Armand (Friedrich Strubberg)
Saat und Ernte
Armand (Friedrich Strubberg)

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Fünftes Kapitel.

Die alte Heimat der Williams hatte sich, seit diese ihr den Rücken gekehrt, sehr verändert. Es war bald nach Williams Flucht bekannt geworden, daß er sich nicht am Mississippi niedergelassen, sondern daß er seine Sklaven in Neuorleans verkauft und in Galveston sich angesiedelt habe. Seine Creditoren hatten darauf die ihnen zurückgelassenen Pfänder öffentlich verkauft und sich in den Erlös getheilt. In dem Wohnhaus war eine Spinnerei und Weberei von grobem Zeug angelegt, welches zum Verpacken der Baumwolle verwandt wird, und die Felder und Wiesen waren stückweise in den Besitz der angrenzenden Farmer übergegangen. Sowie aber Williams' Plantage als solche verschwunden war, so hatte sich auch das Andenken an ihn und seine Familie selbst verloren, denn nur das wirklich Gute und Edle lebt fort, das Gewöhnliche, das Gemeine wird vergessen, und wenn es noch so sehr mit falschem Golde geglänzt hat.

In Randolph's Leben und Verhältnissen aber hatte sich nichts verändert; in stillem Frieden und unter fleißiger, unverdrossener Arbeit zogen die Tage immer noch gleichmäßig an ihnen vorüber, und in traulichem, liebevollem Zusammensein verbrachten sie die Abende am flackernden Kaminfeuer. Es nahte sich ihnen aber jetzt ein Ereigniß, welches für die ganze Familie von gleich großer Bedeutung war, welches sie alle freudig willkommen hießen und dessen Eintreten sie doch sämmtlich mit Traurigkeit erfüllte; es war die bevorstehende Trennung von Albert, dem einzigen, jetzt beinahe siebzehn Jahre alten Sohne.

Albert hatte von Jugend auf ungewöhnliche geistige Anlagen gezeigt und sich immer vorzugsweise gern mit diesen entsprechenden Arbeiten und Unterhaltungen beschäftigt. Er hatte die nahe Landschule mit großem Eifer besucht, und dem Lehrer, der dieselbe hielt, hatte es Freude gemacht, sich dieses lernbegierigen Knaben besonders anzunehmen. Derselbe war in dem Hause Randolph's sehr befreundet, genoß dort viel Liebe und auch Unterstützung, und es waren seine Bemühungen für Albert nicht allein in seinem Interesse, fondern auch in seiner Dankbarkeit begründet. Es hatte sich im letzten Jahre zwischen ihm und seinem Schüler mehr ein Freundschaftsverhältniß gebildet, sie waren auch außer der

Schulzeit viel zusammen, und dabei bot der freundliche Lehrer immer Alles auf, um seine Kenntnisse auf Albert zu übertragen. Wiederholt hatte er mit dessen Vater über ihn geredet und ihm vorgestellt, daß es schade sein würde, so schöne Anlagen nicht weiter auszubilden, als er selbst es im Stande sei zu thun, und hatte ihm dringend angerathen, seinen Sohn auf eine hohe Schule zu senden und ihn studiren zu lassen. Obgleich es nun immer der sehr natürliche Wunsch Randolph's gewesen war, Albert einst das Werk, welches er selbst mit so vielem Fleiß begründet hatte, weiter fortführen zu sehen, so kam er doch nach und nach zu der Ueberzeugung, daß derselbe von der Natur für ein anderes Lebensziel bestimmt sei, und immer häufiger malte er sich in Gedanken dessen Zukunft aus und sah ihn darin als großen Staatsmann, ja mitunter sogar als Präsidenten seines Vaterlandes vor sich. Stand es ja Albert auch frei, zu jeder Zeit und in jeder Stellung wieder zur heimatlichen Scholle zurückzukehren, sobald ihm das Leben in der großen Welt nicht mehr zusagen sollte.

Es war nun nach reiflicher Ueberlegung und Berathung beschlossen worden, Albert nach Philadelphia zu senden und ihn dort zum Rechtsgelehrten heranbilden zu lassen.

Der Abend vor Albert's Abreise war gekommen und die Familie Randolph saß im Halbkreise vor dem Kaminfeuer versammelt, um noch ein letztes liebevolles Zusammensein zu feiern, ehe der Liebling sie auf unbestimmte Zeit verließ.

Madame Randolph saß neben ihm und hielt seine Hand in der ihrigen.

»Wenn doch ein Bekannter desselben Weges reiste!« sagte sie mit wehmüthigem Tone; »so ganz allein und auf einer so langen Reise!«

