Armand (Friedrich Strubberg)
Saat und Ernte
Armand (Friedrich Strubberg)

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Viertes Kapitel.

Obgleich während dieses Sommers das gelbe Fieber heftig in Neuorleans auftrat, blieb Harry Williams doch von demselben verschont. Sein leichter froher Sinn ließ ihn gar nicht an eine Gefahr denken, er wußte immer noch Vergnügen genug in der jetzt so stillen Stadt zu finden, und wenn er hinaus nach dem See fuhr, um Herrn Morgan Bericht abzustatten und den Tag mit dessen Familie zu verleben, so eilte er doch abends stets zurück, weil in irgend einer Restauration seine Freunde ihn erwarteten oder weil er einer seiner vielen Freundinnen einen Besuch zugesagt hatte. Zu Hause blieb er sicher nicht einen Abend, und in der Regel war es spät, wenn er dorthin zurückkehrte, um sich zur Ruhe zu begeben. Trotz der vielen Versuchungen jedoch, die von einem so ungebundenen Leben unzertrennlich sind, blieb Harry immer Herr seiner selbst und überdachte, so jung er auch noch war, jeden seiner Schritte.

Es mag eben das Bewußtsein seiner Jugend, seiner Unerfahrenheit gegenüber dem reifern Umgange, den er pflegte, gewesen sein, welches ihn vorsichtig machte, während zugleich ein unbewußter Drang ihn dazu trieb, die Menschen zu studiren und, ihre Schwächen benutzend, von ihnen unabhängig und ihnen überlegen zu bleiben. Unter den vielen geistigen Anlagen, welche die Natur ihm gegeben hatte, war eine scharfe Beobachtungsgabe besonders vorherrschend; er sah Alles, was um ihn vorging, jede Bewegung, jeden Blick Anderer bemerkte er und suchte darin deren Gedanken zu lesen, während er unwillkürlich zu gleicher Zeit es selbst vermied, zu verrathen, was er dachte, was er fühlte. Darum wurde ihm der Trunk sehr verhaßt; es widerte ihn an, wie ein Betrunkener sich so vollkommen in die Gewalt Anderer gab, und so gern er sich durch ein Glas Wein erheitern ließ, so genoß er ihn doch nur mit der größten Vorsicht. Die Neigung in seinem Charakter, seine Mitmenschen zu übersehen, steigerte sich in gleichem Maße, wie er seiner geistigen Ueberlegenheit über sie sich bewußt wurde, aber in gleichem Maße verringerte sich auch seine Achtung vor ihnen. Dummheit, geistige Unbehülflichkeit, wenn auch mit Gutmüthigkeit gepaart, waren ihm verächtlich, und nur Persönlichkeiten von scharfem, geriebenem Verstand und Witz wählte er zu seinem Umgang. Dabei fragte er weniger nach deren Grundsätzen, deren Moralität, wenn sie nur als Gentlemen lebten.

Der Herbst kam; mit der ersten kühlen Nacht war das gelbe Fieber verschwunden, und sofort begann Neuorleans sich aus allen Weltgegenden, namentlich aber aus dem Norden der Vereinigten Staaten her wieder mit Menschen zu füllen. Die verschlossenen Häuser, die prächtigen Läden öffneten sich, die Wohnungen bis hinauf zu den kleinsten Erkern füllten sich mit Miethern, den Fluß herab strömten die ungeheuren Massen von Landeserzeugnissen und Waaren aller Art der Stadt zu, und der Donner der Tausende von schieren Maulthierkarren, welche die Güter nach den Seeschiffen am Werfte führten, verhallte weder Tag noch Nacht. Neuorleans war wieder die Stadt des Weltgeschäfts, des Reichthums, des Glanzes, des Vergnügens, der Ueppigkeit. Ein wogender Menschenstrom füllte ihre Straßen, in prächtigen Carrossen, in strahlender Toilette durchzogen sie die blendend schönen Creolinnen, elegante Reiter tummelten ihre edlen Rosse durch sie hin und die wogenden Klänge rauschender Musik durchtönten sie von Sonnenuntergang bis zum Anbruch des Tages.

Harry Williams entfaltete seine ganze Thätigkeit; den Tag über war er die Seele von Morgan's Geschäft und abends der Lebensfunke im fröhlichen Kreise seiner Freunde und seiner Freundinnen. Seine Bekanntschaffen mehrten sich täglich, er erhielt Zutritt in den reichsten Creolenfamilien, die Männer priesen ihn als einen »smare businessman« (scharfen Geschäftsmann) und die Frauen und Mädchen stritten sich um ihn als einen »real ladiesman« (wahren Damenherrn). Er war der erklärte Liebling der Damen, keiner der jungen Männer wußte sie so geistreich und munter zu unterhalten und ihnen so viel Schönes zu sagen, keiner hatte so viel vornehmen Anstand in seinem Benehmen und keiner kleidete sich so geschmackvoll, so fashionable als der junge Williams oder sweet Harry, wie sie ihn zu nennen pflegten.

