Armand (Friedrich Strubberg)
Saat und Ernte
Armand (Friedrich Strubberg)

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Sechstes Kapitel.

Hatte die Nachricht von der Fälschung und von dem Mord schon viel Aufsehen in der Stadt gemacht, so setzte die Kunde von Albert's Anklage die ganze Einwohnerschaft in die allergrößte Aufregung. In allen Familienkreisen, an allen öffentlichen Orten wurde beinahe von nichts Anderem mehr geredet, und der Name Albert Randolph ging von Mund zu Mund. Obgleich vor dieser entsetzlichen Beschuldigung wohl niemals ein unfreundliches, ein nachtheiliges Wort über ihn laut geworden war, und obgleich auch jetzt noch die allgemeine Stimme sich zu seinen Gunsten erhob, so hörte man doch hier und dort Zweifel über ihn aussprechen, und die Bemühungen, Verdachtsgründe gegen ihn aufzufinden, überstiegen täglich mehr die Anstrengungen, seine Unschuld zu verfechten. Bei allen aber wuchs das Interesse für die Sache selbst mit jeder Stunde und jede neue Zeitung brachte neue Nachrichten, Vermuthungen, Anfragen, Auskünfte und Ansichten darüber.

Mit der größten Spannung und Ungeduld sah man der öffentlichen Verhandlung des Processes gegen Albert entgegen und mit rastloser Leidenschaftlichkeit arbeiteten die beiden Parteien, die sich unter der Einwohnerschaft der Stadt für und gegen Randolph gebildet hatten, für ihre Zwecke. Namentlich wurden von denselben bei der Ernennung der Geschworenen alle Mittel zu Gunsten oder zum Nachtheil des Angeklagten in Bewegung gesetzt und alle Einflüsse, alle Gewalten aufgeboten, dessen Freunde oder dessen Widersacher in die Jury zu bringen.

Der Hauptführer der Partei, die gegen Albert arbeitete, war Apollo Dandon. Er sprach sich offen und laut gegen ihn aus und erklärte, daß er ihn an den Galgen bringen werde, und wenn es ihn die Hälfte seines Vermögens kosten sollte. Um dem gefährlichsten Widersacher seines Vorhabens, Portman, bei den Gerichtsverhandlungen die Spitze zu bieten, ließ er den berühmtesten Advocaten von Neuorleans, Namens Rammon, nach Natchez kommen und schloß einen Vertrag mit ihm ab, wonach er ihm zehntausend Dollars auszahlen wollte, wenn der Angeklagte gehangen würde.

Die Freunde Albert's aber sahen in dessen Unschuld und in dem unbesiegbaren alten Portman so feste Stützen und setzten in sie so unerschütterliches Vertrauen, daß ein Gedanke an einen ungünstigen Ausgang des Processes gar nicht in ihnen Wurzel fassen konnte.

Namentlich schwand aus Blancha's Seele alle Bangigkeit, alle Besorgniß, denn sie sah Albert an jedem Abend, und seine Ruhe, seine Zuversicht ließen keinen Zweifel mehr in ihr aufkommen. Mit Sehnsucht wartete auch sie auf das Beginnen der Verhandlungen, welche ja mit dem Siege Albert's über seine Feinde enden mußten.

So verstrich noch eine Woche, alle Vorbereitungen zu dem Gerichte waren beendet, die Zeugenverhöre gehalten, und endlich erschien der Tag, der über Albert's Schicksal entscheiden sollte. Schon lange, ehe die laute Stimme des Sheriffs aus dem Gerichtsgebäude die Eröffnung der Verhandlungen verkündete, war der Platz um dasselbe Kopf an Kopf angefüllt, und das Drängen nach der Thür des Hauses war so groß, daß man nur mit Lebensgefahr dieselbe erreichen konnte. Eine große Unzahl von Damen aus den ersten Klassen der Gesellschaft traten zuerst ein. Die Achtung, die man ihrem Geschlechte zollte, verschaffte ihnen ungehinderten Zutritt. Dann aber stürzte Alles der Thür zu, und nur mit Gewalt konnte man sich den Eingang erkämpfen.

Der große Gerichtssaal war zum Erdrücken mit Zuhörern gefüllt und vor den Eingängen standen die

Menschen in dem Corridor so dicht zusammengepreßt, daß sie aller Bewegung beraubt waren. Vor dem Hause aber auf dem Platze wogten die Volksmassen hin und her, und bald hier, bald dort erschallten wilde Hurrahs für Albert Randolph. In dem Hause und in dem Gerichtssaale selbst dagegen herrschte eine Todtenstille und mit verhaltenem Athem lauschte man der Eröffnung der Verhandlungen durch den Staatsprocurator, welcher mit ernster, feierlicher Stimme die Anklage gegen Albert vortrug. Er berief sich zuerst auf den Verdachtsgrund, daß die Handschrift in dem Briefe an die Bank, mit dem Namen der Madame Newberry unterzeichnet, unverkennbar die des Angeklagten sei, und legte das Schreiben sowohl wie auch mehrere von Randolph beschriebene Papiere den Geschworenen zu eigener Beurtheilung vor. Während das Blatt nun unter den Männern von Hand zu Hand ging, konnte man es auf ihren Zügen lesen, daß sie alle der Meinung des Staatsprocurators beistimmten. Auch der Richter, dem die Papiere gereicht wurden, machte ein ernstes, bedenkliches Gesicht und warf einen zweifelnden Blick auf Albert, welcher im schwarzen Frack mit vollkommener Ruhe auf der Anklagebank saß. Darauf brach der Staatsprocurator abermals das Schwelgen und verkündete, daß auch der Name Apollo Dandon, welcher unter der Anweisung auf die Bank stehe, von

Randolph geschrieben sein müsse, indem er unter dessen Papieren einen Bogen gefunden habe, auf dem derselbe augenscheinlich sich im Schreiben dieses Namens geübt habe. Dabei legte er die Anweisung und den besagten Bogen gleichfalls den Geschworenen zur Begutachtung vor. Nachdem dieselben sowie auch der Richter die Papiere genau betrachtet und abermals durch ihre Mienen ihre Zustimmung zu Heald's Ansicht gegeben hatten, bemerkte dieser noch, daß der vorliegende Bogen mit der Uebungsschrift genau solches Papier sei, wie der Angeklagte überhaupt zu seinen Schriften benutzt habe.