»Ei, Frau, ich glaube, Du möchtest ihm einen Hofmeister mitgeben«, entgegnete Randolph lachend. »Albert ist eher dazu geeignet, Schutz zu geben, als solchen zu suchen. Nein, nein, reise Du mit Gott, mehr Schutz und Hülfe bedarfst Du nicht. Fordere überhaupt niemals eines Menschen Hülfe, wenn Dich nicht die allerdringendste Nothwendigkeit dazu treibt, verlasse Dich aber niemals so weit auf sie, daß Du darüber versäumst, Dir selbst zu helfen. Sei vorsichtig mit Deinen Bekanntschaften, es gibt leider viele Schurken, die die Maske der Freundschaft tragen, um Andere für ihre Zwecke, für ihre Interessen zu benutzen. Ich sage Dir, Albert, sei vorsichtig, aber wenn Du auch einmal durch einen solchen Schurken betrogen wirst, so halte darum nicht Jedermann für ebenso schlecht; lasse Dich lieber tausendmal betrügen, ehe Du Dich durch solchen Glauben von der ganzen Menschheit abwenden läßt. Ich für meine Person habe hierin die bittersten Erfahrungen gemacht, und doch möchte ich nicht mehr leben, wenn ich daran zweifeln sollte, daß es noch gute, rechtschaffene Menschen gäbe. Bleibe Du es wenigstens immer, und wo Du Gutes thun kannst, thue es gleich, ohne zu überlegen, ob Du auch Dank dafür ernten wirst. Den besten Dank gewährt Dir die That selbst. Sei fleißig und sparsam, doch hast Du einmal mehr Geld ausgegeben, als Du verantworten kannst, so wende Dich dieserhalb niemals an einen Dritten, sondern immer geraden Wegs an mich.«

»Schone Deine Gesundheit, mein Albert«, fiel seine Mutter ein; »bleibe aus den Trinkhäusern und entziehe Dir den nöthigen Schlaf nicht, auch nicht durch vieles Arbeiten. Hörst Du!«

»Und schreibe mir recht oft, Albert«, sagte seine Schwester Martha mit bittendem Lächeln und suchte die Thränen zurückzuhalten, die ihre Augen füllten.

»Ja, schreibe regelmäßig, wenn auch nicht so oft, damit wir wissen, daß es Dir gut geht; in der Zwischenzeit denken wir: Keine Nachricht, gute Nachricht«, nahm Randolph abermals das Wort und gab Albert noch viele väterliche Rathschläge und weise Lebensregeln, wobei seine Frau ihn oft unterbrach und ihre mütterlichen Ermahnungen einschaltete.

Dabei fing der Wasserkessel vor dem Feuer zu singen an, und als der heiße Strahl aus ihm hervorsprühte, holte Madame Randolph ein Tischchen herbei, stellte Gläser, Zucker und eine Flasche mit altem Whisky darauf und braute einen Abschiedspunsch. Die ernste, wehmüthige Stimmung machte bald einer heitern, frohen Laune Platz, es wurde gescherzt und gelacht, es wurden Nüsse geknackt und selbstgebackene kleine Honigkuchen dazu gegessen und auf eine glückliche schnelle Reise, auf baldiges frohes Wiedersehen und auf aller Gesundheit getrunken. Auch die Sklaven sollten bei der Abschiedsscene nicht vergessen sein, denn Madame Randolph sandte ihnen einen Topf voll Punsch in ihre Hütten, worauf sie dort bald unter jubelnden Hurrahs ihre Herrschaft hoch leben ließen.

Es war elf Uhr geworden, eine Stunde später, als an gewöhnlichen Abenden die Familie Randolph sich zur Ruhe begab, und am folgenden Morgen war schon eine Stunde vor der gewohnten Zeit wieder Alles in Bewegung. Madame Randolph bereitete das Frühstück, Martha war mit der Laterne in den Stall zu den Kühen gegangen, um frische Milch zu holen, Randolph befand sich bei den Pferden und beim Wagen, um nachzusehen, ob Alles in Ordnung wäre, und Albert war in in seinem Zimmer damit beschäftigt, seinen Koffer fertig zu Packen und ihn mit Hülfe eines Negerknabens auf den Wagen zu schaffen.

Bald waren alle Vorbereitungen zur Abreise getroffen und zum letzten Male sollte kein Glied der Familie an dem Frühstückstisch fehlen. Die heitere Laune aber vom vergangenen Abende hatte sich nicht wieder eingefunden, allen waren Herz und Lippen schwer und das Weinen näher wie das Lachen. Alle zögerten, den Tisch zu verlassen, und hielten dadurch den Augenblick des Scheidens noch zurück, bis endlich Randolph aufstand und sagte:

»Nun, in Gottes Namen, laßt uns aufbrechen, wir haben bei diesen kurzen Tagen eine lange Reise vor uns.«

Unter Thränen wurde Abschied von Albert genommen und unter heißen Wünschen der Zurückbleibenden bestieg er den Wagen mit seinem Vater, der ihn bis Louisville begleitete, von wo er dann auf einem Dampfboot seine Reise allein fortsetzte. Ohne besondern Aufenthalt erreichte Albert Philadelphia, das Ziel seiner Fahrt, und begab sich dort in ein Hotel. Sein bisheriger Lehrer hatte ihm einen Brief an einen Professor der dortigen Universität, einen Deutschen, mitgegeben, dem er frühzeitig am nächsten Morgen einen Besuch abstattete und der ihn infolge der Empfehlung recht freundlich empfing. Er versprach ihm seinen Beistand, gab ihm die Wege an, wie er seine Vorstudien zu machen habe, und übernahm es, für ihn eine Privatwohnung zu besorgen, wo er ungestört und billig leben könne. Schon am zweiten Tage bezog Albert durch Vermittelung des Professors ein Logis bei einem Deutschen, einem Fortepianomacher Namens Keller, wo er zugleich die Kost erhielt.

