aber nur irgend etwas gewußt hätte, wodurch er ihre Aufmerksamkeit auf seine Fenster ziehen könnte, damit sie recht oft herüberschaute! Er sann und sann, bis es ihm einfiel, recht schöne Blumen vor das Fenster zu stellen. Der Gedanke gefiel ihm; hätte er nur gleich zum Gärtner gehen können, um Blumen zu kaufen, so aber mußte er hier unnöthig sitzen, denn schon war eine Stunde verflossen und noch Niemand war gekommen, um seine Dienste zu beanspruchen. Für sich zu arbeiten, das war ihm heute unmöglich, und wenn alle Processe der Welt verloren gegangen wären. Ohne daran zu denken, hatte er ein Blatt Papier vor sich hingelegt, hatte seine Stirn in die Hand gesenkt, sich darüber gebeugt und schrieb flüchtige Zeilen auf dasselbe nieder. Es waren Verse, die ihm aus der Feder flogen, es war ein Sonett – ein Sonett an seine reizende Nachbarin.

Erst als das Gedicht fertig auf dem Papiere stand, schien Albert es zu gewahren, er strich sich mit der Hand über die Stirn, hob das Blatt vom Tische auf und las sich selbst das Gedicht laut vor. Es war ein Gruß an die in ihr Reich zurückgekehrte Fee. Er machte noch verschiedene Abänderungen darin und ließ dann einige Zeit in Gedanken versunken seinen Blick darauf ruhen. Bald hatte er beschlossen, das Sonett in der heutigen Abendzeitung erscheinen zu lassen. Mit welcher Überschrift aber sollte es geschehen? Wenn er nur den Taufnamen seiner Göttin gewußt hätte!

Während er darüber nachsann, war er aufgestanden, an die offene Thür getreten und schaute links und rechts in die Straße; da sah er plötzlich seinen Hauswirth, den Herrn Newberry, auf dem Trottoir heranschreiten.

Albert trat aus der Thür, und als jener sich mit einem Gruße nahte, sagte er:

»Wissen Sie es schon, Herr Newberry, daß unsere schöne Nachbarin, Fräulein Dandon, zurückgekehrt ist?«

»Wie, Fräulein Blancha Dandon? Ei, das freut mich sehr, sie ist ein Engel von einem Mädchen. Wenn sie nur einen freundlichern Vater hätte!« entgegnete Newberry.

»Ja, ich glaube der Alte ist ein Sonderling«, bemerkte Albert.

»Ein Geldadliger, der Jeden verachtet, welcher nicht reich ist. Ich bin aber in der Eile, lieber Herr Randolph. Guten Morgen!« sagte Newberry und eilte mit einer Verbeugung des Kopfes davon.

»An Blancha« überschrieb Albert das Sonett, bat dann mit einigen Zeilen den Redacteur der Zeitung, dasselbe noch heute Abend aufnehmen zu wollen, legte es in den Brief ein und sandte denselben sofort nach dem Zeitungsbureau.

So schnell wie heute hatte Albert wohl nie sein Mittagsessen beendet. Es waren nur Minuten, die er dabei verbrachte, dann bestieg er vor dem Hotel einen Miethwagen und fuhr zu dem Kunstgärtner hinaus, um bei ihm Blumen zu holen und spätere Lieferungen davon bei ihm zu bestellen. Mit prächtig blühenden Pflanzen fuhr er nach seiner Wohnung zurück und schmückte, noch ehe die Sonne unterging, seine Fenster damit. Seine Vorhänge aber hielt er geschlossen. Das Licht des Tages floh, der Himmel glühte auf seiner ganzen westlichen Hälfte in Gold und Purpur und der erste Anflug von Dämmerung zitterte über der Erde, da trat Blancha Dandon mit ihrem Vater aus der Salonthür auf den Balkon und ließ sich ihm gegenüber in dem rothsammtnen Armsessel nieder, den ein sauber in Weiß gekleideter Negerknabe für sie hinstellte.

»Es ist doch nirgends schöner und lieber als in der Heimat, als zu Hause, und wenn dies in einer Hütte von Reisholz wäre«, sagte Blancha mit freudigem, glücklichem Tone und sandte ihren frohen Blick rund um den Platz vor dem Hause.