Während dieser Verhandlung richtete sich Dandon, der in kaffeebraunem Rock und gelbseidener Weste auf der vordersten Bank unter den Zuhörenden saß, wiederholt in die Höhe und machte mit den Händen lebhafte Bewegungen nach den Geschworenen hin, als könne er sich kaum noch zurückhalten, gleichfalls seine Ansicht auszusprechen; dann strich er wieder seine Weste glatt, spielte mit den goldenen Petschaften an seiner Uhrkette oder zupfte an seinem Hemdkragen, um seiner Ungeduld durch irgend eine Beschäftigung Luft zu machen.

Der Staatsprocurator führte nun an, daß die Mulattin Lucy ein durchaus braves, wohlerzogenes Mädchen ohne alle Bekanntschaften oder Verhältnisse gewesen sei, welches der Angeklagte allein hätte dazu bewegen können, das Geld einzukassiren, indem sie in der Aufforderung dazu durch einen Fremden sogleich einen Betrug gegen ihre Herrin erkannt und dieser Mittheilung davon gemacht haben würde.

Dann sagte er, daß die Mulattin Lucy zuletzt gesehen worden, als sie abends ihre Herrin nach Shield's Hause begleitet habe, daß Randolph kurze Zeit vor ihr ausgegangen und daß er um halb zwölf Uhr in seine Wohnung zurückgekehrt sei, während die Mulattin um elf Uhr in den Fluß gestürzt worden sein solle. und zwar nach der Anzeige eines Unbekannten durch Albert Randolph. Auf die Frage, wo dieser den ganzen Abend bis zu seiner Rückkehr nach Hause verbracht habe, sei seine Antwort, daß er spazieren gegangen wäre, doch habe er keinerlei Nachweis über diese lange Promenade geben wollen. Durch mehrere Zeugen wäre es nun festgestellt, daß Randolph vor elf Uhr über das Werft und den Weg am Flusse hinaufgegangen sei, ein Weg, der in so dunkler Nacht durchaus keine Annehmlichkeiten zum Spazierengehen böte.

Nachdem der Staatsprocurator alle Gründe genannt und erörtert, weshalb Albert Randolph der Fälscher der Anweisung und des Briefes an die Bank, sowie der Mörder der Mulattin Lucy sein müsse, überließ er es den Geschworenen, ihr Schuldig über den Angeklagten auszusprechen, und bezeichnete die gesetzliche Strafe für solche Verbrechen mit Tod durch den Strang.

Ein im Ausbruch erstickter Schrei wurde bei diesen Worten oben auf der Gallerie, wo die Damen saßen, gehört, und eine Bewegung, die sich nach zwei verschleierten Frauengestalten im Hintergrunde richtete, wurde unter ihnen bemerkt, doch im nächsten Augenblick wandten sich aller Blicke wieder nach der Gerichtsverhandlung, denn der ehrwürdige gefeierte Portman nahm das Wort, um den Staatsanwalt in seinen Behauptungen zu widerlegen und die angeführten Verdachtsgründe zu bestreiten. Er sagte, daß das Verschwinden der Mulattin gerade für die Unschuld Albert's zeuge, indem sie und Niemand anders es gewesen sei, die dem Fälscher geholfen und die den Bogen mit Dandon's Facsimiles zwischen die Papiere des Herrn Randolph gelegt habe. Der Fälscher selbst, sagte er, hätte den Mord an dem Mädchen angezeigt und Herrn Randolph als deren Mörder genannt, nirgends aber habe der Herr Staatsprocurator nachgewiesen, daß überhaupt ein Mord geschehen sei, denn das Verschwinden des schuldigen Mädchens beweise wohl dessen Flucht, keineswegs aber dessen Tod. Die Mulattin, fuhr er fort, ist, nachdem sie das Geld einkassirt hat, mit dem Fälscher, für den sie es that, entflohen und der allgemein geachtete, hochgefeierte Herr Randolph kann mit ihrem Verschwinden in keiner Weise in Beziehung gebracht werden. Daß er an jenem Abend einen langen Spaziergang gemacht hat, worauf der Herr Staatsprocurator so großes Gewicht legt, hat nichts Auffallendes, da erwiesen ist, daß solche nächtliche Promenaden zu seinen Gewohnheiten und Neigungen gehörten. Portman sprach mit ruhigem, gleichgültigem Tone, als ob es sich nur um ein geringes Polizeivergehen handle, und schloß seine einfache kurze Rede mit der Erklärung, daß die Anklage gegen Randolph vollständig aller Begründung entbehre.

Der Staatsprocurator trat jedoch abermals vor die Schranken und kam wieder auf den langen nächtlichen Spaziergang des Angeklagten zurück.

