Armand (Friedrich Strubberg)
Saat und Ernte
Armand (Friedrich Strubberg)

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Fünftes Kapitel.

Herr und Madame Newberry hatten sich heute eben am Tische niedergelassen, um zu Mittag zu speisen, als ein Gerichtsdiener in das Haus kam und sich von ihnen den Schlüssel zu Albert's Zimmer ausbat. Bestürzt und geängstigt begleiteten beide den Mann hinauf nach Albert's Wochnung, wo derselbe, nachdem er alle Fenster geschlossen hatte, mit der Thür ein Gleiches that und dieselbe dann mit dem Gerichtssiegel versiegelte.

»Aber um Gotteswillen, warum geschieht dies denn?« fragte Madame Newberry zu Tode geängstigt den Diener.

»Das weiß ich nicht«, antwortete dieser theilnahmlos. »Wie man aber sagt, soll die Verhaftung des Herrn Randolph mit dem Verschwinden Ihres Mulattenmädchens zusammenhängen.«

»Verhaftung?« rief Madame Newberry entsetzt aus und schlug die Hände zusammen. Der Gerichtsdiener aber steckte den Schlüssel in seine Tasche und verließ das Haus.

Kaum war der Mann in der Straße, als Madame Newberry an Blancha Dandon schrieb und sie bat, sie unfehlbar an diesem Abend zu besuchen, da sie ihr eine höchst dringende Mittheilung zu machen habe. Sie sandte das Schreiben durch ein Negerkind hinüber und trug diesem auf, den Brief Fräulein Dandon selbst zu übergeben.

Blancha saß am Fenster und harrte ihres Vaters, denn es war beinahe dessen Zeit, aus dem Leseclub zurückzukehren, um zu Mittag zu speisen. Da sah sie das Negerkind über den Platz gesprungen kommen und in ihre Wohnung eintreten, und sie eilte in den Corridor hinaus, um ihm den Brief abzunehmen, den Albert ihr wahrscheinlich übersandte. Am Morgen um die gewohnte Stunde hatte sie vergebens nach der Wohnung des Geliebten hinübergeschaut, um ihn dieselbe verlassen zu sehen; er mußte heute aus irgend einem Grunde schon sehr früh ausgegangen sein.

»Bringst Du mir einen Brief, kleine Cecil?« sagte Blancha freundlich zu dem Kinde und nahm ihm den Brief aus der Hand, bemerkte aber sogleich ihren Irrthum, indem er nicht von Albert, sondern von Madame Newberry überschrieben war.

»Warum hat nicht Lucy mir den Brief gebracht?« fragte Blancha, indem sie denselben öffnete.

»Lucy ist fort«, antwortete die Kleine, während jene das Schreiben las.

»Was sagst Du? Lucy ist weg? Wohin ist sie denn?« fuhr Blancha rasch fort und blickte von dem Brief erstaunt auf das Negerkind.

»Die Herrin weiß es nicht, sie ist aber fort«, erwiderte die kleine Sklavin.

»Das ist ja sonderbar«, bemerkte Blancha vor sich hin, klopfte dann dem Kind auf das wollige Köpfchen und sagte: »Grüße Deine Herrin von mir und sage ihr, ich würde heute Abtnd zu ihr kommen.«

Die Kleine sprang die Treppe hinab und Blancha begab sich gedankenvoll in ihr Zimmer.

»Lucy fort?« dachte sie. »Sie kann doch unmöglich fortgelaufen sein. Dies ist sicher der Grund, weshalb mich die Newberry zu sprechen wünscht.«

Sie hatte sich eben in das Sopha niedergelassen, als die Schelle laut ertönte und gleich darauf die Tritte Dandon's im Corridor hörbar wurden.

Mit ungewohnter Hast trat er zu Blancha in das Zimmer und sagte, seinen Hut auf den Tisch stellend, in großer Aufregung:

»Da haben wir es. Nun, ich sagte es ja immer, man soll einem Lump nicht weiter trauen, als man ihn sehen kann!«

»Was ist denn geschehen, Vater? Du erschreckst mich«, sagte Blancha, geängstigt auf ihn zutretend.

»Was geschehen ist? Dieser Lump hat eine Anweisung über zweitausend Dollars auf die Bank ausgeschrieben und meinen guten Namen darunter gefälscht, und zwar so schlecht, daß ich nicht begreife, wie die Herren das Geld daraufhin bezahlen konnten. Ich bin so eben bei dem Staatsprocurator gewesen und habe das Gekritzel selbst angesehen. Die Leute müssen keine Augen gehabt haben. Er hat das Geld durch Newberry's Mulattin einkassiren lassen und das Mädchen dann in der Nacht in den Fluß geworfen. Er ist aber schon in den Händen der Gerechtigkeit und wird bald den Galgen zieren. Das hat man davon, wenn man sich mit Lumpen abgibt.«

»Aber um Gotteswillen, Vater, von wem sprichst Du denn?« fragte Blancha mit geängstigter Stimme.