Herr Morgan erkannte sehr wohl den Werth, welchen Harry für sein Geschäft hatte; er überließ ihm gern alle Verfügungen beim An- und Verkauf von Waaren sowohl als auch bei Geld- und Wechselgeschäften, denn er selbst hätte sein eigenes Interesse nicht besser dabei wahren können, und den vollsten Beweis von seinem unbegrenzten Vertrauen gab er ihm dadurch, daß er ihm die Procura in seinem Geschäfte übertrug. Aber auch in klingender Münze sprach er seine Anerkennung für Harry's Verdienste aus, indem er ihm einen festen Gehalt von tausend Dollars aussetzte. Zu seiner Freude sah er, daß Harry nach diesen Auszeichnungen womöglich noch eifriger für ihn thätig war, daß er noch früher im Geschäft erschien und abends noch länger darin arbeitete. Nicht angenehm dagegen war es ihm zu erfahren, daß derselbe Nacht für Nacht sich außer dem Hause befand und oft erst gegen Morgen zurückkehrte, namentlich aber, daß ihm unter seinem Umgang Persönlichkeiten genannt wurden, die keinen guten Namen hatten, obgleich sie als Gentlemen lebten und die bessere Gesellschaft besuchten. So widerstrebend es ihm nun auch war, in die Privatangelegenheiten seines Geschäftsführers sich zu mischen und ihm Ermahnungen zu geben, so blieb derselbe doch immer noch sein Schutzbefohlener und er hielt es für seine Schuldigkeit, ihm wenigstens seinen Rath zu ertheilen, wenn er sein Wohl gefährdet glaube. Er that es an einem Sonntagmorgen, als Harry ganz allein in dem Comptoir saß und arbeitete. Mit freundschaftlicher und väterlicher Herzlichkeit bat er ihn, seine Gesundheit mehr zu schonen, da dieselbe durch Entziehung der nöthigen Nachtruhe unfehlbar leiden müsse, und machte ihn dann auf die gefährlichen Personen aufmerksam, mit denen er verkehre und welche wenigstens seinem guten Namen Nachtheil bringen würden, wenn sie auch auf seinen Charakter keinen bösen Einfluß ausüben könnten.

Harry schien durch die Vorstellungen Morgan's weder

überrascht noch verlegen, im Gegentheil, er dankte ihm für den wohlgemeinten Rath und versprach, denselben für die Folge zu berücksichtigen.

»Vor allen Dingen, lieber Williams, rathe ich Ihnen«, nahm Morgan dann wieder das Wort, »meiden Sie den Umgang, ja jede Berührung mit jenem Holcroft; er ist einer der gefährlichsten Menschen in der Stadt.«

»Holcroft?« entgegnete Harry mit verwundertem Tone. »Holcroft ist ja ein Gentleman.«

»Das heißt, sein Aeußeres ist dem eines Gentleman ähnlich, sein Charakter hat aber nichts von einem solchen. Es ist ja bekannt und er selbst macht kein Geheimniß daraus, daß er jahrelang Sklavenhändler zwischen Afrika und Brasilien war; die Welt aber sagt, daß er auf dem Meere ein noch viel schrecklicheres Handwerk getrieben, habe – er soll Seeräuber gewesen sein.«

»Das glaube ich nicht, lieber Herr Morgan«, fiel Harry ein; »man darf nicht Alles für wahr annehmen, was die Welt sagt. Und wenn Holcroft mit Sklaven gehandelt hat, so lag meiner Ansicht nach kein Unrecht darin, denn wenn das Gesetz unseres Landes es billigt, Sklaven zu halten, so muß es auch erlaubt sein, damit zu handeln. Das Unrecht kann man nur in der schlechten Behandlung der Sklaven suchen, und die wird Holcroft wohl nicht nachgewiesen sein. Uebrigens ist er ein sehr interessanter Mann, der viel gesehen, viel Unglück und Mißgeschick getragen und immer durch eigene Kraft sich über das Schicksal gestellt hat.«

»Solche Leute, lieber Williams, sind nicht immer passende Gesellschafter für ein jugendliches, leicht empfängliches Gemüth; sie werden hartherzig und verbissen gegen ihre Mitmenschen und rächen an diesen, was das Schicksal, vielleicht auch ihre eigenen Fehler an ihnen verschuldet haben. Es gehört ein ganz edler Charakter dazu, unverschuldet viel Unglück zu tragen und doch noch warme Gefühle für die Menschheit im Herzen zu bewahren. Holcroft aber ist kein solcher, das steht auf seinem Gesicht geschrieben. Hören Sie meinen Rath, Williams, und halten Sie diesen Mann fern von sich, damit das Urtheil der Welt über ihn nicht auch Sie treffe.«

Harry wiederholte sein Versprechen, die Gesellschaft des Sklavenhändlers so viel als möglich zu meiden, und gab dann schnell dem Gespräch eine andere Richtung, indem er um Bestimmung von Crediten bat, welche verschiedenen Pflanzern von Tennessee und Kentucky bei ihren beabsichtigten Einkäufen bewilligt werden sollten.

Am folgenden Morgen füllte sich das Lagerhaus des Herrn Morgan sehr früh mit alten Geschäftsfreunden und neuen Kunden, die in Verbindung mit ihm zu treten wünschten. Harry war überall zugegen, er bewillkommnete die Leute aufs freundlichste, fragte nach ihren Bedürfnissen, führte sie in dem Lager umher, zeigte ihnen die Waaren und pries dieselben an, oder er geleitete sie in das Comptoir, um dort ihre Rechnungen nachzusehen, Zahlungen zu empfangen, Quittungen auszustellen oder Anweisungen auf die Banken zu geben. Herr Morgan dagegen saß fest an seinem Schreibtisch, mit seiner umfangreichen Correspondenz beschäftigt, und ließ sich dabei nur dann und wann durch einen alten oder werthvollen neuen Kunden unterbrechen.

Harry hatte eben ein Geschäft von bedeutendem Betrag mit einem Pflanzer aus Arkansas, einem langjährigen Geschäftsfreund Namens Stone, abgeschlossen und Zahlung dafür erhalten, als er die Quittung darüber ausstellte und sie mit Morgan's Namen unterzeichnete. Er reichte dieselbe dem Pflanzer dankend hin, und dieser wollte sie zusammenfalten, als sein Blick auf die Unterschrift fiel.

»Ha, ha, Freund Morgan«, rief er diesem lachend zu. »das überbietet doch Alles, was ich bis jetzt gesehen! Dieser liebenswürdige Herr Williams ist nicht allein eine zweite Ausgabe von Ihnen als gewandter, unvergleichlicher Geschäftsmann, seine Handschrift sogar ist ein reiner Abdruck von der Ihrigen, und hätte ich es nicht selbst gesehen, daß er diese Quittung unterzeichnete, ich würde Haus und Hof darauf verwetten, daß es Ihre eigene Unterschrift sei, die ich ja bereits seit zwanzig Jahren kenne!«

Dabei reichte er Morgan das Papier hin und sagte:

»Verdammt, wenn Sie nicht selbst glauben müßten, Sie hätten es geschrieben.«

Morgan warf nur einen flüchtigen Blick darauf und gab dem Pflanzer das Papier mit den Worten zurück:

»Ja ja, sehr täuschend, lieber Stone. Herr Williams besitzt ein großes Schreibtalent; er copirt Ihre Unterschrift ebenso genau wie die meinige.«

»Das soll er wohl bleiben lassen, bei Gott!« antwortete Stone; »aber sehen möchte ich's doch. Kommen Sie her, junger Freund, geben Sie mir ein Stück Papier«, fuhr er zu Harry gewandt fort, indem er mit demselben an das Pult trat.

