Armand (Friedrich Strubberg)
Saat und Ernte
Armand (Friedrich Strubberg)

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Sechstes Kapitel.

Harry war der stete Begleiter der Gräfin abends in der Alameda, an welchen Spaziergängen sich der Consul Murphy häufig betheiligte und dann gleichfalls mit nach deren Wohnung ging.

So begab es sich auch an einem schönen Abend, daß er mit ihnen und mit dem Grafen die Promenade verließ, und das helle Mondlicht hatte das letzte Roth am Himmel verdrängt, als sie das Palais Romero erreichten und in dessen kühlen, geräumigen Corridor eintraten.

An der breiten Marmortreppe blieb der Graf stehen, um die Gräfin und Harry vorangehen zu lassen, worauf er mit Murphy folgte.

Sie traten im ersten Stock in den hellerleuchteten Salon ein und ließen sich unter dem blitzenden Kronleuchter um den Marmortisch in Armsesseln nieder. Die Gräfin hatte die Basquina und die Mantille abgelegt und das schwarze Spitzentuch von ihrem zarten Nacken entfernt, sodaß auf dessen enthülltem Schnee das Diamantenkreuz mit der gräflichen Krone im Scheine der Lichter funkelte und blitzte. Doch das tiefglühende Feuer ihrer dunkeln überschatteten Augen ließ die Juwelen vor Harry's Blicken erbleichen, und mit magischer Kraft von den Reizen der schönen Frau gefesselt, vergaß er, was um ihn vorging. Er hatte es kaum bemerkt, als ein Diener Obst und Wein auf den Tisch trug, und sah denselben nicht, als er neben ihn trat und ihm Fruchtcrême anbot. Mit strahlendem Blick weckte die Gräfin ihn aus seiner Versunkenheit, indem sie ihm selbst eine Schale mit Crême reichte und sagte:

»Von mir, Herr Williams, müssen Sie schon etwas annehmen, auch wenn es nicht so schmackhaft sein sollte, wie Sie es in Ihrem schönen Texas gewohnt sind.«

Harry's Leidenschaft steigerte sich von Minute zu Minute, es lief ihm wie Fieberglut durch die Adern und seine sonst so geläufige Rede wurde immer wortkarger; um so lebendiger aber führte die Condesa die Unterhaltung mit Worten, mit Blicken und mit dem Fächer; Harry's Versinken in ihren Anblick folgte sie mit Entzücken und es schien, als wolle sie ihm keinen andern Gedanken lassen als den an sie selbst. Bald blitzten ihre ganz geöffneten Augen mit wildem Feuer ihm entgegen, bald sanken deren lange Wimpern und ließen ihren Blick in sehnsüchtigem Verlangen nach ihm hinüberschwärmen, bald wieder lächelten sie ihm liebreizend zu. Rauschend umschwirrte der glänzende Fächer ihr edles, bleiches Antlitz und trieb den Lufthauch spielend durch die glänzenden Locken ihres Raabenhaars. Alle ihre Bewegungen waren leicht und natürlich und doch wie berechnet, denn oft fiel der weite Spitzenärmel zurück und entblößte ihren schön gerundeten Arm, dann wieder ließ ein leichtes zufälliges Vorneigen die Fülle ihrer Formen ahnen und oftmals stahl sich ihr reizender kleiner Fuß aus dem Faltenwurf ihres Gewandes hervor und verrieth die üppig schwellende Fortsetzung ihres feinen Knöchels.

Von Zeit zu Zeit aber wandte sich die Gräfin auch zu dem Consul, warf ihm scherzend vor, daß er seine ganze Aufmerksamkeit der Unterhaltung mit dem Grafen widme und darüber sie vernachlässige, und bemerkte, daß sie es sehr ungalant finde, in Gesellschaft einer Dame politische Themata zum Gegenstande des Gesprächs zu machen.

»Wir werden uns diesem höchst gerechten Vorwurf dadurch entziehen, daß wir uns hinaus auf den Balkon setzen«, fiel der Graf, gleichfalls scherzend, ihr in das Wort, stand auf und reichte dem Consul eine Cigarre. Dann bot er auch Harry eine solche an, die dieser jedoch mit Dank zurückwies.

»So lassen Sie uns dem Beispiel der beiden Staatsmänner folgen, Herr Williams, und uns ebenfalls in das Freie hinausbegeben; die Luft ist erquickend und labend«, sagte die Gräfin sich erhebend, winkte ihrem Gatten und Murphy mit ihrem Fächer einen Gruß zu und geleitete Harry nun in das zur Linken anstoßende Zimmer, um nach dem Mirador, dem kleinen, zweisitzigen Balkon vor dessen Glasthür, zu gehen, während die beiden Männer an der andern Seite den Salon verließen und sich gleichfalls auf einen solchen Altan verfügten.

Das Gemach zur Linken erhielt nur ein mattes Licht aus dem Salon und von der Balkonthür, durch welche der bleiche Schimmer des Mondes eindrang. Als die Condesa mit ihrem liebeglühenden Begleiter in dasselbe eingetreten war, verstummten sie beide und verzögerten ihre Schritte. Sie hatten die Glasthür erreicht und standen neben einander, um hinauszutreten, als es Harry wie ein elektrischer Schlag durchzuckte, denn er fühlte seine Hand von der weichen Linken der Gräfin leise ergriffen. Die Flammen der Leidenschaft umloderten seine Sinne, mit beiden Händen erfaßte er die Hand, hob sie bebend an seine Lippen und stand regungslos da, als wolle er die Glut, die ihn durchwogte, auf den zarten Fingern der reizenden Frau ausströmen lassen. Diese aber neigte sich zu ihm hin und barg ihr schönes

Haupt an seiner Brust. Wie wenn der zündende Funke in eine Mine gefallen, so brachen die letzten Bande, welche den Sturm in Harry's Gefühlen noch gefesselt hielten, seine Arme schlangen sich um den schlanken Leib der Condesa, er preßte sie krampfhaft an sein Herz und in glühendem Kusse brannten ihre Lippen aufeinander. Jede Rücksicht, jede Gefahr war vergessen, ihre Herzen zitterten, ihre Pulse rasten und Minuten seliger Erstarrung waren verflogen, als die Gräfin sich aus Harry's Umarmung wand, ihre Locken zurückstrich und seine Hand in ihrer Linken haltend auf den Balkon hinaustrat. Das bunte Leinendach, welches sich über dem Altan bis auf dessen Geländer herab wölbte, hüllte denselben in trauliches Halbdunkel, denn der Mond stand schon hoch am Himmel.