»Von wem anders als von diesem Lump, diesem Randolph«, antwortete er im höchsten Zorn.

»O Gott!« stieß Blancha aus, preßte beide Hände auf ihr Herz und wankte nach dem Sopha zurück, aber noch ehe sie dasselbe erreichte, sank sie leblos auf dem Teppich zusammen.

»Blancha, Blancha, mein Kind!« rief der Alte zu Tode erschrocken und suchte sie aufzurichten, sie aber lag bleich wie ein Marmorbild da und alles Leben schien aus ihr gewichen zu sein.

»Hülfe, Hülfe!« schrie Dandon jetzt und riß so heftig an dem Schellenzug, daß derselbe von der Wand fiel, dann stürzte er an die Thür und rief in den Corridor hinaus.

Die Dienerschaft eilte herbei, Blancha wurde auf das Sopha gehoben, es wurde nach dem Doctor geschickt und die Sklavinnen wuschen der Ohnmächtigen Schläfe und Nacken mit belebenden Essenzen, umsonst, der Tod hielt sie fest in seinen Armen. Starr und leblos fand sie noch der herbeieilende Arzt, und auch seiner Kunst widerstand noch lange die tiefe Ohnmacht, die sie umfangen hielt; endlich aber bewegte ein leichtes Zittern ihre bleichen Lippen, ihr Busen begann sich mühsam zu heben und das Leben kehrte in sie zurück. Matt und wirr hing ihr Blick an ihrer nächsten Umgebung, sie schien sich zu besinnen und nach dem Gräßlichen zu suchen, vor dessen Gewalt sie aus dem Leben geflohen war und dessen furchtbar erschütternder Eindruck noch wie ein Alp auf ihrer Seele lag. Da trat ihr Vater glückathmend leise an ihre Seite, ergriff ihre Hand und sagte, sich zu ihr niederbeugend, mit leiser Stimme:

»Gott Lob, meine Blancha, daß Du Dich erholst. Du bist so sehr über diesen Nichtswürdigen erschrocken.«

Wie wenn der Blitz die Nacht erhellt, so durchzuckte Blancha die volle Erinnerung an das Furchtbare, welches sie niedergeschmettert hatte, das Wort Verhaftung durchdröhnte ihre Seele, und alle Kraft zusammenraffend, wollte sie sich erheben. Der Arzt aber verhinderte sie daran, bat sie, sich der vollsten Ruhe hinzugeben, erlaubte nur ihrer Dienerin Susanna bei ihr zu bleiben und verließ mit Dandon das Zimmer.

Kaum hatten dieselben sich entfernt, als Blancha nach ihrem Schreibtisch wankte und dort mit bebender Hand an Madame Newberry schrieb:

»Sagen Sie mir mit wenigen Worten, was Sie von Albert wissen; sagen Sie mir aber die Wahrheit. Heute Abend komme ich zu Ihnen.«

Schnell faltete sie das Papier zusammen, versiegelte es und sandte es durch Susanna an Madame Newberry.

So lange hatte Blancha's Willenskraft ihr die äußere Ruhe erhalten, doch als die Thür sich hinter der Dienerin schloß, da brach der Sturm ihres entsetzlichen Unglücks die Fesseln, die Hände ringend stürzte sie vor dem Sopha nieder, und sich ihrer Verzweiflung hingebend, entquollen Ströme von Thränen ihren Augen.

»Mein Glück, meine Seligkeit, mein Albert, mein braver, guter Albert!« jammerte sie und verbarg bald ihr Antlitz in ihren Händen, bald hob sie dieselben zitternd empor und sah mit herzzerreißendem, wehevollem Blick nach oben. Jeder klare Gedanke hatte sie verlassen, wild verworrene Schreckbilder jagten sich vor ihrem Geiste und aus allen schauten ihr die ernsten Augen Albert's entgegen. Sie hatte abermals ihr Antlitz mit ihren Händen bedeckt und war mit demselben auf das Sopha niedergesunken, als ihre Dienerin in das Zimmer trat, sie, sich aufraffend, ihr entgegeneilte und den Brief von Madame Newberry aus ihrer Hand nahm.

