Armand (Friedrich Strubberg)
Saat und Ernte
Armand (Friedrich Strubberg)

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Drittes Kapitel.

Das Wetter war herrlich, der Golf ruhig und glatt wie ein Spiegel und Dandon befand sich in einer so rosigen Laune, wie ihn Harry nie früher gesehen hatte. Er schritt mit jugendlicher Spannkraft ununterbrochen auf dem Verdeck auf und nieder und unterhielt sich, Cigarre über Cigarre rauchend, unermüdlich mit Harry über ihre gemeinschaftliche Plantage am Bernardflusse.

Er hatte unzählige Fragen zu stellen, unzählige Vorschläge für Verbesserungen in der Geschäftsführung zu machen und erklärte, daß er gar nicht abgeneigt wäre, im Falle das Land wirklich so schön sei, wie es Harry ihm beschrieben, sich auf der Plantage ein Haus zu bauen und einen Theil des Jahres dort mit seiner Tochter zu verbringen. Harry äußerte sich sehr erfreut über diesen Gedanken und sprach die Hoffnung aus, daß Dandon schließlich seinen festen Wohnsitz dorthin verlegen würde.

Der fast ewig heitere Himmel des sonnigen Golfs von Mexico wölbte sich klar und durchsichtig über der grünen Küste von Texas, als das Dampfschiff sich mit Harry und seinem Compagnon der Insel Galveston näherte und bald darauf an der Stadt gleichen Namens anlegte. Es schien, als habe sich die ganze männliche Bevölkerung, der Stadt auf dem Werfte eingefunden, um das Schiff landen zu sehen, denn Hunderte von Männern aus allen Ständen drängten sich zu ihm heran, und kaum war die Verbindungsbrücke auf das Werft gelegt, als alle an Bord eilten, um Freunde zu bewillkommnen, Briefe und Zeitungen zu empfangen, Neuigkeiten zu erfragen oder auch nur sich einen frischen Trunk an dem Schenktisch in der Kajüte zu kaufen.

»Sieh, Harry!«  »Willkommen Harry!«  »Hollah, Williams!«  »Freut mich, Herr Williams!« schallte es Harry von allen Seiten entgegen, und er hätte zehn Hände haben müssen, hätte er alle die Hände drücken wollen, die ihm zu gleicher Zeit entgegengehalten wurden.

Dandon fühlte sich durch die Ehrenbezeigungen und Freundlichkeiten, womit man seinen Associé empfing, geehrt, warf sich in die Brust und suchte durch seinen wohlgefälligen, halbgrüßenden Blick darzuthun, daß er zu ihm gehöre.

Dabei stellte Harry ihn mit unglaublicher Schnelligkeit einer großen Zahl von Herren vor, sodaß Dandon gar keine Zeit blieb, sich mit dem einen oder andern derselben in ein Gespräch einzulassen; er konnte sich nur verneigen und kaum seine Freude aussprechen, als Harry ihn schon wieder einem andern Bekannten mit den Worten: »Mein Freund, Herr Dandon!« zuführte, bis er ihn schließlich am Arm ergriff und ihn, links und rechts grüßend, rasch mit sich durch die Menge auf das Werft hinauszog und mit ihm in der Straße hinauf nach dem Unionshotel eilte.

»Gott sei Dank, daß wir hier sind!« sagte Harry zu seinem athemlosen, von Schweiß triefenden Compagnon. »Man kann sich ja gar nicht vor Freundlichkeiten und Höflichkeiten retten. Alles was Recht ist und was man ertragen kann!«

Dabei führte er Dandon aus der glühenden Sonne in den kleinen Corridor des Gasthauses und rief einem ihm entgegenkommenden und ihn begrüßenden Kellner zu, ihnen zwei Zimmer im ersten Stock anzuweisen.

»So, verehrter Freund. Willkommen in Texas!« sagte Harry zu Dandon, als er mit ihm in den reich ausgestatteten Salon trat. »Nun setzen Sie sich in das

Sopha und ruhen Sie sich aus. Wir haben noch einige Stunden bis zur Tischzeit vor uns.«

»Sie haben hier so viele Freunde, daß ich vor lauter Vorstellen eigentlich mit keinem bekannt geworden bin«, sagte Dandon, sich behaglich niedersetzend.

»Sie sollen sie alle kennen lernen; ehrlich gesagt, zu viele Freunde ist auch eine Last«, entgegnete Harry.

»Aber auch eine Ehre«, fiel Dandon mit einer Verneigung des Kopfes ein.