»Zweifelsohne ist diese über vier Stunden lange Promenade, über welche der Angeklagte keine nähere Auskunft zu geben vermag, den Herren Geschworenen ebenso wie mir sehr verdächtig erschienen«, hob er mit lauter verdammender Stimme an, »wieviel mehr aber wird sie als Beweis der Schuld dastehen, wenn ich sage und darthue, daß Randolph zwischen acht und zehn Uhr mit der verschwundenen Mulattin Lucy Arm in Arm an dem Flusse hinwandelnd gesehen worden ist! Drei glaubwürdige Zeugen sind zugegen, welche diese Thatsache zu beschwören bereit sind!«

Bei diesen Worten winkte Heald seitwärts nach dem Eingange hin und drei Männer traten von dorther vor die Schranken.

Eine Todtenstille folgte, dann aber lief ein unwilliges Murmeln durch den Saal und alle Blicke richteten sich auf Albert, den die Worte sichtbar heftig erschüttert hatten, wie die Todtenblässe zeigte, die sein Antlitz überzog.

Auch Portman war zusammengefahren und bleich geworden, er war aufgestanden und hielt seinen starren Blick einige Sekunden auf Albert geheftet, dann aber faßte er sich und sagte mit einem Ausdruck, als ob er den in ihm aufgestiegenen Zweifel besiegt habe:

»Herr Randolph wird uns am besten selbst hierüber Auskunft geben können. Ist diese Aussage wahr?«

»Nein!« antwortete Albert sich erhebend mit fester Stimme. »Wenn diese drei Zeugen ihre Aussage beschwören, so leisten sie falschen Eid!«

»Ich bitte die drei Zeugen zu vernehmen«, fiel der Staatsprocurator rasch ein, worauf dieselben beeidigt wurden und dann aussagten, daß sie Herrn Randolph nach neun Uhr am Flusse begegnet seien, wo er mit der Mulattin Lucy am Arm in traulichem Gespräch spazieren gegangen wäre.

»Können Sie es nun noch leugnen?« fragte der

Staatsprocurator mit verächtlichem Tone, indem er sich nach Albert hinwandte.

»Nochmals, es ist eine Unwahrheit!« entgegnete dieser auffahrend. »Ich habe die Mulattin an jenem Abend mit keinem Blicke gesehen!«

»So ist es wohl nur ein Irrthum in der Person und das Frauenzimmer, mit welchem Sie spazieren gingen, ist ein anderes als die Mulattin gewesen«, nahm Portman rasch das Wort.

»So ist es, ich werde aber den Namen niemals über meine Lippen gehen lassen«, antwortete Albert entschlossen.

»Und doch sind Sie es sich selbst und auch mir schuldig, den Namen zu nennen, um sich von diesem schweren Verdacht zu reinigen, Herr Randolph!« sagte Portman ernst und mit einem Ausdruck von Vorwurf.

»Nimmermehr!« entgegnete Albert mit fester Bestimmtheit und sah bittend nach Portman hin.

»So werden Sie mir selbst die Möglichkeit nehmen, Sie gegen die Anklagen zu vertheidigen«, sagte Portman bestürzt. »Bedenken Sie, daß es sich um Leben und Tod handelt!«

»Wohlan, der Name wird mir auch über das Grab hinaus heilig bleiben«, rief Albert heftig ergriffen und warf einen aufleuchtenden Blick durch den Saal.

»So werde ich ihn nennen!« schrie es in diesem Augenblick von der Gallerie hinab. Die Damen sprangen in großer Verwirrung von ihren Sitzen auf, drängten sich durch einander hin, es stürmte die Treppe herab, und mit dem Rufe: »Platz! Platz!« stürzte Blancha Dandon durch den Saal heran bis vor die Schranken.

»Ich war es«, rief sie in wilder Entschlossenheit, »die mit diesem edlen hochherzigen Jüngling Arm in Arm an jenem Abend den Fluß entlang ging, ich war es, die jene drei Männer an der Seite Albert Randolph's gesehen haben, und ich werde es sein, die mit ihm, meinem Geliebten, meinem Verlobten, leben und sterben wird.« Diese Worte hatte sie den Geschworenen zugerufen, warf sich Albert dann an die Brust und schlang ihre Arme um ihn, als wolle sie ihn jetzt selbst gegen jede Gewalt vertheidigen.

Der alte Dandon aber, entsetzt, als ob die Welt über seinem Haupte zusammenbreche, hatte Blancha erreicht, sie erfaßt und wollte sie in seiner blinden Wuth von Albert hinwegreißen, er sah aber nicht, daß sie jetzt kalt und regungslos in dessen Armen lag und jedes Lebenszeichen aus ihr gewichen war.

»Schurke, Mörder meines einzigen Kindes!« schrie er plötzlich in Raserei und Verzweiflung und nahm Blancha aus Albert's Armen in die seinigen.

In demselben Augenblick drängte sich Madame Newberry heran, es folgten ihr viele Damen nach, Blancha wurde hinausgetragen und Dandon fuhr sie in einem herbeigeholten Fiaker ohnmächtig nach Hause.

Der Auftritt hatte so lähmend auf die ganze Versammlung gewirkt, daß eine geraume Zeit darüber verging, ehe man wieder zum vollen Bewußtsein gelangte, weshalb man sich hier befand; der Eindruck aber, den er auf die Gemüther machte, war sehr verschiedener Art. Im Allgemeinen hatte die ergreifende Scene nicht zu Gunsten Albert's gewirkt. Blancha Dandon war eine der geachtetsten und beliebtesten Persönlichkeiten in der Stadt, und mit einem Gefühl des Bedauerns, des Widerwillens hatte man sie in den Armen eines so schwerer Verbrechen Angeklagten vor den Schranken des Gerichts gesehen. Das heimliche Verhältniß des mittellosen Rechtscandidaten mit dem reichen schönen Mädchen erschien sehr Vielen wie ein Unrecht, wie ein Betrug, ein Raub an dem alten Dandon, der, wenn auch durchaus nicht beliebt, doch als ein reicher Mann in großem Ansehen stand. Es war mit einem Wort eine sehr unangenehme Störung gewesen und gegen Albert richtete sich der Vorwurf darüber.

