Armand (Friedrich Strubberg)
Saat und Ernte
Armand (Friedrich Strubberg)

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel.

Albert saß mit hochschlagendem Herzen, und glühendem Haupte an seinem Pulte und schrieb. Er war so sehr in seine Beschäftigung vertieft, daß er es gar nicht bemerkte, als Herr Dandon zu ihm in das Zimmer trat.

»Sind Sie Herr Randolph?« fragte derselbe in etwas ungehaltenem Tone, indem er sich mit der Rechten auf seinen goldgekrönten Stock stützte und die Linke in die Seite stemmte.

Albert wandte sich nach ihm um, fuhr überrascht von seinem Sessel auf, und das Blatt Papier, auf das er geschrieben hatte, in das Pult werfend, sagte er mit einer Verbeugung:

»Zu dienen; und ich habe, wenn ich nicht irre, die Ehre, Herrn Dandon vor mir zu sehen.«

»Ganz richtig. Mein Name ist Dandon, Apollo Dandon. Herr Portman hat mich mit einer Klagsache, die er für mich anhängig machen wird, an Sie gewiesen.

»Derselbe hat mir schon davon gesagt, Herr Dandon; aber nehmen Sie gefälligst Platz, denn ich muß Sie bitten, mir die Sache umständlich und genau vorzutragen«, versetzte Albert und zog den großen Lehnstuhl für ihn Heran.

Nachdem nun Dandon den Sessel mit seinem gelbseidenen Tuch abgestäubt und dann Platz darin genommen hatte, begann er ausführlichen Bericht über seine Angelegenheit abzustatten, wobei Albert ihn häufig unterbrach, ihn nach nähern Umständen und Verhältnissen befragte und sich wiederholt Notizen machte. Endlich nach Verlauf einer Stunde war die Sache von allen Seiten beleuchtet und Albert versprach Herrn Dandon, ein schriftliches, wohlbegründetes Gutachten darüber auszufertigen.

»Das wird mir erwünscht sein, Herr Randolph«, sagte Dandon; »ich möchte mir aber schon jetzt Ihre Ansicht ausbitten, ob ich den Proceß gewinnen oder verlieren werde, denn offen gestanden, Herr Portman gab mir nur halbe Hoffnung.«

»Wirklich?« versetzte Albert verwundert. »Ich kann mir die Gründe nicht denken, weshalb er an einem günstigen Ausgange zweifelt. Ich für meine Person bin der Ansicht, daß Sie den Proceß unfehlbar gewinnen müssen, ich könnte die Bürgschaft dafür übernehmen. Ich glaube auch, daß Herr Portman ganz derselben Ansicht sein wird, wenn er mein Gutachten darüber gelesen hat.«

»Schön, schön, junger Freund, Sie werden mich erkenntlich finden, wenn Sie der Sache eine gute Wendung geben. Es handelt sich ja um zwanzigtausend Dollars, also schon der Mühe werth. Wann soll ich das Gutachten haben?«

»Das ist so genau nicht vorauszusagen. Solche Arbeiten verlangen die rechte geistige Stimmung und darüber ist man nicht immer Herr. Doch sobald es mir möglich ist, werde ich sie Ihnen zustellen.«

»Ich bin sehr auf Ihre Arbeit gespannt, ganz besonders aber darauf, ob Sie wirklich Herrn Portman von dem günstigen Stand meiner Angelegenheit überzeugen werden; denn wenn er einmal glaubt, einen Proceß gewinnen zu müssen, dann geschieht es auch und wenn die ganze Welt sich dagegen auflehnt. Er ist ein einziger Redner«, sagte Dandon und fügte nach einigen Augenblicken noch hinzu: »Im glücklichen Falle werde ich Sie reich bedenken, Herr Randolph.«

»Herrn Portman, wollten Sie sagen, Herr Dandon. Ihm gehört die Belohnung für seine Bemühungen; meine Arbeiten entstehen unter seiner Leitung und sind seine Werke. Die Ehre, etwas geschaffen zu haben, was er seines großen Namens werth hält, ist mir eine reichere Zahlung als alles Geld der Welt, und die Freude, Ihnen, Herr Dandon, einen Dienst erwiesen zu haben, würde durch eine Geldzahlung sehr getrübt werden«, antwortete Albert mit höflichem Tone und ehrerbietiger Verbeugung.

»Man sieht, Sie sind Poet, Herr Randolph. Ihr Glück, Ihr Reichthum liegt in Ihrer Phantasie, ich für meine Person halte es mit solidem Grundbesitz oder klingender Münze. Uebrigens werde ich dennoch Wege finden, mich Ihnen dankbar zu zeigen; wir Reichen sind hierin vor den gewöhnlichen Menschen sehr bevorzugt.«

Hiermit erhob sich Dandon aus seinem Armstuhl, wehte mit dem seidenen Tuch seinen Rock und sein Beinkleid ab und sagte zu Albert, indem er ihm die Hand reichte:

»Nun, junger Freund, ich setze mein ganzes Vertrauen in Sie; thuen Sie Ihr Bestes.«

»Darauf dürfen Sie rechnen, Herr Dandon, ebenso wie auf einen günstigen Ausgang dieses Processes«, entgegnete Albert, indem er den Alten an die Thür geleitete.

»Junger Herr, Sie sind Ihrer Sache gar zu gewiß, wir wollen aber das Beste hoffen. Auf baldiges Wiedersehen!« versetzte Dandon, winkte Albert mit Hand und Kopf seinen Gruß zu und ging mit gemessenem, stolzem Schritt davon.