Kaum war sie im Stande, denselben mit ihren zitternden Händen zu öffnen; sie wankte in das Sopha zurück, wo sie die Zeilen las:

»Albert ist verhaftet, doch alle Gerichte der Welt werden ihn keines Unrechts zeihen können. Seien Sie ruhig und gefaßt, theure Blancha, ein Zweifeln an seiner Unschuld wäre ein Verbrechen. Ich erwarte Sie heute Abend.«

Mit einem krampfhaften tiefen Athemzug ließ Blancha ihre Hände mit dem Briefe in ihren Schooß sinken und schaute durch die Thränen, die ihre Augen füllten, unbeweglich vor sich auf den Fußboden nieder. So saß sie lange Zeit; ihr sonst so starker, willens fester Geist war durch den unerwarteten Schlag niedergeschmettert und betäubt und vergebens suchte sie nach einem Gedanken zum Handeln, um sich an ihm aufzurichten. Was sollte, was konnte sie thun, um Albert zu Hülfe zu kommen und vielleicht noch größeres Unglück von ihm abzuwehren? Da fiel ihr der Arzt ein, der wahrscheinlich bei ihrem Vater zum Mittagsessen bleiben würde und der ihr so dringend Ruhe anempfohlen hatte; sie durfte nicht mehr krank sein, wollte sie nicht abends ihren Vater am Ausgehen hindern und sich selbst um ihren Besuch bei Madame Newberry bringen.

Ihre ganze Willenskraft zusammennehmend, ging sie in ihr Schlafgemach, kühlte ihre verweinten Augen, Susanna mußte ihre Toilette ordnen, und entschlossen, ihre äußere Erscheinung zu beherrschen, verließ sie ihr Zimmer und begab sich nach dem Speisesaale.

»Um des Himmels willen, Fräulein!« rief ihr der Arzt entgegen, der mit Dandon vor ihr eingetreten war, und dieser eilte mit den Worten auf sie zu:

»Aber, beste Blancha, Du solltest ja auf Deinem Zimmer bleiben und Dich ruhen.« Blancha aber sagte mit möglichst fester Stimme:

»Ich habe mich vollständig erholt, lieber Vater; es war ja nur der Schreck, der mich betäubte«, und, schritt nun zu ihrem Stuhl am Tische, da sie fühlte, wie ihre Füße ihr wieder den Dienst versagen wollten.

»Gott Lob denn, daß wir mit der Angst davongekommen sind!« nahm Dandon beruhigt abermals das Wort und führte den Arzt zu der Tafel, indem er sagte:

»Wenn auch die Veranlassung eine sehr böse war, so haben wir doch nun die Freude, unsern lieben Doctor einmal bewirthen zu können. Sie machen sich so selten, bester Freund.«

»Mein Beruf vergönnt es mir nicht, verehrter Herr Dandon, meiner Neigung zu folgen und meine Freunde zu besuchen, auch ohne daß sie meiner Hülfe bedürfen. Meine einzige Erholung ist mir in unserm Club beschieden; Jedermann weiß, daß ich während der Abendstunden dort zu finden bin. Kommen Sie heute ein wenig?«

»Wenn meine Blancha mich auf einige Stunden beurlauben will, so werde ich mich einfinden«, entgegnete Dandon scherzend und drückte dabei seiner Tochter die Hand.

»Aber, lieber Vater, Du weißt es ja, daß Du mir keine größere Freude machen kannst, als wenn Du in Deine Gesellschaft gehst«, erwiderte Blancha mit erzwungenem Lächeln und that sich Gewalt an, gerade zu sitzen, denn es war ihr, als müsse sie jeden Augenblick umsinken.

»Sie sollten aber ein Glas Wein trinken, Fräulein!

Die Ohnmacht hat Sie doch etwas angegriffen; Sie sind sehr blaß«, sagte der Doctor zu ihr, und Dandon füllte ihr Glas schnell mit Madeira, indem er bemerkte: »Ja, ja, das wird Dir sicher gut thun, es ist der beste Wein in der Stadt.«

Blancha trank davon, anstatt aber sich dadurch gestärkt zu fühlen, trieb der Wein ihr das Blut nach Kopf und Herz und es war ihr, als verlöre sie den Athem, und eine entsetzliche Angst kam über sie. Dennoch blieb sie aufrecht sitzen und beschäftigte ihre Hände mit Messer und Gabel, denn sie durfte nicht krank erscheinen, und wenn sie todt umgefallen wäre. Sie saß wie auf der Folterbank, bald heiß, bald kalt lief es ihr durch die Glieder, sie stützte sich mit beiden Armen auf den Tisch, hielt mit aller Gewalt ihr Ohr auf die Unterhaltung der beiden Männer gerichtet, um ihnen nicht abwesend zu erscheine, und zwang sich, jeden ihrer Blicke mit einem Lächeln zu beantworten. Dabei durchzerrte der Gedanke an Albert ihre Seele mit Weh und Verzweiflung, und ihr Herz zog sich krampfhaft im Schmerz zusammen.