Harry legte dem Manne lächelnd einen Briefbogen hin und reichte ihm eine Feder, indem er sagte:

»Wohlan, Herr, es kostet Ihnen aber gelegentlich eine Flasche alten Madeira.«

»Und wenn es auch zwei sind! Hier haben Sie meinen schönen Namenszug, nun machen Sie einmal Ihr Meisterstück«, sagte der Alte, indem er seinen

Namen niederschrieb, einen wilden Zug darunter führte und dann die Feder an Harry gab. »Einige Probeschüsse behalte ich mir vor«, bemerkte dieser lachend, nahm ein anderes Stück Papier und copirte mehrere Male vorsichtig die Schrift des Pflanzers, neigte sich jedoch so darüber, daß dieser nicht auf seine Hand sehen konnte. Nach einigen Minuten aber schon wandte Harry sich nach ihm um und sagte: »Jetzt gilt's, Herr Stone.«

»Das möchte ich sehen«, versetzte dieser, indem er seine Hände in die weiten Taschen seines Rockes schob und seinen Blick auf den Briefbogen heftete.

Harry copirte nun mit fester Hand die Unterschrift des Pflanzers dicht unter dieselbe und sagte dann, die Feder niederlegend: »Charles William Stone; hier, Herr, Sie haben den Madeira verloren.«

»Beim Himmel!« rief dieser laut aus und ergriff das Papier, »Sie sind ein Hexenmeister. Ist Ihre Schrift doch wahrhaftig nicht von der meinigen zu unterscheiden! Sehen Sie her, Freund Morgan, ob sie sich nicht wie ein Ei dem andern gleichen; ein Glück für uns alle, daß diese Kunst eine so seltene ist!«

»Freilich wäre sie in manches andern Menschen Hand eine sehr gefährliche«, versetzte Morgan und bat den Pflanzer dann, ihn zu entschuldigen, da er noch einige Briefe vor Abgang der Post zu schreiben habe.

Die Nacht war hereingebrochen, die Geschäftslokale waren verlassen und die Vergnügungsorte belebten sich mit Gästen.

Harry Williams saß noch allein in dem Comptoir mit den schriftlichen Arbeiten beschäftigt, für welche ihm der Tag keine Muße gegönnt hatte. Von Zeit zu Zeit sah er von seinen vor ihm liegenden Büchern und Papieren auf und lauschte den Tonen der Belustigungen, die durch die Straße schallten. Bald waren es die brausenden Klänge von weit her schallender Janitscharenmusik, bald die Melodien eines Leierkastens, bald der erschütternde Krach eines Kanonenschlags, der einem Feuerwerk voranging, welche ihn aus seinem Fleiß aufstörten. Dann sah er nach seiner goldenen Uhr, die er jetzt statt der silbernen trug, strich seine Locken zurück und arbeitete weiter. Da schlug die Glocke zehn Uhr. Harry legte seine Feder weg, schlug die Bücher zu, löschte die Lampe aus und eilte auf sein Zimmer, wo er in wenigen Minuten seine Toilette nachholte, sein Haar ordnete, einige Tropfen Veilchenwasser auf sein Taschentuch goß und dann mit dem Licht in der Hand vor den mit der obern Seite etwas nach vorn geneigten Spiegel trat, sodaß er seine ganze Gestalt darin sehen konnte. Er betrachtete sich schnell von allen Seiten, nahm Hut und Handschuhe und sprang dann flüchtig die Treppe hinab und zur Hausthür hinaus. Den Schlüssel zu derselben hatte er bereits in der Hand, um sie zu verschließen, denn außer ihm und einem alten Neger, welcher gleichfalls einen Schlüssel besaß, wohnte Niemand in dem Hause, dessen Räume sämmtlich als Waarenlager benutzt wurden. In diesem Augenblicke kam Herr Morgan von der andern Seite der Straße und trat zu Harry an die Thür.

»Lassen Sie offen, lieber Williams, ich muß noch einmal in das Comptoir, ich habe etwas vergessen«, sagte er und fügte, Harry anschauend, noch lächelnd hinzu:

»Sie sind ja in voller Gala! Wohin gehen Sie denn, wenn ich fragen darf?«

»Bei Roisier ist Ball und ich hatte schon vor acht Tagen versprochen, zu kommen«, erwiderte Harry.

»Aber so spät, es ist ja halb elf! Warum sind Sie nicht früher gegangen?«

»Ich hatte noch zu arbeiten; bei Tage kommt man nicht dazu. Hätte ich es nicht versprochen gehabt, so wäre ich gar nicht hingegangen.«

»Nein, mein lieber Williams, das würde sehr unrecht von Ihnen gewesen sein; ein junger Mann muß es sich zur Ehre anrechnen, von Roisiers eine Einladung zu bekommen; es ist eine der ersten Creolenfamilien, in der man nicht leicht Zutritt erhält. Nun aber eilen Sie sich, dort an der Ecke finden Sie einen Wagen. Viel Vergnügen!«

Hiermit drückte Morgan seinem Schutzbefohlenen freundlichst die Hand und dieser eilte der Straßenecke zu, wo er einen Fiaker bestieg, der ihn bald vor dem Palais des Herrn Roisier absetzte.