Kaum hatte er sich entfernt, als Albert nach seinem Pult eilte, die Briefe und Documente, welche Dandon ihm zurückgelassen hatte, schnell nochmals durchflog und ordnete und sich dann sofort daran begab, das Gutachten auszuarbeiten. Mit ganzer Seele erfaßte er seine Aufgabe; die volle Stärke seines Verstandes, sein ganzes Wissen hielt er mit aller Kraft darauf geheftet, Geist und Scharfsinn belebten die Schrift, jedes Wort, das er niederschrieb, war treffend und überzeugend, und als die Sonne sich neigte, hatte er die Arbeit beendet. Sie bedurfte nur noch einer genauen Durchsicht und einer Reinschrift, welche Albert an diesem Abend zu Hause vornehmen wollte, denn jetzt mußte er sich erst etwas ruhen und namentlich sein versäumtes Mittagsessen nachholen. Er packte schnell und freudig seine Papiere zu sammen, verschloß die Office und begab sich nach dem Hotel, wo er sich eilig ein Mahl bereiten ließ. Dann wollte er noch, ehe er sich nach Hause und an die Arbeit verfügte, einen Spaziergang machen und lenkte seine Schritte nach dem Platze vor seiner Wohnung. Allenthalben waren Fenster und Thüren der Häuser geöffnet und deren Bewohner schauten heraus, um die frische Abendluft zu athmen. Als er den Platz erreichte, fiel sein erster Blick auf Blancha, die allein auf dem Balkon saß.

Er sah es deutlich, daß auch sie ihn in demselben

Augenblick erkannt hatte, denn sie bewegte sich rasch, schob ihren Sessel näher an das Geländer und ließ ihre Hand mit dem Batisttuch über dasselbe herabhängen.

Ihr Anblick ergriff Albert mächtiger als je zuvor, das Glück der Liebe, das ihm seine Phantasie so oft vorgezaubert, das er in seinen Liedern besungen, es durchbebte ihn wie Wirklichkeit und mit seiner ganzen Seele hing er an der Engelsgestalt der Gefeierten. Er ging auf der Seite des Platzes, an welcher er wohnte; mit jedem Schritte, den er that, erkannte er deutlicher, daß Blancha nach ihm herschaute. That sie es aber mit Bewußtsein oder nur zufällig? Glück und Hoffnung zugleich lenkten seine Hand, er zog sein Tuch aus dem Rock hervor und hob es, verstohlen nach ihr hinblickend, an den Mund.

Ihre Hand mit dem Batisttuch zuckte, sie hob sie zögernd bis auf die Balustrade, dann aber zu ihren Lippen empor, Albert preßte beide Hände gegen sein Herz und stürmte in überwogendem Glücke, kaum seiner Sinne noch mächtig, in seine Wohnung.

In demselben Augenblick kam Herr Dandon in seiner prächtigen Equipage nach Hause gefahren, denn er hatte unmittelbar nach seinem Besuch bei Albert die Stadt verlassen, um bei einem reichen Pflanzer im Lande zu Mittag zu speisen. Er trat zu seiner Tochter auf den Balkon.

»Ich hoffe, Du bist nicht während des ganzen Tages so allein zu Hause gewesen«, sagte er zu ihr, als sie ihn an der Thür begrüßte, worauf er ihre Hand in die seinige nahm und sie nach ihrem Sessel zurückführte.

»Doch, lieber Vater, ich hatte noch einige rückständige Briefe zu schreiben«, entgegnete Blancha mit sichtbarer Gedankenabwesenheit, sah auf den Platz hinunter und wollte ihren Blick an den Blumenfenstern gegenüber nur hinstreifen lassen, er wurde dort aber gefesselt, denn in diesem Augenblick zog Albert die Vorhänge zurück und schaute regungslos nach Blancha herüber. Ihr Herz erbebte in wonniger Ueberraschung, ihre Wangen erglühten hoch, und indem sie ihren Fächer vor ihrem Antlitz entfaltete, sah sie seitwärts nach Albert hinüber.

»Ich habe Dir auch noch nicht gesagt, was ich heute früh bei dem jungen Randolph ausgerichtet habe«, hob Dandon nach einer kurzen Pause wieder an. Blancha schlug bei dem Namen Randolph den Fächer so schnell zusammen, als habe ihn das Wort vor ihr weggehaucht. Dabei heftete sich ihr aufglänzender Blick ungeduldig fragend an die Lippen des Alten. In der nächsten Sekunde aber schlug sie die Augen nieder und sah in ihren Schooß, denn sie fühlte, wie ihr das Blut heiß in die Wangen schoß.

»Wirklich, ein ausgezeichneter junger Mann, dieser Randolph, trotzdem daß er ein Dichter ist«, fuhr Dandon fort. »Denke Dir nur, daß Portman selbst mir wenig oder eigentlich keine Hoffnung für einen günstigen Ausgang des Processes machte und daß dieser Randolph mir mit der größten Bestimmtheit versicherte, ich müsse ihn gewinnen, er selbst wolle es verbürgen, ja er werde auch Portman davon überzeugen. Nun will er mir ein schriftliches Gutachten darüber ausarbeiten. Ich muß gestehen, ich bin sehr gespannt darauf, denn es handelt sich um zwanzigtausend Dollars, ein hübsches Nadelgeld für meine reiche Erbin.«

»Aber, lieber Vater!« fiel Blancha in freudiger Bewegung über das Albert gespendete Lob abwehrend ein.

»Ja, ja, es ist mein Ernst, Blancha; wenn ich den Proceß gewinne, sollst Du das Geld haben, Du darfst mich beim Worte halten. Wenn der junge Herr nur auch Wort hält und die Arbeit bald vornimmt, denn auf diese Poeten darf man nicht rechnen, sie schwärmen immer in der Geisterwelt und vergessen darüber oftmals, daß sie ihren Körper ernähren müssen. Halbe Narren sind sie alle, und dieser Randolph hat auch sein Theil davon; als ich ihm eine reiche Belohnung versprach, wenn er mir behülflich wäre, den Proceß zu gewinnen, antwortete er mir, daß jede Belohnung dem Herrn Portman zukäme, unter dessen Leitung er arbeite.«

»Das finde ich sehr schön von ihm, lieber Vater«, fiel Blancha mit Begeisterung ein. Er ist ein edler, bescheidener Mann und die Ehre gilt ihm mehr als das Geld.«

»Und dann ist er ein halber Narr, denn ohne Geld gibt es keine Ehre«, antwortete Dandon und legte sich in den Sessel zurück.

»Wie häufig aber gibt es Geld ohne Ehre, darum kann das Geld die Ehre nicht erzeugen. Lieber ehrenvoll arm als reich und mit Schande beladen«, entgegnete Blancha und sah mit aufleuchtendem Blick nach Albert hinüber, den sie immer noch durch die eingetretene Dämmerung in seinem Fenster erkennen konnte.