»Es ist geschehen! Ich habe gethan, was ich nicht lassen konnte – ich bin Dein, Geliebter!« sagte die Condesa mit unsicherer, halblauter Stimme und sank wie erschöpft in den Sessel nieder, während Harry in dem andern Stuhl Platz nahm. Wie von der plötzlichen Aufregung überwältigt, hatten beide für einige Minuten keine Worte, nur der Druck ihrer noch bebenden Hände, der unbeweglich in Wonne an einander gefesselte Blick ihrer Augen und zitternde, tiefe Athemzüge gaben ihren überwogenden Gefühlen noch Ausdruck.

Die Gräfin hatte sich mehr und mehr dem nach ihr hingebeugten Harry genähert und sagte dann, ihm sehnsüchtig in die Augen schauend:

»So liebst Du mich wirklich, Harry?«

»Dein, Dein für die Ewigkeit mit Leib und Seele!« stammelte er flüsternd hervor und zog die Hand der Frau wieder an seine Lippen.

»So schwöre mir Treue, Harry, unverbrüchliche Treue! Ein spanisches Herz muß allein besitzen«, fuhr die Condesa ebenso leidenschaftlich hingerissen fort und legte ihre beiden Hände um die seinige.

»Treu bis in den Tod, ich schwöre es, Du himmlisches Wesen!« antwortete Harry und zog die Gräfin noch näher zu sich heran, doch diese neigte sich wieder in ihren Sessel zurück und sagte:

»So höre mich, Geliebter! Unser Bund muß der Welt tief verborgen bleiben, soll unser Glück nicht zu Grabe gehen. Bei dem Monde schwöre ich es Dir, daß meine Liebe für Dich mein erstes Unrecht ist und mein einziges bleiben soll, welches ich gegen meinen Gatten begehe; sie war stärker als ich, als mein Wille, als meine Tugend. Das Unrecht wird aber schwerer, wenn es das Glück meines Gemahls trübt. Das darf, das soll nicht geschehen, darum sei vorsichtig mit Wort und Blick, damit Du uns nicht verräthst. Es fällt in keiner Weise auf, daß Du uns häufig besuchst, es fällt auch nicht auf, daß Du mir den Hof machst, denn der Welt gegenüber bin ich immer besser gewesen als mein Ruf, und der Graf ist stolz auf meine Treue und lacht meiner Galane. Er muß sein Glück, seinen Stolz behalten, doch ich kann ohne mein Glück, ohne Deine treue Liebe nicht leben.«

»Ewig, ewig, Laodice, ist sie Dein!« flüsterte Harry.

»Ich werde es veranlassen«, fuhr die Condesa fort, »daß wir hinaus nach unserm Landsitz ziehen, dort droht uns weniger Gefahr und winkt uns mehr Seligkeit. Dem Grafen wird mein Vorschlag sehr erwünscht sein, denn er ist gern auf dem Lande und zog nur auf meine Bitte in die Stadt. War es eine Ahnung von meinem Glück, welche mich hierher führte?«

»Es war mein guter Stern, der Dich leitete, der Dich hierher kommen ließ, um mir des Himmels Seligkeit zu geben«, fiel Harry ein.

»Und sie mich in Deinen Armen, an Deinem Herzen finden zu lassen«, sagte die Gräfin, warf sich ihm an die Brust und schlang, seine Lippen auf den ihrigen empfangend, ihre Lilienarme um seinen Nacken. Im nächsten Augenblick aber fiel sie wieder in ihren Stuhl zurück und flüsterte: »Wir wollen an das Geländer vortreten, damit Romero und der Consul uns sehen können.

Diese zwischen ihnen und uns aus der Mauer hervorragenden Säulen sind unserer Liebe wegen geschaffen.«

Dann standen beide auf, traten an die Balustrade vor und schauten, sich auf dieselbe stützend in die Straße hinab. Die Gräfin sprach laut, lachte und scherzte, und sah wiederholt seitwärts von den Säulen hin nach dem Balkon an der andern Seite des Palais, auf welchem der Graf und Murphy noch ruhig saßen und den Rauch ihrer Cigarren in dem Mondlicht aufwirbeln ließen.

»Sie sind noch tief in ihre Unterhaltung versunken«, sagte die Gräfin, noch einen Blick nach dem andern Balkon werfend, trat dann mit den Worten: »Mein Harry, mein Geliebter!« in die Glasthür zurück, hielt ihm ihre Hände entgegen und sank nun abermals an seine Brust.

In Wonne und Lust verstrich ihnen die Zeit zu schnell, denn bald erkannte die Gräfin, daß der Consul sich verabschieden wollte, sie ordnete schnell ihre Locken, öffnete ihren Fächer und schritt mit Harry an ihrer Seite in den Salon zurück, wo ihnen die beiden Männer entgegenkamen.

»Ich hoffe, daß unserm Vaterlande viel Heil aus Ihrer Berathung erwachsen möge«, sagte die Condesa scherzend zu dem Consul, als derselbe sich ihr empfahl, und wandte sich dann in demselben Tone zu Harry, indem sie fortfuhr: »Und Ihnen, Herr Williams, meinen besten Dank dafür, daß Sie sich meiner so ritterlich in meiner Verlassenheit annahmen. Sie vergessen uns morgen doch nicht?«

Von Liebe und Glück berauscht, kehrte Harry in sein Hotel zurück, fand aber Holcroft dort noch nicht angelangt, derselbe hielt spätere Stunden. Am folgenden Morgen, als er mit ihm frühstückte, theilte er ihm mit, daß er Santa-Anna heute seinen Besuch machen wolle und daß er den gestrigen Abend wieder bei der schönen Gräfin verbracht habe, verschwieg ihm aber das Verhältniß, in welches er zu ihr getreten war.

Holcroft erzählte ihm, daß das Glück und seine Geschicklichkeit ihn beim Spiel in vergangener Nacht begünstigt hätten und daß er einige Tausend Dollars gewonnen habe.