Endlich war es ihr vergönnt, sich zu erheben. Ein Diener brachte andern Wein und frische Gläser, ein zweiter stellte einen Teller mit Cigarren und eine brennende Wachskerze auf den Tisch, und Dandon gab Blancha den bei solchen Gelegenheiten gewohnten Seitenblick. Sie stand auf, wünschte den Herren lächelnd fröhliche Laune und schritt wie auf schwankendem Boden zum Saale hinaus. Als aber die Thür sich hinter ihr geschlossen hatte, verließen sie plötzlich ihre Kräfte, sodaß sie kaum noch die Treppe, welche in den zweiten Stock führte, erreichen konnte; sie setzte sich auf derselben nieder und lehnte, die Augen schließend, ihre Stirn gegen das Geländer, denn ihre Umgebung drehte sich, mit ihr im Kreise. Der Zufall führte gleich darauf Susanna durch den Corridor; erschrocken sprang dieselbe ihrer Herrin zu Hülfe, richtete sie auf und geleitete sie nach ihren Zimmern. Machtlos und gänzlich erschöpft sank Blancha dort in das Sopha, ihre Hände lagen gefaltet auf ihrer Brust und ihre Augen hatten sich wieder geschlossen. Sie war todtenbleich und nur der zitternde Ton des von Zeit zu Zeit aus tiefer Brust aufgestoßenen Athems verrieth, daß sie noch zu den Lebenden gehöre.

Susanna hatte sich vor ihr auf den Fußboden niedergeworfen und sah ängstlich zu ihr auf, als zähle sie ihre Athemzüge, und als Blancha ihre Hand von ihrer Brust herabsinken ließ, ergriff sie die Negerin und preßte sie zärtlich gegen ihre Wange.

Lange Zeit hatte Blancha so geruht, als sie die Augen aufschlug und zu der Sklavin sagte:

»Du bist ein gutes, treues Mädchen, Susanna, und hast mich lieb, vielleicht ist jetzt die Zeit gekommen, wo Du mir Deine Treue, Deine Liebe durch die That beweisen kannst.«

»Mit Hingabe meines Lebens, wenn es nöthig ist, will ich sie Ihnen beweisen, meine einzig geliebte Herrin!« antwortete die Negerin rasch und drückte ihre Lippen wieder und wieder auf Blancha's Hand.

»Lege das Buch dort von meinem Secretär hier auf den Tisch, Susanna, dann aber gehe hinaus in den Corridor, und sobald die Herren den Saal verlassen, komm schnell zu mir, der Doctor wird sich, ehe er geht, noch von meinem Befinden überzeugen wollend

Die Sklavin that, wie ihr befohlen, und verließ das Zimmer, während Blancha wieder die Augen schloß und in ihre vorige Abgespanntheit versank. Nicht daß diese erzwungene Ruhe ihren Seelenschmerz gelindert oder daß Schlummer sich ihrer erbarmt hätte, mit der Dunkelheit aber, in welche sie ihren Blick hüllte, wurden die Bilder ihres Unglücks undeutlicher, ihre Gedanken wurden verworrener und der Quell ihrer Thränen verschloß sich.

Nach Verlauf einer Stunde glitt Susanna plötzlich in das Zimmer und zeigte ihrer Herrin an, daß die beiden Herren jetzt den Speisesaal verließen. Blancha setzte sich rasch auf, ergriff das Buch und schien, die

Stirn auf ihre Hand gestützt, in dasselbe vertieft zu sein, als der Arzt mit ihrem Vater eintrat.

»Sieh da, unsere Patientin im Lesen vertieft! Ich kann sie von der Krankenliste streichen«, sagte der Doctor, indem er sich Blancha näherte, reichte ihr dann die Hand und verabschiedete sich aufs freundlichste bei ihr. Dandon geleitete ihn aus dem Zimmer und entließ ihn an der Thür mit den Worten:

»Auf Wiedersehen heute Abend, lieber Doctor!«

Dann kehrte er in den Salon zurück und sagte, seinen Halskragen in die Höhe ziehend:

»Gott Lob, Blancha, daß der Schreck keine weitern Folgen gehabt hat! Du warst entsetzlich lange ohnmächtig. Um einen solchen Lump sich so abängstigen zu müssen! Er soll aber seiner verdienten Strafe nicht entgehen! Heute Abend werde ich sicher noch Näheres über ihn hören und will es Dir dann morgen erzählen. Jetzt habe ich noch einen Brief zu schreiben und gehe dann in den Club. Darum gute Nacht, liebe Blancha! Lege Dich früh zur Ruhe. Du bist doch noch angegriffen, man sieht es Dir an.«

Blancha's Herz setzte seine Schläge aus und es war ihr, als würde ihr die Brust zusammengeschnürt, der Gedanke an ihren Besuch bei der Newberry aber machte ihr ein Lächeln möglich, und die Hand ihrem Vater hinhaltend, sagte sie:

»Gute Nacht, lieber Vater!«

»Deine Hand ist wirklich ganz kalt. Du solltest eine Tasse warmen Thee mit etwas Portwein trinken, es würde Dir gut thun«, versetzte Dandon, ihre Hand zwischen den seinigen haltend.