Letzterer war wie vernichtet auf der Sünderbank zusammengesunken und hörte und sah nicht mehr, was um ihn her vorging. Erst als der Staatsprocurator wieder seine Stimme laut erschallen ließ und die frühere unheimliche Ruhe in dem Saale herrschte, trat sein Schicksal wieder an ihn heran und zwar jetzt noch drohender als vorher, denn er las in allen Gesichten, daß die Stimmung sich sehr gegen ihn gewandt hatte.

»Um welche Zeit, Albert Randolph, haben Sie sich an jenem Abend von Fräulein Dandon getrennt?« fragte der Staatsprocurator ihn mit barschem Tone.

»Ich geleitete sie um zehn Uhr bis vor ihre Wohnung, wo wir von einander schieden«, antwortete Albert sich wieder sammelnd.

»Und wo waren Sie dann von zehn Uhr bis halb zwölf, wo Sie in Ihre Wohnung zurückkehrten?« fragte Heald wieder.

»Ich ging von Dandon's Haus zuerst in der Stadt umher, kam nach dem Werfte hinunter und wanderte dann an dem Flusse hinauf und wieder zurück, bis ich meine Wohnung erreichte. Dies ist ganz genau die Art und Weise, wie ich die Zeit bis halb zwölf Uhr verbrachte.«

»Sind Sie auf dem Wege am Flusse mit Niemand zusammengewesen?«

»Nur mit meinen Gedanken, Herr Heald«, antwortete Albert sich ermannend.

»Sie waren ja aber so eben von dem Flusse zurückgekehrt und hatten Ihre Promenade beendet, wie kamen Sie nun dazu, noch einmal und zwar allein zu so später Stunde und in solcher Dunkelheit die Stadt zu verlassen und sich dorthin zu begeben? Sie müssen doch einen Zweck dabei gehabt haben, denn Vergnügen oder Erholung konnte der Weg Ihnen ja nicht bieten.«

»Wer die Reize, die Schönheit, das Geheimniß der Nacht nicht fühlen kann, dem kann man auch keine Beschreibung davon machen, darum muß ich Ihre Frage unbeantwortet lassen, Herr Heald«, antwortete Albert stolz.

»Ein sehr schwacher Deckmantel für Ihre Schuld, die ich offen und unbezweifelt zu Tage legen werde«, fuhr der Staatsanwalt in drohendem Tone fort. »Zwischen zehn und elf Uhr gingen Sie, als Sie Fräulein Dandon verlassen hatte, über das Werft nach dem Flusse zurück, um elf Uhr wurde die Mulattin in das Wasser gestürzt und um halb zwölf langten Sie nach dieser zweiten Promenade wieder zu Hause an!«

Während der Staatsprocurator dies mit scharfer Betonung sagte, wurde es unruhig in dem Saale, und Albert, der so oft die Wirkungen der Rede auf das Publikum beobachtet und studirt hatte, erkannte in dem summenden, murmelnden Geräusch sehr wohl, daß es der Ausdruck eines Gefühls gegen ihn war. Er blickte nach Portman hin, welcher mit gesenktem Haupte dasaß und in Gedanken versunken vor sich niedersah.

Der Staatsprocurator hatte zwei Männern, die unweit der Thür standen, ein Zeichen gegeben, und als dieselben darauf vor die Schranken traten, sagte er zu dem Richter:

»Euer Ehrwürden wollen diese beiden glaubwürdigen Zeugen noch vernehmen lassen, die sich heute früh aus eigenem Antrieb bei mir meldeten und sich erboten, Aufschluß über den begangenen Mord zu geben.«

Alles verstummte und sah mit Ueberraschung und Spannung nach den Männern hin, Albert aber erschrak vor ihnen, denn es stand auf ihren Zügen nichts Gutes geschrieben. Auch Portman fuhr zusammen, obgleich er keinen derselben persönlich kannte.

Beide waren anständig und nach der Mode gekleidet, und bei Angabe ihrer Namen nannten sie sich Geschäftsleute, in welchem Titel jede mögliche Art von Erwerb einbegriffen ist. Sie wurden beeidigt und jeder von ihnen sagte dann aus, daß an jenem Abend gegen halb elf Uhr der Angeklagte auf dem hell erleuchteten Werfte an ihnen vorüber und am Flusse hinauf gegangen sei. Sie hätten sich auf demselben Wege befunden und wären langsam hinter Randolph hergeschritten. Nicht weit von der Stadt, dort, wo das Holz sich bis an den Weg zöge, hätten sie ihn mit einem farbigen Mädchen in eifrigem Gespräch angetroffen und bei dem Lichtschein, welcher von den Schiffslaternen dorthin gedrungen wäre, habe es ihnen geschienen, als ob das Mädchen die schöne Lucy von Newberrys sei. Sie wären an ihnen vorbei auf dem Wege fortgeschritten und Randolph mit dem Mädchen sei ihnen langsam nachgefolgt, sodaß die Entfernung von ihnen sich bald auf einige Hundert Schritte vergrößert habe. Plötzlich hätten sie hinter sich am Flusse einen unterdrückten Schrei und gleich darauf einen schweren Fall in das Wasser vernommen, sie seien rasch zurückgelaufen und hätten einen Mann, dem Anschein nach Randolph, über die Straße in den Wald hineinspringen sehen; von dem Mädchen aber wäre ihnen nichts wieder zu Gesicht gekommen.