Harry machte nun an diesem Morgen Santa-Anna seine Aufwartung und wurde äußerst artig von ihm empfangen. Derselbe unterhielt sich lange Zeit mit ihm über die Verhältnisse von Texas, bemerkte, daß der abgesetzte Präsident Bustamente diese Provinz als ein Bollwerk gegen die vergrößerungssüchtigen Vereinigten Staaten betrachtet und darum der Einwanderung der Amerikaner alle möglichen Hindernisse in den Weg gelegt habe, daß er, Santa-Anna, dieselbe aber nach allen

Kräften begünstigen wolle in der Hoffnung, daß sich das amerikanische Element mit dem mexicanischen vermischen und ein thatkräftiges, hochherziges Volk daraus hervorgehen werde. Er hoffte schließlich, Harry während seines Aufenthalts in Mexico oft bei sich zu sehen, und entließ ihn auf das freundlichste und huldvollste. Die Kreise der vornehmen Gesellschaft der Hauptstadt waren für Harry geöffnet, in dem Hause Romero machte er fast täglich neue Bekanntschaften, und es verging kein Tag, ohne daß ihm Einladungen zu Theil geworden wären. Er folgte jedoch keiner derselben, wenn er nicht von der Gräfin Romero wußte, daß auch sie dort erscheinen würde; geschah dies, so war Harry auch an ihrer Seite, um sich ausschließlich ihrem Dienste zu widmen, und bald galt er allenthalben für ihren erklärten Liebhaber. Und groß war der Neid der Damenwelt gegen die Condesa über den Besitz dieses schönen, liebenswürdigen jungen Galans, der in Texas so reiche Besitzungen haben sollte. Er war täglich bei Romeros im Hause und gewann sich durch sein artiges, vornehmes Wesen bald die aufrichtige Zuneigung des Grafen, der in den Aufmerksamkeiten Harry's gegen seine Gattin nur das feine Benehmen des Gentleman erkannte und den es erfreute, dieselbe, von andern Damen beneidet, mit ihm glänzen zu sehen.

Romero's Stellung im Staatsdienste beanspruchte täglich einen Theil seiner Zeit, und es war ihm angenehm, daß die Gräfin in Harry einen Begleiter bei ihren Wegen, Besuchen und Spazierfahrten hatte, über den sie jederzeit verfügen konnte.

Der Vorschlag der Condesa, auf das Landgut zu ziehen, war dem Grafen sehr erwünscht, denn dasselbe lag nur eine halbe Stunde von der Stadt entfernt, sodaß sein Aufenthalt dort sich sehr gut mit seinem Dienste vertrug, und da er an Garten und Feld und überhaupt an der freien Natur seine Freude hatte, so machte er sofort Anstalten zur Uebersiedelung auf seinen Landsitz. Der Vorbereitungen dazu bedürfte es nicht viele, denn die dortigen Einrichtungen waren vollständig, und da die Gräfin ihrem Gatten noch keine Familie geschenkt hatte, so waren es nur Diener und Equipagen, die hinausgeschafft werden mußten. Schon nach wenigen Tagen fand der Umzug statt und Harry begleitete den Grafen und die Gräfin dabei zu Pferde.

Die Besitzung war reizend gelegen; das aus Granit gebaute Schloß erhob sich unweit der Straße nach Pachuca am Tezcucosee auf hohen, steilen Felsmassen, beherrschte das ganze Thal und war durch seine maurische Form, durch seine Thürmchen, Vorbaue, Altane und Säulengänge eine Zierde der Gegend. Der Ernst seines alten, dunkeln Gemäuers verschwand in den lachenden Orangenhainen und Palmengruppen, aus denen es hervorsah, und die schroffen Felsen, auf welchen es stand, waren mit Weinbergen geziert, die sich wie grüne Guirlanden hin und her an ihnen hinabwanden. Nach Südost hin lief eine Colonnade um das Schloß, deren hohe Bogenöffnungen, von blühenden Schlingpflanzen eingefaßt, dem Luftzug freien Durchgang gewährten, den Sonnenstrahlen aber nicht genug Einlaß gestatteten, um den kühlen Schalten aus dem Gange zu verdrängen. Das Auge schweifte aus dessen trautem Halbdunkel hinab über den glänzenden Spiegel des wunderbar schönen, von Tropenhainen eingefaßten Tezcucosees und weiter hin nach den Tenochtitlangebirgen, über welche die eisbedeckten Häupter der beiden riesigen Vulkane aus dem durchsichtig blauen Aether in das Thal von Mexico herabschauten. Nach Südwest vor der Fronte des Schlosses breitete sich ein prächtiger Garten mit hohen immergrünen Gebüschgruppen bis an die Mauer aus, welche über den Felsabhang hinlief und über deren Mitte ein von Minarets gezierter Pavillon sich erhob. Aus dessen großem, durch zwei Marmorsäulen getheiltem offenem Bogenfenster hatte man einen prächtigen Blick über die Stadt Mexico. Wie ein Feenschloß stieg die Villa, wenn die Sonne sank, vor dem glühenden Abendhimmel auf, ihre Fenster blitzten und funkelten in dessen Scheine wie Gold und Juwelen und tief hinab in die klare Flut des Sees senkte sich ihr Spiegelbild.