Albert saß vor seinem Schreibtisch und überwachte in beseligender Aufregung jede Bewegung, jeden Blick Blancha's; kaum aber hatte sie mit ihrem Vater den Balkon verlassen, als er seine Lampe anzündete, schnell das Gutachten für Dandon zur Hand nahm und sich in dessen Durchsicht vertiefte. Von Zeit zu Zeit allerdings warf er einen Blick nach Blancha's Fenstern hinüber, dieselben blieben aber dunkel, und so beendete er die Arbeit ohne Unterbrechung. Er begann nun die Reinschrift und war schon bis zur Hälfte damit vorgerückt, als ein Lichtschein seine Augen nach der andern Seite des Platzes zog und er das Zimmer Blancha's erleuchtet sah. Diese selbst stellte die Lampe auf den Tisch, trat dann auf den Balkon heraus und setzte sich an dem Eisengeländer nieder.

Von allen Gefühlen in des Menschen Brust entsteht keins so urplötzlich, so unverlöschlich wie die Liebe, keins kann mit so Wenigem zufrieden gestellt werden wie sie, und keins findet so unzählige Mittel und Wege, sich kundzugeben, sich mitzutheilen. Es bedarf hierzu keines Wortes, keines Beisammenseins; ein Blick, ein Wink, ein Blümchen, ein Fächer, eine Feder auf dem Hute – es gibt nichts, was der Liebe nicht als Dolmetscher, als Bote diente.

Albert und Blancha waren nach den gewöhnlichen Formen gesellschaftlichen Umgangs einander noch unbekannt und doch waren ihre Seelen schon verbunden, ihre Herzen schon vereint. Sie wußten, daß sie sich gegenseitig liebten, und obgleich ein weiter Raum und das Düster der Nacht augenblicklich zwischen ihnen lag, so waren sie doch beisammen, sagten einander, wie gut sie sich wären und wie glücklich sie sich fühlten. Albert hielt die dunkle Gestalt des schönen Mädchens von dem

Lichtschein, der aus dem Salon strömte, mit seinem sehnsüchtigen Blick umfangen, und Blancha's Augen hingen mit seelenvoller Innigkeit an dem Bilde Albert's, welches von dem Lichte seiner Lampe beleuchtet wurde. Stunden eilten dahin, die Straßen wurden leer und die Stadt war längst schon zur Ruhe gegangen, und noch saßen die Beiden in ihr Glück versunken und schauten nach einander hinüber. Die Nachtluft wurde jetzt aber empfindlich kalt, Blancha richtete sich empor und trat in die Salonthür, dort blieb sie stehen, hob, nach Albert hinüberschauend, ihr Batisttuch zu ihren Lippen auf, dieser hielt beide Hände nach ihr hin und sah sie dann mit der Lampe in dem Nebenzimmer verschwinden. Erst als dessen Fenster sich verdunkelten, griff er wieder nach seiner Feder und beendigte mit fliegender Eile die Reinschrift des Gutachtens für Dandon. Trotz der kurzen Ruhe, die er sich in dieser Nacht gegönnt hatte, verließ er sehr früh am Morgen sein Lager, schaute aber lange vergebens nach dem Balkon hinüber. Endlich zeigte sich Blancha hinter dem Fenster und trat gleich darauf aus der Salonthür hervor. So feenhaft schön, so lieblich hatte Albert sie noch nie gesehen; im Uebermaß seines Glücks faltete er die Hände vor seiner Brust und sandte ihr aus tiefstem Herzen seine Grüße zu, und halb gesenkten Hauptes beantwortete Blancha dieselben verzagt mit einer leisen Bewegung ihrer schneeigen Hand. Weder saßen sie still einander gegenüber und fühlten sich im gegenseitigen Anschauen so glücklich, sie sahen sich aber nur verstohlen an, denn die traute Nacht, die ermuthigende Beschützerin der Liebe, fehlte ihnen.

Wie gern hätte Blancha Hut und Shawl genommen und in der Morgenfrische einen Spaziergang gemacht, jetzt aber, nachdem sie es Albert verrathen hatte, daß sie ihm gut war, jetzt konnte, jetzt durfte sie es nicht thun. Wo, wie und wann würde sie ihm nun wohl wieder begegnen? Das war die Frage, die sie beschäftigte, als sie bemerkte, daß Albert wiederholt Papiere von seinem Tisch nahm, damit an das Fenster trat und sie dann wieder weglegte. Es kam Blancha vor, als wolle er ihr dieselben zeigen, was aber konnte er damit beabsichtigen? Da fiel ihr ein, daß er das Gutachten für ihren Vater anzufertigen übernommen hatte; sollte er es schon beendet haben und sollten die Papiere es vielleicht enthalten? Ganz recht, da hatte er sie wieder in der Hand, er wollte sie es wissen lassen, daß er die Arbeit bereits vollendet habe. Aber warum? Es durchzuckte Blancha heiß und freudig, vielleicht wollte er das Gutachten ihrem Vater heute selbst überbringen! Um welche Zeit aber wurde er dann wohl kommen? Sicher wußte es Albert, daß ihr Vater immer gleich nach dem Frühstück auszugehen pflegte. Sollte er diese Zeit wohl wählen? Der Wunsch, er möchte es thun, stieg allerdings in Blancha auf, zugleich aber erfaßte sie eine bange Zaghaftigkeit, eine Unruhe, die sie nicht bemeistern konnte. Als sie Albert aber frühzeitig mit Papieren unter dem Arm seine Wohnung verlassen sah, wahrscheinlich um sich nach dem Hotel und von da nach dem Geschäftslokal Portman's zu begeben, da wurde sie ruhiger, mit ihrer Aufregung schwand aber auch das beglückende Gefühl der Hoffnung, der Erwartung, und mit einer Anwandlung von Traurigkeit ward sie sich ihrer Täuschung bewußt. Beim Frühstückstisch war sie still und in sich gekehrt, und als sie in ihre Gemächer zurückgekehrt war, trat sie in die Vertiefung eines Fensters und schaute gedankenvoll die Straße hinunter.