Die Musik ließ die ersten Töne eines Contretanzes erschallen, als Harry in den prächtigen, blendend erleuchteten Tanzsaal eintrat und stehen blieb, um auszufinden, wo die Dame vom Hause saß. Im nächsten Augenblick aber kam Herr Roisier auf ihn zu, bewillkommnete ihn mit größter Artigkeit und geleitete ihn selbst zu seiner Gattin, welche im anstoßenden Gemach, von vielen Damen umgeben, in einem Divan saß.

»Sieh, Laura, da ist der schöne junge Kentuckyer! Er bringt Dir gewiß wieder einige Artigkeiten mit«, flüsterte eine junge Dame einer andern zu und ergriff zugleich hastig deren Hand, um ihre Aufmerksamkeit auf Williams zu lenken, als derselbe mit Herrn Roisier durch den Saal schritt.

»Wahrhaftig, so ist er doch noch gekommen! Ich glaubte schon –« sagte die Angeredete freudig überrascht und heftete ihre glänzend schwarzen Augen auf Harry.

»Ein reizender Junge. Er sieht Dich schon, Laura. Du bist für diesen Tanz noch nicht versagt«, rief ihr leise eine andere Freundin zu, und über die Wangen des marmorbleichen Gesichts der schönen Laura flog es wie ein Anhauch von Carmin.

In diesem Augenblick ging Harry, indem er sich mit den Worten »Meine Damen« artig grüßend verbeugte, an den jungen Mädchen vorüber, richtete, aber dann noch einen zweiten, sehr freundlichen Gruß mit einer zierlichen Handbewegung an Laura insbesondere.

Kaum war er vorübergeschritten, als ein junger Creole zu Laura trat und sie zu diesem Tanze aufforderte. Laura aber dankte mit dem Bemerken, daß sie schon versagt sei.

Madame Roisier empfing Harry ebenso artig, wie ihr Gatte es gethan, und dankte ihm, daß er, wenn auch nicht früher, doch gekommen sei.

»Was hat Sie denn aber noch so spät von uns fern halten können?« fragte sie mit einem freundlichen Vorwurf im Ton.

»Wirklich, nur die Pflicht konnte es, Madame Roisier; ich komme so eben aus dem Comptoir«, entgegnete Harry mit einer Verbeugung.

»Dies ist Thatsache«, nahm Herr Roisier wieder das Wort; »unser junger Freund ist ein fleißiger, tüchtiger

Geschäftsmann und verdient dem Herrn Morgan viel Geld; so bedeutend ist dessen Geschäft niemals gewesen.«

»Nun aber müssen Sie nachholen. Herr Williams, was Sie beim Tanzen versäumt haben. Man tritt schon an – wenn Sie nur noch eine Dame finden!«

»Veronica wird es sehr angenehm sein, Herr Williams, Ihnen ihre Hand zu diesem Tanze geben zu können«, fiel Madame Roisier schnell ein und winkte ihre unfern stehende Tochter herbei. Harry dankte der Mutter für das Glück, welches sie ihm zugewandt, sagte dann der schönen Creolentochter, daß dieser Tanz ihn für den ganzen Verlust, den er durch sein spätes Kommen erlitten habe, entschädigen werde, und beklagte sich, während er Veronica in den Tanzsaal führte, über sein Mißgeschick, daß er sie in den letzten Abenden weder in der italienischen Oper, noch auf der Promenade hätte erspähen können.

Laura, auch eine reiche Creolin aus dem südlichen Theile von Louisiana, tanzte nicht trotz der vielen Aufforderungen, welche sie erhielt. Sie hatte sich in einem Divan niedergelassen gegenüber dem Platz, wo Harry mit Veronica tanzte, hatte ihren Fächer entfaltet und spielte mittels der leichten, graziösen Bewegungen desselben mit Harry's Augen Frage- und Antwortspiel.

Den folgenden Cotillon aber tanzte sie mit ihm und Harry wiederholte jetzt mit Mund und Hand, was er vorher mit Blicken ausgesprochen hatte.

Die Stunden flogen und es war Mitternacht vorüber, als die Musik des letzten Tanzes verhallte. Die Gäste drängten sich zu der Dame vom Hause, um sich zu empfehlen; Herr Roisier entließ sie dankend an der Saalthür, und nun eilte man in das Garderobezimmer nach Mänteln, Shawls und Hüten.

Harry begleitete Laura in halblauter Unterhaltung dorthin, hing ihr die Mantille um, empfing zum Dank dafür ihren Busenstrauß, und nachdem sie einen rothen Seidenshawl über ihre schwarzen Locken gebunden, nahm sie seinen Arm und ließ sich von ihm nach dem Wagen führen, der eben vor der Marmortreppe des Palais vorgefahren war. Vater und Mutter der jungen Dame stiegen zuerst ein, dann hob Harry die Tochter in den Wagen; die Aeltern baten ihn um einen recht baldigen Besuch, den er zusagte, und im Fortfahren ermahnte ihn der Abschiedsblick Laura's, Wort zu halten.

Es war eine helle Mondscheinnacht und die Straßen waren sehr belebt. Harry schlug den nächsten Weg nach seiner Wohnung ein und schritt hastig vorwärts, als er plötzlich, um eine Ecke biegend, von der andern Seite der Straße angerufen wurde.

»Halloh, Williams! Wohin so rasch? Doch noch nicht nach Hause?«

Mit diesen Worten trat Holcroft, der frühere Sklavenhändler, auf Harry zu und reichte ihm die Hand.

Er war ein Mann von beinahe vierzig Jahren, von untersetztem, muskulösem Bau und sehr breiten Schultern. Auf seinem scharfgeformten, wettergebräunten Gesicht stand ein Leben voller Gefahren, Entbehrungen und wilder, stürmischer Auftritte geschrieben, und verzweifelter, trotziger Entschluß sowie unbeugsamer Wille sahen aus seinen grauen Augen hervor. Die breiten schwarzen Brauen und das tiefschwarze Haar steigerten noch das Eiserne seiner ganzen Erscheinung, welches sich in jedem Blick, jeder Bewegung kund that.

»Es ist schon spät, Holcroft, und ich muß morgen frühzeitig im Geschäft sein«, entgegnete ihm Harry auf seinen Gruß.