»Ja, ich will es thun«, erwiderte Blancha, dem Umsinken nahe, als Dandon sie noch auf die Schulter klopfte und dann mit nochmaligem »Gute Nacht!« das Zimmer verließ.

»Ein Glas Wasser!« rief Blancha mit machtloser Stimme, sank in das Sopha zurück und schloß die Augen, doch in der nächsten Sekunde flog Susanna schon mit dem Trunk herbei und hielt ihn ihrer Herrin an die bleichen Lippen.

Die Ohnmacht ging vorüber und unter einem Strome von Thränen kam Blancha wieder zu sich.

»O Gott, wo soll ich die Kraft hernehmen, mich aufrecht zu erhalten!« sagte sie halblaut, preßte ihre gefalteten Hände auf ihr Herz und fiel mit ihrem Haupte wieder auf das Polster, während die Sklavin das Glas auf den Tisch gestellt hatte und nun ihrer Herrin liebkosend die Locken strich.

»Wenn das Unglück am größten, ist Gott am nächsten, Herrin!« sagte die Negerin, sich schmerzerfüllt über Blancha neigend, und hielt ihre großen braunen Augen auf deren bleiche Züge geheftet.

Es war sehr düster im Zimmer geworden, als Blancha sich plötzlich erhob und nach dem Fenster schaute.

»Geh, Susanna, und erkundige Dich, ob mein Vater schon ausgegangen ist«, sagte sie zu der Dienerin.

»Soll ich nicht vorher die Lampe anzünden?« entgegnete diese.

»Nein, das Halbdunkel thut mir wohl. Geh, Susanna!« antwortete Blancha, worauf die Negerin sich entfernte.

Bald darauf kehrte dieselbe zurück und brachte die Nachricht, daß Herr Dandon schon Licht habe und noch am Schreibtische sitze.

Blancha war an das Fenster getreten und sah nach Newberry's Haus hinüber; deren Wohnzimmer war schon hell, dunkel aber Albert's Fenster. Blancha ließ ihre gefalteten Hände vor sich niedersinken und heiße Thränen netzten ihre Wangen. Mit welcher Seligkeit, mit welchen Hoffnungsträumen hatte sie so unzählige Male nach jenen Fenstern geschaut, und wie oft hatte Albert's Blick ihr die Erfüllung aller ihrer Wünsche verheißen! Wo war jetzt Hoffnung, wo war Glück!

Mit der Stirn an die fühlen Fensterscheiben gelehnt, stand Blancha unbeweglich da; es wurde dunkel, in der Straße wurden die Laternen angezündet und vor den hellen Fenstern in Newberry's Haus wurden die Laden geschlossen, da ertönte die Thürschelle in Dandon's Wohnung und Blancha sah ihren Vater hinaus in die Straße schreiten.

»Meinen Shawl, Susanna!« rief sie der Sklavin zu. Im Augenblick war ihr Befehl ausgeführt, sie nahm das große Tuch, warf es über den Kopf, hüllte sich hinein und eilte von der Negerin gefolgt aus dem Zimmer.

Sie sollte von Albert hören! Mit schnellen Schritten erreichte sie die Straße und betrat den Weg über den Platz, aber nicht mit dem gewohnten lauten Herzschlag, der beseligenden Sehnsucht, dem Glück der Hoffnung, die sie so oft hinüberbegleitet hatten; mit Angst und Schrecken schaute sie nach den dunklen Fenstern Albert's hinauf und mit Thränen in den Augen erreichte sie die Hausthür. Madame Newberry selbst öffnete dieselbe und nahm Blancha schweigend in ihren Arm. Auch nachdem sie in das Zimmer eingetreten waren, fehlten beiden noch die Worte, und erst als Blancha den Shawl von ihrem Kopfe sinken ließ und die Frau deren Thränen sah, ergriff sie die Hand des weinenden Mädchens und sagte:

»Fassung, beste Blancha, es wird ja sicher Alles gut werden. Die Unschuld, die Tugend muß siegen; kommen Sie, setzen Sie sich und lassen Sie uns überlegen, was wir thun sollen.«

