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Der wilde Rechenberger

Der Wanderer, der auf der Bahnstrecke Aalen-Crailsheim in Station Stimpfach aussteigt, um die aussichtsreichen Kuppen der Ellwanger Berge zu besuchen, kommt nach einstündigem, genußreichem Marsch durch schattendämmernden Hochwald hinauf zu dem Dörflein Rechenberg.

Malerisch liegt es da, rings umgeben von lockendem Forst, und aus tiefgegrabenem Waldtale blinkt das klare Auge eines prächtigen Bergsees von stattlicher Ausdehnung träumerisch herauf zu den Häusern des Dorfes. Jäh über den glitzernden Wassern des Sees ragt noch heutigen Tags ein festes Schloß auf; Turm und Kemenate spiegeln sich in der kristallenen Flut, aus deren Tiefen zu geruhsamen Stunden ein Raunen und Flüstern kommt, gleich als stiegen viele Geister auf aus ihren unterirdischen Kammern, den Nachgeborenen erzählend von der Vorvordern Tun und Treiben, Leben und Streben, Ringen und Sterben. Und von einem wissen sie besonders viel zu sagen: von einem Ritter Wilhelm, der ehedem zu Rechenberg in der Burg saß. Der war ein gar rücksichtsloser Herr, und männiglich nannte ihn weitum im Frankenland eben nicht anders als den »wilden Rechenberger«. Als der noch ein Junker war, reiste er einst mit seinen Knechten einem fremden Herrn zum Willkomm entgegen. In einer Feldkapelle nächtigte er. Da er nun des Morgens weiter ritt, ließ er seine Handschuhe in der Kapelle liegen. Er schickte deshalb einen Diener zurück; der sollte das Vergessene holen.

Der Reitknecht kam zurück so bleich:
»Die Handschuh' hole der Teufel Euch!
Es sitzt ein Geist auf der Bahre;
Es starren mir noch die Haare.

Er hat die Handschuh' angetan
Und schaut sie mit feurigen Augen an,
Er streicht sie wohl auf und nieder;
Es beben mir noch die Glieder.«

Da ritt der Junker zurück im Flug;
Er mit dem Geiste sich tapfer schlug,
Er hat den Geist bezwungen,
Seine Handschuh' wieder errungen.

Da sprach der Geist mit wilder Gier:
»Und läßt du sie nicht zu eigen mir,
So leihe mir auf ein Jährlein
Das schmucke, schmeidige Pärlein!«

»Ein Jährlein ich sie dir gerne leih',
So kann ich erproben des Teufels Treu':
Sie werden wohl nicht zerplatzen
An deinen dürren Tatzen.«

Doch wehe dem, der den Teufel einmal schwach gesehen. Das sollte auch der Rechenberger erfahren. Er ritt bald darnach, wie er oft zu tun pflegte, spät in der Nacht von Hall heim nach Rechenberg. In Hall hatte er mit dem Kecken, dem Honhardter, dem Hellmannshofer, dem Rappenburger und dem Schenken von Limpurg beim Wein lange gezecht. Als er nun in den Wäldern um Bühlertann war, siehe da erhub sich mit einemmale in den Lüften ein Brausen und Sieden, ein Heulen und Stöhnen und Wimmern, als ob alle Unholde der Unterwelt losgelassen wären: das Muotisheer zog durch die Wälder, und ehe sich's der Rechenberger versah, war er von seinen Genossen abgesprengt. Die wilde Jagd aber verfolgte ihn, der sein Heil in der Flucht suchte, unaufhörlich. Und als er sie nun endlich, außer stande weiterzustürmen, an sich vorüberziehen ließ, da sah er am Schluß des wilden Heeres einen schwarzen Reiter im grünen Sammetwams. Der führte ein lediges Pferd am Halfterband. Da nahm sich der Rechenberger ein Herz und fragte, wem das Roß gehöre. »Ei,« lautete die Antwort des Schwarzen, »das ist einem gewissen Wilhelm von Rechenberg, dem Wilden, aufbehalten. Der wird über ein Jahr zur nämlichen Stunde, auf eben diesem Roß zur Hölle reiten.«

Darob erschrak der Rechenberger gar sehr und ging alsobald in sich. Er bestellte seinen Haushalt und ritt schnurstracks ins Kloster des hl. Veit nach Ellwangen. Dort fand er offene Arme und dies umsomehr, als er nicht mit leeren Taschen kam: all sein Hab und Gut vermachte er dem Kloster um seines Seelenheiles willen, und er selbst diente dem hl. Veit als Marschall oder Stallmeister. Aber nicht lange, denn:

Am Tag, da selbiges Jahr sich schloß.
Da kaufte der Abt ein schwarz wild Roß;
Rechberger sollt' es zäumen,
Doch es tat sich stellen und bäumen.

Es schlug den Junker mitten aufs Herz,
Daß er sank in bitterem Todesschmerz.
Es ist im Walde verschwunden.
Man hat's nicht wieder gefunden.

Um Mitternacht, an Junkers Grab,
Da stieg ein schwarzer Reitknecht ab,
Einem Rappen hält er die Stangen:
Reithandschuh' am Sattel hangen.

Rechberger stieg aus dem Grab herauf,
Er nahm die Handschuh' vom Sattelknauf,
Er schwang sich in des Sattels Mitte;
Der Grabstein diente zum Tritte.

Das schwarze Roß trug den Rechenberger zur Hölle. Nun reitet er mit im Zuge der Geister im Muotisheer.

(Mündlich und nach L. Uhland von C. Schneiling.)


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