»Spät? Hat der neue Tag doch kaum begonnen! Wollen Sie es dem großen Haufen nachmachen und die Hälfte Ihres Lebens verschnarchen? Seien Sie Philosoph, und zwar schon jung; im Alter ist die Philosophie eine zerbrechliche, nutzlose Leiter, ein ohnmächtiger Anker, an welchen der Mensch sich klammert, der die Freuden der Jugend nicht gekostet und der aus dem schalen, werthlosen Rest seines Lebens noch Seligkeiten erringen mochte.

Wem die Nacht nicht mehr gehört, der greife nach dem Gebetbuche! Kommen Sie mit, junger Freund, wir gehen zu Dubard in den Eiscrêmesalon, dort finden wir Freunde, Wein und Mädchen.«

Hierbei schlang der Sklavenhändler Harry's Arm in den seinigen und zog ihn mit sich fort.

»Aber, Holcroft, ich muß wahrhaftig nach Hause gehen!« sagte Harry widerstrebend.

»Das müssen wir alle, nur jetzt noch nicht. Sind Sie denn schläfrig oder fürchten Sie es zu werden? Ich will Sie wach erhalten mit einer lustigen Episode aus meinem Leben. Lassen Sie uns eilen; Zeit verloren. Glück verloren!«

Harry beeilte jetzt gleichfalls seine Schritte und bald glühten ihnen die buntfarbigen Lampen entgegen, welche das Ziel ihrer Wanderung bezeichneten, zugleich aber durchwogten von dorther die rauschenden Klänge voller Janitscharenmusik die Straße und verkündeten, daß der Salon noch heiter belebt sei. Derselbe erhob sich über dem langen einstöckigen Gebäude auf dessen platter, mit Steintafeln belegter Oberfläche und bestand aus einem leichten zeltförmigen Dache, welches ringsum auf zierlichen eisernen Säulen ruhte. In graziösem Gewinde schlangen sich blühende Lianen um die Pfeiler auf und nieder, und die Räume zwischen denselben waren mit den prächtigsten Tropengewächsen ausgefüllt, sodaß dieselben dichte Laubwände bildeten. Während aus deren saftigem Grün Hunderte von bunten Lampen ihren magischen Schein durch den Salon warfen, sandten auch die Lichter eines Kronleuchters durch farbige Gläser ihre bunten Strahlen in demselben umher, sodaß die Beleuchtung eine milde, trauliche war, die mit dem Mondlicht, welches hier und dort die immergrünen Wände durchdrang, im Einklang stand.

Harry und sein Führer hatten die breite Treppe erstiegen und traten in den Salon ein, wo an vielen kleinen Tischen eine zahlreiche Gesellschaft von geputzten Damen und Herren aus allen Ständen umhersaß und dem Hochgenusse fröhnte, welchen in heißen Ländern das Eis bietet. Es waren aber auch viele unter den Gästen, die sich an Wein und Früchten labten, während noch andere den stärkern, aus Branntwein bereiteten Getränken zusprachen.

»Halloh, Holcroft, hierher!« riefen diesem beim Eintreten mehrere junge Männer zu, welche an dem fernen Ende des Salons um einen Tisch saßen und, wie es schien, sich in sehr heiterer Laune befanden. Sie sprangen auf, machten für die Ankommenden Platz an ihrem Tische, und diese ließen sich in dem fröhlichen Kreise nieder.

»Warum so spät, Holcroft?« fragte einer der Männer. »Wir haben schon seit einer Stunde auf Sie gewartet.«

»Ich war in der Oper und hatte dann noch Geschäfte in unserm Club. Auf dem Wege von dort hierher traf ich zum Glück meines jungen Freundes Williams und zu meiner Freude mit ihm zusammen; er war wahrhaftig auf dem geraden Wege nach Hause, um sich schlafen zu legen und einige kostbare Stunden seines jungen Lebens unnöthig zu verträumen. Vier Stunden Schlaf ist genug, mehr ist Verschwendung und nur eine böse Gewohnheit.«

Bei diesen Worten nahm Holcroft Cigarren hervor, reichte sie Harry hin und bediente sich nach ihm selbst mit einer solchen.

»Aber was trinkt Ihr da?« fuhr er fort, indem er die Cigarre anzündete. »Branntwein? Der paßt nur für ernste Stunden, mit der brennenden Lunte hinter dem langen Tom (Drehkanone auf Piratenschiffen) oder mit der Streitaxt, dem Messer in der Hand. Auf der heitern Seite des Lebens verdirbt er mir die Laune. Kellner, Champagner!«

Mit diesen letzten Worten wandte Holcroft sich an den schwarzen Diener, der herzugetreten war, um seine Befehle zu empfangen, und der nun seinen Auftrag schnell ausführte.

Der Pfropf flog knallend von der Flasche und der feurige Wein schoß zischend in die Gläser.

»Hier, Gentlemen«, sagte der Sklavenhändler, sein Glas erhebend und sich gegen seine Gefährten verneigend, »die Nacht mit all ihren Freuden soll leben; mag sie uns treu bleiben bis an unser seliges Ende!«

Alle leerten das Glas, nur Harry nicht, er nippte daran und stellte es dann vor sich nieder.

»Nein, Williams, auf diesen Toast müssen Sie austrinken bis auf den letzten Tropfen, er gilt Ihnen insbesondere«, sagte Holcroft zu ihm, füllte sein eigenes Glas wieder und leerte es mit einer abermaligen Verneigung gegen Harry.

»In fröhlicher Gesellschaft müssen Sie nicht so ganz nüchtern bleiben«, fuhr er in heiterem Tone fort; »der Geist des Weins ist ein Zauberer, vor dem sich unsere Plagegeister verkriechen und der uns die Welt in rosigem Lichte zeigt.«

»Nun, so mag er seine Zauberhand einmal über mich halten, für das rosige Licht aber, welches uns hier umgibt, danke ich ihm nicht, das gehört den bunten Lampen«, entgegnete Harry lachend und leerte sein Glas, welches Holcroft sogleich wieder füllte, indem er sagte:

»Er wird Sie aber die vielen schönen Augen, die uns hier umstrahlen, noch prächtiger erblicken lassen, als sie es schon in der Wirklichkeit sind. – Die schönsten Augen, Gentlemen, sie sollen leben!«

Hiermit hob er abermals sein volles Glas empor, und alle, auch Harry, tranken aus.