Es war ein reizender Aufenthalt dieser Landsitz; kühl und labend bot er während der Hitze des Tags die wonnigsten, verborgensten Ruheplätzchen und Laubengänge für stille Leute, wohin niemals ein Sonnenstrahl gelangte, und des Abends verscheuchte der frische Luftzug, der das ganze Schloß frei umspielte, die Glut, welche sich in dasselbe eingedrängt hatte. Es war ein Aufenthalt, ganz geschaffen für zwei heimlich liebende Herzen, wie das der Gräfin und Harry's, denn zu jeder Tages- und Nachtzeit bot er ihnen Gelegenheit, ihr Glück ungesehen und ungestört zu genießen. Oft schon früh in des Morgens erfrischender Kühle ritt Harry hinaus, um mit dem Grafen und dessen Gattin unter duftenden Orangenbäumen im Freien zu frühstücken und sich an der prächtigen Aussicht über das weite Thal von Tenochtitlan zu ergötzen. Wenn dann der Graf seinen Dienstpflichten folgte und in die Stadt fuhr, blieb Harry bei der Gräfin zurück, um die Einsamkeit von ihr fern zu halten, und wenn Romero aus der Stadt wiederkehrte, so mußte Harry zum Mittagsessen bleiben, um ihn mit seiner Gesellschaft zu erfreuen. Die Abende waren aber zu wunderbar schön, als daß Harry schon in die durchglühten Mauern der Stadt hätte zurückkehren dürfen, der Graf ließ ihn nicht fort und die Gräfin bot dem Gatten zu Liebe alle ihre Ueberredungskunst auf, Harry noch zu halten, so sehr derselbe anscheinend auch darauf drang, nach Hause zu reiten. Hatte er aber nun endlich Abschied genommen und sein Pferd bestiegen, so ritt er gewöhnlich nur bis an den Fuß des Berges in einen dort gelegenen dichten Waldstrich und verweilte da, bis die späte Stunde der Mitternacht kam. Dann ließ er sein Pferd in dem Versteck zurück, eilte zu Fuß wieder nach der Villa hinauf und durch den Garten in den Pavillon, wo die Condesa ihn nun noch mit einem letzten Abschied beglückte. Harry konnte leicht und ungesehen diesen Pavillon erreichen, indem er durch die Schlangenwindungen der Weinberge hinauf in den Garten gelangte und dort hinter dichten Myrten- und Lorbeergebüschen die Mauer entlang bis an das Gartenhaus schlich. Der Weg der Gräfin bis dahin war nur ein kurzer, denn es führte aus ihren Gemächern ein Ausgang in den Garten, den zu durcheilen sie nur weniger Augenblicke bedurfte. Ismene, ihre treue Dienerin und zugleich ihre Vertraute, begleitete sie stets bei diesen nächtlichen Ausflügen und hielt außerhalb des Pavillons Wache, wenn auch von keiner Seite Gefahr drohte, da um diese Zeit sämmtliche Dienerschaft in tiefem Schlafe lag und der

Graf die andere Seite des Schlosses bewohnte, von wo er den Garten nicht übersehen konnte.

Absichtlich ließ Harry manchmal mehrere Tage verstreichen, ohne in dem Schlosse zu erscheinen, und wenn der Graf ihn dann in dem Hotel aufsuchte und nach der Ursache seines Nichtkommens fragte, schützte er Geschäfte vor, die ihn abgehalten hätten. Seltener aber fehlte er um Mitternacht in dem Pavillon.

So flogen Tage, Wochen und Monate für den Grafen, für die Condesa und für Harry in ungetrübtem Glücke hin, und das Frühjahr zog neu belebend über Berg und Thal. Da trat eines Morgens Holcroft zu seinem jungen Gefährten in das Zimmer und setzte sich zu ihm an die offene Glasthür, die auf den Balkon hinausführte.

»Ich habe Ihnen eine Mittheilung von großer Wichtigkeit zu machen, Williams«, sagte er und blies den Rauch seiner Cigarre in Ringeln durch die Thür hinaus.

»Und die wäre?« versetzte Harry, mit Ueberraschung und Spannung dem bedeutungsvollen Blick des Sklavenhändlers begegnend.

»Sie können das Angenehme hier mit dem Nützlichen verbinden«, fuhr Holcroft sinnend fort. Man soll über das Vergnügen nie eine Gelegenheit aus dem

Auge lassen, sich des Hauptspenders desselben, des Goldes zu bemächtigen.«

»Ich verstehe Sie nicht, Holcroft, ich glaube auch nicht, daß ich mich einer solchen unverzeihlichen Nachlässigkeit schuldig gemacht habe. Ich sehe nicht ein, wie ich hier Geld gewinnen könnte, ohne zu spielen, und Sie wissen, darin habe ich kein Glück«, entgegnete Harry mit zunehmender Spannung.

»So hören Sie!« nahm der Sklavenhändler wieder das Wort. »Sie befinden sich an einer Quelle des Reichthums. Ich erfuhr nämlich zufällig gestern Abend, daß der Graf Romero der Verwaltung der Staatsländereien vorsteht und daß er nach Belieben mit Landstrichen belehnen und solche auch zu kaum nennenswerthen Preisen verkaufen kann. Ich dächte wohl, wer mit der Frau dieses Mannes in so freundschaftlichem Verhältniß steht und ihr so manche glückliche Stunde bereitet, könnte diesen auch leicht dazu bewegen, ein paar Federstriche zu seinen Gunsten zu thun. So einige Leguas Landes in Texas wären so übel nicht.«

»Was sagen Sie? Romero hat die Verwaltung über die Ländereien?« fiel Harry mit aufglänzendem Blick ein. »Ich kann ja von ihm haben, was ich will!«

»Nun, so lassen Sie sich nicht zu wenig geben, eine solche Gelegenheit, Vermögen zu machen, wird nicht oft geboten«, versetzte Holcroft.

»Ei, sofort reite ich hinaus zu ihm, um ihn zu bearbeiten«, sagte Harry in großer Aufregung.

»Versäumen Sie nicht, die schöne Gräfin zu bitten, daß Sie selbst Ihnen das Land zumessen möchte, für Sie nimmt sie sicher das größte Maß«, bemerkte der Sklavenhändler noch mit sarkastischem Lächeln, als Harry schon der Thür zueilte, um sein Pferd satteln zu lassen.

Schon in den ältesten Zeiten der spanischen Herrschaft in Mexico pflegte die Regierung große Landstriche an Privatpersonen zu geben, entweder unter der Bedingung, binnen gewisser Jahre eine gewisse Anzahl Menschen darauf anzusiedeln, oder sie verkaufte sie ihnen für eine sehr geringe Summe, die mit dem Werthe des Landes in gar keinem Verhältniß stand und die gewöhnlich in die Privattasche der höhern Beamten floß. Man nannte solche Stücke Landes Empresiarios oder Grants, und die Besitztitel darüber sind in der Regel die ältesten und besten in allen Ländern, wo Spanien einmal herrschte.