Blancha hatte nicht lange dort gestanden, da trat ihr Vater aus der Hausthür und sie folgte ihm mit den Augen über den Platz, bis er am Ende desselben in der Straße verschwand. Dort blieb ihr Blick haften, es war der Fleck, wo sie gestern Abend Albert zuerst bemerkt hatte, als er nach seiner Wohnung ging und ihr im Vorübereilen seinen Gruß zusandte. Im Geist sah sie ihn ebenso vor sich, sie vertiefte sich mehr in das Bild, welches die Phantasie ihr vorzauberte, da wurde dasselbe plötzlich Wirklichkeit, denn Albert kam aus der Straße herangeeilt.

Blancha fuhr aus ihrem Traume auf, ein Freudenlaut erstarb auf ihren Lippen, und einen Schritt vom Fenster zurücktretend blickte sie Albert entgegen. Es war keine Täuschung mehr, er kam über den Platz gerade auf ihr Haus zu, er trug Papiere unter dem Arm und seine großen dunkeln Augen waren nach Blancha's Fenster gerichtet.

»Mein Himmel, er kommt wirklich«, sagte sie halblaut mit bebender Stimme, eilte verwirrt und unentschlossen in dem Salon hin und her und trat einen Augenblick vor den Spiegel, da hörte sie die Hausthür öffnen und gleich darauf den Tritt des Bedienten auf der Treppe, denn sie hatte nun die Zimmerthür geöffnet und lauschte in den Corridor hinaus.

»Ein fremder Herr wünscht Herrn Dandon zu sprechen«, sagte der Diener, zu Blancha tretend.

»Ich weiß schon, er bringt Acten für meinen Vater. Führe ihn hierher!« entgegnete Blancha. Mit diesen Worten war ihre Verlegenheit, ihre Unschlüssigkeit verschwunden. Sie trat in das Zimmer zurück, ergriff ihren Fächer und ließ sich in dem Sopha nieder.

Ihr Ohr erfaßte den leichten Tritt des Ersehnten, womit er sich durch den Corridor nahte. Blancha's

Wangen wurden bleich, die Thür öffnete sich und Albert trat herein. Er verneigte sich tief, und Blancha, indem sie von dem Sopha aufstand, that desgleichen. Beide schwiegen, beiden blieben die Worte auf den Lippen haften.

»Ich habe hier eine Arbeit, verehrtes Fräulein«, begann Albert, seine innere Bewegung bekämpfend, nach einigen Augenblicken und sah nach Blancha auf.

»Mein Vater sagte mir davon, Herr Randolph«, entgegnete Blancha mit halblauter, unsicherer Stimme; »er wird sehr bedauern, nicht zu Hause gewesen zu sein.«

»Darf ich Sie dann bitten, die Papiere für ihn in Empfang zu nehmen«, fuhr Albert etwas gefaßter fort, »und werden Sie es mir vergeben, daß ich gerade diesen Augenblick zu meinem Besuche wählte?«

Blancha erröthete, überwand aber ihre Befangenheit und sagte, mit allem Liebreiz zu Albert aufblickend:

»Dem Herrn Randolph habe ich nichts zu vergeben, denn er hat nichts gethan, was mir unangenehm gewesen wäre, dem Dichter Albert aber bin ich so großen Dank schuldig, daß mir die Worte fehlen, ihn auszusprechen; nehmen Sie den guten Willen für die That.«

Bei diesen letzten Worten hob sie schüchtern ihre Hand nach Albert hin und schlug die Augen nieder. Das Blut schoß ihr heiß in die Wangen und nach dem

Herzen, denn Albert hatte ihre Hand ergriffen und preßte seine Lippen darauf; sie zog sie nicht zurück, ihre Augen schlossen sich in unnennbarer Wonne und sie fühlte, von Albert's Arm umschlungen, dessen Lippen auf den ihrigen. Dann sank ihr Haupt auf des Jünglings Schulter und sie barg ihr glühendes Antlitz an seiner Brust.

»Himmlische Blancha, ist es Wirklichkeit, ist es Wahrheit!« stammelte Albert im Uebermaß seiner Seligkeit; doch Blancha hatte keine Worte, sie bebte in seinen Armen, sie hörte seines Herzens Schläge und die ihrigen zugleich und hielt ihre geschlossenen Augen an seine Brust, als fürchte sie aus ihrem Wonnetraum zu erwachen.

»O sage es mir, Du engelsüßes Wesen, Du meiner seligsten Träume Göttin, sage es mir, daß Du mich liebst, laß mich, Du schöne Fee, mit einem Wort in den Himmel ein, den mir Dein erster Blick gezeigt, geöffnet hat!« sagte Albert, von dem unverhofften, übergroßen Glücke hingerissen und hob ihr Antlitz bittend von seiner Brust auf:

»Ja, Albert, ich liebe Dich innig, mit meiner ganzen Seele, mit meinem ganzen Sein, ich bin Dein und will Dir angehören in diesem und in jenem Leben«, antwortete Blancha mit der innigen Hingebung der ersten Liebe und hob ihre seelenvollen schönen Augen zu Albert auf, als wolle sie ihn die Wahrheit ihrer Worte in ihnen lesen lassen. Dann schmiegte sie sich wieder an seine Brust und gab sich seinen Liebkosungen hin.

Wieder und immer wieder wechselten sie die Versicherungen ewiger Liebe und ewiger Treue und bemerkten nicht den eiligen Flug der Zeit, bis plötzlich der melodische Klang der prächtigen Uhr vor dem Spiegel, womit dieselbe die Mittagsstunde anzeigte, sie aus ihrem Wonnerausche weckte.