»Wünschen Sie jetzt noch etwas? Wollen Sie etwas trinken oder essen, verehrter Freund, so dürfen Sie nur befehlen, dort hängt der Schellenzug«, sagte Harry. »Ich habe nun einige Besorgungen, die ich noch vor Tische abmachen kann, werde mich aber zeitig wieder bei Ihnen einfinden, um Sie zur Tafel zu geleiten.«

»Lassen Sie sich durch mich nicht von Ihren Geschäften abhalten; ich will ein wenig ruhen«, antwortete Dandon, worauf Harry ihn mit einem freundlichen Gruß verließ.

Er begab sich hinunter in das Gastzimmer, zündete eine Cigarre an und setzte sich an das offene Fenster. Es war nicht weit mehr von zwölf, Harry hatte nach der Uhr gesehen und schaute nun in der sandigen, rohen Straße hinauf und hinab. Nur einzeln eilte ein Neger vorüber, die weiße Bevölkerung setzte sich den senkrechten Strahlen der Sonne nicht aus. Kaum aber hatte es zwölf geschlagen, als in der Ferne vom Werfte her ein Mann in schmuzigem Leinenanzug mit einem alten, beschädigten, breitrandigen Palmblatthut auf dem Kopfe herangeschritten kam. Harry faßte ihn scharf ins Auge, denn er konnte in ihm den erwarteten Spieler Capper noch immer nicht erkennen. Und doch war es derselbe, und als Harry ihn erkannte, setzte er seinen Hut auf, ging in die Straße hinaus und gab, die Cigarre aus dem Munde nehmend, mit dieser Bewegung dem heranschreitenden Spieler zugleich einen Wink, ihm zu folgen. Dann ging er raschen Schritts in der Straße hinauf, wo in kurzer Entfernung die letzten Häuser standen, und folgte nun einem Fußpfad, der durch eine weite Grasfläche nach den Dünen und über dieselben hin an die Meeresküste führte. Die Sonne brannte glühend auf Harry nieder, doch der frische Seewind zog ihm kühlend entgegen und machte die Luft angenehm und erquickend. Er hatte sich einmal umgesehen und bemerkt, daß der Spieler ihm folgte, doch erst als er die Dünen überschritten und den öden Strand erreicht hatte, blieb er stehen und erwartete Capper.

»Sie sind ein Mann von Wort und pünktlich wie eine Kirchenuhr«, sagte Harry, ihm entgegentretend, und hielt ihm die Hand zum Gruße hin.

»Und bereit für Ihren Dienst. Worin besteht er?« entgegnete Capper und drückte Harry die Hand.

»Sie sollen morgen früh gegen elf Uhr auf wenige Minuten die Rolle des Mannes spielen, der mich betrügen will. Ich habe einen Anzug mitgebracht, genau so, wie dieser Mann ihn trägt, und da Sie eine auffallende Aehnlichkeit mit ihm haben, so wird Jedermann Sie für ihn halten. Heute Abend gegen zehn Uhr finden Sie sich bei den letzten Häusern, an denen wir vorübergingen, ein, damit ich Ihnen die Kleider einhändigen kann. Der Mann heißt Dandon und ist ein vornehmer eitler Geck, der in seiner Toilette seinen größten Stolz findet, und Sie müssen diesen Ausdruck in Ihre Erscheinung legen.«

»Das soll mir nicht schwer fallen«, entgegnete Capper; »ich bin in meiner Jugend Schauspieler gewesen.«

»Vortrefflich, lieber Freund!« fuhr Harry fort. »Nun hören Sie weiter. Morgen frühzeitig werfen Sie sich in die Kleider, die ich Ihnen diesen Abend zustellen werde, und machen eine Promenade hierher und an dem Strande hinaus, sodaß Sie gegen neun Uhr auf diesen Platz zurückkehren, wo ich Sie dann erwarten will. Wir gehen von hier zusammen in die Stadt, in wenigen Minuten ist das ganze Geschäft abgemacht und dann eilen Sie nach Ihrem Quartier zurück, ziehen diese Ihre Kleider wieder an und schiffen sich mit der allerersten Gelegenheit nach Neuorleans ein. Das ist die Arbeit, die Sie für mich thun sollen und für die ich Ihnen, ehe wir scheiden, tausend Dollars bezahle werde.«

»Und mit meinem besten Dank im voraus will ich sie ausführen«, antwortete Capper vergnügt.