In den Worten, welche diese Männer sagten, erkannte Albert sein Todesurtheil, sie nahmen ihm den letzten Hoffnungsgedanken aus der Seele und mit Schaudern und Entsetzen verfolgte er den Eindruck, den ihre Aussage auf die Geschworenen machte.

Nachdem Heald noch mehrere Fragen an die beiden Männer gerichtet hatte, wandte er sich an Albert und sagte:

»Was haben Sie auf diese Aussage zu antworten?«

»Daß ich das unschuldige Opfer von höllischen

Verbrechern sein werde, daß ich bereit bin, vor Gott zu treten, und daß ich bei seiner Barmherzigkeit die Aussage dieser beiden Männer Wort für Wort als die unerhörteste Lüge zurückweise«, versetzte Albert mit fester, entschlossener Stimme.

Der Staatsprocurator erklärte bald darauf, daß er nichts weiter in der Sache zu sagen habe, da es keiner weitern Beweise bedürfe, um ein Schuldig auszusprechen, und trat von den Schranken zurück, um den Advocaten gegen und für den Angeklagten das Wort zu lassen.

In diesem Augenblick kehrte Dandon mit vor Wuth glühendem Gesicht in den Saal zurück. Sein rachesprühender Blick suchte Rammon, den Advocaten von Neuorleans, und als er ihn im Begriff sah, vor die Schranken zu treten, ging er eiligen Schritts zu ihm hin und raunte ihm, giftig nach Albert hinschauend, einige Worte ins Ohr. Dann schob er seine geballten Fäuste in seine Taschen und setzte sich wieder auf seinen frühern Platz, während Rammon vor die Schranken trat. Dieser war ein langer, hagerer Mann mit röthlichem, dünnem Haar, kleinen, unruhigen grauen Augen und einer spitzen Nase, die sich, sobald er in Aufregung gerieth, in Falten in die Höhe zog, wie wenn ein Raubthier die Zähne fletscht. Jetzt stand er ruhig da und heftete seinen finstern Blick auf Albert. Kein Laut, keine Bewegung unterbrach die

Stille, jedes Auge war auf des Advocaten Lippen gerichtet, als warte man darauf, sein erstes Wort zu erhaschen.

Da zog es über Rammon's mit Sommerflecken bedecktes Gesicht wie Spott und Verachtung, seine Nase zog sich in Falten zusammen, seine großen einzeln stehenden weißen Zähne wurden sichtbar, seine Lider öffneten sich weit, sodaß das ganze Weiß seiner Augen entblößt ward, und seinen rollenden Blick auf Albert richtend, sagte er mit schneidendem, höhnischem Tone:

»Welch eine Unwahrheit, welche Verdorbenheit unter einer edlen, genialen Erscheinung! Gefeiert und geehrt wegen der seltenen, ihm von Gott verliehenen Geisteskräfte, sitzt er hier entlarvt als Fälscher, als Mörder, der große Dichter Albert, der gelehrte Advocat Randolph, als zehnfacher Sünder, da er das Gute, das Edle kannte und verkündete und das Schlechte, das Verworfene in vollster Erkenntniß, in klarstem Bewußtsein that. Ja, sieh mich an mit Deinem Heuchlerblick, Ungeheuer! Die Vergeltung für Deine Schandthaten steht vor Dir und keine Gewalt der Erde soll Dich der Gerechtigkeit entziehen! Dennoch wird die Strafe mit Deinem furchtbaren Verbrechen nicht in Einklang treten, denn das Gesetz verfolgt hier nur den Fälscher, den Mörder, den ruchlosen Zerstörer des

Seelenfriedens, der Unschuld, des Familienglücks kann es nicht erreichen, für solche ungeheure That erwartet Dich jenseits die Strafe. Wäre ein Funke von Menschlichkeit in Deiner Raubthierseele gewesen, so hätte ihn die unverdiente, durch höllische Künste errungene Zuneigung eines so edlen, so hochherzigen Wesens wie Fräulein Dandon zur Flamme auflodern lassen, in der jeder böse Keim ersticken mußte; so aber wandtest Du Deine verruchte Hand aus der Hand eines Engels zum Mord gegen ein armes Mulattenkind, in dessen Tod Du Sicherheit für Deinen Betrug, Deinen Diebstahl an der Bank zu finden hofftest! Des Himmels Rache aber hat Dich erreicht, Deine schöne, Deine edle Maske ist gefallen, und als nackter Bösewicht, als herzloser Verbrecher sitzest Du vor dem weltlichen Gericht, um durch dieses der ewigen Vergeltung übergeben zu werden!«

Bei diesen letzten Worten sprang Rammon auf Albert zu und hielt seine geballte Faust über ihn, seine Augen blitzten ihm Vernichtung drohend entgegen und seine Stimme schien ihn zerschmettern zu wollen. Albert aber saß stolz und aufrecht da, hielt seine dunklen großen Augen mit tiefster Verachtung auf Rammon geheftet und wies ihn gebietend mit erhobener Hand von sich.