In Texas hatte aber die Regierung Mexicos in den letztern Jahren viele solcher Landstriche an dort wohnende Mexicaner verkauft, um es den einwandernden Amerikanern zu erschweren, ein von Privatbesitz freies

Stück Land zu finden, worauf sie sich niederlassen konnten. Namentlich waren unter der Präsidentschaft Bustamente's ungeheure Strecken in dieser Weise in Privathände übergegangen, und auf die Klagen, die von Texas aus dagegen erhoben wurden, hatte man immer geantwortet, daß die dafür eingenommenen Gelder zum Schutze der Grenzen dieser Provinz gegen die wilden Indianer verwendet würden, während es allgemein bekannt war, daß man die mexicanischen Soldaten in diesem Lande davon bezahlte, welche dazu dienten, dessen amerikanische Bevölkerung zu belästigen und niederzuhalten, und daß der Rest des Geldes von den Verwaltungsbeamten in der Hauptstadt unter sich getheilt wurde. Es war nichts Ungewöhnliches, daß man eine Legua Land, ungefähr viertausendfünfhundert Acker, für tausend Dollars und auch für noch viel weniger verkaufte und daß ein einziger Mann bis zu fünfzehn Leguas in dieser Weise von der Regierung erstand. Die Amerikaner in Texas waren dadurch angewiesen, sich um Land an die Mexicaner zu wenden, und da diese ihnen dasselbe gewöhnlich verweigerten, so mußten sie weiter hinaus in die Gegenden ziehen, die noch vollständig in den Händen der Indianer waren.

Der Graf Don Ventura Romero hatte bei den Verkäufen von Texasländereien während der Präsidentschaft

Bustamente's bedeutende Summen für sich selbst erübrigt, und es war ein gar zu lockender leichter Verdienst, als daß er denselben unter dem neuen Präsidenten aus eigenem Antrieb hätte aufgeben sollen.

Das Gesuch Harry's, ihm Land in Texas zu verkaufen, fand bei Romero williges Gehör, zumal da er sich erbot, gleich das baare Geld dafür zu zahlen, nur hatte der Graf das eine Bedenken dabei, daß Harry ein geborener Amerikaner sei, und daß die Regierung, wenn sie von dem Verkauf hören sollte, ihm, dem Grafen, Vorwürfe darüber machen würde.

»Man braucht es sie ja gar nicht wissen zu lassen, verehrter Herr Graf«, entgegnete Harry beruhigend. »Wir machen es unter uns ab, ich zahle Ihnen viertausend Dollars baar aus, Sie lassen mir die Documente über vier, wenn es geht, fünf Leguas Land in guten Gegenden von Texas anfertigen, und es kräht weder Huhn noch Hahn danach. Sie haben doch sicher einige zuverlässige, verschwiegene Unterbeamte?«

»Daran fehlt es mir nicht«, antwortete der Graf nachdenkend und fuhr nach einigen Augenblicken fort: »Dann wäre es wohl gut, wenn ich Ihnen unsere Karte von Texas zeigte, auf welcher alle bisher ausgegebenen Ländereien aufgezeichnet sind, wonach Sie dann selbst bestimmen könnten, wo Sie die Grants zu haben wünschen.«

»Das wird mir jedenfalls sehr angenehm sein«, fiel Harry mit vollkommener äußerer Ruhe ein, während seine innere Aufregung über das sich ihm nahende Glück von Minute zu Minute zunahm.

»So will ich Ihnen einen Vorschlag machen«, nahm Don Romero wieder das Wort. »Sie lassen Ihr Pferd hier stehen, fahren mit mir nach der Stadt, wir besorgen dort alles Nöthige in Bezug auf unser besprochenes Geschäft, und dann fahren Sie wieder mit mir hierher, um mir und meiner Frau beim Mittagsessen die Freude Ihrer Gesellschaft zukommen zu lassen.«

Harry ging sehr willig auf den Vorschlag ein, begleitete den Grafen nach dessen Geschäftslokal in der Stadt und nahm mit ihm dort eine genaue Einsicht in die Karte von Texas. Nach langer, reiflicher Erwägung wählte er zwei Leguas an den Ufern des wunderschönen San-Bernardflusses, zwei Leguas in dem District von Nacogdoches, und die fünfte Legua – denn fünf erbot sich Don Romero ihm für viertausend Dollars zu geben – ließ er in dem District San-Augustine für sich vormerken.

»Schärfen Sie aber Ihren Leuten ein, verehrter Herr Graf, daß an der vorgeschriebenen Form der Documente nichts fehle«, erinnerte Harry nochmals.

»Auch nicht ein Punkt oder ein Buchstabe«, antwortete Romero. »Die Papiere werden so sorgfältig ausgefertigt, daß sie für kommende Jahrhunderte den Besitz der darin genannten Länder unumstößlich sichern.«

Darauf bat Harry um Papier und Feder und stellte dem Grafen eine Anweisung über viertausend Dollars auf Veracruz aus. Dann eilte er nach dem Hotel und verkündete Holcroft sein Glück, kehrte aber zur rechten Zeit zu dem Grafen zurück, um versprochenermaßen mit ihm nach dessen Landgut zu fahren.

So liebenswürdig und so reizend wie heute war Harry der Gräfin lange nicht erschienen; seine Augen strahlten Glück und Begeisterung, seine Wangen waren mit dem Roth freudiger Aufregung gefärbt und jede seiner schnellen, leichten Bewegungen zeigte, daß ihn ein mächtiger, beseligender Gedanke belebe. Die Liebe sieht in solchem Bilde nur die Liebe walten, nie aber ein anderes, ein eigennütziges Interesse, und so erkannte die schöne Condesa in Harry's begeisterter Stimmung nur den jubelnden Widerhall ihres glühenden Abschieds in vergangener Nacht. Und wie seelenvoll, wie liebeschmachtend suchte sie seinen Blick zu fesseln und ihn in ihren halbgeschlossenen, schwimmenden Augen das Versprechen für noch höhere Seligkeit lesen zu lassen. Harry aber sah, wohin er auch blickte, nur die ungeheuren Summen vor sich, die er aus den gekauften Landstrichen in Texas lösen mußte, er sah sich im Geiste schon auf seiner Baumwollenplantage an den reizend schönen Ufern des San-Bernardflusses und träumte von Reichthum, Pracht und Herrlichkeit.

In Lust und Scherz verstrich der Tag, und, als die Schatten der Nacht über die Erde zogen, begaben sich der Graf und die Gräfin mit ihrem Gaste nach einem Ruhesitze, der in den Felsen unter der Colonnade angebracht war. Ueber demselben wölbten schlanke Palmen ihre luftigen Wipfel und zu seinen Füßen sank die Felswand steil in den See hinab. Ringsum verblichen die Farben, die Berge und Wälder verschwammen in unbestimmte Massen und auf der dunkelnden Fläche des Sees spiegelten sich klar und funkelnd die hellen Sterne.