»Apropos, ich habe Ihren ganzen Anzug mitgebracht, nur fehlen die Stiefeln, und diese, welche Sie anhaben, möchten schlecht zu der übrigen Kleidung passen; kaufen Sie sich heute ein feines Paar, damit Sie den Modeherrn vollkommen spielen können«, nahm Harry nochmals das Wort, drückte Capper dann die Hand und verließ ihn eilig auf Wiedersehen an diesem Abend. Als er wieder zu Dandon in den Salon trat, war derselbe eingeschlafen und träumte wahrscheinlich von der Plantage, den Negern und den dreißigtausend Dollars, die ihm dieselben einbrachten, denn ein behagliches, wohlgefälliges Lächeln, wie es sich oft bei dem Gedanken an seinen Reichthum auf seine Züge stahl, umspielte seine Lippen.

Harry blieb vor ihm stehen und lächelte gleichfalls, es war aber mehr das Lächeln eines Triumphs, mit dem er auf den Schläfer niederschaute, und zugleich lag etwas Verächtliches in seinem Blick, als fühle er seine große Ueberlegenheit über den kurzsichtigen, leichtgläubigen Mann.

»Nun, verehrter Freund«, sagte er, seine Hand auf Dandon's Schulter legend, »das Klima von Texas scheint Ihnen sehr gut zu bekommen, ein so wonniger Schlaf ist der beste Zeuge von ungetrübter Gesundheit. Wovon haben Sie geträumt?«

Dandon hatte bei der Berührung die Augen aufgeschlagen und sah Harry verwundert an, dann aber richtete er sich lächelnd auf und sagte:

»Wahrhaftig, ich glaube, ich war im Geiste schon auf unserer Plantage am San-Bernard! Da sehen Sie, wie sehr ich danach verlange.«

»Machen Sie Toilette, das Tamtam wird bald zu Tische rufen!« versetzte Harry und sagte Dandon, daß auch er sich bereit machen und ihn dann abholen wolle.

Bald darauf saßen die beiden Compagnons in dem Speisesaale vor der reich besetzten Tafel und fröhnten den Genüssen, welche die französische Küche ihnen bot. Freilich hatte sich auch ein Anklang der spanischen hineingeschlichen, denn die Speisen waren so stark mit spanischem Pfeffer gewürzt, daß Dandon wiederholt den Mund aufsperrte, um kühle Luft in denselben einzulassen, ganz wie die Hühner zu thun pflegen, wenn sie der heißen Sonne ausgesetzt werden. Harry aber kam ihm dann immer zu Hülfe, indem er sein Glas mit gekühltem

Champagner füllte und ihn durch irgend einen Toast zum Trinken aufforderte.

»In diesem Lande scheint Alles heiß zu sein; in der Sonne zerfließt man, beim Essen verbrennt man und beim Trinken erglüht man«, sagte Dandon lachend, indem er sein leeres Glas auf den Tisch stellte.

»Das Transspiriren bekommt vortrefflich, der spanische Pfeffer hält das kalte Fieber ab und der Champagner belebt«, fiel Harry ein, füllte die Gläser abermals und sagte dann, das seinige erhebend:

»Möge Ihnen unser Klima recht gut bekommen, verehrter Freund!«

Dandon trank mit erhöhter Begeisterung sein Glas aus und fragte dann mit muthiger Stimme:

»Wann brechen wir denn nach dem San-Bernard auf?«

»Nun, ich denke übermorgen, wenn es Ihnen genehm ist«, antwortete Harry.

»Genehm? Ich dürste nach der Prairieluft, meinetwegen können wir morgen schon reisen«, versetzte Dandan und schob ein Stück Antilopenbraten zwischen seine Lippen.

»Den morgigen Tag möchte ich wohl zur Ruhe vor unserm langen Ritte vorschlagen«, nahm Harry wieder das Wort. »Außerdem, verehrter Freund, wäre es mir lieb, wenn Sie die Mühe und Zeit daran wenden wollten, alle Rechnungen und Belege sowie das Inventar unseres Geschäfts durchzusehen, dann sind Sie doch vorbereitet auf den Augenschein, den Sie nehmen sollen, und besser im Stande, ein Urtheil zu fällen. Ich dachte, daß Sie dies Geschäft am besten morgen früh vornehmen könnten.«

»Mein Gott, Freundchen, haben Sie denn die Papiere bei sich?« fragte Dandon mit aufstrahlendem Blick.