Hiebei schlang die Frau mit innigster Theilnahme ihren Arm um Blancha und führte sie nach dem Sessel vor dem Kamin. Dort fuhr sie fort:

»Mein Mann ist ausgegangen, um noch genauere Erkundigungen einzuziehen, und wird uns, wenn er zurückkommt, auch seinen Rath geben. Mein Gott, es ist ja ganz unmöglich, daß Herr Randolph nicht Gerechtigkeit und vollste Genugthuung finden sollte, er hat so viele Freunde!«

Hierauf theilte sie Blancha alles Vorgefallene mit und schloß ihren Bericht mit den Worten:

»Unbegreiflich nur bleibt es mir, in welcher Weise Lucy, das unglückliche Mädchen, dazu vermocht worden ist, das Geld einzuziehen, sie muß wirklich geglaubt haben, es sei für mich bestimmt gewesen. Das arme Kind hat es mit seinem Leben zahlen müssen!«

Hin und her beredeten sie das geheimnißvolle schreckliche Ereigniß, tausend Vermuthungen und Betrachtungen wurden von ihnen aufgestellt, immer wieder brach Blancha in Thränen aus und immer suchte die treue Freundin sie zu beruhigen, zu trösten.

»Newberry muß ja nun bald kommen, es ist Zeit zum Abendessen«, sagte die Frau. »Hoffentlich bringt er uns gute Nachricht mit.« Dabei horchte sie einige Augenblicke nach der Straße und setzte dann aufstehend hinzu: »Da kommt Jemand, das wird er wohl sein.«

Rasche Tritte auf dem Trottoir nahten sich dem Hause, die Schelle ertönte, dann hörte man das Negerkind den Eingang öffnen, die Zimmerthür sprang auf und Albert trat herein.

Mit einem Schrei flog Blancha aus dem Sessel empor und stürzte mit dem Rufe: »Mein Albert, mein Glück!« ihm in die Arme. Schluchzend, weinend und wieder mit seligem Lächeln zu ihm aufblickend, hielt sie ihre Arme um seinen Nacken geschlungen, als wolle sie ihn nimmer wieder von sich lassen, und Albert, für den Augenblick sein Schicksal vergessend, preßte sie immer fester, immer heißer an seine Brust.

»Frei, frei – Du mein Leben, Du mein Albert! Gott im Himmel sei gedankt!« brach Blancha endlich mit einem Jubelton aus tiefstem Herzen das Schwelgen und sah ihm unter Freudenthränen in die dunklen Augen.

»Ja, Geliebte, ich bin frei durch Portman's Liebe und Güte; er leistete zehntausend Dollars Sicherheit für mich. Freigesprochen werde ich aber erst, wenn die unerhörte Schandthat vor Gericht verhandelt ist. Hoffentlich wird man den Thäter entdecken.«

»Das gebe der Allmächtige!« sagte Blancha mit einem Blick nach oben.

»O Du gutes, Du angebetetes Mädchen! Wie furchtbar hat mich der Gedanke gefoltert, daß Dir die Nachricht überbracht würde, Dein Albert sei der Fälschung, des Mordes angeklagt; das Herz wollte mir brechen!« fuhr Albert fort und drückte Blancha wieder an seine Brust.

»Und ich bin beinahe gestorben, Albert; ich glaubte, ich könnte es nicht überleben«, antwortete diese und strich liebkosend des Jünglings schwarze Locken zurück.

»Gott Lob! daß wir Sie wieder bei uns haben, Herr Randolph. Nun wird sich schon Alles zum Guten wenden«, nahm Madame Newberry das Wort und rückte die beiden Stühle für die Liebenden vor dem Kamin zusammen.

Arm in Arm ließen diese sich vor dem Flackerfeuer nieder, und Albert gab nun einen ausführlichen Bericht über Alles, was ihm begegnet war. Er hatte seine vollkommene Ruhe und Fassung wiedererlangt, die ihm während der Bedrängnisse des Tages namentlich der Gedanke an Blancha geraubt hatte. Und auch diese vergaß in der Nähe ihres Geliebten den entsetzlichen Zustand, in welchen sie die Nachricht über dessen Schicksal versetzt hatte.

»Aber, mein Albert, dieser edle, dieser brave Portman! Werden wir jemals im Stande sein, ihm unsere Schuld abzutragen?« hob Blancha im Ueberwallen ihres Dankgefühls an.

»Doch, meine Blancha. Solcher Edelmuth verlangt nur dankbare Anerkennung und unsere Liebe. Unsere treue Anhänglichkeit soll es Portman lebenslang zeigen, daß wir der guten That werth waren.«

»Und Ende des Jahres will er Dir wirklich seine Praxis übergeben?« fragte Blancha mit hoffnungstrahlendem Blick.