»So steht es in Gedichten, die der Phantasie Halbverrückter entsprossen sind«, versetzte Herr Dandon, indem er sich wohlbehaglich in seinen Armstuhl zurücklegte und mit der schweren goldenen Uhrkette spielte, die auf seiner gelben seidenen Weste hing. In einer Hütte von Reisholz stößt man sich die Augen aus, da haben die Spinnen, die Fliegen und allerlei Gewürm ihre Nester und Staub und Schmuz fällt einem in die Haare und auf die Kleider. Ich für meinen Theil danke für eine solche schöne Heimat und überlasse sie den Lumpen, die kein Geld haben, sich eine bessere anzuschaffen. Von mir hast Du Deine Poesie nicht geerbt, meine liebe Blancha.«

»Dies ist keine Phantasie, keine Poesie in mir, lieber Vater; es ist ein natürliches, wahres Gefühl, welches mich in meiner Heimat beseelt, möchte sie auch sein, wo und wie sie wollte. Glaube mir, auch arme Menschen sind glücklich, wer weiß, ob nicht oftmals glücklicher als die reichsten. Denke doch an meine liebe süße Freundin Anna, die so lange in dürftigen Verhältnissen dort drüben bei Newberrys gewohnt hat.«

Hier schwieg Blancha plötzlich und sah verwundert über den Platz nach Albert's Fenstern, dann sagte sie:

»Ei, ei, wer mag wohl jetzt dort wohnen? Sieh nur, wie die Fenster prächtig mit Blumen geschmückt sind; heute früh stand noch keine einzige davor.«

Dann sah sie noch einige Augenblicke hinüber und fuhr in ihrer Rede fort:

»Ja, lieber Vater, denke an Anna Perry! Wie unbeschreiblich glücklich ist sie, und doch hat weder sie noch ihr Mann Vermögen.«

»Glücklich!« wiederholte Dandon mit einem verächtlichen Lächeln. »Glücklich bei Kartoffelsuppe, Kaffee, Speck und Kohl! Ich möchte wohl wissen, was dazu gehörte, um Dich bei solcher Kost so recht seelenglücklich zu machen.«

»Mich, Vater? Herzinnige Zuneigung, Freundschaft, Liebe, und ich könnte mit der Hälfte Deiner Gerichte glücklich, selig sein!«

»Das sagte Deine selige Mutter auch, als sie mich, den reichen Mann, heirathete. Ich hoffe, Du wirst mir nie böse darüber werden, daß ich Dir dermaleinst große Schätze hinterlasse.«

Blancha schien die letzten Worte ihres Vaters nicht gehört zu haben, sie gab wenigstens keine Antwort darauf und schaute nach den Fenstern Albert's hinüber.

»Sieh, das hätte ich bald vergessen«, hob Dandon wieder an. »Du bist seit Deiner Rückkehr auch schon besungen worden, man hat Dich mit einer Fee verglichen und Dich in Deiner Heimat begrüßt. Hier kannst Du es selbst lesen in der Abendzeitung.«

Dabei zog Dandon die Zeitung aus der Tasche hervor und reichte sie seiner Tochter mit den Worten hin:

»Ich weiß aber auch, wer die Verse gemacht hat.«

Blancha nahm ihm das Blatt überrascht ab, entfaltete es und sah auf den ersten Blick das Sonett mit ihrem Namen darüber.

Kaum hatte sie einige Zeilen davon gelesen, als eine leichte Röthe wie ein Hauch von Carmin über ihre Wangen flog und die Bewegung verrieth, die das Gedicht in ihr hervorrief.

»Und von wem, meinst Du, kommt es her?« fragte Blancha, mit aufleuchtendes Blick nach ihrem Vater hinsehend, und ließ das Blatt in ihren Schooß sinken.