»Du mußt mich verlassen, mein Albert«, sagte Blancha, erschrocken nach der Uhr hinsehend. Mein Vater wird nun bald aus dem Leseclub zurückkehren und er darf von unserm Bunde noch nichts erfahren; er hat harte Vorurtheile gegen einen Jeden, der nicht reich ist. Ich bin aber und bleibe Dein für die Ewigkeit! Wann werde ich Dich wiederfinden?«

»Bald, bald, Du meine Seligkeit, bald, noch heute«, antwortete Albert außer sich. »Kann ich Dich des Abends auf der Promenade treffen oder gehst Du irgendwohin zu Besuch?«

»Ich will Dir sagen, Albert, ich habe eine liebe treue Freundin, der wir unser Glück vertrauen dürfen, und bei ihr können wir uns wiedersehen: Madame Newberry, Deine freundliche Hauswirthin ist es; sie war auch die Vertraute meiner lieben Anna, und wie unendlich glücklich ist dieselbe geworden. Ich werde heute Abend zu ihr gehen und ihr mein Herz öffnen und Dir dann einen Liebesboten hinaufsenden, damit Du zu Deiner Blancha herabkommst. Nun aber eile, mein Albert, meine treue, innige Liebe geht mit Dir.«

Hiermit schmiegte sich Blancha nochmals an Albert's Brust und empfing dessen Lippen in langem seelenvollem Kusse auf den ihrigen, dann aber schieden sie hastig. Albert deutete noch auf die mitgebrachten Papiere, die auf dem Tische lagen, und verließ, das Herz voll Seligkeit, eilig das Haus.

Harry Williams schaute, als ihn das Schiff von Madeira wegtrug, so lange noch nach der schönen, sonnigen Insel zurück, als er deren blaue Umrisse aus dem Duft der Ferne erkennen konnte; er hatte dort so viele vergnügte, glückliche Stunden verlebt, daß das Lebewohl, welches er jetzt auf Nimmerwiedertehren hinüber sandte, ihm recht nahe ging, und doch fühlte er sich leicht und wohl bei dem Gedanken, daß er die Insel hinter sich zurückließ und daß die ersten Nachrichten, die sein befreundeter Kapitän von London senden würde, ihn dort nicht mehr treffen konnten. Er lachte laut auf über die gelungenen Wendungen, durch welche er dem Schicksal die Oberhand abgerungen hatte, und zollte seinem erfahrenen Rathgeber Holcroft Anerkennung für die Lehre, auf Kosten der gewöhnlichen Menschen zu leben. Schade um ihn, dachte Harry, denn unter seiner Leitung würde er sicher bald zum reichen, unabhängigen Manne geworden sein, doch meinte er auch ohne ihn, seinem Lehrsatz getreu, dies Ziel erreichen zu können. Brasilien war ein Land der Schätze, der Juwelen, der Sklaverei und der Unwissenheit, und in einer oder der andern Richtung mußte dort für Harry ein Weg zu seinem Glück zu finden sein. In hochfliegenden Träumereien durchzog er den Ocean, von Tag zu Tag steigerte sich sein Verlangen nach dem Wunderlande und mit goldenen Hoffnungen begrüßte er endlich die blauen Gebirge Brasiliens. Es war ein reizender, luftbewegter, frischer Morgen, als das Schiff mit Harry Williams zwischen dem Zuckerhutberg und dem Felsen, an welchem die Festung Santa-Cruz liegt, in die zauberisch schöne, mit üppig grünen Inseln geschmückte Bai von Rio de Janeiro einsegelte und sich auf den spielenden grünen Wogen der Kaiserstadt zuschaukelte. Stufenweise hob sich die Stadt mit ihren Kirchen, Thürmen und Kuppeln an den Bergen empor und glänzte in der Morgensonne Harry's Blicken entgegen wie Gold- und Silbermassen, über denen sich die nahen und fernen Tropenwälder wie Purpurgewänder wölkten, während es auf den krystallklaren Wellen vor ihm wie eine Brillantensaat blitzte und zitterte. Ein Reichthum, eine Pracht lag in dem Bilde vor Harry's Blicken entfaltet, wie sein Auge nie früher gesehen, und das Wort »kaiserlich« reizte seine Phantasie, ihm alle Schätze des Orients hier aufgehäuft vorzuzaubern. Bei seiner Ankunft an dem Werfte der Stadt freilich verblich das glänzende Traumgebilde sehr, die elenden Gebäude, die sumpfigen Straßen, die schmuzigen Trottoirs und die in Lumpen gehüllten Menschen, die sie belebten, machten dem Amerikaner den Eindruck der Armuth, der Faulheit und des Elends. Er dachte an das jugendlich frische Bild einer amerikanischen Stadt mit deren markiger, willens- und thatkräftiger Bevölkerung, wo man es jedem Einzelnen, vom Präsidenten bis zum Karrenschieber hinab, ansieht, daß derselbe unabhängige, unbeugsame Geist ihn beseelt, daß er das Bewußtsein in sich trägt, selbst an der Regierung seines Vaterlandes Theil zu nehmen, und daß er sein eigenes Schicksal in eigener eiserner Hand zu halten glaubt. Wie erbärmlich, wie verkommen dagegen kamen ihm die Nachkommen der alten, einst so großen Spanier vor! Klein, mark- und saftlos, skrophulös und, kaum erwachsen, schon verlebt, schlichen die winzigen Gestalten umher wie

Wagehälse, weil sie es riskirten, auf solchen Spindelbeinen zu gehen, und dennoch blitzten und glühten ihre schwarzen Augen aus ihren vertrockneten braunen Gesichtern hervor, als beseele sie ein lebendiger Geist. Statt hochherziger Begeisterung, statt stolzen Selbstbewußtseins aber lag verschmitzte Schlauheit, Arglist und knechtische Gewandtheit in ihren Blicken, und man sah es ihnen an, daß sie stets bereit wären, sich vor Andern in den Staub zu bücken oder sie mit Füßen zu treten.