Keller war erst seit einigen Jahren von Deutschland nach Philadelphia übergesiedelt und hatte hier mit sehr geringen Mitteln, aber mit desto größerem Fleiß sein Geschäft begonnen. Die Instrumente, welche er verfertigte, fanden wegen ihrer Vortrefflichkeit außerordentlichen Beifall, und weil er sie noch obendrein zu ungleich billigern Preisen lieferte als die Amerikaner die von ihnen gebauten, so wollte Jedermann Keller's Pianos haben, und er war gar nicht im Stande, nur entfernt den Anforderungen, die an ihn gestellt wurden, zu genügen. Bei seiner rastlosen Thätigkeit und strengen Rechtlichkeit wurde es ihm aber bald möglich, die nöthigen Mittel zur Erweiterung seines Geschäfts zu erhalten; er miethete ein größeres Lokal, nahm mehr Arbeiter an und legte sich einen bedeutendem Holzvorrath zu. Jetzt, als Albert Randolph zu Keller zog, besaß dieser bereits ein eigenes kleines Wohnhaus und dahinter ein Fabriklokal, in welchem fortwährend einige sechzig Arbeiter beschäftigt waren. Die bei weitem größere Zahl derselben bestand aus Deutschen, welche Keller schon als Landsleute bevorzugte, die er aber auch darum besonders wählte, weil er sich auf ihre Arbeit verlassen konnte und weil sie bei gleich tüchtiger Leistung mit einem geringern Lohn zufrieden waren als die Amerikaner. Der amerikanische Handwerker war gewohnt, sechs, höchstens sieben Stunden täglich zu arbeiten und dabei einen Verdienst von zwei bis drei Dollars zu erzielen, während dem deutschen und auch dem irischen die Hälfte dieses Lohns genügte und beide Geld dabei zurücklegten. Der Amerikaner dagegen lebte mit seinem höhern Lohn von der Hand in den Mund, er behielt am Ende der Woche nicht allein nichts übrig, sondern er machte gewöhnlich noch Schulden dazu. Die Folge hiervon war, daß man die deutschen und irischen Arbeiter in allen Handwerken immer mehr suchte, und daß es den Amerikanern von Jahr zu Jahr schwerer wurde, die gewohnten hohen Lohnsätze aufrecht zu erhalten. In letzter Zeit namentlich hatten sie häufige Zusammenkünfte unter einander gehabt und darin Beschlüsse gefaßt, um durch Nichtarbeiten die Meister und Geschäftsherren zur Bewilligung des alten hohen Lohns zu zwingen. Diese Demonstrationen waren aber nur für die wirklich geschicktesten Arbeiter von Nutzen, die andern wurden durch die Deutschen und Irländer erseht. Dies in jeder Weise erfolgreiche Eindrängen in die Geschäfte aller Art war die erste Veranlassung nicht allein in Philadelphia, sondern in den ganzen Vereinigten Staaten zu dem Haß gegen die Fremden, der sich später, als dieselben bei ihrem geringern Lohne wohlhabend, reich und mächtig wurden, zu einem so hohen Grade steigerte.

Albert fühlte sich bald in seinen neuen Verhältnissen heimisch und glücklich. Das Feld, welches sich hier seinem genialen, strebsamen Geiste geöffnet hatte, bot seiner Lernbegier die reichste Nahrung, und die Herzlichkeit, mit welcher Keller und dessen Frau ihn behandelten, that seinem Gemüth wohl und gab ihm das Gefühl, als ob er zu deren Familie gehöre.

Keller war ein kräftiger Dreißiger von gutmüthigem, einfachem Wesen, der keine andere Freude, kein anderes Vergnügen beanspruchte als das, welches er im Kreise seiner Familie genoß, die nur erst aus seiner jungen Frau und einem einjährigen Töchterchen bestand. Seine Frau, welche mehrere Jahre in einer vornehmen Familie Englands als Erzieherin gelebt hatte, war eine ausgezeichnete Klavierspielerin, und dieser ihrer Kunst hatte sie die erste Zuneigung Keller's zu verdanken gehabt. Er war leidenschaftlicher Musikliebhaber, interessirte sich aber für Künste überhaupt und hatte, wenn er auch kein Gelehrter war, doch recht hübsche Kenntnisse, die er sich durch Lesen angeeignet hatte. Er liebte die Poesie, besaß die Werke der besten deutschen Dichter und hatte sich nun auch einen Shakspeare, Byron, Moore und andere Classiker angeschafft.

Albert war ihm in den Abendstunden ein sehr willkommener Zuwachs in seinem häuslichen Kreise, zumal da derselbe sehr für Musik und Poesie schwärmte, und so kam es, daß sie oft die Abende zusammen verbrachten und diesen ihren Neigungen widmeten.

Das hohe seltene Talent für Dichtkunst, womit Albert begabt war, hatte sein erster Lehrer schon erkannt, er hatte aber weder die Fähigkeit, noch die Mittel besessen, dasselbe auszubilden, denn seine Bibliothek war auf die nothwendigsten Schulbücher beschränkt gewesen. Jetzt aber, wo Albert alle Schätze der Literatur zu Gebote standen, loderte der geniale Funke in ihm zur Flamme auf und brach sich in poetischen Versuchen verschiedenster Art, stürmisch Bahn.