»Mit dem ersten Januar, theures Mädchen«, antwortete Albert. »Wenn nur diese nichtswürdige Anklage nicht die Vorurtheile Deines Vaters noch steigert und unserer Vereinigung noch größere Hindernisse entgegenstellt!«

Blancha sah vor sich nieder und schwieg, nach einigen Augenblicken aber hob sie ihre seelenvollen Augen wieder zu Albert auf und sagte mit ruhiger Stimme:

»Meiner Liebe, meiner Treue für Dich kann die ganze Welt kein Hinderniß in den Weg stellen. Gehöre ich Dir nicht mit Leib und Seele?«

»O Du guter Engel, das weiß ich ja, und dennoch bange ich um Deinen Besitz«, entgegnete Albert mit einem schmerzlichen Ausdruck.

»Niemand soll ihn Dir vorenthalten, mein Albert. Ich werde Dein, sobald Du es wünschest, und wenn ich Dir auch nichts bringen könnte als mich selbst. Doch mein Vater ist gut und hat mich unendlich lieb; wenn Du freigesprochen bist, so wird er es bereuen, Dir Unrecht gethan zu haben. Sei ohne Sorgen; wenn Du Dir Deinen Herd gegründet hast, soll Dir Deine Blancha nicht dabei fehlen, und müßten wir von Brod allein leben!«

So beredeten die beiden Liebenden wieder das Glück ihrer Zukunft, alle Sorgen und Gefahren schwanden aus ihrem Herzen und sie wunderten sich schließlich darüber, wie sie über eine so lächerliche, verrückte Anklage sich solcher Angst hatten hingeben können. Die Versicherung Albert's, daß er morgen, nachdem der Staatsprocurator seine Papiere durchgesehen haben würde, wieder in seine Wohnung einziehen wolle, nahm die letzte trübe Wolke aus Blancha's Seele, und vollständig beruhigt entließ sie vor zehn Uhr den Geliebten auf Wiedersehen am folgenden Tage.

Frühzeitig am nächsten Morgen schrieb Herr Portman an den Staatsprocurator und bat ihn um die Erlaubniß, mit Albert zugegen sein zu dürfen, wenn er dessen Papiere durchsehen werde. Die Antwort lautete günstig und Heald bestimmte eine der spätern Morgenstunden dazu.

Portman und Albert hatten schon eine Zeit lang bei Newberrys gesessen und auf den Staatsprocurator gewartet, als dieser sich, von einem Gerichtsdiener gefolgt, gleichfalls einfand und beide höflich begrüßte. Sein Blick aber, indem er sich vor Albert verneigte, war ernster als der beim Abschied am Tage vorher, sowie auch seine Rede an diesem Morgen gemessener und wortkarger war. Es schien, als hatten neue Zweifel an Albert's Unschuld bei ihm Wurzel geschlagen, als wären ihm neue Verdachtsgründe oder gar Beweise gegen denselben überbracht worden.

Nach kurzer Begrüßung sagte er mit kalter Höflichkeit: »So lassen Sie uns an das Werk gehen, meine Herren!« und schritt mit dem Gerichtsdiener voran nach Albert's Zimmer. Die Thür wurde geöffnet. Alle traten ein und Albert reichte dem Staatsprocurator, sich ruhig und stolz verbeugend, seine Schlüssel mit den Worten:

»Hier sind meine sämmtlichen Schlüssel, Herr!«

Dann ging er nach den Fenstern, öffnete sie, holte aus seiner Schlafstube eine Kanne mit Wasser und begoß seine Blumen. Kaum aber hatte er damit begonnen, als auch Blancha in einem ihrer Fenster erschien, ihm verstohlen ihre Grüße zusandte und die seinigen dagegen empfing.

Der Staatsprocurator hatte sich vor dem Schreibtisch niedergelassen und begann die darauf aufgehäuften Papiere durchzusehen, während Portman seinen Stuhl an die Seite des Tisches gezogen hatte und der Arbeit schweigend seine Aufmerksamkeit schenkte.