»Von dem jungen Ferghussen, dem Sohne des Millionärs – unverkennbar!«

»O der arme Mann! Könnte der mit seiner ganzen Million nur einen einzigen Gedanken des Kopfes, dem dieses Gedicht entstieg, sich erkaufen, könnte er sich nur einen Hauch von dem Gefühl in die Brust legen, das dieses Sonett durchweht! Nein, lieber Vater, der Herr Ferghussen hat es nicht gemacht.«

»Doch, doch, Blancha, glaube es mir, er hat schon seit langer Zeit seine Augen auf Dich gerichtet.«

»Möge der Schlaf sich ihrer recht bald erbarmen!« entgegnete Blancha und senkte ihren Blick wieder auf das Gedicht.

»Sie hat es gelesen!« sagte Albert mit freudebebender Stimme, indem er durch das Glas nach Blancha hinüberschaute. »Sie liest es wieder!« fuhr er nach einer Weile noch bewegter fort. »O wenn sie wüßte, daß der Dichter sie mit seiner Seele umfangen hält, wenn sie es fühlen könnte, wie hoch sein Herz für sie schlägt!«

Unbeweglich, wie an sie festgezaubert, hielt er seinen Blick auf sie geheftet und suchte in ihren prächtigen

Augen, auf ihren frischen Lippen die Worte zu lesen, die sie zu ihrem Vater sprach.

Da trat der Negerknabe aus dem Salon zu Blancha und reichte ihr eine Scheere. Sie nahm ihm dieselbe ab, schnitt das Sonett aus der Zeitung heraus und gab diese dann ihrem Vater zurück. Das Gedicht aber faltete sie zusammen und verbarg es in ihrem Busen.

Bei diesem Anblick schoß es Albert glühend durch die Adern, jeder Nerv erbebte ihm in seligem Entzücken, und kaum war er noch im Stande, das Glas in fester Richtung nach ihr hinzuhalten.

Die Schatten der Abenddämmerung legten sich dichter über die Stadt, doch spiegelte sich das Licht des feurigen Himmels auf dem hellen bläulichen Seidengewande Blancha's, sodaß Albert ihre edle Gestalt noch immer erkennen konnte, wenn auch die veilchenblauen Blumen, die über ihrer hohen, alabasterweißen Stirn aus ihrem prächtigen Haar hervorsahen, in der schnell zunehmenden Dunkelheit verschwammen. Albert rührte sich nicht von seinem Platze, er hörte nicht wie sonst die Glocke, die in dem Hotel die Theestunde anzeigte, er würde hier gesessen und nach Blancha durch die Dunkelheit hinübergespäht haben, bis der neue Tag sein Licht über die Welt gegossen, wenn die Gefeierte sich nicht erhoben hätte und durch die Salonthür vor seinem Blick verschwunden wäre.

So harrte er des Morgens und des Abends auf das Erscheinen Blancha's, von Tag zu Tag steigerte sich seine Sehnsucht nach ihr, er mochte nichts mehr sehen als sie, konnte an nichts mehr denken als an sie, und wenn er arbeiten wollte, so flossen Poesien zu ihrer Verherrlichung aus seiner Feder, deren viele durch die Zeitung in ihre Hände gelangten. Es war aber nicht ihr Vater, der sie ihr überbrachte, sie selbst ließ sich nun das Blatt regelmäßig durch ihr Kammermädchen holen.

Zu Albert's großer Freude zeigte sich Blancha jetzt des Morgens viel früher auf dem Balkon und verweilte dort länger als im Anfang nach ihrer Rückkehr. Sie brachte immer ein Buch mit, in dessen Inhalt sie sich vertiefte, sah aber dennoch häufig nach den Blumen vor Albert's Fenster hinüber, die derselbe mit größter Sorgfalt wählte und pflegte.

Eines Morgens, als sich ihre Fenster öffneten, auf welchen Augenblick Albert schon lange gehofft hatte, zeigte sie sich nicht wie gewöhnlich in ihrem Morgenanzug, sondern in schwarzer Seide mit einem Sonnenschirm in der Hand und dem Hut auf dem Kopf. Sie erschien auch nicht auf dem Balkon, sondern trat wenige Minuten nachher aus der Hausthür und ging in der Straße hinunter.

Wie ein Blitz fuhr Albert in seinen Rock, ergriff seinen Hut und flog die Treppe hinab aus dem Hause und die Straße hinunter Blancha nach.