Keller, welchem Albert diese Erstlingsdichtungen mittheilte, war ebenso wie seine Frau höchst überrascht und entzückt davon und bestand darauf, daß sie in einer der vornehmsten Zeitungen veröffentlicht werden sollten.

Er selbst ließ sie einrücken und der Erfolg war ein glänzender. Sie bestanden in Volksliedern, in Schlachtgesängen aus dem Freiheitskriege und in Romanzen aus dem Indianerleben, und kaum waren sie erschienen, als von allen Seiten Erkundigungen nach dem Namen des Autors einliefen, denn Keller hatte nach Albert's Wunsch ihn nicht genannt. Die Gedichte gingen mit Sturmeseile von Blatt zu Blatt durch die ganzen Vereinigten Staaten und allenthalben wurden sie mit demselben Enthusiasmus begrüßt. Dessenungeachtet trat Albert noch nicht mit seinem Familiennamen vor die Oeffentlichkeit, er unterzeichnete sich bei seinen weitern Arbeiten mit seinem Taufnamen und blieb während einer Reihe von Jahren als »Albert« der gefeierte Dichter Amerikas. Durch die ersten empfangenen Lorbeeren angefeuert, betheiligte er sich nun mit gleich günstigem Erfolg auch als Mitarbeiter an verschiedenen Zeitungen und Journalen und wurde für seine geistreichen Beiträge hoch honorirt. Dabei vernachlässigte er aber keineswegs seine juristischen Studien, er betrachtete die literarischen Arbeiten nur als Erholung in seinen Mußestunden, vermehrte diese nur dadurch, daß er die Zeit seines Schlafs verkürzte, und schon nach Ablauf des ersten Jahres wurde ihm bei einer öffentlichen Prüfung von den Professoren der Preis mit dem größten Lobe zuerkannt.

In Philadelphia selbst war es sehr bald bekannt geworden, daß er der geniale Dichter und Schriftsteller Albert sei, man nannte ihn nur mit diesem Namen und begegnete ihm allenthalben mit Hochachtung und Auszeichnung.

Auch sein Körper hatte sich auf das vortheilhafteste entwickelt; er war ein schlanker kräftiger Jüngling mit fein geringeltem, glänzend schwarzem Haar und tief dunkeln, seelenvollen Augen, auf denen sich jeder seiner Gedanken, jedes seiner Gefühle spiegelte. Dabei war er freundlich und höflich gegen Jedermann und doch zurückhaltend und vornehm in seinem Wesen, der Stolz aber, der darin lag, war nicht Eitelkeit, noch Hochmuth über seine errungenen Lorbeeren, es war der Ausdruck des wirklichen Seelenadels, den ihm die Natur gegeben hatte.

So hoch Albert's geistige Ausbildung ihn nun auch über seinen freundlichen Hauswirth erhob, blieb er doch in seinem Benehmen gegen denselben und gegen dessen Frau vollständig unverändert, ja er suchte das Gefühl seiner Ueberlegenheit durch noch mehr Herzlichkeit und Freundschaft zu verdrängen. Immer noch blieb er nach dem Abendessen, wenn auch nicht mehr so lange bei ihnen in dem nett ausgestatteten Parlour sitzen, ergötzte sich an dem gefühlvollen Pianospiel der Frau und unterhielt sich mit Keller in der Weise, wie er wußte, daß es demselben Freude machte.

So verstrich auch das zweite Jahr. Albert hatte den Schatz seines Wissens noch sehr bereichert, sowie seinen Namen als Dichter noch höher gestellt, und sein Hauswirth hatte seinem Geschäft abermals mehr Ausdehnung gegeben und seinen Verdienst in gleichem Maße gesteigert. Die friedliche Ruhe aber, welche bis jetzt in dem Hause Keller's geherrscht hatte, sollte nicht länger ungestört bleiben, die harte, unbarmherzige Hand des Schicksals griff nach dem stillen Glück der Familie.

An einem Sonnabend zahlte Keller seinen Arbeitern das Geld aus, welches sie während der Woche bei ihm verdient hatten, als die drei Amerikaner, die einzigen, welche noch bei ihm in Arbeit standen, ihm erklärten, daß er ihnen von nun an einen höhern Lohn zu bewilligen habe. Keller entgegnete ihnen darauf, daß er ihrer Forderung nicht willfahren werde, da er Arbeiter genug zu dem bisherigen Preise haben könne, und daß es bei ihnen stehe, seinen Dienst zu verlassen und anderswo in Arbeit zu gehen.

Die Amerikaner wurden grob, schimpften ihn einen der verdammten Deutschen, die herübergekommen wären, um ihnen das Brod zu nehmen, schwuren, daß die Fremden sämmtlich zur Stadt hinausgejagt werden sollten, und als Keller ihnen die Thür wies und mehrere seiner deutschen Arbeiter herzutraten, um ihrem Brodherrn beizustehen, ergriff einer der Amerikaner eine Axt und zerschlug damit ein kürzlich verfertigtes prächtiges Piano, daß die Splitter in dem Saal umherflogen. Jetzt faßten die Deutschen zu und warfen unter kräftigen Faustschlägen die drei Amerikaner zur Thür hinaus.