Nachdem letzterer geraume Zeit jenem zugeschaut hatte, lehnte er sich mit dem Arm auf dem Tische nach ihm hin, sah ihn lächelnd an und sagte:

»Herr Heald, wie können Sie nur für einen Augenblick dem Gedanken Raum geben, daß Sie irgend etwas in diesen Papieren finden werden, was unsern jungen Freund möglicherweise verrathen könnte, wenn er wirklich der Verbrechen, deren man ihn anklagt, schuldig wäre. Ich meine, die Stellung, die er als Rechtsgelehrter einnimmt, müßte Sie es voraussetzen lassen, daß er Ihnen hier keine Beweise gegen sich zurecht gelegt haben werde.«

»Wenn ich auch dieselbe Ueberzeugung habe wie Sie, Herr Portman«, antwortete der Staatsprocurator, ruhig in den Papieren weiter blätternd, »so darf ich sie doch nicht gelten lassen, da ich jede mögliche Gelegenheit ergreifen muß, mir Aufklärung über das Verbrechen zu verschaffen, und eine Möglichkeit liegt auch hier vor, denn die böse That macht selbst den gewandtesten Verbrecher oft blind und nachlässig.«

Während er dies sagte, hatte er einen großen Stoß von Papieren, welche hinten auf dem Tische gelegen hatten, an sich gezogen und begann sie Blatt für Blatt zu überblicken und umzuschlagen.

»Ganz recht«, fuhr Portman fort, indem er sich in seinem Stuhl zurücklegte und ungeduldig mit den Fingern auf dem Tische spielte. »Für jeden andern Verbrecher lasse ich Ihre Ansicht gelten, nur nicht für einen Juristen, wie Herr Randolph einer ist.«

Der Staatsprocurator gab keine Antwort darauf, sondern schlug etwas eiliger die Blätter um, als er plößlich wie erschrocken zusammenfuhr, das Papier, welches er gerade aufgedeckt hatte, mit beiden Händen ergriff und seinen Blick stier darauf heftete.

In demselben Augenblick sprang Portman auf und sah auf das Blatt, welches auf beiden Seiten dicht beschrieben war und zwar nur mit dem Namen Apollo Dandon. Augenscheinlich war die Schrift eine Uebung im Schreiben dieses Namens gewesen.

Beide Männer hatten während einiger Augenblicke das Papier angestiert, als der Staatsprocurator dasselbe in die Brüchen zusammenlegen wollte, in die es früher schon gefaltet gewesen sein mußte.

»Ich bitte Sie, Herr Heald«, sagte Portman sichtbar bestürzt und legte seine Hand auf dessen Arm,

»lassen Sie das Papier Herrn Randolph sehen, es verliert dadurch nichts an seiner Beweiskraft.«

Dabei wandte sich der alte Herr nach Albert um, der, als er seinen Namen nennen hörte, vom Fenster aus nach ihm herblickte. Heald zögerte und wollte das Blatt dennoch zusammenlegen, als Albert neben ihn getreten war und Portman hastig zu ihm sagte: »Wessen Schrift ist dieses?« wobei er zugleich das Papier aus der Hand des Staatsprocurators nahm und es auf dem Tische ausbreitete.

Albert blickte verwundert darauf, wurde aber im nächsten Augenblick bleich und sagte mit entsetzter Stimme:

»Ich habe dies Papier niemals früher gesehen. Es muß heimlich und absichtlich hierher gelegt sein, um als Beweis gegen mich zu dienen.«

»Herr Randolph, Herr Randolph! Die Verdachtsgründe haben sich seit gestern sehr gehäuft, und wenn ich die Bürgschaft des Herrn Portman nicht schon angenommen hatte, so würde ich sie jetzt verweigern«, hob Heald nun mit strengem Tone an, verbarg das Papier in seiner Tasche und fuhr zu dem alten Herrn gewandt fort:

»Ich muß Sie bitten, mich allein zu lassen, bis ich meine Arbeit hier vollendet habe.«

»Kommen Sie, Randolph«, versetzte Portman hierauf, indem er Albert fragend anschaute und mit ihm aus dem Zimmer schritt. Draußen aber blieb er stehen und sagte, ihm fest in die Augen sehend:

»Sie wissen nichts von diesem Papiere?«

»Nichts, bei meiner Seligkeit!« antwortete Albert, den Blick ebenso fest erwidernd.

»Gut. Ich habe auch noch keine Sekunde an Ihrer Unschuld gezweifelt und fange an, das Gewebe der unerhörten That gegen Sie zu durchschauen. Nur Ruhe, junger Freund, und wenn die Hölle selbst gegen Sie losgelassen wird, so soll auf Ihrem ehrenwerthen Namen kein Fleck haften bleiben!«

Bei diesen Worten ergriff der würdige alte Herr Albert's Hand, schüttelte sie kräftig und schritt mit ihm die Treppe hinab nach Newberry's Zimmer, wo sie mit diesem und dessen Frau verweilten, bis der Staatsprocurator nach Verlauf von einigen Stunden sich gleichfalls einfand, Albert erklärte, daß er wieder Besitz von seinem Zimmer nehmen könne, und sich mit kalter Höflichkeit empfahl.


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