»Ja wohl. Ich wollte sie Ihnen schon in Natchez vorlegen, da fehlte aber immer die Ruhe, denn man muß solche Arbeiten gründlich anfassen oder gar nicht. Aber morgen früh ist nichts vorhanden, was Sie abziehen oder unterbrechen könnte. Nach dem Frühstück schließen Sie sich in Ihrem Salon ein und öffnen nicht, und wenn der Kaiser von Marokko selbst Ihnen seine Aufwartung machen wollte. Sie können ganz gut bis zum Mittagsessen mit dem Durchsehen der Papiere fertig werden, auch wenn Sie sich kleine Notizen und Auszüge daraus machen wollen.«

»Gern, gern, Herzensfreund, gehe ich morgen früh gleich nach dem Frühstück an die Arbeit, und Sie sollen Ihre Freude an mir erleben. Wenn es gilt, kann Apollo Dandon schaffen wie Wenige!« sagte dieser mit unternehmendem Tone und richtete sein rothglühendes, fettglänzendes Antlitz auf seinen jungen Associé.

»Den Kaffee lassen Sie uns auf dem Balkon vor Ihrem Zimmer trinken, dort ist es luftig und kühl, denn die Sonne trifft ihn nicht mehr und dort wird uns eine feine Cigarre ganz vortrefflich schmecken«, sagte Harry nach gehaltener Mahlzeit, ergriff den Arm seines augenblicklich etwas schwerfälligen Compagnons und führte ihn hinauf und durch sein Zimmer auf den Altan.

Sie setzten sich hinter dem leichten Eisengeländer in Armsesseln nieder, ließen sich von der frischen Seeluft umfächeln und schwelgten in dem Genusse, den ihnen der starke Kaffee und die feine Cigarre gewahrten.

Die Straßen hatten sich ungewöhnlich belebt, denn am folgenden Tage sollte eine politische Versammlung in Galveston abgehalten werden, wozu eine große Zahl von Bewohnern des Festlandes schon heute auf die Insel gekommen war. Harry war mit diesen ebenso gut bekannt wie mit den Einwohnern von Galveston, und von beiden wurden ihm im Vorüberschreiten viele Grüße nach dem Balkon heraufgewinkt, welche Dandon dann immer zugleich mit ihm erwiderte.

Als aber die Sonne sich neigte, ließ Harry ein Cabriolet aus dem Miethstall holen und bestieg dasselbe mit seinem Compagnon, um die Kühle des Abends zu genießen. Er fuhr Dandon hin und her durch die belebten Straßen der Stadt und dann hinaus an den Meeresstrand, wo jetzt Hunderte von Herren und Damen zu Fuß, zu Pferd und zu Wagen erschienen. Allenthalben wurde er begrüßt, und mit Neugierde wurde der fremde Herr im kaffeebraunen Rock und mit der gelben Weste betrachtet, doch bei keinem seiner Freunde hielt Harry an, sodaß Dandon keine Gelegenheit geboten wurde, Bekanntschaften zu machen.

Das Abendessen stand schon auf dem Tisch, als sie in das Hotel zurückkehrten, und gleich nach demselben begleitete Harry seinen Freund auf sein Zimmer und rieth ihm, sich früh zur Ruhe zu begeben, damit er am folgenden Morgen zur Arbeit frisch sei. Dandon war durch das viele Essen und Trinken sowie durch die lange Fahrt in der Seeluft ermüdet und ging schon vor zehn Uhr zu Bett, während Harry um diese Zeit mit dem Anzug für Capper nach den bezeichneten letzten Häusern eilte und ihn demselben übergab.

»Hier nehmen Sie auch diese Uhr mit goldener Kette«, sagte Harry zu dem Spieler und fügte dann lachend hinzu: »Ich erbitte sie mir aber morgen wieder zurück, sie gehört nicht zu dem Anzug, den Sie nach Belieben verwenden können; doch würde ich Ihnen rathen, später die goldenen Knöpfe des Fracks gegen andere zu vertauschen.«

Harry machte seinen Helfershelfer nun noch auf viele Eigenthümlichkeiten in der Erscheinung Dandon's aufmerksam, gab ihm verschiedene Winke in Bezug auf Bewegung und Benehmen und schied dann von ihm auf Wiedersehen um neun Uhr am folgenden Morgen auf dem Strande.

Der Tag kam, und kaum hatte das Tamtam zum Frühstück gerufen, als Dandon sich mit Harry im Speisesaal einfand und beide eilig ihr Morgenmahl zu sich nahmen.