Bald sah er sie in einiger Entfernung vor sich langsam dahinschreiten; eilig bog er in die nächste Straße ein und kam ihr dann auf weitem Umwege entgegen. Mit jedem Schritt, den er ihr näher trat, schlug sein Herz schneller, es war ihm, als müsse sie es erkennen, was in ihm vorging, als müsse sie es fühlen, daß er um ihretwillen dieses Weges kam. Wie gern hätte er sie gegrüßt, er durfte es ja aber nicht thun, wollte er nicht unverschämt und zudringlich erscheinen. Nur noch eine kurze Entfernung lag zwischen ihm und ihr. Sie schien in Gedanken versunken zu sein und schaute vor sich nieder, doch schöner und lieblicher erschien sie Albert mit jedem Schritt, den sie that. O hätte er nur einen Blick von ihr erringen können! Jetzt hatte er sie erreicht, er trat rasch zur Seite und blieb stehen. Sie hob die Augen zu ihm auf und ein Blick der Ueberraschung traf den seinigen.

Albert zog den Hut und verbeugte sich. Blancha aber glitt eiligen Schritts und gesenkten Hauptes an ihm vorüber.

»Wer war er?« fragte sich Blancha im Davoneilen. »Meine ich doch, ich sei ihm schon früher einmal begegnet. Auch er sah mich an, als ob er mich kenne. Und doch erinnere ich mich nicht, wo wir uns getroffen haben. Die Augen aber habe ich wahrlich schon einmal gesehen!«

So eilte Blancha fort. Sie fühlte sich bewegt, der Blick des jungen Mannes haftete in ihrer Seele, es war ihr, als bestehe irgend eine Beziehung zwischen ihm und ihr, und doch konnte sie sich den Grund dafür nicht nennen, ebenso wenig wie sie sich erinnern konnte, wo sie ihn schon gesehen haben sollte.

Die nächste Straßenecke hatte sie erreicht, und um noch einen Blick nach dem räthselhaften jungen Manne thun zu können, ohne sich gerade nach ihm umzuwenden, bog sie nach der Seitenstraße ein. Sie blickte seitwärts auf dem Trottoir zurück, da stand er noch wie angewurzelt und schaute ihr nach.

Blancha fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg, sie sah schnell vor sich nieder und war mit ihrem nächsten Schritt um die Ecke und außer dem Bereiche seines Blicks.

Also hatte sie sich doch nicht getäuscht, er kannte sie, er interessirte sich für sie, denn warum wäre er sonst so lange da stehen geblieben und hätte ihr nachgesehen? Aber wenn er sie kannte, warum hatte er sie nicht begrüßt? Sein Gruß war erst auf ihren Blick erfolgt und schien nur durch diesen veranlaßt worden zu sein. Vor ihrer Abreise von hier hatte er keinesfalls in der Stadt gelebt, sonst wäre sie ihm häufiger begegnet und hätte sicher erfahren, wer er sei, denn er war kein gewöhnlicher Mensch, an dem man vorübergeht und ihn vergißt.

Hin und her sann Blancha nach, auf welche Weise der schöne junge Mann ihr interessant geworden sei, und zu Hause angelangt suchte sie in ihrer Erinnerung aus allen ihren Lebensabschnitten nach seinem Bilde. Umsonst, sie kam der Spur nicht näher, aber das Gefühl wurde immer lebendiger in ihr, daß sie ihn schon früher gesehen habe. Während des ganzen Tags kam er ihr nicht einen Augenblick aus den Gedanken, das Verlangen, zu wissen, wer er sei, wurde immer reger in ihr, und es flog ihr durch die Seele, ob sie ihm wohl morgen früh abermals begegnen würde, wenn sie um dieselbe Zeit denselben Spaziergang mache.