Es war eine dieser Zaubernächte der Tropenländer, in denen Alles lebt und sich des Lebens freut und doch eine heilige Stille auf Berg und Thal liegt. Leise nur rauschte und flüsterte die gewürzige, kühle Abendluft in den Wipfeln der Palmen, summend und zirpend lebte die Insektenwelt auf und schwebte wie feuriger Nebel oder wie fliegende glühende Kohlen über dem Thale und die Fische im See sprangen spielend aus der stillen Flut empor. Poesie durchzog auf ihren Zauberschwingen die Natur, und unter ihrer Allgewalt hatten sich die weiche Linke der Gräfin und Harry's Rechte gefunden. Die Worte der Liebe, der Sehnsucht durchbebte die Liebenden jeder leise Druck, jedes stürmische Pressen ihrer Hände, und kaum vermochten sie der Unterhaltung zu folgen, welche der Graf in poetischer Begeisterung über die Reize der Nacht unermüdlich führte.

Es war so dunkel geworden, daß die drei Glücklichen kaum noch gegenseitig ihre Umrisse erkennen könnten. Da erglühte es im Osten über den Gebirgen und der volle Mond stieg in seiner Majestät am Himmel auf. Zitternd floh die Finsterniß in die tiefsten Schatten und das emporziehende milde Licht breitete seinen Atlasschimmer über Mexico aus.

Wie ein klarer Spiegel lag der See am Fuße der Felsen. In seiner Mitte schwamm die glänzende Scheibe des Mondes und zu deren beiden Seiten zitterten die silberstrahlenden Häupter der beiden Vulkane.

Die Entfernung zwischen der Gräfin und Harry hatte sich vergrößert und beide sprachen sich jetzt viel lebhafter über die Schönheit des Abends aus. Ganz besonders aber war der Graf entzückt darüber, und die Gräfin hatte schon wiederholt daran erinnert, daß die Nachtluft zu kühl werde und daß es besser sei, sich in das Schloß zu begeben, ehe ihr Gatte sich entschließen konnte, sich von dem reizenden Platze zu entfernen.

Harry aber folgte dem Winke der Condesa, sah nach seiner Uhr und erklärte, daß er den Heimweg antreten müsse.

Es war gegen elf Uhr, als er sich verabschiedete und bei seiner Verbeugung gegen die Gräfin deren bedeutsamen Blick bejahend beantwortete. Der Graf gab ihm das Geleit bis zu seinem Pferd, wünschte ihm eine glückliche Nachhausekunft und bat ihn für den folgenden Tag um seinen Besuch.

Harry ritt davon, bog aber am Fuße des Berges von der Straße ab in ein unweit davon gelegenes Dickicht, wo er sein Pferd mit dem Zügel an einen Baum befestigte. Er konnte von hier aus die Fenster in dem Schlosse sehen und beobachtete, wie dieselben sich nach einander verdunkelten, bis kein Lichtschimmer mehr aus den dunklen Mauern hervordrang.

Kurz vor Mitternacht untersuchte Harry nochmals den verschlungenen Zügel seines Rosses und eilte dann auf den Flügeln der Hebe wieder den Berg hinauf in den Schloßgarten und an dessen Mauer hin nach dem Pavillon. Die Thür desselben war nur angelehnt, sein innerer Raum leer und in seiner Umgebung Alles still und stumm.

Um diese Zeit erhob sich der Graf aus dem Armstuhl, in welchem er gesessen und sich bei dem Scheine einer Lampe mit Lesen die Zeit vertrieben hatte; denn sein Geist war zu sehr durch die Freuden des Abends bewegt worden, als daß er sich schon dem Schlaf hätte hingeben können. Er trat an das offene Fenster und blickte in die herrliche Nacht hinaus. Das wundervolle Bild von heute Abend stand noch lebendig vor seiner Seele. Leider konnte er aus seinen Fenstern nicht dorthin schauen, doch war es der Mühe werth, in die Colonnade hinaus zu treten und bis an deren anderes Ende zu gehen, dort lag ja die Landschaft wieder vor ihm ausgebreitet. Er folgte dem Gedanken, ging hinaus in den Bogengang und schritt langsam und sich an der kühlen Luft labend in demselben hin, bis er dessen Ende erreicht hatte. Dort trat er in die Bogenöffnung und schaute zwischen den vor ihr herabhängenden Schlingpflanzen hindurch. Sein Blick schweifte über den See nach der Stadt hinüber, blieb aber auf dem Pavillon in dem Garten haften. Dessen Thür stand nämlich offen und aus ihr drang das Mondlicht hervor, welches durch das große Bogenfenster von vorn in das Innere eindrang. Romero hatte einige Augenblicke den Lufteffect zwischen dem dunkeln Gemäuer bewundert, als er plötzlich eine Mannsgestalt aus der Thür hervortreten und in dem Schatten des Pavillons verschwinden sah.

Was konnte der Mann wollen? Sollte er ein Dieb, ein Räuber sein? Der Graf neigte sich etwas weiter vor und schaute auf den im hellen Mondschein liegenden Garten hinab. Alles war unbeweglich und ruhig und von dem Manne konnte er nirgends etwas gewahren.

Doch wer kommt dort von dem Schlosse her? Eine verhüllte Frauengestalt – ist das nicht die Gestalt der Gräfin?

Romero stand erstarrt da wie die Mauer, an die er sich lehnte – es war die Form, der Gang seiner Gattin. Wohin wollte sie gehen?

Mit leichtem, schwebendem Schritt glitt sie auf dem hellen Wege durch den Gärten nach dem Pavillon und verschwand gleichfalls für einen Augenblick in dem Schatten, bis zu welchem Romero die Mannsgestalt gesehen hatte, im nächsten Augenblick aber erschienen beide innig umschlungen in der Helligkeit des Eingangs, traten in den Pavillon ein und die Thür schloß sich hinter ihnen.

Mehr bedurfte es nicht, um den Grafen aus seiner Erstarrung zu wecken. Eifersucht und Wuth beflügelten seine Schritte, er flog in sein Zimmer zurück, ergriff einen Degen und zwei Pistolen und stürzte die Treppe hinab in den Garten.

In diesem Augenblicke richtete sich in dem

Myrtengebüsche dem Eingange zu dem Pavillon gegenüber die Gestalt einer Frau in die Höhe, lauschte nach den nahenden Schritten des Grafen hin und warf dann einen Stein gegen die Thür. Es war Ismene, die treue Dienerin der Gräfin, welche hier Wache hielt und durch dieses Zeichen die drohende Gefahr meldete.