Gleich bei Ankunft des Schiffes hatten sich viele Offiziere und Civilbeamte an Bord eingefunden, um die Papiere des Kapitäns zu empfangen, den Gesundheitszustand der Mannschaft zu untersuchen und das Löschen der Ladung zu überwachen. Wie die Sieger in einer eroberten Festung stolzirten diese zwergartigen Caricaturen in ihren großen Federhüten, mit Goldstickereien überladenen Röcken und ungeheuren goldenen Epauletten auf dem Verdeck hin und her und befahlen, daß noch durchaus nichts aus dem Schiffe an das Land gebracht werde. Der Kapitän, der schon früher auf seinen Reisen hier gewesen und mit den Verhältnissen und Gebräuchen bekannt war, hatte aber in der Kajüte ein Frühstück und Wein auftragen lassen und bat die Herren, einzutreten, um sich zu erfrischen. Bei dieser Gelegenheit drückte er einem jedem derselben einige Goldstücke in die Hand, welche sie mit vertraulichem Nicken schweigend hinnahmen, ihren Unterbeamten einen Wink gaben, dem Ausladen des Schiffes nicht länger im Wege zu stehen, und dann der Einladung zum Frühstück folgten. Nach demselben erkaufte sich Harry auf Anrathen des Kapitäns in gleicher Weise von einem der betreffenden würdigen Beamten die Erlaubniß, ohne weitern Aufenthalt sein Gepäck an das Land bringen zu dürfen, empfahl sich dann allen aufs höflichste und trat seinen Weg nach einem Hotel an. Er erreichte bald den Palastplatz, an dessen linker Seite die kaiserliche Residenz in Form eines gewöhnlichen Wohnhauses sich erhob, während die Markthalle gegenüber an der andern Seite des Platzes stand. Diese war mit Menschen aus den untern Klassen der Bevölkerung gefüllt, man konnte nicht sagen belebt, denn alle schienen die Mühe der Bewegung zu scheuen, standen, saßen und lagen in Gruppen umher und die meisten von ihnen gaben keine Veranlassung zu erkennen, weshalb sie sich eigentlich hier befanden. Nur die Verkäufer von Lebensmitteln schrieen ihre Waaren aus und riefen jeden Vorüberschleichenden an. Als Harry aber bei seiner Wanderung in mehrere Hauptstraßen gelangte, wo ihm die prächtigsten Gold- und Silberläden mit ihren Juwelen entgegenblitzten und reich geputzte Damen vor ihnen die Trottoirs belebten, da steigerte sich seine Begeisterung für dieses Land abermals und mit den kühnsten Hoffnungen erwiderte er die Blicke der schwarzen Augen, die sich neugierig und einladend auf ihn richteten.

Nachdem er sich in dem besten Hotel der Stadt eingemiethet hatte, war sein erstes Geschäft, sich nach Holcroft umzusehen, denn eine Möglichkeit lag ja doch vor, daß derselbe gleichfalls dem Tode entgangen sei.

Harry's Bemühungen während mehrerer Tage blieben jedoch erfolglos, und da er eigentlich zu keiner solchen Hoffnung berechtigt war, so gab er alle weitern Nachforschungen auf. Sein Kassenbestand überhob ihn für den Augenblick jeder Sorge, und wegen seiner Zukunft brauchte er sich keiner solchen hinzugeben, denn er befand sich ja in einem Lande, wo es ein Leichtes sein mußte, Vermögen zu erwerben. In welcher Weise er dies nun vollbringen wollte, überließ er den Zufälligkeiten, wie sie ihm das Leben vorführen würde, beschloß aber keine Gelegenheit dazu vorübergehen zu lassen, sich gleich mit Menschen, Zuständen und Verhältnissen hier bekannt zu machen und namentlich sich um den Zutritt in angesehenen Familien zu kümmern. Hiermit war sein Plan gemacht und nun wandte er sich den Belustigungen zu, welche die Stadt und deren Umgebung ihm boten. Er besuchte alle öffentlichen Vergnügungslokale, das Theater, das Stiergefecht, die Kaffeehäuser und Billardräume und erschien in gewählter Toilette zu Wagen, zu Pferd und zu Fuß auf den Promenaden.

Eines Tags fuhr er am Strande hin durch die Vorstadt nach St. Christoph, dem Winteraufenthalt des Kaisers und dem Vergnügungsort der vornehmen Welt von Rio, und trat dort in einem Kaffeehaus in dessen Billardsaal ein. Das Billard war von vielen Spielenden umgeben und ein breitschultriger Mann hatte sich über dasselbe gebeugt, um einen Stoß auszuführen, als Harry ihn bemerkte und überrascht zur Seite trat, um ihm in das Gesicht zu sehen. Kaum traute er seinen Augen, denn er erkannte in ihm seinen Freund Holcroft.

»Holcroft! Ist es möglich?« rief er jubelnd aus. Dieser warf bei dem ersten Ton von Harry's Stimme das Queue weg und fuhr nach seinem todtgeglaubten jungen Gefährten herum.

»Williams, bei allen Teufeln! Williams, ist es Ihr Geist oder sind Sie es selbst?« rief er aus und streckte ihm beide Hände entgegen, die dieser in höchster Aufregung ergriff, dann seinen Arm um die breiten Schultern des Sklavenhändlers schlug und ihn seitwärts in ein Fenster zog. Nach den ersten stürmischen Begrüßungen aber wandte sich Holcroft an seine Spielgesellschaft, bat sie höflich, ihn zu entschuldigen, wenn er jetzt schon austräte, und führte Harry dann nach der Schenkstube, um das unverhoffte Wiedersehen bei einer Flasche Champagner zu feiern.

»Bei allen guten und bösen Geistern aber sagen Sie mir nun, wie Sie den Haifischen entgangen sind«, begann Holcroft, nachdem beide ihre Gläser geleert hatten, worauf Harry ihm einen treuen Beucht über sein Verfahren abstattete.