Mit dem Gedanken an den geheimnißvollen jungen Mann beschäftigt, flohen Blancha die Stunden eilig dahin, und beim Sinken des Tages begleitete sie derselbe Gedanke auf den Balkon. Sie hatte ein Buch mitgebracht, in welchem sie blätterte. Es war eine Sammlung von Poesien amerikanischer Dichter, unter denen die von Albert ihr besonders lieb waren. Sie hatte dieselben schon oft gelesen, der Geist aber, der aus ihnen sprach, schien ihr verwandt zu sein mit dem der Gedichte, die in der Zeitung dem Anschein nach ihr gewidmet waren. Der Dichter Albert lebte ja aber in Philadelphia, von ihm konnten daher diese Poesien nicht kommen. »Der Dichter Albert?« wiederholte sie, als führe ihr ein Licht durch die Seele. »Mein Himmel! Ja«, rief sie aus, »es ist Albert's Bild, das ich besitze und das dem Fremden von heute früh gleicht.« Hiermit sprang sie auf und eilte in den Salon nach ihrem Bücherschrank. Ebenso hastig kehrte sie mit einem Neuyorker illustrirten Journal zurück und schlug, sich in dem Sessel niederlassend, Albert's Brustbild darin auf.

»Er ist es unverkennbar«, sagte sie mit überwallender Bewegung. »Wäre es möglich? Sollte er es sein, er, der gefeierte große Dichter Amerikas, der mich seines Liedes werth gefunden?«

Dabei hielt sie ihren erglühenden Blick unverwandt auf das Bild geheftet, nach einer Weile aber, als ob sie sich eine Thorheit vorwerfe, ließ sie das Heft in ihren Schooß sinken und sagte lächelnd zu sich selbst:

»O Eitelkeit, du heißest Weib!«

Es schien aber doch, daß diese Enttäuschung ihr wehe thue, und als wolle sie dieselbe noch bekämpfen, fuhr sie fort:

»Die Aehnlichkeit ist aber zu groß, es wäre ja doch möglich, daß –«

In diesem Augenblick trat die schwarze Dienerin auf den Balkon, nahm die Abendzeitung unter ihrem seidenen Schürzchen hervor und reichte sie ihrer Herrin hin.

»Gib her!« sagte Blancha mit unverkennbarer Bewegung und entfaltete hastig das Blatt. Ein Gedicht mit der Ueberschrift »Das Begegnen« lag vor ihrem Blick aufgeschlagen. Der Dichter dankte ihr darin mit glühenden Worten für den Blick, womit sie ihn an diesem Morgen beseligt habe.

»Er ist's«, sagte Blancha jetzt mit ernster aber bebender Stimme, als hätte sie in den Worten vor ihr ihre eigene Zukunft gelesen.

Lange saß sie dann sprachlos da und hielt das Blatt in ihren bebenden Händen, es war ein ihr bis jetzt noch fremd gewesenes Gefühl, welches sie wonnig durchströmte, während zugleich Bangigkeit sie noch zurückhielt, sich demselben hinzugeben. Plötzlich aber, als habe sie die Zaghaftigkeit überwunden, hob sie mit beiden Händen das Blatt empor und preßte es mit den Worten gegen ihr Herz:

»Ja, ja, es ist Albert, der mich in seinem Liede feiert!« Dann ließ sie das Blatt langsam wieder sinken und sagte: »Woher aber, wenn es wirklich Albert ist, woher kennt er mich? Ich bin ja während der ersten Tage nach meiner Rückkehr gar nicht ausgegangen?«

Da trat Herr Dandon auf den Balkon. Blancha verbarg aufspringend die Zeitung zwischen den Blättern des Journals, begrüßte ihren Vater mit kindlicher Herzlichkeit und beide ließen sich nieder, um sich noch der Kühlung des Abends zu erfreuen.

»Ich komme so eben von Portman«, hob Dandon an und betrachtete sein strohgelbes Beinkleid, indem er das Bein überschlug und den Fuß auf und ab wiegte. »Schon früher war ich einmal bei ihm, um ihm meine Forderung an die bankrotte Unionbank zum Eintreiben zu übertragen, damals aber gab er mir den Rath, noch zu warten, da später ein viel günstigerer Zeitpunkt dazu eintreten würde; nun ist aber ein halbes Jahr verflossen und ich wollte ihn doch einmal wieder daran erinnern. Er ist freilich der beste Advocat, überläßt aber alle schriftlichen Arbeiten seinem Gehülfen, und wenn man seinen Rath hören will, so hat er stets die Uhr in der Hand, damit man ja keine Minute Zeit zu viel von ihm erhalte; er sollte doch wissen, wen er vor sich hat, und daß es kein Lump ist, der seine Dienste beansprucht. Da hat er mich nun auf morgen früh zu seinem Gehülfen beschieden, der erst vor kurzem vom Norden hierher kam, natürlich um etwas bei ihm zu lernen. Portman sagte allerdings, der junge Mann wäre ein ebenso guter Jurist, als er Dichter und Schriftsteller sei; es ist der bekannte Randolph, der unter seinem Taufnamen Albert die Volkslieder gedichtet hat.«