»Mein Gott, was war das? Ein Stein schlug gegen die Thür!« rief die Gräfin, aus der Umarmung Harry's emporspringend, mit halb erstickter Stimme und sah entsetzt nach dem Eingange hin. »Himmel, noch ein Stein! Bei allen Heiligen, wir sind verloren, Harry!«

»Was kann es sein? Ich höre rasche Tritte«, flüsterte Harry erschrocken und sprang an die Thür, um den Riegel nochmals fester zu drücken.

»Es ist der Graf. Allmächtiger, wie soll ich Dich retten, Harry!« rief die Condesa kaum hörbar und schlang in wilder Verzweiflung ihre Arme um den Geliebten.

»Aufgemacht!« schrie der Graf jetzt mit wüthender Stimme vor der Thür und suchte dieselbe zu öffnen, sie widerstand aber seinem Druck.

»Macht auf!« schrie er nochmals mit entsetzlichem Tone und trat nun gegen die Thür, daß sie weit aus dem Schlosse flog. Mit erhobener Pistole in der Rechten stürzte er in den Pavillon und sah einen Mann mit einem weißen Tuch über dem Kopfe auf der Brüstung des Bogenfensters sitzen, im Begriff, aus demselben über den Felsabhang hinabzuspringen. Es war kein Augenblick zu verlieren; Romero zielte, das Feuer flog aus der Pistole und der Mann stürzte aus dem Bogenfenster hinab.

In seiner Wuth sprang der Graf mit der zweiten Pistole in der Rechten an das Fenster, beugte sich hinaus und sah, wie der Mann an einer Ranke der Bignonia hing, die von dem Fuße des Felsens bis zur Mauerbrüstung hinauf gewachsen und mit ihren zarten Wurzeln in dem Gestein befestigt war. Diese zerrissen unter dem Gewicht, das an ihnen zog, die Ranke senkte sich schnell mit Harry der Tiefe zu, doch noch ehe dieser den Boden erreichte, gab der Graf mit dem wüthenden Rufe: »Stirb Hund!« zum zweiten Male Feuer.

Die Condesa, welche hinter der auffliegenden Thür gestunden hatte, war in dem Augenblick, als der Graf an das Fenster stürzte, hinausgesprungen und hatte Ismenen deren großes schwarzes Wollentuch, welches sie selbst über dem Kopf getragen hatte, mit den Worten zugeworfen: »Du bist es gewesen mit Deinem Liebhaber, rette mich!«

Dann war sie fliegend nach ihren Gemächern zurückgerannt, und Ismene hatte, das Tuch um sich schlagend, den Eingang des Pavillons in dem Augenblick erreicht, als der Graf den zweiten Schuß that.

»Erbarmen, Erbarmen, Eure Herrlichkeit!« schrie die treue Dienerin und warf sich, wie in höchster Verzweiflung die Hände ringend, hinter dem Grafen auf den Fußboden nieder.

Dieser fuhr beim ersten Ton mit dem Degen in der Faust wie rasend herum, schreckte aber wie vom Blitz getroffen zurück und stierte dem Mädchen in die Augen.

»Erbarmen, Herr, für mich und meinen unglücklichen Geliebten, meinen Carlos, wenn Sie ihn nicht getödtet haben«, flehte Ismene wieder mit herzzerreißender Geberde und wankte, sich erhebend, bis an die Fensterbrüstung, über welche sie weinend und jammernd hinabschaute.

»Ismene, bist Du es gewesen?« rief Romero mit herabgestimmtem Ton und erkannte nun in dem Tuch und in der Gestalt der Dienerin seinen großen unverzeihlichen Irrthum.

»Sei ruhig, Ismene, es wird ihm nichts gethan haben«, sagte er verlegen und wollte sie von dem Fenster entfernen, doch das Mädchen begann jetzt erst recht zu wehklagen und zu weinen und hielt sich an der Fenstersäule fest, indem es in den Grund hinabspähte und der Schattengestalt Harry's folgte, die jetzt hinkend den Waldstrich erreichte, wo das Pferd stand.

»Komm, Ismene, geh in das Schloß, sage aber Deiner Herrin nichts davon. Morgen früh gebe ich Dir Geld, und dann kannst Du Deinen Geliebten heilen lassen, wenn er verwundet sein sollte; ich sah ihn aber davonlaufen. Komm, geh jetzt! Daß Du aber der Gräfin kein Wort davon sagst! Es war Eure eigene Schuld, so in später Nacht hier in meinem Garten zusammenzukommen.«

Mit diesen Worten nahm der Graf das Mädchen beim Arm und führte es aus dem Pavillon in den Garten, wo er einen ängstlichen Blick nach der Thür warf, die zu den Gemächern der Gräfin führte.

»Geh leise und leg Dich zu Bette«, sagte Romero zu der Dienerin und eilte lautlosen Trittes selbst nach seinen Zimmern zurück.

Harry war während dieser Zeit bemüht, sein Pferd zu besteigen, was ihm nur unter sehr vielen Schmerzen gelang; diese steigerten sich aber noch bedeutend, als er sich in den Sattel niederließ; denn er kam gerade auf die Wunde zu sitzen, die ihm die erste Kugel des Grafen beigebracht hatte. Im Augenblick, als er sie empfing, war er in das Rankengeflecht unter dem Fenster gefallen und mit der starken Ranke, die er ergriff, in die Tiefe hinabgesunken. Der zweite Schuß des Grafen war an ihm vorübergepfiffen, und als er den Boden erreicht, hatte er schnell seinen vor sich hinabgeworfenen Hut aufgenommen und war mit aller ihm möglichen Eile davongelaufen. Das Tuch, welches er um seinen Kopf gewunden hatte, diente ihm jetzt als Unterlage unter die Wunde, um die Blutung zu stillen. Bei jedem Schritt, den sein Roß that, zuckte er in Schmerz zusammen und versuchte es immer wieder, sich weniger unangenehm zu setzen, es war aber nun einmal nicht zu ändern, er mußte den Ritt aushalten. Die Schmerzen aber, welche die Wunde ihm erzeugte, waren unbedeutend gegen die, welche der Gedanke an die Documente über sein gekauftes Land in ihm hervorrief; denn es unterlag keinem Zweifel, daß der Graf ihm nicht allein dieselben vorenthalten, sondern daß er auch die dafür empfangenen viertausend Dollars nicht wieder herausgeben würde. Harry's ganzes Luftgebäude war zusammengestürzt und er verwünschte den Augenblick, wo er sich dem Zauber der Gräfin hingegeben hatte.