»Halt, nicht weiter, Sie elender, Sie erkaufter

Schurke!« schrie plötzlich der alte Portman aufspringend dem Advocaten mit donnernder Stimme zu und wandte sich dann mit erzwungener Gelassenheit an den Richter, indem er sagte:

»Euer Ehrwürden wollen diesen Schandredner zur Ordnung verweisen, da ich es nicht länger dulden werde, daß er einen Angeklagten mit Schmähungen und Beleidigungen überhäuft, die mit den Gerichtsverhandlungen in keiner Verbindung stehen und gegen alles Recht und Gesetz dazu dienen sollen, bei den Geschworenen und den Zuhörern Vorurtheile gegen den Beschuldigten zu erzeugen und sie parteiisch zu stimmen.«

Ehe aber der Richter noch das Wort nehmen konnte, wandte der entrüstete Alte sich abermals zu dem Advocaten Rammon, streckte, auf ihn zeigend, die Hand nach ihm aus und sagte mit zorniger Stimme:

»Sie aber, Herr, Sie erbärmlicher Helfershelfer der Elenden, die an diesem edlen, fleckenreinen jungen Manne einen Mord begehen wollen, Sie sind mir, dem alten Portman, persönlich für die Beleidigungen, die Sie ihm zu sagen sich erlaubten, verantwortlich, und wenn Sie dies Haus verlassen, werde ich Sie darüber zur Rechenschaft ziehen!«

Ein donnerndes Hurrah für Portman von den Zuhörern her erschütterte den Saal und wurde draußen auf dem Platze aus tausend Kehlen wie von einem Echo wiedergegeben, und umsonst rief für einige Minuten der Richter zur Ruhe, denn die Widersacher Albert's ließen gleichfalls ihre Stimmen fluchend und schwörend erschallen und von beiden Selten zeigte man mit erhobenen Fäusten und Stöcken eine drohende Stellung. Der Ruf des Sheriffs aber übertönte den Lärm, der Sturm verwogte und die Ruhe wurde wiederhergestellt. Der Richter ermahnte Rammon nun in ernsten Worten, sich aller Beleidigungen gegen den Angeklagten zu enthalten und streng bei der Sache zu bleiben.

Auch diese zweite Störung wirkte gegen Albert. Die Rede des berühmten fremden Advocaten, auf die man mit Spannung und Interesse gewartet hatte, war unterbrochen und der Redner durch den alten Portman eingeschüchtert worden, man sah eine gewisse Eifersucht des alten Mannes gegen den Fremden darin und der Unmuth darüber kehrte sich gegen die Veranlassung dazu gegen den Angeklagten.

Rammon, durch den Angriff Portman's in verbissene Wuth versetzt, sprühte jetzt in seiner Rede Gift und Galle gegen Albert, aber dadurch, daß er es nun vermied, persönlich zu werden, feierte er einen um so größern Sieg über die öffentliche Meinung, und Mancher, der früher eben wegen der unpassenden Ausfälle gegen

Albert diesem seine Theilnahme zugewandt haben würde, kehrte sich nun schroff gegen ihn. Rammon sprach geistreich, klar und überzeugend, und als er seine Rede schloß und von den Schranken zurücktrat, wurde er mit stürmischen Hurrahs entlassen.

Der alte Portman, der gefeierte Liebling des Volkes, trat nun als Vertheidiger Albert's vor, um die letzte Anstrengung für dessen Rettung zu machen. Er erkannte aber nur zu wohl die unübersteiglichen Hindernisse, die das Schicksal heute seinem gewohnten siegreichen Auftreten entgegenstellte. Der Zorn versagte ihm die zum Herzen dringende blumenreiche Sprache, und das Gefühl, seinem schuldfreien, edlen jungen Freunde nicht helfen zu können, verwirrte seinen sonst so freien, klaren Gedankenflug. Seine Rede hatte keine Wirkung und die fortdauernde Stille nach seinen letzten Worten erfüllte ihn mit Schrecken und Entsetzen: Die Thränen standen ihm in den Augen, als er nach seinem Sitz zurückschritt und sich niederließ, und es war ihm nicht möglich, nach Albert hinzusehen.

Dieser aber sah sein Verhängniß Schritt für Schritt sich nahen, und die Todtenstille, die um ihn herrschte, durchrieselte ihn eisig kalt. Er fühlte, er wußte es, es war um ihn geschehen, und der Gedanke an Blancha, an seinen Vater, seine Mutter und Schwester nahm ihm die letzte Kraft, dem Schicksal die Stirn zu bieten. Wieder und wieder hob er seinen Blick von dem Fußboden zu seinem väterlichen Freunde Portman auf. Vergebens suchte er dessen Augen zu begegnen, der alte würdige Mann saß wie vernichtet da und schaute regungslos vor sich nieder.

Währenddessen hielt der Richter seine Ansprache an die Jury, wiederholte mit kurzen Worten die Hauptergebnisse der Verhandlung, ermahnte die Geschworenen an ihren Eid und an ihr Gewissen und entließ sie endlich mit der Weisung, nach bester Ueberzeugung ihr Schuldig oder Nichtschuldig auszusprechen. Sie erhoben sich und wurden von dem Sheriff aus dem Gerichtssaal nach einem Gemach im obern Stock des Hauses geleitet.

Stumm und starr saß noch während mehrerer Minuten, nachdem die Geschworenen abgetreten waren, die ganze Versammlung da und alle Blicke hingen an der Thür, aus welcher dem Angeklagten die Entscheidung seines Schicksals gebracht werden sollte. Dann begann die Menge das Haus zu verlassen, sodaß der Saal bald, wenn auch nicht leer, doch weniger gedrängt gefüllt war. Man ging und kam wieder und wieder, Stunden verflossen, der Tag neigte sich und die Sonne war im Sinken, doch immer noch hatten die Geschworenen sich über den Wahrspruch nicht geeinigt.