Der Auftritt, der sich bei Keller ereignete, war aber heute nicht der einzige dieser Art; in der ganzen Stadt, in fast allen Werkstätten geschah an diesem Abend seitens der Amerikaner ein Gleiches, und bald rotteten sich die Uebelthäter zu Tausenden zusammen und durchzogen die Straßen von Philadelphia mit den Rufen: »Tod den Ausländern!« und: »Hurrah für die Eingeborenen!«

Der Haß gegen die Ausländer, namentlich gegen die Deutschen, lebte aber nicht nur unter der niedern Klasse, er hatte sich auch der bessern Stände der Amerikaner bemächtigt, die mit Neid und Mißgunst auf die vielen reichen Fremden blickten, welche die größten Geschäfte besaßen, als Kapitalisten von ihren Zinsen lebten oder die ersten Aemter und Würden der Stadt bekleideten. Ihren Ohren waren die wilden Sturmesrufe, die durch die Straßen schallten, keine unangenehme Musik, und wenn sie auch selbst in keiner Weise sich an dem

Tumult betheiligten, so lag es ihnen doch auch sehr fern, nur das Mindeste dagegen zu thun. Sie legten sich in die Fenster, stellten sich vor die Thüren, um den Spaß, wie sie es nannten, mit anzusehen, oder sie zogen hinter den Aufrührern her und vergrößerten dadurch den Auflauf von Minute zu Minute. Die Tumultuanten wurden durch die ungeheuern Zuschauermassen nur noch in ihrer tollen Wuth angefeuert, die Verwünschungen, die Drohungen gegen die Fremden wurden immer heftiger, und bald begannen Steine aus dem wilden Haufen zu fliegen und die Fenster in Häusern von Ausländern zu zertrümmern. Die Nacht brach herein und die ganze Stadt war in Aufruhr. Alle Fremden hatten sich in ihre Wohnungen zurückgezogen, und auch die Amerikaner, welche etwas zu verlieren hatten, begaben sich nach Hause, schlossen Thüren und Läden und fingen an, über das Umsichgreifen des Aufstandes besorgt zu werden.

Bis jetzt war es außer dem Steinwerfen noch zu keinen Thätlichkeiten gekommen, die Zahl der Tumultuanten aber hatte sich schon bis auf zehntausend vermehrt, ihre Bewegungen wurden immer zügelloser, immer drohender, und von Augenblick zu Augenblick sah man einem Ausbruch von Gewaltthaten entgegen. Vergebens hatte es die Polizei versucht, einzuschreiten und die Ruhe herzustellen, man hatte sie verhöhnt und schließlich mißhandelt in ihre Quartiere zurückgejagt. Die tobenden Massen waren jetzt zu einer solchen Lawine angewachsen, daß sie sich nicht mehr zusammen fortbewegen konnten; sie brachen in viele Haufen auseinander und stürmten nun nach allen Richtungen durch die Stadt. In den abgelegenen Theil derselben, wo die größte Zahl von Deutschen wohnte, war der Strom der wilden Horde noch nicht vorgedrungen und der kleine, von hohen Gebäuden umgebene Platz vor Keller's Haus noch menschenleer geblieben. Rund um denselben aus allen Fenstern und Häusern bis in die Giebel hinauf schauten deren Bewohner und die große Zahl derer, die sich hineingeflüchtet hatten, hervor und lauschten der furchtbaren Stimme des Aufruhrs, die wie ferner Donner zu ihnen herübertönte. Auch die Fenster in Keller's Haus waren zahlreich besetzt, denn es hatten sich einige zwanzig deutsche Arbeiter hier eingefunden, um ihren Brodherrn zu schützen und Gewalt der Gewalt entgegenzustellen.

»Gott bewahre uns davor, daß sie hierher kommen!« sagte Madame Keller mit zitternder Stimme zu ihrem Manne, der mit verschränkten Armen neben ihr an dem Fenster stand, und dabei preßte sie ihr Kind fester gegen ihr Herz und schaute ängstlich in die Straße hinaus, von woher das dumpfe Getöse hörbar ward.

»Sie werden sich nicht in diese Gegenden wagen, es wohnen ja hier beinahe nur Deutsche«, entgegnete Keller, nicht ohne durch seinen Ton seine eigene Besorgniß zu verrathen.

»Wenn nur Herr Randolph hier wäre, er steht in hohem Ansehen bei den Amerikanern und hat viel Einfluß. Daß er auch gerade heute in das Land fahren mußte!« fuhr die Frau ungeduldig fort und blickte wieder rechts und links an den Häusern hin.

»Er wollte um zehn Uhr wieder hier sein, und es ist schon dreiviertel; er wird hoffentlich gleich kommen«, versetzte Keller. Da schallte plötzlich der näherkommende Tumult in wildem, verworrenem Geschrei von dem Ende der Straße her, und zugleich schoß das Licht von vielen Fackeln auf Keller's Haus.

»Gott stehe uns bei, da sind sie«, schrie die Frau und sprang mit ihrem Kinde vom Fenster fort nach der Thür. »Wohin willst Du, Frau?« rief Keller ihr zu und hielt sie beim Arm zurück.

»Fort, fort, ehe sie kommen!« entgegnete sie bebend und suchte die Thür zu erreichen.