Endlich erreichte er sein Hotel und sagte dem Burschen, der ihm vom Pferde half, daß er mit demselben gestürzt sei und sich dabei schwer am Bein verletzt habe. Holcroft wurde aus seinem Schlafe geweckt, und es blieb Harry nichts Anderes übrig, als demselben den ganzen Hergang offen zu gestehen. Der Sklavenhändler machte ein sehr bedenkliches Gesicht bei dieser Mittheilung und meinte, daß noch viel Schlimmeres folgen werde.

Er untersuchte die Wunde und fand, daß sie sich nur auf das Fleisch beschränkte und gänzlich gefahrlos war, blieb jedoch bei Harry, um ihm durch kalte Umschläge die Schmerzen zu lindern.

Mit Angst und Bangen sah dieser dem Morgen entgegen, der ihm der Himmel wußte was für Schreckensnachrichten bringen würde. Plötzlich aber, noch früher, als er es erwartet hatte, trat Ismene mit einer guten Nachricht auf ihrem Antlitz in das Zimmer. Harry bat den Sklavenhändler auf Englisch, ihn allein mit dem Mädchen zu lassen, und sobald derselbe die Thür hinter sich geschlossen hatte, berichtete die Dienerin den weitern Verlauf des nächtlichen Abenteuers von dem Augenblick an, wo Harry aus dem Pavillonfenster verschwand.

»Es ist Alles gut gegangen, Herr Williams«, fuhr die treue Dienerin dann fort, »nur ist die Gräfin in großer Besorgniß um Sie. Ich sagte ihr, daß ich Sie hätte in den Wald zu Ihrem Pferde eilen sehen, doch sie ließ mir keine Ruhe und ich mußte schon so früh hierher reiten, um zu erfahren, wie es Ihnen gehe. Als ich mein Maulthier besteigen wollte, drückte mir der Graf dies Goldstück in die Hand und legte mir nochmals Schweigen gegen die Condesa auf.«

»Gott Lob, Gott Lob!« sagte Harry mit einem tiefen Athemzuge. Nun, melde dem Grafen, daß Du mir begegnet wärest und daß ich zu Pferde die Stadt verlassen hätte. Sage ihm, ich sei auf einige Tage verreist und ließe mich ihm und der Condesa bestens empfehlen.«

Damit stützte Harry sich auf seinen Arm, hob sich im Sopha in die Höhe und gab aus seiner Börse, die vor ihm auf dem Tische lag, der Ueberbringerin der Freudenbotschaft ein Goldstück.

»Und was soll ich meiner Herrin sagen?« hob Ismene mit schlauem Lächeln an.

»Daß meine Wunde unbedeutend sei und daß ich hoffe in einigen Tagen die Gräfin wiedersehen zu können«, antwortete Harry.

»Und keine Grüße?« fragte die Vertraute mit schelmischem Blicke.

»Tausend und tausend Grüße, Ismene! Sage ihr, mein größter Schmerz wäre, von ihr getrennt zu sein, sage ihr – nun, sage ihr, daß sie ja Alles selbst wüßte, was ich ihr sagen ließe, und daß ich noch tausendmal mehr für sie im Herzen trüge. Nun eile, Ismene, damit Du in das Schloß zurückkommst, ehe der Graf zur Stadt fährt.«

Kaum hatte das Mädchen das Zimmer verlassen, als Holcroft wieder hereintrat und, dem Blick Harry's begegnend, ausrief:

»Der Sturm ist vorüber, der blaue Himmel scheint wieder durch die Wolken; ich lese es auf Ihrer Stirn. Wie hat sich die Sache zum Guten gewandt?«

Harry erzählte ihm nun, was er durch Ismene erfahren hatte, und schloß mit der Bemerkung:

»Verdammt, wenn ich je wieder in eine solche Falle gehe!«

»Wenigstens mit mehr Vorsicht«, sagte Holcroft. »Den Rückzug muß man sich besser offen halten, als über einen vierzig Fuß hohen Felsabhang. Ueberhaupt würde ich dieses Liedchen nicht wieder anstimmen, es steht Ihnen ja ein ungeheures Vermögen dabei auf dem Spiele. Sie haben noch wenig von den Freuden Mexicos gekostet, überlassen Sie jetzt die schöne Signora dem Glück der Erinnerung und folgen Sie, solange wir noch hier verweilen, meiner Leitung; Sie werden es nicht bereuen.«

Nachdem die beiden Gefährten zusammen gefrühstückt hatten, kam eine Einladung für Harry zu einer Soiree für diesen Abend bei Santa-Anna.

»Das nenne ich Unglück«, sagte Harry, nachdem Holcroft die Antwort darauf hinausgebracht, daß Herr Williams verreist sei. »Ich hatte mich darauf gefreut, dort die ganze vornehme Welt in vollem Staate zu sehen.«

»Sie würden sich viel besser unterhalten, wenn Sie mit mir gehen könnten. Ich habe mich auf heute Abend mit mehreren Freunden verabredet, ein Fandangohaus zu besuchen, dort ist nicht die vornehme, aber die wirklich schöne Welt versammelt; ich sage Ihnen, eine Auswahl schöner Mestizen, wie ich sie nie reizender gesehen habe«, entgegnete der Sklavenhändler.

»Nun, aufgeschoben ist nicht aufgehoben; in wenigen Tagen werde ich mich bei Ihnen gesund melden«, sagte Harry lachend.

»Es thut mir leid, daß ich Sie heute abends allein lassen muß, ich bin aber im Dienste eines reizenden Augenpaars.«

»Hat nichts zu sagen, Holcroft, ich werde mich früh zur Ruhe begeben und von meinen Besitzungen in Texas träumen«, entgegnete Harry scherzend.

Während des ganzen Tags pflegte der Sklavenhändler seinen angeschossenen jungen Freund, und erst als die Carrossen durch die hell erleuchteten Straßen dem Palais Santa-Anna's zurollten, verließ er ihn mit der Weisung, keinen Wein mehr zu trinken und sich frühzeitig schlafen zu legen.


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