Kaum hatte Dandon es aber beendet, als er sich rasch erhob und mit geschäftigem Eifer zu Harry sagte: »Nun an die Arbeit, Freund, ich bin so recht dazu aufgelegt.«

»Das freut mich zu hören, ich werde Ihnen sogleich das Material dazu in Ihr Zimmer bringen«, antwortete Harry, eilte auf seine Stube und trug dann einen ganzen Stoß von Papieren zu Dandon in dessen Salon. Dieselben enthielten die von Ashmore Williams geführten Rechnungen über die Geschäfte auf der Plantage sowie über das ganze Inventar auf derselben.

»Hier, verehrter Freund, haben Sie den Nachweis über den Stand unseres gemeinschaftlichen Besitzes, und nun bitte ich, sich durch nichts in der Durchsicht dieser Documente stören zu lassen. Haben Sie noch etwas nöthig, so befehlen Sie es vorher bei dem Kellner, dann aber verschließen Sie Ihre Thür und geben Niemand mehr ein Lebenszeichen von sich, bis Sie Ihre Aufgabe gelöst haben.«

Mit diesen Worten hatte Harry seinem Compagnon die Papiere übergeben, derselbe geleitete ihn mit dem Bemerken, daß er sofort an die Arbeit gehen werde, an die Thür und verschloß dieselbe hinter sich, daß das Schloß laut erklang.

AIs Harry dies hörte, wandte er sich lächelnd nochmals nach der Thür um, ging dann nach seinem Zimmer, um seinen Hut zu holen, und begab sich nun auf den Weg nach der Meeresküste. Als er über die Dünen stieg und den ersten Blick auf den Strand warf, brach er in ein schallendes Gelächter aus, denn der leibhaftige Dandon schritt ihm von dort entgegen.

»Kostbar! Unvergleichlich!« schrie er dem heranschreitenden Capper zu, der, wie ein Pfauhahn sich brüstend, seine gelbseidene Weste glatt strich und mit der schweren goldenen Uhrkette spielte. »Nein, eine solche Komödie ist noch nie in dieser Welt aufgeführt worden. Bei Gott, ich selbst würde, wenn ich Ihnen anderswo begegnete, darauf schwören, daß Sie der alte Narr Dandon in eigener Person wären!«

Die Aehnlichkeit war aber auch in der That ganz unglaublich und überraschend und Harry zweifelte nicht im geringsten mehr daran, daß seine geistige Ueberlegenheit über die gewöhnlichen Menschen abermals triumphiren werde. Er nahm den Arm Capper's und ging mit ihm nach der Stadt zurück.

Es war nicht lange nach neun Uhr, als Harry mit seinem falschen Compagnon am Arme durch eine Seitenstraße unweit des Werftes in die Hauptstraße einbog. Dort war es sehr belebt, denn um elf Uhr sollte die politische Berathung beginnen und man sammelte sich in der Nähe des dazu bestimmten Lokals, um vorher noch Mancherlei mit einander zu besprechen. Namentlich vor den Trinkhäusern fand man sich zusammen, um die Beredungen und Begrüßungen mit einem Morgentrunk zu krönen.

Harry schritt mit dem falschen Dandon am Arme langsam durch die Menge hin, indem er mit größter Heiterkeit und Freundlichkeit die vielen Grüße, die ihm von allen Seiten zu Theil wurden, erwiderte, und ließ dabei seinen Späherblick um sich schweifen, um die Persönlichkeiten aufzufinden, die er suchte.

Plötzlich verdoppelte er mit seinem Gefährten seinen Schritt und eilte durch das Gedränge einem Trinkhaus zu, vor welchem eine Gruppe von Männern stand, die der bessern Gesellschaft anzugehören schienen.

Er trat nun langsam zu diesen hin, zog dabei mit einer nachlässigen Bewegung die gefälschte Abrechnung mit Dandon, welche er auf dessen von der Schrift befreiten Brief geschrieben hatte, aus der Tasche und legte dann mit einem zutraulichen: »Guten Morgen, meine Herren!« seine Hände auf die Schultern des Richters Jack und des Kaufmanns und zugleich Colonels Kinney, zwei der angesehensten Leute von Texas.

»Sieh, Williams!«  »Guten Morgen!« antworteten ihm beide und drückten ihm die Hand; Harry aber ließ sie nicht weiter reden, sondern sagte:

»Ich darf mir wohl eine Gefälligkeit von Ihnen erbitten, meine Herren. Mein Freund hier, Herr Dandon, und ich haben eine geschäftliche Abrechnung unter uns gemacht und bedürfen für dies Document den Namen zweier ehrenwerther Männer als Zeugen, und ein paar dieser Anforderung mehr entsprechende Persönlichkeiten, als Sie es sind, dürfte man in Texas wohl nicht finden.« Dann stellte er ihnen seinen Gefährten als Herrn Apollo Dandon von Natchez vor, und von beiden Seiten verneigte man sich höflich.