»Nun aber die versprochene Episode aus Ihrem Leben, Holcroft«, sagte Harry, und die Andern stimmten mit in die Aufforderung ein, daß der Sklavenhändler eine Geschichte aus seinem Seeleben zum Besten geben möchte.

»Wenn Ihr es wollt, recht gern. So hört denn«, versetzte Holcroft, rückte etwas weiter vom Tische ab, schlug ein Bein über und begann:

»Ich hatte es mir einmal wieder recht sauer werden lassen und mich während zweier langen Jahre mit einem alten Schooner Panther, der unter meiner Führung so manche verzweifelte Probe seiner Güte und seiner Schnelligkeit bestanden hatte, auf der Küstenfahrt zwischen hier und Boston umhergetrieben. Ich wollte auf dem Wege, den die Welt als den einzig rechten vorschreibt, durch Arbeit, Sparsamkeit und Ehrlichkeit mir mein Brod verdienen und mich womöglich auch zu einem der Reichen und Großen dieser Erde erheben. Ich lebte wie ein Hund, wischte mir vor jedem Vergnügen, vor jeder Annehmlichkeit die Lippen und arbeitete mit rastloser Thätigkeit Tag und Nacht in Sturm, Sonnenglut und eisigem Frost, ich fuhr mit halber Mannschaft und war Kapitän und Steuermann zugleich. Was hatten mir nach zwei Jahren alle Entbehrungen, alle saure Arbeit, alle Ehrlichkeit geholfen? Ich war dabei immer mehr zurückgekommen, ich hatte den Reichen noch reicher gemacht und war selbst zum Bettler geworden. Böse lange Reisen, schwere Seebeschädigungen, unglückliche Conjuncturen und Verluste an weniger ehrlichen Leuten, als ich war, hatten mich in Schulden gebracht und ich erfuhr im Hafen von Charleston, daß man in Neuyork auf meine Rückkehr warte, um meinen alten Panther mit Beschlag zu belegen und mich mit dem weißen Stocke davon zu senden.

Jetzt kam ich zur Besinnung. Sollte ich noch länger den ehrlichen dummen Teufel spielen, der sich zum Vortheil seiner klügern Mitmenschen quälte und ihnen sein Leben opferte, oder sollte ich es machen wie sie, denen jede Gelegenheit erwünscht war, mich zu übervortheilen, und sollte sie selbst zu übervortheilen suchen? War ich nicht ebenso gut zu einem angenehmen, freudenreichen Dasein berechtigt und konnte ich es mir nicht ebensogut verschaffen, wenn ich wie sie den Raum meines Gewissens nicht mehr in solcher Dummheit beschränkte und wenn ich mich nur davor hütete, mit dem

Gesetz zusammenzustoßen? Ich war entschlossen, das alte Blatt in meinem Lebensbuche umzuschlagen und auf einem neuen zu beginnen. In Neuyork sollten sie vergebens auf mich und meinen Panther warten, und um ihre Sehnsucht nach uns beiden noch zu steigern, zog ich für zweitausend Dollars Wechsel auf sie, verkaufte dieselben in Charleston und segelte mit meiner Fracht nach Brasilien.

Die alte dumme Haut war abgestreift, ein anderer Geist, ein anderes Leben war auf dem Panther eingezogen. Meine Kajüte prangte in Seide und Gold, meine Vorrathskammer war reich mit Wein und Champagner versehen, und statt des einsamen, sorgenvollen Kapitäns, der früher darin darbte, schwelgte jetzt in ihr ein lebensfroher, glücklicher Mann in den Armen des reizendsten Mädchens, das jemals von den blauen Wogen des Oceans getragen wurde. Adrienne, eine französische Creolin, die ich in Charleston kennen lernte, verließ mir zu Liebe heimlich Aeltern, Freunde und Wohlleben und folgte mir auf der gefahrvollen Bahn, die ich zu betreten beschlossen hatte.

In Rio übernahm ich es, für halbe Rechnung mit einem dortigen Hause eine Ladung Sklaven von der Goldküste zu holen. Mein alter Panther glänzte bald wieder in vollem Waffenschmucke; außer sechs Kanonen von gutem Kaliber trug er wie früher in seiner abenteuerlichen Jugendzeit in der Mitte auf dem Verdeck einen Vierundzwanzigpfünder, welcher sich schneller drehte als der Wimpel, der über ihm flatterte. Die Bemannung hatte ich Mann für Mann selbst mir ausgewählt, es war keiner darunter, der vor Kugel oder Stahl geblinzt hätte, und alle waren entschlossen, das Unternehmen im Nothfall mit Gewalt der Waffen durchzuführen. Die Fahrt nach Afrika ging schnell und glücklich von statten und eine Woche nach meiner Ankunft trug der Panther vierhundert Schwarze in seinen Eingeweiden in den Ocean hinaus. Das Glück schien uns zu begleiten; vierzehn Tage lang lagen wir steif bei dem herrlichsten Winde, ohne daß wir irgend einem Segel begegnet wären. Lust und Freude herrschten unter uns, die Ladung Menschenfleisch, welche wir führten, versorgte meine Leute nach Herzenslust mit Geliebten, und mir lachte die frohe Aussicht, mit meiner Adrienne irgendwo auf einem schönen Punkte der Erde mir eine sorgenfreie Existenz zu gründen. Da tauchte plötzlich eines Morgens ein Segel am Horizont auf, und wenn auch Furcht in unser aller Brust ein Fremdling war, so sahen wir doch mit wachsender Spannung nach dem Schiffe hin und suchten zu entdecken, welchen Charakter es trage. Lange blieben wir auch nicht darüber in Zweifel; es war ein Kriegsschiff, ein englischer Kutter. Bis jetzt war mir noch kein