Blancha fuhr zusammen und wurde bleich, doch im nächsten Augenblick flog es wie Purpur über ihre Wangen, sie neigte ihr glühendes Antlitz über das Journal, welches zwischen ihren Fingern zitterte, und suchte die heftige Aufregung, die sie ergriffen hatte, vor ihrem Vater zu verbergen. Dessen Blicke aber waren zu sehr mit seiner Toilette beschäftigt, als daß er Blancha's Aeußerem hätte Aufmerksamkeit widmen können, und nach einer kurzen Pause fuhr er in seinem gewohnten theilnahmlosen Tone fort:

»Was kann man aber wohl von einem solchen überspannten Menschen erwarten, dessen Gedanken immer in höhern Regionen schweben! Dennoch bleibt nichts übrig, man muß sich fügen, denn Portman gewinnt alle Processe.«

Blancha schwieg, sie hörte gar nicht mehr, was ihr Vater sagte, sie dachte nur an das Gedicht, welches ihr in den Fingerspitzen brannte und an die dunkeln Augen des Dichters. Dandon aber hörte nicht auf zu reden und seine Kleidung zu betrachten, bis nach eingebrochener Dunkelheit ein Diener zum Abendessen rief.

Blancha zog sich heute früher als gewöhnlich in ihr Zimmer zurück, sie mußte mit ihrem Geheimniß allein sein, es war ihr, als habe sie so unendlich viel zu denken, zu überlegen, und doch war es immer nur der eine Gedanke, der sie beschäftigte, der an den Dichter.

Es gab jetzt keinen Zweifel mehr darüber, daß er es war, der sie besungen hatte und dem sie an diesem Morgen begegnet war; woher er sie aber kannte, was ihr seine Zuneigung erworben hatte, darüber konnte Blancha sich keine Antwort geben. Sie wußte es, sie fühlte es, daß sie ihn über kurz oder lang wiedersehen, daß sie ihn sprechen würde, doch wenn sie sich das Verlangen nach einem Zusammentreffen mit ihm auch nicht ableugnete, so war sie doch fest entschlossen, ihm selbst keine Gelegenheit dazu zu bieten. Führte es der Zufall herbei, freilich, dann durfte sie ihm nicht ausweichen, sie mußte ja stolz auf seine Bekanntschaft sein, wie sie stolz und glücklich über seine Auszeichnung war. Aber sicher würde er eine Gelegenheit finden, sich ihr zu nahen, dachte Blancha und sann dann nach, auf welche Weise er dies wohl zu ermöglichen suchen werde. Keinesfalls wollte sie am folgenden Morgen dieselbe Promenade wiedermachen, sie wollte auch nicht so früh ausgehen, sonst könnte er ja denken, daß sie es seinetwegen gethan habe. Aber hatte er es denn nicht verdient, daß sie sich ihm dankbar zeigte? Dennoch, denselben Spaziergang wollte sie nicht machen.

Während tausend derartige Gedanken ihre Seele durchflogen, hatte sie sich in dem Sopha niedergelassen und abermals das Bild Albert's in dem Journal aufgeschlagen. Wie oft schon hatte sie den Umriß von seinem Leben gelesen, der dem Bilde beigefügt war, und wie oft hatte sie sich über das unbegrenzte Lob gefreut, welches ihm darin in jeder Richtung hin gespendet wurde, so wohlgethan aber hatte es ihr früher nie. Es wurde sehr spät, ehe sie zur Ruhe ging, und dann verbrachte sie eine fast schlaflose und doch glückliche Nacht.