»Mit dem größten Vergnügen, lieber Williams«, sagten die beiden Herren nun zu Harry, und dieser bat sie, mit ihm in das nahe Geschäftslokal des Friedensrichters Turner zu treten.

Dieser empfing sie freundlich, und indem Harry ihm die Hand reichte, sagte er:

»Ich muß Sie einen Augenblick stören, lieber Turner. Mein Freund, Herr Dandon aus Natchez, und ich haben Sie um Ihre gerichtliche Beglaubigung dieser zwischen uns gemachten Abrechnung zu bitten, und meine lieben Freunde, die Herren Jack und Kinney, wollen so gütig sein, ihre Namen als Zeugen darunter zu setzen.«

Der Friedensrichter nahm Harry das ihm hingehaltene Papier aus der Hand, trat damit an sein Pult und reichte dem Richter Jack und dann dem Obersten Kinney seine Feder hin, welche beide ihre Namen unter das gefälschte Domment setzten. Dann trat Harry mit ihnen zur Seite und stellte einige Fragen in Bezug auf die heutige Versammlung an sie, während der falsche Dandon zu dem Friedensrichter an das Pult ging, als wolle er sich von der Richtigkeit der Unterschriften und der Beglaubigung überzeugen.

Kaum aber hatte Turner sein Siegel unter seinen Namenszug geschlagen, als Harry das Papier ihm abnahm, eine Fünfdollarnote auf das Pult legte und mit den Worten: »Ich komme nachher wieder vor, jetzt bin ich in der Eile!« seinen falschen Compagnon beim Arme nahm und den beiden Zeugen tausend Dank sagend in die Straße hinauseilte.

Er schritt mit Capper schnell in das dichteste Menschengewühl und dann einer Seitenstraße zu, durch welche er bald nach einem entferntern, jetzt menschenleeren Theile der Stadt gelangte.

»Abgemacht!« sagte Harry mit leisem, aber jubelndem Tone. »Verdammt, wenn dies nicht mein Meisterstück war!«

Dabei zog er ein Papier aus der Tasche hervor und reichte es dem Schwindler mit den Worten:

»Hier sind Ihre tausend Dollars mit meinem Dank für Ihre Hülfe. Nun aber eilen Sie sich, daß Sie ungesehen aus dieser Fasanentracht herauskommen, und verlassen Sie mit dem ersten Schiff, und wenn es ein Fischerboot wäre, diese Insel.«

Capper nahm das Papier mit dem Gelde, dankte für die ihm gegebene Arbeit und empfahl sich für gelegentliche fernere Beschäftigung, indem er Harry zum Abschied die Hand reichte und sich von ihm wandte.

»Hollah, Capper, meine Uhr! Bei Gott, die hätte ich bald vergessen«, rief ihm Harry zu, wobei der Spieler ein einfältig lächelndes Gesicht machte und, die Uhr ihm hinreichend, sagte:

»Wirklich, auch ich hätte sie beinahe vergessen.«

Harry steckte sie in seine Tasche, ersuchte Capper nochmals, sobald als möglich sich von der Insel zu entfernen, drückte ihm zutraulich dabei die Hand und eilte dann von ihm hinweg und durch eine Seitenstraße seinem Hotel zu.

Er schritt leise an Dandon's Zimmerthür und blieb lauschend vor derselben stehen, bis sein Compagnon einmal hustete und ihm dadurch verrieth, daß er noch eifrig an seiner Arbeit sitze. Darauf ging Harry in sein Zimmer, warf sich in das Sopha und zog das für ihn jetzt so werthvolle gefälschte Document aus der Tasche hervor.

Mit einem Triumph im Blick schaute er auf das Papier. Da standen sie, die Namen der beiden angesehensten, würdigsten Männer von Texas und gaben Zeugniß, unumstößliches Zeugniß, daß Harry seinem Compagnon Dandon nicht einen Dollar mehr schulde.