»Bravo, junger Freund, das hätte ich selbst nicht besser machen können«, rief Holcroft lachend aus und setzte, die Gläser füllend, hinzu:

»Der reiche Plantagenbesitzer soll leben! Was Sie noch nicht sind, können Sie noch werden!«

Wieder schäumte der Wein über ihre Lippen, und beide thaten einige Züge aus ihren Cigarren, als Harry sagte:

»Nun aber lassen Sie mich auch hören, wie Sie dem Tode entgangen sind.«

»Das ist bald erzählt«, entgegnete Holcroft. Als Sie mir unter der Hand verschwanden und der Sturm Ihren Angstschrei an meinem Ohr vorbeijagte, ließen wir das Boot hinab und sprangen hinein; ich schnitt rasch die Taue durch, die uns noch an dem berstenden Schiffe festhielten, denn die ganze Mannschaft wäre sonst in das Boot gestürzt und hätte es so tief in das Wasser gedrückt, daß uns die erste Woge verschlungen haben würde. So blieben sechs Mann an Bord zurück und die See trug uns im Augenblick aus dem Bereiche ihrer Hülferufe, ihrer Flüche und Verwünschungen. Ihr Aerger wird nicht von langer Dauer gewesen sein, denn das Schiff brach schon auseinander, als wir es verließen. Es war eine böse Nacht, und kaum reichten unsere Kräfte hin, das Boot über Wasser zu halten. Nun, Sie wissen es ja am besten, wie bald das Wetter sich änderte, und da trieben wir im heißen Sonnenbrand auf der glatten See ohne einen Tropfen, um unsern Durst zu löschen, ohne Lebensmittel, um den Hunger zu stillen. Drei Tage kamen und vergingen, und wir waren auf dem Punkt, die Haifische zu unsern Erben einzusetzen, als ein Schiff uns zu Hülfe kam, uns aufnahm und auf Barbadoes landete. Mein lederner Gürtel war noch reich mit Gold versehen und so wurde es mir leicht, eine Ueberfahrt hierher zu bedingen. Ich hätte aber eher an meinen Tod geglaubt, als daß ich Sie hier wiederfinden sollte. Unser Glücksstern steht hoch am Himmel; hier, dies Glas auf eine baldige glänzende Unternehmung!«

Bei diesen letzten Worten Holcroft's ergriffen beide abermals ihre Gläser und leerten sie in hochfliegender Begeisterung

Die zweite und die dritte Flasche Champagner tranken sie aus, und bestiegen dann in sehr heiterer Stimmung das Fuhrwerk Harry's, welches sie schnell nach der Stadt zurückbrachte. Harry zahlte seine Rechnung in dem Hotel, wo er wohnte, und siedelte dann nach dem Gasthof über, in welchem Holcroft abgestiegen war. Die Weinlaune verflog bald und die beiden Abenteurer saßen, als die Sonne hinter den Tropenwäldern versank, auf dem kleinen Balkon vor Holcroft's Zimmer und ließen sich von der frischen Seeluft umspielen, die eben den Spiegel der Bai zu kräuseln begann.

»Nun aber, Holcroft, welche Aussichten haben wir auf baldige Thätigkeit?« nahm Harry das Wort.

»Die Unternehmung, wegen welcher wir hierher kamen, ist uns entgangen, weil ich zu spät eintraf«, antwortete Holcroft. »Das Haus, welches das Schiff für mich zu einer Reise nach Afrika ausgerüstet hatte, konnte nicht länger warten und hat einen andern Kapitän an meine Stelle gesetzt. Augenblicklich ist nichts in der Luft, es wird aber nicht lange dauern, so macht man mir Anerbietungen, denn eine glücklichere Hand als die meinige hat noch niemals mit Wollköpfen gehandelt. Die Preise von Colonialwaaren sind sehr hoch, und bestimmt den Werth der Neger. Wir dürfen es aber nicht wissen lassen, daß wir zum Geschäft verlegen sind, sonst bieten sie uns schlechte Bedingungen.«

»Nun, wir können es ja vorläufig abwarten«, fiel Harry ein. Wenn nur die Weiber schöner wären, ich habe wahrhaftig noch kein wirklich schönes Mädchen gesehen.«

»Ich werde Ihnen nach dem Abendessen doch so etwas von Tropenglut in einem Augenpaar lesen lassen, von dessen Eigenthümerin Sie sagen sollen, daß sie schön sei«, nahm der Sklavenhändler wieder das Wort. »Es muß Alles in Einklang stehen. Zu einem brennenden Vulkan gehört eine dunkle Umgebung; die Nacht mit Blitzen und Wetterleuchten kann ebenso prächtig sein wie der Tag mit seinem Sonnenlicht. Uebrigens haben Sie Recht, Schönheiten gehören hier zu den Seltenheiten; die Rasse taugt nichts mehr, es muß neues Blut hineingebracht werden.«

Am folgenden Morgen machten die beiden Glücksritter einen Spaziergang durch die Straße Direita, als Holcroft sagte:

»Wir wollen jetzt einmal nach dem Werfte gehen, um uns sehen zu lassen; dort wird eine Art von Börse gehalten und sämmtliche Unternehmer in Ebenholz (Neger) sind augenblicklich dort zu finden.«

So wanderten sie Arm in Arm die Straße hinab und über den Palastplatz nach dem Strande, wo sie bei der Landungsbrücke stehen blieben und ihre Aufmerksamkeit auf hie neu angekommenen Fahrzeuge zu richten schienen. Holcroft's Blicke aber schossen verstohlen hin und her durch die Menschenmenge, welche hier versammelt war, und nach einigen Minuten sagte er zu seinem Gefährten:

»Sehen Sie sich nicht um, Williams! Wenn ich nicht irre, so kommt der Hauptagent für den Sklavenhandel hinter uns her, und es sollte mich gar nicht wundern, wenn er ein Anerbieten für mich hätte.«

Darauf zeigte Holcroft mit dem Arm nach einem kleinen Schiffe hin, welches sich dem Werfte nahte und eben seine Segel einzog. Er sprach laut darüber und that gar nicht, als ob er den kleinen, alten, vertrockneten Herrn bemerke, der jetzt von der Seite auf ihn zu trat.

»Guten Morgen, Kapitän Holcroft! Ich habe Sie ja lange nicht gesehen und glaubte wirklich, Sie wären abgereist«, sagte der Alte mit grinsend freundlichem Lächeln und reichte dem Sklavenhändler die Hand.

»Noch nicht, aber morgen oder übermorgen werde ich mich nach Havanna einschiffen, von wo mir dringende Offerten gemacht sind. Erlauben Sie mir aber, Signor Salerio, Ihnen meinen Freund Kapitän Jones vorzustellen«, sagte Holcroft, indem er auf Harry zeigte, worauf dieser und der alte Brasilianer sich gegenseitig verneigten.