»Fort, fort, Susanna!« sagte Blancha zu ihrer Dienerin und strich sich mit wirrem, starrem Blick die gelösten Locken aus dem bleichen Antlitz. »Eile, so rasch Dich Deine Füße tragen wollen, und bringe mir Nachricht, ob sein Urtheil gesprochen ist. Fort, die Ungewißheit, die Angst bringt mich um!«

Dabei fuhr sie wie erschreckt aus ihrem Sopha auf, wankte eilig nach dem Fenster und sandte einen spähenden, ängstlichen Blick über den Platz; dann aber barg sie ihr Gesicht in den Händen und ließ mit den halblauten bebenden Worten: »O Gott, o Gott!« ihre Stirn gegen die Wand sinken.

»Fassung, Fassung, Herrin, es wird sich noch Alles zum Guten wenden!« flehte die Sklavin und suchte Blancha von dem Fenster hinwegzuführen.

»Bist Du noch hier, Susanna? rief diese, wie aus einem Traum aufsehend. »Willst auch Du mir untreu werden?«

»Nein, nein, Herrin, nimmermehr!« antwortete die Negerin erschrocken. »Aber Madame Newberry muß ja gleich kommen, sie hat versprochen, sofort zurückzukehren.«

»Geh, Susanna; sieh Deine Herrin, sie bittet Dich. O fliege hin und zurück, sonst gehe ich selbst, koste es, was es wolle«, sagte Blancha mit zitternden Lippen und drängte die Negerin nach der Thür.

»Wie darf, wie kann ich Sie jetzt verlassen, Herrin!« antwortete diese mit einem flehenden Blick.

»Ja, ja, Du darfst es, es wird, es soll mir nichts zustoßen; nur eile, so sehr Du kannst«, fuhr Blancha bittend fort, und Susanna eilte aus dem Zimmer. Blancha schloß die Thür hinter ihr und wandte sich abermals dem Fenster zu, in der Mitte des Gemachs aber blieb sie stehen, faltete die Hände, hob den Blick nach oben und sank mit den Worten: »O Gott, stehe Du ihm bei, rette ihn, rette uns beide!« auf ihre Kniee nieder. Sie zitterte wie im Fieberfrost und hob wieder und wieder ihre Hände flehend empor, dann aber senkte sie ihr Antlitz, ließ ihre Arme herabfallen und schien unter der Gewalt ihres Wehs zusammenbrechen zu wollen. Doch im nächsten Augenblick raffte sie sich wieder auf, strich ihr Haar zurück und stürzte abermals dem Fenster zu.

Ihr erster Blick traf auf die ersehnte Freundin, auf Madame Newberry, und Susanna, welche so eben, mit einander aus der Straße gegenüber kommend, den Platz betraten.

»Allmächtiger, sei mir gnädig, halte mich aufrecht, lasse mich ihn retten!« sagte Blancha mit krampfhafter Stimme und rang die Hände auf der Brust. »Sie bringen keine Hoffnung, keine Rettung, sie bringen Tod! O

Gott, stehe mir bei!« stöhnte sie wieder und klammerte sich an das Fenster, um nicht niederzusinken.

Madame Newberry schritt mit der Dienerin in das Haus und wenige Augenblicke später die Treppe herauf, als Blancha aus ihrem Zimmer in den Corridor trat und mit der Entschlossenheit der Verzweiflung zu der erstern sagte:

»Sie bringen keine, gute Nachricht, beste Newberry. Sie bringen das Schlimmste, Sie bringen Tod!«

Dabei zitterte und erstarb ihre Stimme, als ob ihr letzter Athemzug sie verlassen habe, jene aber nahm sie in ihren Armen auf, geleitete sie schweigend langsam in das Zimmer zurück und hielt ihren Arm noch um ihren Nacken geschlungen, als sie auf das Sopha niedersank. Minuten vergingen ohne Wort, ohne Bewegung, Blancha, wie von der Hand des Todes erfaßt, starrte trockenen Auges vor sich hin, als suche sie das Ungeheure ihres Elends zu ermessen, und Madame Newberry, als wehre sie den Augenblick zurück, wo sie das furchtbare Wort über die geliebte Freundin aussprechen müsse, stand regungslos neben Blancha und verbarg ihre Thränen, ihr Schluchzen.

Da richtete Blancha sich langsam auf; bleich, kalt, aber fest sah sie der Freundin in die thränenschweren Augen und sagte in gefaßtem Tone:

»Die Zeit zum Weinen, zum Klagen ist vorüber, beste Newberry, wir müssen handeln!« Dabei ergriff sie deren Hand mit ungewohnter Kraft, hielt ihre Augen fest auf sie gerichtet und fuhr nach einigen Augenblicken mit klangloser, hohler Stimme fort:

»Also verurtheilt?«

»Verurtheilt!« antwortete die Freundin kaum hörbar, denn ihr Schluchzen erstickte halb das Wort.

Blancha zuckte zusammen und hielt sich an der Schulter der Freundin aufrecht, dann aber, wie nach Kräften ringend, holte sie tief Athem und sagte:

»Ich werde ihn retten oder mit ihm sterben!«

»Retten müssen wir ihn, Blancha; der Allmächtige wird uns beistehen!« fiel Madame Newberry ein, schlang ihren Arm um des unglücklichen Mädchens Nacken und diese barg ihr Antlitz an dem Busen der treuen theilnehmenden Freundin. Diese aber fuhr beruhigend fort:

»Der biedere Portman verläßt Herrn Randolph sicher nicht, er wird Alles für seine Rettung aufbieten und außerdem hat dieser selbst so viele Freunde.«

Blancha jedoch schüttelte wehmüthig das Haupt und sagte: »Wir haben so fest auf diese Freunde gebaut und wozu haben sie ihm geholfen! Nein, nein, gute Newberry, jetzt dürfen wir uns nur noch auf uns selbst verlassen, und keine Gewalt der Erde soll unsere Hülfe von Albert abwehren. Ich habe Gold, um seinen Kerker damit zu öffnen, und reicht diese Macht nicht aus, so habe ich Einfluß und will die Stadt in Aufruhr setzen und sollten für Albert's Leben Ströme Blutes durch die Straßen fließen.«

»Mein Mann hat eine ausgebreitete Bekanntschaft unter den besten, rechtlichsten Leuten; er soll uns Rath geben«, nahm Madame Newberry das Wort.