»Aber wohin denn, liebe Frau? Du bist ja nirgends sicherer als hier; ich habe ja einige zwanzig Mann im Hause«, fuhr Keller fort und suchte sie zu beruhigen, während die Sturmrufe draußen von Augenblick zu

Augenblick gräßlicher tönten und das Fackellicht das Zimmer blendend erleuchtete.

Mit einem Geheul, als ob die Schaaren der Unterwelt losgelassen wären, drängte sich jetzt der tolle Haufen der Tumultuanten auf den Platz und erfüllte die Luft mit den wildesten Flüchen, Schwüren und Hurrahs. Dabei hoben sie drohend ihre Fäuste gegen die umstehenden Häuser empor und Aexte, Hammer, Eisenstangen und Messer blitzten in dem Lichte der Fackeln. Für den Augenblick schienen die Aufrührer noch kein Ziel für ihre Wuth gewählt zu haben, da schrie eine Stimme den Namen Keller, und »Keller!« dröhnte es aus tausend Kehlen.

Als ob sie jetzt den rechten Weg gefunden hätten, wandten sie sich wie ein wogender Strom gegen das Haus des Pianomachers und im nächsten Augenblick krachten Axt- und Hammerhiebe gegen Thür und Fensterladen.

»Halt, im Namen des sternbedeckten Banners Amerikas! Halt, sage ich«, übertönte plötzlich eine Stimme den Tumult und mit den Worten: »Seid Ihr Amerikaner, seid Ihr Söhne der Väter, die Freiheit und Recht mit ihrem Blut erkauften?« drängte sich Albert Randolph mit Gewalt durch die Menge und erreichte die Thür des Hauses in dem Augenblick, als dieselbe unter den Aexten zersplitterte.

»Zurück hier vor einem freien Sohne Amerikas!« schrie er jetzt gegen die rasende Menge, indem er in den Eingang trat und im Scheine des Fackellichts sich hoch und gebietend aufrichtete.

»Ja, ich bin es, Euer Dichter Albert ist es, der Euren Ruhm besungen, der aber Eure Schande nicht sehen will. Fort, seid Amerikaner, seid würdige Kinder der höchststehenden, der edelsten Nation auf Erden, und tretet die Gesetze, die Ihr selbst gegeben, nicht mit Füßen!«

So rief er abermals, und die vordersten der Aufrührer wichen wie vor einer höhern Macht zurück, hinter ihnen aber schrieen mehrere wuthentbrannte Stimmen:

»Was will der Grünschnabel? Nieder mit dem Jungen, wir brauchen keinen Lehrmeister«, und in demselben Augenblick kam ein schwerer Stock geflogen und traf Albert mit solcher Gewalt auf die Brust, daß er athemlos zurücktaumelte und in der Hausflur von den dort versammelten kampfbereiten Deutschen aufgefangen wurde.

Das Zeichen zum Angriff war hiermit gegeben und mit einem donnernden Hurrah strömten die Amerikaner in den offenen Eingang. Dort aber fielen so gewaltige Hiebe auf sie nieder, daß sie mit blutigen Köpfen zurück zur Thür hinaus stürzten und draußen unter Flüchen und Schwüren ihrer Kameraden zusammenbrachen. Doch die Nachfolgenden erneuerten sofort mit noch größerer

Wuth den Angriff, wurden aber gleichfalls schwer getroffen zurückgewiesen.

Albert hatte sich schnell wieder ermannt und eilte nach der Treppe, wo ihm Keller und dessen Frau mit ihrem Kind entgegenkamen und seine Hände ergriffen, in ihrer Angst aber keine Worte hatten.

»Schnell, schnell, folgen Sie mir«, rief er entschlossen und zog sie mit sich fort in den Hof und nach der hintern Seite desselben an die Mauer, welche Keller's Grundstück von dem dahinter liegenden trennte. Von dem Blumengerüste, welches an derselben stand, warf er die Töpfe herab, stieg auf ihm hinauf und bat Madame Keller, ihm mit dem Kinde zu folgen.

»Sie müssen über die Mauer steigen, dort sind Sie in dem Eigenthum eines Amerikaners und vor jeder Verfolgung sicher«, rief er ihr zu und hielt ihr die Hand entgegen.

Die Frau zitterte und bebte und konnte sich nicht entschließen, doch Keller schlang seinen Arm um sie und half ihr zu Albert hinauf. Von der Mauer ließ sie sich mit Hülfe der beiden Männer in den Hof des Nachbars hinab und empfing dann weinend und schluchzend ihr Kind, welches Keller ihr nachreichte.

»Um Gottes willen, komm mit, Keller, und auch Sie, Herr Randolph! Hören Sie nicht die

Schreckenstöne? Die wüthende Horde wird Sie beide morden!« rief die Frau, ihre Hände flehend nach ihnen erhebend.

»Ich kann ja mein Eigenthum nicht verlassen, Frau, ich habe ja auch alle meine Papiere und meine Bücher dort! Eile zu Hancocks, sie werden Dich in Schutz nehmen«, entgegnete Keller und winkte ihr fortzugehen.

»Laß Alles im Stich, nur erhalte mir Dich selbst. Komm herab!« bat die Frau noch dringender.