Nachdem die Beiden sich die Hand gedrückt hatten, nahm Salerio wieder das Wort: »Warum denn nach Havanna, wenn Sie hier vielleicht ein Engagement erhalten könnten?«

»Das Geschäft ist hier zu erbärmlich geworden. In Havanna bezahlt man seine Leute besser nach Qualität, hier benutzt man jeden Lump, wenn man ihn billig erhalten kann, und bedenkt nicht, welche Kapitalien man ihm anvertraut. Havanna ist der Platz für mich und meinen Freund hier«, entgegnete Holcroft mit Bestimmtheit.

»Und wenn man nun hier Ihre Dienste ebenso anerkennen und belohnen würde wie in Havanna, warum dann dorthin gehen? Hören Sie, Kapitän Holcroft, ich suchte Sie gestern schon, ich habe ein Anerbieten für Sie; wenn Sie es annehmen wollen, sollen Sie in jeder Weise zufrieden gestellt werden. Nennen Sie mir Ihre Bedingungen für eine Reise nach der Küste von Afrika in einem Fahrzeuge, welches zwischen zwei- und dreihundert Neger faßt; ich bin beauftragt, Sie dafür zu engagiren.«

»Allerdings, wenn Sie so reden, dann kann ich mir die Reise nach Havanna ersparen«, versetzte Holcroft. »Welches Schiff will man mir denn geben?«

»Es ist die Brigg Teresa, welche kürzlich beschädigt hier einlief und als seeuntüchtig condemnirt wurde. Aber, unter uns gesagt, dies geschah nur meinen Freunden zu Gefallen, damit dieselben das Fahrzeug um einen Spottpreis kaufen konnten; mit einer kleinen Ausbesserung ist es so gut, als wenn es eben vom Stapel käme und segeln kann es wie ein Falke. Dort unten liegt die Brigg, wenn Sie sich dieselbe ansehen wollen.«

»Ich werde sie in Augenschein nehmen und Ihnen dann meine Antwort geben«, erwiderte Holcroft.

»Sie finden mich in meiner Office«, sagte Salerio, reichte dem Sklavenhändler die Hand und schritt davon, während Holcroft mit Harry an dem Werft hin die Richtung nach der bezeichneten Brigg einschlug.

»Ich für meinen Theil danke ganz gehorsamst dafür, mein Leben auf einem condemnirten Schiffe der See preiszugeben. Die letzte Schwimmpartie war gerade genug für mich«, sagte Harry im Vorwärtsschreiten.

»Thorheit!« fiel Holcroft ihm in die Rede. »Sie werden sehen, daß die ganze Geschichte eine Betrügerei ist, für welche die Assecuranzcompagnien im Norden bezahlen müssen. Wir wollen uns aber selbst überzeugen.«

Sie hatten bald die Brigg Teresa erreicht und fanden nach genauer vorsichtiger Untersuchung derselben, daß Don Salerio die Wahrheit gesagt und daß der Schaden, den das Schiff erlitten hatte, nur ein äußerer war, den man leicht wieder ausbessern konnte.

Darauf gingen sie in die Stadt zurück, der Sklavenhändler nach Salerio's Geschäftslokal und Harry nach dem Gasthause. Nach Verlauf von einer Stunde trat Holcroft mit den Worten zu Harry in das Zimmer:

»Nun, mein fliegender Kapitän Jones, sind Sie reisefertig? In acht Tagen müssen wir auf der blauen Tiefe schwimmen. Ich habe den Contract für dreißigtausend Dollars abgeschlossen, die man mir zahlt, wenn ich die Ladung Neger hier lande; Schiffsmannschaft, Waffen und Proviant werden mir geliefert, nur habe ich meinen fliegenden Kapitän selbst zu stellen. Ich zahle ihm achttausend Dollars für die Reise, und nun fragt es sich, ob Sie, mein lieber Williams, die Stelle annehmen wollen.«

»Mit Freuden, Holcroft, und mit meinem besten Dank; ich werde meinem Lehrmeister Ehre zu machen fuchen«, entgegnete Harry, indem er in die ihm vom Sklavenhändler entgegengehaltene Hand einschlug.

Am folgenden Morgen schon war die Brigg Teresa aufs Trockene gelegt, um sie genau untersuchen und ausbessern zu lassen, wobei Holcroft sich von Zeit zu Zeit einfand und selbst die Arbeit überwachte und nachsah. Während das Schiff nun auf das vollkommenste für die Fahrt ausgerüstet wurde, ließen die Eigenthümer desselben, in deren Dienste Holcroft getreten war, alle nöthigen Schiffspapiere in zwei Exemplaren ausfertigen. Die einen lauteten für die Brigg Clara, Kapitän Jones, nach der Küste von Afrika bestimmt, um dort eine Ladung Palmöl, Hölzer, Goldstaub, Elfenbein u. dgl. einzunehmen und damit nach Boston zu segeln, welche Papiere von dem amerikanischen Consul in Rio unterzeichnet wurden. Die andern Exemplare ließen sie durch die brasilianischen Behörden für die Brigg Teresa, Kapitän Holcroft ausstellen, welche nach der Küste von Afrika zu fahren und von dort nach irgend einem Hafen Brasiliens zurückzukehren hatte.

Diese ganz verschieden lautenden Papiere wurden in zwei luft- und wasserdicht zu verschließende Blechbüchsen gethan, um gelegentlich bei einer Untersuchung des Schiffes durch einen Kreuzer die eine oder die andere an einem Strick in die See zu versenken.

Während Holcroft nun mit der Ausrüstung sehr beschäftigt war, benutzte Harry die Zeit bis zur Abreise, um seine gesammelten Lokalkenntnisse zu seiner Unterhaltung und seinem Vergnügen auszubeuten, und so verstrichen für beide die Tage außerordentlich schnell. Der letzte, den sie in der Kaiserstadt verleben sollten, neigte sich gleichfalls, beide leerten noch einmal den vollsten Freudenbecher, den Rio ihnen bieten konnte, und am folgenden Morgen mit dem Grauen des Tags sagten sie Brasilien Lebewohl und segelten mit der Brigg Teresa in den Ocean hinaus.


 << zurück weiter >>