»Nein, gute Newberry. Die Tugend siegt nur langsam über das Laster und unser Sieg muß schnell kommen wie der Blitzstrahl, sonst kommt er für ewig zu spät«, fiel ihr Blancha ins Wort. »Es lebt ein Mann hier, Namens Mac-Coor, der Alles unternimmt, wenn er dafür bezahlt wird.«

»Mac-Coor? Um des Himmels willen, Mac-Coor, der Schrecken der Stadt?« rief die Freundin entsetzt aus. Er soll ja ein feiler Mörder sein!«

»So wird er sich auch dingen lassen, um das Leben eines Unschuldigen, eines Edlen, den man morden will, zu erhalten«, entgegnete Blancha entschlossen. »Ich muß ihn sehen, muß ihn sprechen und Sie müssen mir dazu verhelfen!«

»Aber, beste Blancha, bedenken Sie Ihre eigene Sicherheit!« bat Madame Newberry.

»Meine Sicherheit, mein Leben für das Leben Albert's! Ich will diesen Mac-Coor sehen, und wenn ich ihn selbst unter dem Laster suchen soll«, fuhr Blancha mit noch größerer Bestimmtheit fort. »Wird Herr Newberry mir dazu verhelfen wollen?«

»Wenn Sie darauf bestehen, ja; was würde er Ihnen zu Liebe wohl nicht thun!« entgegnete die Frau in ängstlichem Tone.

»So bangen Sie nicht, wir müssen Alles wagen. Bitten Sie Ihren Mann, daß er diesen Mac-Coor morgen Abend in Ihr Haus bestellt, dort will ich ihn treffen.«

Als Blancha dies sagte, ertönte die Schelle an der Hausthür. »Wer kommt da, Susanna?« fuhr sie rasch fort und deutete nach der Thür, worauf die Negerin hinaus in den Corridor sprang, im nächsten Augenblick aber in den Salon zurückkehrte und ihrer Herrin leise zurief:

»Ihr Herr Vater, Fräulein!«

Blancha schrak zusammen und erbebte. »Gott, vergib es mir, ich kann ihn nicht sehen!« sagte sie, die Hand abwehrend ausstreckend, und wandte sich dann mit den Worten an ihre Freundin:

»Bitte, gute Newberry, gehen Sie in den Corridor, und wenn mein Vater nach mir fragt, so sagen Sie ihm, ich sei nicht krank, er möchte mir aber verzeihen, daß ich ihn nicht sehen, nicht sprechen würde, es wäre mir unmöglich.«

Die Frau trat in den Gang hinaus, als Dandon eben die Treppe erstiegen hatte; ohne sie aber eines Blickes zu würdigen, schritt er an ihr vorüber und begab sich nach seinem Zimmer.

»Er ist schweigend an mir vorbeigegangen«, berichtete Madame Newberry, wieder zu Blancha eintretend.

»Gott Lob! daß er mich meidet«, sagte diese mit einem schweren Athemzug. »Wie könnte ich Worte der Liebe für ihn finden, da er meines Lebens Glück, meine Seligkeit morden will! Der Vater oder der Geliebte – Dein bin ich, Albert, bis in den Tod!«

Bei diesen Worten hob Blancha die Hände wie bekräftigend empor und verbarg dann in ihnen in einem neuen Ausbruch der Verzweiflung ihr Antlitz, Madame Newberry aber legte liebevoll ihren Arm um sie und flößte ihr Hoffnung und Vertrauen in ihren Beistand ein.

Blancha verließ weder heute noch am folgenden Tage ihre Gemächer, und außer Susanna durfte nur ihre Freundin Newberry zu ihr eintreten.

Dem alten Dandon war diese Zurückhaltung Blancha's erwünscht, denn so gewaltig seine Wuth bei der Entdeckung ihres Verhältnisses mit dem verhaßten Randolph auch gewesen war, blieb seine Liebe für sein einziges Kind doch Siegerin in dem Kampfe gegen seine grenzenlose Entrüstung und es bangte ihm davor, Blancha zu begegnen, theils aus Besorgniß, daß eine abermalige stürmische Gemüthsbewegung ihr Leben gefährden könne, theils aber, weil er die Unerschütterlichkeit ihres Willens kannte und sich fürchtete, einen Auftritt mit ihr herbeizuführen, der sie für immer geistig und körperlich von ihm entfernen würde. Der Tod des Störers seines Hausfriedens machte ja dessen Verhältniß mit seiner Tochter ein Ende, und er hoffte, daß dann die Zeit auch deren Andenken an denselben nach und nach verwischen und wieder Frieden und Ruhe in sein Haus zurückbringen würde. Er hatte dem Advocaten Rammon die bedungenen zehntausend Dollars ausgezahlt, und dieser, der nach beendigter Verhandlung auf dem Platze vor dem Gerichtsgebäude von dem alten Portman angehalten und vor tausend Zuschauern für einen Schurken erklärt worden war, hatte mit dem ersten abgehenden Dampfschiff die Stadt verlassen, weil sich unter dem Volke drohende Bewegungen gegen ihn zeigten.


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