»Dieser Weg bleibt mir immer noch frei; ich muß erst meine Papiere retten«, rief Keller, sprang von dem Gerüst in den Hof und rannte nun, von Albert gefolgt, in das Haus zurück.

Noch immer hielten die deutschen Arbeiter den Eingang siegreich besetzt und wehrten mit furchtbaren Hieben den Strom der rasenden Angreifer zurück. Die Dunkelheit schützte sie und das Fackellicht draußen zeigte ihnen die eindringenden Feinde. Keller und Albert sprangen an ihnen vorüber die Treppe hinauf nach dem Zimmer, wo ersterer seine Bücher und Papiere verschlossen hatte. Sie öffneten die Thür und traten ein, als im selbigen Augenblicke die beiden Fenster von außen zerschmettert wurden und zwei Männer, welche sie auf Leitern erstiegen hatten, in denselben erschienen. Keller aber stieß den einen und Albert den andern zurück, sodaß dieselben beide von der Höhe in die Straße stürzten und ihre Kameraden, welche ihnen schon auf den Leitern folgten, mit sich hinabrissen. Ein Donner von Verwünschungen und Flüchen beantwortete die That aus der Straße herauf, doch zugleich ertönten Hurrahs und Siegesrufe, denn auf einer dritten Leiter strömten die Belagerer durch das Fenster in das Nebenzimmer, und Keller und Albert blickten noch den Hinabgestürzten nach, als Mann auf Mann hinter ihnen in die Stube drang und alle wie rasend über sie herfielen. Der Kampf war kurz, beide wurden niedergeschlagen, und jubelnd trugen die Sieger den regungslosen Keller in das Fenster, zeigten ihn der jauchzenden Menge und warfen ihn in die Straße hinunter. Dann erfaßten sie Albert, um ihn einem gleichen Ende zu überliefern; sie hoben ihn auf die Fensterbrüstung und waren im Begriff, ihn hinabzuschleudern, als einer der wüsten Gesellen seinen Arm ergriff und ihn zurückhaltend ausrief:

»Halt, das ist Albert, der Dichter. Um Gotteswillen, wer hat ihn so geschlagen? Hierher mit ihm, ich will ihn verbinden!«

Dabei riß er sein Halstuch ab, und nachdem Albert auf den Fußboden niedergelegt worden war, kniete jener neben ihm hin und band das Tuch um sein blutiges Haupt.

»Faßt an, damit wir ihn in Sicherheit bringen und einen Arzt zu Hülfe rufen«, rief er dann, indem er seinen Arm unter Albert's Schultern schob und ihn mit Hülfe mehrerer Kameraden emporhob.

Während dieser Zeit hatte der Kampf in dem Eingange des Hauses sein Ende gefunden, denn die Amerikaner waren in großer Zahl durch die Fenster eingedrungen und hatten die Deutschen in der Hausflur im Rücken angegriffen. Nach einer verzweifelten Gegenwehr waren diese der Uebermacht erlegen, und Haus und Hof füllten sich jetzt rasch mit den Siegern.

»Wahrt die Köpfe«, schrie es aus allen Fenstern, und hinter den Mahnrufen kamen Möbel, Geschirr, Handwerkszeug, ja ganze Pianos herausgeflogen und zerschellten auf der Straße. In unglaublich kurzer Zeit war das Gebäude ausgeleert, und schon begannen die Tumultuanten das Dach abzudecken, um das ganze Haus niederzureißen, als mehrere Stimmen ausriefen:

»Wozu die Mühe? Steckt die Baracke in Brand! Alle die Nester rund um den Platz gehören ja diesen verdammten Deutschen. Laßt sie zum Teufel brennen!«

Wildes Jubelgeschrei war die Antwort auf den Vorschlag, die Holzspäne in den Werkstätten lieferten vortreffliches Zündmaterial, die Fackeln fielen hinein und das Haus brannte an allen vier Ecken.

Die Feuersäule, die zum Himmel emporstieg, ward aber von vielen andern beantwortet, die in verschiedenen Theilen der Stadt aufloderten, und da die bei weitem größere Zahl der Spritzenmannschaften sich unter den Aufrührern befand, so griff das Feuer allenthalben rasch um sich. Jetzt fanden es die besitzenden Klassen der Amerikaner für gerathen, dem Aufstand entgegenzutreten, wollten sie nicht ihr eigenes Hab und Gut dem Untergang preisgeben. Die Feuerglocken wurden gezogen und auch die reichsten Leute spannten sich vor die Spritzen. Dabei sandten die Sturmglocken von den Kirchen ihre schauerlichen, mahnenden Klänge über die Stadt, und um die Schreckenstöne noch zu mehren, wirbelten Trommeln, schallten Hörner durch die Straßen und riefen die Miliz auf ihre Sammelplätze. Noch hatten diese Anstalten keinen Einfluß auf die Bewegungen der zügellosen Arbeitermassen; sie zogen von Straße zu Straße und trugen Mord und Brand in die Häuser der Ausländer. Die katholische Kirche war jetzt der Gegenstand, an dem sie ihre Wuth ausließen, und unter den Rufen: »Nieder mit den Katholiken. Nieder mit den Irländern!« warfen sie ihre Fackeln in das Haus Gottes. Die Flammen verhüllten schon das hehre Gebäude, als die ersten Abtheilungen der Miliz gegen die ruchlosen Schaaren vorrückten, um mit der Gewalt der