Schiff begegnet, welches dem Panther an Schnelligkeit gleichgekommen wäre, und sobald ich in dem rasch herankommenden Fahrzeug den englischen Kreuzer erkannt hatte, ließ ich meinen Schooner vor den Wind legen, um dem Feind mehr Raum hinter mir zu geben. Alle Segel, die er tragen konnte, ließ ich setzen, alle Taue straff ziehen, aber der Magen des Panthers war zu schwer gefüllt, er hatte seine Sprungkraft verloren und ich sah sehr bald ein, daß der Engländer mir in wenigen Stunden auf den Fersen sitzen würde. Ich ließ die Mannschaft zusammentreten und stellte es ihr anheim, zu entscheiden, was wir thun sollten. »Zum Kampf!« war die einstimmige Antwort, und mit Jubel sprang Alles zu den Waffen. Im Augenblick wurde der Panther dem Kutter zugewandt, die Geschützlucken flogen auf, der lange Tom wurde klar gemacht, und kaum gab der Engländer das Zeichen, daß er uns sprechen wolle, so sandte ich ihm vierundzwanzig Pfund Eisen als Antwort darauf zu. Jetzt aber blähte er sich auf wie ein zorniger Truthahn. Alles war Leben auf seinem Verdeck, und bald begrüßte er uns gleichfalls mit Eisenbällen, die aber hoch über uns hinsausten. Der Panther hatte es sich unterdessen zum Fechten leicht gemacht, alle Segel hatte er abgeworfen und nur die behalten, welche ihn in seinen Bewegungen schnell und behend machen konnten.

Ich ließ ihn geraden Wegs auf den Kutter lossteuern, um denselben zu entern, er wich aber aus und gab mir eine Ladung, die viel Unheil in meinem Segelzeug anrichtete. Wir lagen jetzt auf Büchsenschußweite einander gegenüber. Meine Kanonen ließen keine seiner Fragen unbeantwortet, vergebens aber suchte ich ihn mit meinem Schiffe zu erreichen, er wich mir bei jedem neuen Versuche dazu aus. Der Kampf in dieser Weise war ungleich, seine bessern Geschütze thaten mir von Minute zu Minute mehr Schaden und unser besserer Muth konnte nicht zur Geltung kommen. Drei meiner Leute waren schon getödtet und eine Kugel riß meinem ersten Steuermann neben mir das Bein weg, da sprang ich selbst an den langen Tom, zielte, gab Feuer, und der Hauptmast des Kutters stürzte über Bord. Mit donnerndem Hurrah begrüßten meine Leute den Glücksschuß und in demselben Augenblick sprang Adrienne aus der Kajüte hervor an meine Seite.

Ich bat, ich flehte sie an, das Verdeck zu verlassen, umsonst, sie blieb neben mir, um die Gefahr mit mir zu theilen. Der Vierundzwanzigpfünder war wieder geladen, wieder richtete ich ihn auf den Feind, das Feuer flog aus ihm hervor, und die Kugel traf den Kutter unter dem Wasserspiegel. Hurrah! schallte es abermals von uns zu ihm hinüber, denn die Bestürzung unter seiner Mannschaft war augenscheinlich groß und für einige Minuten schwiegen seine Kanonen. Jetzt war es Zeit zum Entern. Ich gab Befehl, den Panther durch den Wind zu bringen und ihn dem Engländer auf den Leib zu steuern. Während der Vorbereitungen dazu hatte ich den langen Tom wieder laden lassen und war im Begriff, ihn abzufeuern, als die Lücken des Kutters sich abermals in Pulverdampf hüllten, eine Kugel hart an mir vorüber sauste und Adrienne, meine himmlische Adrienne von ihr durch die Brust getroffen entseelt hinter mir niedersank. Dieser Augenblick war der schrecklichste meines Lebens. Ich stand erstarrt und sah auf den furchtbar zerrissenen Leichnam des so eben noch in allem Schmuck der Jugend und der Lebenskraft blühenden Mädchens, ich war ohne Athem, es war mir, als wolle mir das Herz zerspringen, meine Kniee wankten, und ich sank, aller Kraft beraubt, in das Blut meiner Geliebten nieder. Da fuhr der Panther durch den Wind, ich hörte den Ruf, das Enterzeug bereit zu halten, und die Rache jagte mich aus meinem Schmerze auf. Mein erster Blick fiel auf die wieder geladene Drehkanone, ich zielte, feuerte, und wieder schlug die Kugel in den Kutter, aber diesmal tief unter dem Wasserspiegel. Die Segel des Panthers waren gefüllt. Woge auf Woge nieder stürmte er dem Feinde entgegen, mit der Axt in der Faust stand ich an der Brüstung zum Sprunge bereit, um den Verlust meines Lebensglücks zu rächen. Da drehte sich plötzlich der Kutter vor uns im Kreise und im nächsten Augenblick verschlang ihn der Trichter der Wogen, der sich um ihn aufthürmte. Wir fuhren über sein Grab hin.«

Hier schwieg Holcroft und sah einige Augenblicke vor sich nieder; über seine Stirn flog es zugleich wie gute und böse Gefühle, er fuhr mit der Hand darüber hin und sagte mit dumpfer Stimme und finsterem Blick:

»Adrienne ward schwer gerächt, wir retteten nicht einen einzigen Mann von der Besatzung des Kutters.«

Abermals strich er sich mit der Hand über die Stirn, und als ob er jeden düstern Gedanken von ihr weggewischt hätte, sagte er mit heiterem Antlitz: »Die Todten mögen ruhen!«

Dabei ließ er wieder den Pfropf von einer Champagnerflasche springen, füllte die Gläser und rief: »Die Freuden des Lebens, Gentlemen!« Alle tranken aus und Holcroft begann von neuem:

»Wir landeten unsere Ladung in Brasilien, und ich war ein Mann von weit über hunderttausend Dollars. Den Panther verkaufte ich an das Haus, mit welchem ich das Unternehmen gemacht hatte; der Glücksstern hatte aber mit mir das Schiff verlassen, denn es kehrte, nachdem es unter einem andern Kapitän sofort wieder nach Afrika abgesegelt war, nimmer von dort zurück und über seinen Untergang hat man nie Kunde erhalten. Ich reiste nach Neuyork, sandte dort meinen Kreditoren für ihre Forderungen Anweisungen auf die Bank und wurde von ihnen mit Höflichkeiten und Ehrenbezeigungen aller Art überhäuft. Der Erfolg unserer Handlung allein, nicht die Handlung selbst entscheidet, ob wir gefeiert oder verdammt werden sollen; um sie aber mit Erfolg zu krönen, darf man nicht ängstlich an Vorurtheilen, an Gebräuchen, an Formen hängen. Scharf gedacht und rasch gewagt, sei unser Wahlspruch!«

»Allerdings, der Erfolg hat auch bei Ihnen entschieden; denn hätte Sie der Engländer gefangen genommen, so wären Sie kein reicher Mann geworden und Ihre Creditoren würden Sie nicht mit solcher Auszeichnung behandelt haben; es war aber viel gewagt«, bemerkte Harry.

»Und war denn ein solcher Preis das Wagniß nicht werth?« entgegnete Holcroft.

»Freilich war es dies; auch ich würde es gewagt haben«, versetzte Harry.

»Und solche Preise werden uns stündlich geboten, auf dem Lande sowohl als auf der See; man muß sie nur zu entdecken streben und vor den Mitteln, sie zu erlangen, nicht zurückbeben. Warum das Pferd, nicht besteigen, auf dem man das Ziel erreichen kann, und wenn es auch ein fremdes, ein ohne Erlaubniß geborgtes Roß wäre?« sagte der Sklavenhändler.

»Aber ein fremdes Roß ohne Erlaubniß davonreiten, nennt man Diebstahl und bestraft ihn in vielen Staaten unseres Landes mit dem Tode«, fiel Harry wieder ein.

»Also in der Dunkelheit reiten, damit man keine Fährte entdecken kann, junger Freund«, antwortete Holcroft. Die ganze Aufgabe ist, sich nicht erwischen zu lassen; man hat noch nie einen Dieb gehangen, ohne ihn vorher gefangen zu haben. Ist das Unternehmen mit Klugheit durchgeführt und mit klingender Münze gekrönt, so applaudirt die Welt und ehrt und beneidet den geschickten Unternehmer. Nur groß müssen die Geschäfte sein, alles Kleinliche ist gemein.«

Bei diesen letzten Worten hatte der Sklavenhändler die Gläser wieder gefüllt und ließ dabei seine Blicke über die immer noch sehr zahlreiche Gesellschaft schweifen.

»Was sehe ich?« sagte er nach der andern Seite des Salons schauend. »Sitzt dort nicht die schöne Seline?«

»Ei freilich, und bei ihr die feurige Rosette und die lustige Miralda; drei schönere Mädchen gibt es in

Louisiana nicht. Sie sehen hierher«, versetzte einer der Tischgenossen.

»Die Blicke gelten unserm jungen Freunde hier, er ist der Liebling der Damen unserer Stadt. Was meinen Sie zu dem schwarzen Lockenkopf dort, Williams?« sagte der Sklavenhändler mit schlauem Lächeln.

»In der That, ein wunderschönes Mädchen; wer ist sie?« antwortete Harry begeistert und begegnete dem feurigen Blick der jungen Schönen, die jetzt ein Glas Eiscrême erhob und zwischen ihren reizenden Fingern den kleinen Löffel zu ihren Lippen führte.

»Seline ist eine meiner Freundinnen. Wenn Sie wollen, so mache ich Sie mit ihr bekannt; sie ist noch viel liebenswürdiger als schön.«

»Es ist schon spät, Holcroft«, entgegnete Harry und sah auf seine Uhr.

»Spät! Wer will wohl im Glück die Stunden zählen! Kommen Sie mit, ich stelle Sie der Dame als meinen liebsten Freund vor und Sie gehen gar nicht viel um, wenn Sie dieselbe nach Hause begleiten. Ich werde die Sorge für ihre beiden Freundinnen übernehmen, welche in der entgegengesetzten Richtung wohnen.«

Hiermit erhob sich der Sklavenhändler, sowie auch Harry; beide wünschten ihren Tischgenossen gute Nacht und schritten dann zu den drei jungen Damen hin, welche ihnen schon von weitem ihre freundlichen, einladenden Blicke entgegensandten.

»Meine Damen, Ihr gehorsamer Diener wünscht Ihnen guten Abend und nimmt sich zugleich die Freiheit, Ihnen seinen liebsten Freund vorzustellen«, sagte Holcroft sich verneigend und machte Harry nun mit den drei Schönen bekannt. Nach gegenseitiger Begrüßung fuhr er, zu der Dame mit dem Lockenhaar gewandt, fort:

»Sie, Fräulein Seline, müssen mir doppelt dankbar sein für die Zuführung meines liebenswürdigen jungen Freundes, denn Ihre Wohnung und die seinige liegen in derselben Richtung, und er wird sich glücklich schätzen, Ihnen sicheres Geleit nach Hause zu geben. Fräulein Rosette und Fräulein Miralda nehme ich unter meinen Schutz.«

Die jungen Damen erhoben sich schnell und dankten für die Artigkeit. Rosette und Miralda nahmen die ihnen gebotenen Arme des Sklavenhändlers, Seline schlang den ihrigen graziös in Harry's Arm und so verließen sie den Salon. In der Straße vor dem Hause blieben sie stehen, nahmen Abschied von einander, und indem Holcroft mit seinen beiden Schutzbefohlenen die Wanderung antrat, rief er im Fortgehen noch den Andern nach:

»Williams, ich mache Sie verantwortlich dafür, daß Sie Ihre schöne Gefährtin sicher zu Hause abliefern, und Ihnen, Fräulein Seline, binde ich meinen jungen Freund auf die Seele! Angenehme Ruhe!«


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