Den frühen Morgen begrüßte Blancha so recht mit freudigem Herzen, sie fühlte sich so wohl, so heiter wie seit langer Zeit nicht. Die Luft empfing sie frisch und erquickend, als sie auf den Balkon hinaustrat, sodaß sie sich einen Spaziergang unmöglich versagen konnte; keinesfalls aber wollte sie denselben Weg gehen wie gestern. Sie machte schnell dieselbe Toilette wie am Morgen vorher, aber heute mit mehr Aufmerksamkeit.

Als sie aus dem Hause trat und noch nicht mit sich einig war, welchen Weg sie einschlagen solle, schaute sie über den Platz und bemerkte Madame Newberry, die in ihrem Fenster lag. Blancha eilte zu ihr hin, um sie zu begrüßen, und Madame Newberry war sehr erfreut, Blancha wiederzusehen. »Endlich, endlich, Fräulein Blancha, sind Sie wieder bei uns. Wie konnten Sie so lange von Ihrer Heimat fern bleiben?« sagte die freundliche Frau und reichte ihr die Hand.

»Wenn ich nicht bei meiner lieben Freundin Anna gewesen wäre, so hätte ich es sicher nicht so lange ausgehalten, und dennoch fühlte ich oft eine unwiderstehliche Sehnsucht nach Hause. Anna sendet Ihnen auch tausend herzliche Grüße; sie ist unbeschreiblich glücklich«, antwortete Blancha.

»Aber kommen Sie doch einen Augenblick herein, Fräulein, Sie müssen mir von ihr erzählen.«

»Dieser Tage komme ich zu Ihnen und werde Ihnen dann ausführlichen Bericht über Anna's Glück abstatten«, erwiderte Blancha, und indem sie dann einen Blick nach dem zweiten Stock warf, fragte sie:

»Wer bewohnt denn jetzt Anna's Zimmer?«

»Das wissen Sie nicht, Fräulein?« entgegnete die Frau verwundert. »Ich sollte denken, die Blumen vor den Fenstern schon hätten den Schöngeist längst verrathen. Der Dichter Albert, den Alt und Jung, Reich und Arm in ganz Amerika kennt, der junge Herr Randolph wohnt darin, und ein liebenswürdiger, braver und bescheidener Mann ist er; er würde Ihnen sehr gefallen.«

Als ob Blancha der Athem aus der Brust gestoßen wäre, so fehlte er ihr für einige Sekunden, ihr Herz setzte seine Schläge aus und sie preßte unwillkürlich beide Hände gegen ihren Busen, doch schnell ermannte sie sich wieder, hob ihr Batisttuch vor den Mund, hustete und sagte dann mit schwankender Stimme zu Madame Newberry:

»Nun muß ich gehen, ich habe mich nur bei Ihnen anmelden wollen, dieser Tage aber mache ich Ihnen meinen schuldigen Besuch. Guten Morgen, liebe Newberry!«

Bei diesen Worten winkte Blancha der Frau noch einen Gruß zu und eilte, als ob sie Feuer unter den Füßen hätte, an dem Platze hin, bog, ohne sich umzuschauen, in die nächste Straße ein und kehrte auf einem kleinen Umweg hastig in ihre Wohnung zurück. Erst als sie in dem Salon Hut und Shawl ablegte, kam ihre natürliche Ruhe wieder über sie und sie warf sich nun ihr kindisches, albernes Betragen vor. In keiner Weise hatte sie ja irgend einen Grund zur Bangigkeit oder Furcht, Albert war anerkannt ein durchaus zartfühlender, feingebildeter Mann, der ihr nicht die entfernteste Veranlassung zu einer Beschwerde geben würde. Daß sie aber gerade an diesem Morgen sich nach dem Hause begeben hatte, in welchem er wohnte, war ihr entsetzlich unangenehm, er mußte ja glauben, daß sie nur seinetwegen von der Gelegenheit Gebrauch gemacht und sich zu Madame Newberry verfügt habe, und dies konnte sie nur in seiner Achtung herabsetzen. Der Gedanke daran war ihr erschrecklich peinigend und griff störend in das Glück ein, welches die Zeichen von Albert's Zuneigung ihr in das Herz gelegt hatten. Ein Gefühl beleidigten Stolzes kam über sie und ihre Unzufriedenheit mit sich selbst wandte sich nun als Unmuth gegen Albert. Er sollte es wissen, daß sie seinetwegen nicht zu Madame Newberry gegangen war, sollte es fühlen, daß kein Interesse für ihn es gewesen sei, welches sie zum heutigen Spaziergang veranlaßt hatte. Sie ließ die Vorhänge schnell vor ihren sämmtlichen Fenstern nieder und beschloß, sich nicht wieder auf dem Balkon sehen zu lassen.