Massen dem Unwesen Einhalt zu thun. Es war zu spät; was noch vor wenigen Stunden mit geringen Kräften und ohne Opfer hätte geschehen können, war jetzt der vereinten Bürgerwehr nicht mehr möglich. Der Generalmarsch hatte nicht nur die Miliz unter die Waffen gerufen, er hatte auch die Aufständischen dazu greifen lassen, sie hatten sich schnell einer Anzahl Kanonen bemächtigt und begannen nun das Straßenpflaster aufzureißen und Barrikaden aufzuwerfen. Ihre Stellung hatten sie durch mehrere Theile der Stadt geschickt gewählt, um untereinander in Verbindung zu bleiben und zugleich den Fluß zu beherrschen. Als der Morgen graute, war die ruhige Quäkerstadt zum Kriegsschauplatz umgewandelt und Kanonendonner erschütterte sie in ihren Grundfesten. Der Fluß bot den Aufrührern Zufuhren aller Art und das Arsenal versorgte sie mit Munition.

Kaum hatte der Tag sein volles Licht über die Stadt ausgebreitet, als die Miliz die ersten Massenangriffe auf die Barrikaden machte. Mit löwenmüthiger Entschlossenheit stürmten die Söhne Philadelphias dem Feuer der Verschanzten zu, der Kugelregen streckte sie reihenweise in den gewählten engen Straßen nieder und viele Hunderte fanden in wenigen Minuten ihren Tod. Wieder und wieder erneuerten sie die Angriffe, doch immer wurden sie mit großem Verlust zurückgeworfen. Da rückte gegen zehn Uhr das prächtig uniformirte Husarenregiment, welches aus den Söhnen der reichsten, vornehmsten Leute bestand, vor, um die erste blutige Weihe zu empfangen. Alle Vorstellungen, daß Cavallerie nicht gegen Barrikaden zu gebrauchen sei, wurden zurückgewiesen und die Trompeten schmetterten zum Angriff. Im Galopp kamen die schönen Jünglinge auf ihren edlen Pferden die Straße herabgebraust und wurden mit Kartätschenregen von den Barrikaden begrüßt. Rosse und Reiter stürzten über sie weg, jagten ihre Kameraden gegen die Schanzen vor, und eine Menge von ihnen gelangte über dieselben hinaus zwischen die Feinde. Die Uebermacht dort aber war zu groß, es kam nicht einer der jungen Helden wieder zurück. Ueber ein Drittheil des Regiments wurde bei diesem einen Angriff verwundet oder getödtet. Diese Erfolge feuerten die Aufrührer nur noch mehr an, und die Forderungen, welche sie stellten, um Frieden zu machen, steigerten sich immer höher. Sie verlangten neben vollständiger Amnestie, daß alle Ausländer die Stadt verlassen sollten. Dabei wuchs ihre Zahl von Stunde zu Stunde und der Magistrat kam zu der Ueberzeugung, daß er mit der ihm zu Gebote stehenden Macht die Ruhe nicht erzwingen könne. Der Beschluß ward darum gefaßt, die Miliz aus dem Lande aufzubieten, und schon am Abend gingen die Befehle nach allen Theilen von Pennsylvanien ab.

Während der zwei folgenden Tage schwebte die Stadt in banger Erwartung, in Angst und Schrecken, denn die Aufständischen machten Ausfälle, rissen Häuser nieder, steckten andere in Brand und plünderten die Waarenlager. Endlich am dritten Tage rückten zehntausend Mann Militär aus dem Lande ein, und schon am Nachmittage wurden sie gegen die Barrikaden geführt. Mit einer furchtbaren Erbitterung wurde von beiden Seiten gekämpft, aber aller Muth, alle Entschlossenheit halfen nichts gegen die festen Stellungen und die Todesverachtung der Aufrührer, alle Angriffe wurden während mehrerer Tage zurückgeschlagen. Unterdessen hatte der Gouverneur von Pennsylvanien auch aus den Nachbarstaaten, aus Neujersey und aus Maryland Milizen zur Unterdrückung des Aufstandes verlangt, und abermals zogen neue Hülfstruppen in Philadelphia ein. Die Resultate der Kämpfe waren die frühern, die Aufständischen blieben die Sieger. Da langte endlich am neunten Tage die sogenannte fliegende Artillerie unter dem Commando des Kapitäns Ringold, welche in dem Fort bei Baltimore stationirt war, in der Stadt an, und eine Stunde nach seiner Ankunft ließ er seine Geschütze gegen die Barrikaden auffahren. Der Donnergruß, den diese Feuerschlünde den Aufrührern zuschickten, war mehr, als diese ertragen konnten, sie flohen in wilder Hast von ihren Verschanzungen, die Miliz folgte ihnen im Sturmschritt nach, und ehe eine Stunde verging, war die Stadt von ihren Peinigern befreit.

Trauer, Leid und Weh aber waren in unzähligen Familien eingezogen, denn Tausende ihrer Söhne, ihrer Brüder, ihrer Väter waren als Opfer ihres Muthes, ihrer Pflicht gefallen.


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