Seine Züge erglühten im Bewußtsein seines Siegs, seine Augen erglänzten im Gefühl seiner geistigen Ueberlegenheit, und das Papier zusammenfaltend und wieder in seine Tasche schiebend, sagte er:

»Wo gibt es ein besseres Kapital als die Menschen selbst!«

Dandon saß eifrig an seinem Schreibtische, machte sich Notizen über sein bedeutendes Vermögen in der Plantage am San-Bernardflusse, und kurz vor dem Mittagsessen hatte er die Arbeit zu seiner größten

Zufriedenheit beendet. Mit freudestrahlendem Antlitz trat er, den Stoß Papiere in der Hand, zu Harry in das Zimmer und sagte:

»Nun, mein theurer, liebenswürdiger Associé, was sagen Sie jetzt zu Apollo Dandon? Ist er nicht ein Arbeiter, wie er im Buche steht? Fix und fertig, sage ich Ihnen, und auch nicht eine Zahl übersehen. Die Sache steht brillant und Ihr Bruder verdient eine besondere Anerkennung für seine Leistungen. Wir sind es ihm schuldig, ihm eine besondere Gratification von einigen hundert Dollars zukommen zu lassen.«

Harry verzog bei den letzten Worten Dandon's die Lippen zu einem verächtlichen Lächeln, nahm die Papiere in Empfang und sagte:

»Sie sind ein wahres Arbeitsgenie, verehrter Freund. Sie haben denselben Grundsatz wie ich: Was man thun will, soll man mit ganzer Seele thun oder es unterlassen. Sie sind also zufrieden?«

»Zufrieden? Nein, ich bin überglücklich und kann kaum den Augenblick erwarten, wo ich mit eigenen Augen unsere Schätze sehen werde. Es bleibt doch dabei, daß wir morgen früh reisen?«

»Unwiderruflich«, antwortete Harry. »Ich habe schon einen Wagen bestellt, der uns an die Westspitze der Insel bringen soll; von da lassen wir uns an das Festland

übersetzen, besteigen die bestellten, dort unser harrenden Pferde, und dann geht es in einer Tour bis auf die Plantage. Es wird ein harter Ritt werden, verehrter Freund, und erst spät in der Nacht können wir unser Ziel erreichen.«

»Apollo Dandon kann viel, wenn es nöthig ist«, versetzte dieser, sich in die Brust werfend, und noch beriethen sie ihre Reise, als sie zu Tische gerufen wurden.

Nachmittags lud Harry wieder seinen Compagnon in ein Cabriolet und führte ihn in Parade durch die Stadt und dann hinaus nach der prächtigen See, von wo sie erst spät zum Abendessen zurückkehrten, sodaß Dandon wieder keine Gelegenheit geboten wurde, persönliche Bekanntschaften zu machen. Dann gingen sie früh zu Bett und am folgenden Morgen, noch lange vor Tagesanbruch fuhren sie schon auf dem Strande hin nach dem westlichen Ende der Insel. In einem Nachen setzten sie über den schmalen Arm der Bai nach der Küste hinüber, dort bestiegen sie die bereitgehaltenen Pferde und gegen Mitternacht erst langten sie auf der Plantage am Bernardflusse an.

Dandon war mehr todt wie lebendig. Die ungewohnte schaukelnde Bewegung auf dem paßgehenden Pferde hatte ihn sehr empfindlich berührt und schon vor Ablauf einer halben Stunde nach seiner Ankunft lag er ausgespreizt auf seinem Ruhelager und träumte von dem harten Sattel und dem unermüdlichen Rosse.

Lucy war durch einen Brief Harry's von der Plantage entfernt worden und befand sich bei Colonel Jack, wo sie schon seit langer Zeit einen Besuch zugesagt hatte, sodaß sie Dandon nicht begegnen und erkennen konnte.

Am folgenden Tage beschränkten sich, weil Dandon sehr ermüdet war und das Reiten nicht vertragen konnte, seine Wanderungen auf die nahe Umgebung des Wohngebäudes; er besuchte mit Harry das Milch- und Rauchhaus und sah mit Wohlgefallen dort die Vorräthe, dann begab er sich nach den Negerhütten, ließ sich die farbigen Kinder vorführen und durchwanderte den Obst- und Gemüsegarten, und abends, als die Sklaven aus den Feldern zurückkehrten, ließ er sie sämmtlich an sich vorüberparadiren, sprach Worte des Lobes zu ihnen und sagte ihnen, daß sie es immer recht gut bei ihm und Herrn Williams haben sollten.