Ob er ihr wohl nachgefolgt war, als sie sich von Madame Newberry entfernte, und ob er sich wohl wieder zu Hause befand?

Mit dieser Frage trat Blancha nach einer Weile hinter die Fenstervorhänge und schaute vorsichtig zwischen denselben durch. Sie konnte Albert nicht sehen, denn seine Gardinen waren hinter den Blumen gleichfalls geschlossen. Nun holte sie aber ihr Opernglas aus dem Secretär und spähte durch dasselbe hinüber; da bemerkte sie, daß Albert's Vorhang sich bewegte, und erblickte ihn selbst in dessen Oeffnung, wie er durch sein Glas nach ihr herüberschaute. Erschrocken trat sie zurück, doch er konnte sie nicht bemerkt haben, ihre Gardinen hingen ja dicht zusammen. Sie sah wieder hinüber. Warum hielt er denn auch seine Vorhänge geschlossen? Sicher, damit Blancha es nicht wissen solle, daß Jemand sie durch ein Glas beobachte. Und war es denn wohl recht, war es dankbar von ihr, daß sie sich seinem Blick entzog, den er so bescheiden gebrauchte? Es drängte sie, die Gardinen wieder zu öffnen, noch aber zögerte sie und schaute verstohlen nach dem Blumenfenster hinüber. Da öffnete sich die Thür des Hauses und Albert trat mit einem Stoß Schriften unter dem Arm in die Straße heraus. Wie ein elektrischer Funke durchzuckte es Blancha, sie zog schnell den einen Vorhang zurück und schaute offen nach Albert hinüber, der, an dem Platze hinschreitend, seinen Blick nach ihr gerichtet hielt. Welch schöner Jüngling er war, wie vornehm und doch wie leicht er dahinschritt, und wie sein dunkles Auge zu ihr herüberschaute! Jetzt näherte er sich dem Ende des Platzes, noch immer sah er sich nach Blancha um, sie mußte ihre Unart gegen ihn wieder gut machen. Wie von dem Gedanken getragen, glitt sie von dem Fenster hinweg nach der Salonthür und stand im nächsten Augenblick auf dem Balkon. Albert sah sie an, er hatte nur noch einige Schritte bis zur Straßenecke, unwillkürlich hob Blancha ihre Hand zu den Lippen und sah, wie auch Albert die seinige zu seinem Munde führte und dann um das Haus vor ihrem Blick verschwand.

Blancha lehnte sich auf das Eisengeländer. Sie fühlte, wie sie bebte und wie die Schläge ihres Herzens eilten. Es war ihr, als habe sie über ihre Zukunft, über das Glück ihres ganzen Lebens entschieden. Ihr Gruß war Albert's Gruß begegnet, sie fühlte keinen Vorwurf darüber, er war des Grußes tausendfach werth; sie hatte ihn immer verehrt und jetzt, wo sie es ihm zeigen konnte, jetzt, wo er sich ihr zart und liebevoll nahte, jetzt sollte sie ihn zurückweisen? Nimmermehr! Er durfte es wissen, daß sie ihn hochschätze und daß sie stolz auf seine Auszeichnung war.

Blancha's Dienerin unterbrach sie in ihrem Gedankenfluge, indem sie ihr meldete, daß ihr Vater beim Frühstück ihrer harre. Derselbe hatte seine Toilette bereits zum Ausgehen geordnet und verlieh Blancha nach eingenommenem Mahl mit dem Bemerken, daß er sich nach der Office des Herrn Portman zu dessen Gehülfen Randolph begeben wolle.


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