Am nächsten Morgen aber nach dem Frühstück fühlte er sich wieder so erfrischt, daß er es unternahm, ein Maulthier zu besteigen, über dessen Sattel eine dicke wollene Decke ausgebreitet lag, und ritt nun mit Harry in die Felder, um den Reichthum mit eigenen Augen zu betrachten, der dort für ihn der Erde entstieg. Auf den unabsehbaren Baumwollenfeldern glänzte die von den Stauden in langen Troddeln herabhängende schneeige Wolle aus deren frischem Grün hervor, während die Farbenpracht der Blüten ihre Spitzen krönte. Es war ein prächtiger, dem Auge des Beschauers wohlthuender Anblick; auf Dandon aber machte er einen besonders angenehmen Eindruck, denn er sah im Geiste schon die schöne Wolle in Geld verwandelt und überdachte, wie er die Kapitalien am vorteilhaftesten anlegen könnte.

Von den Feldern ritten sie hinaus in die Grasfluren und suchten die dort weidenden Heerden auf, und auf dem Rückwege nahmen sie die Baumwollenmühle und die Presse, wo die Wolle verpackt wurde, in Augenschein, denn das Pflücken derselben hatte begonnen und täglich wurde eine große Anzahl von Ballen zum Versenden fertig gestellt.

»Wir haben nun noch nicht bestimmt, an welches Haus in Neuorleans wir unsere Baumwolle zum Verkauf senden wollen«, hob Dandon hier an. »Ich schlage jedenfalls Hardridge & Comp. daselbst vor. Sie sind langjährige Freunde von mir und wir können uns auf deren Pünktlichkeit und Rechtlichkeit verlassen.«

»Sehr wohl, verehrter Freund«, antwortete Harry. »Das wollen wir thun.«

»Und dann wollte ich Sie noch bitten, die Ballen mit unserer gemeinschaftlichen Firma Dandon & Williams zu bezeichnen; die beiden Namen zusammen werden einen guten Klang in der kaufmännischen Welt haben.«

»Ganz wie Sie es wünschen, bester Freund«, entgegnete Harry. »Also Dandon & Williams!«

»Ja wohl. Ich glaube, das wird gut sein«, sagte Dandon, sich die Hände reibend.

Harry bot Alles auf, um seinem Compagnon das Leben auf der Plantage so angenehm wie möglich zu machen; er hatte für Küche und Keller sowie für seine Cigarren beste Sorge getragen, ritt täglich ganz nach Dandon's Wunsch mit ihm umher, ging mit ihm auf die Jagd und fischte mit ihm in dem schönen San-Bernard, und die Abende verbrachte er mit ihm unter der luftigen, von duftig blühenden Schlingpflanzen und Rosen umrankten Veranda, wobei ein junges hübsches Negermädchen dem Alten mit einem Pfauenschweif Kühlung zuwehen mußte.

So verbrachte Dandon einige Wochen im ungetrübten Glauben an das Glück, welches ihm aus dieser Plantage erwuchs, und es wurde ihm schwer, sich von ihr zu trennen. Er that es auch nur mit der festen Erklärung, bald wieder kommen zu wollen und dann jedenfalls in Begleitung seines geliebten Kindes Blancha, deren Alleinsein ihn jetzt nach Natchez zurückziehe.

Harry sprach seine größte Freude über diese beglückende Zusicherung aus und begleitete dann seinen entzückten Compagnon nach Galveston zurück.

Dort führte er ihn abermals zur Schau durch die Stadt und nahm insbesondere einen Augenblick wahr, wo er wußte, daß er die bei seinem Betrug als Zeugen benutzten Herren Jack und Kinney, nach eingenommenem Morgentrunk unter der Veranda eines Trinkhauses finden würde, mit Dandon an diesen vorüberzugehen, wobei er ihnen seinen Gruß zuwinkte und, rasch vorbeischreitend, zurief:

»Nochmals unsern Dank für Ihre Freundlichkeit!«

Mit größter Umsicht aber hielt er Dandon von jeder Unterhaltung mit einem Dritten fern und wünschte ihm nach zweitägigem Aufenthalt eine recht vergnügte, glückliche Reise nach Neuorleans, die der alte betrogene Mann auf einem dorthin abgehenden Dampfboot antrat.

Kaum hatte der Dampfer das Werft verlassen, als Harry zu dem Countysecretär, welcher die Hypothekenbücher führte, eilte und ihm die gefälschte Abrechnung zum Eintragen in dieselben übergab. Sobald dies Geschäft aber abgemacht war, ließ er sich nach dem Festlande übersetzen, ritt zu Colonel Jack, um die Nacht bei ihm zu bleiben, und kehrte dann am folgenden Morgen mit Lucy auf seine Plantage zurück.


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