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Der weiße Falke.

Unter den Rittern, die sich im Jahr 1036 aufmachten, um unter der Führung des Herzogs Gottfried von Bouillon Jerusalem und das heilige Grab den Seldschucken zu entreißen, war auch einer namens Kuno vom Stein. Bei seinem Abschied hatte er zu seinem Weibe gesagt: »In einem Jahre bin ich wieder bei dir oder ich bin tot und du brauchst nicht länger auf mich zu warten!« Allein der Weg vom Schwarzwald nach Jerusalem ist weit, und Sonnenbrand und Nachtfrost, Hunger und Durst hatten sich mit den Schwertern der Sarazenen verschworen, den Kreuzfahrern das Vorwärtskommen soviel als möglich zu erschweren. Wie oft, ach wie oft, gedachte Kuno der frischen Tannenwälder seiner Heimat, des schattigen Bernecktales, über dem sich seine Burg trotzig und kühn auf breiten Granitfelsen aufbaute, wenn Roß und Mann mit hängenden Köpfen in der Mittagsglut durch die Steinwüsten Kleinasiens zogen. Freilich den deutschen Schwertern konnte kein Feind widerstehen, und unter Kampf und Sieg rückte das Heer der Kreuzfahrer vorwärts bis vor die Mauern Jerusalems. Der Ritter vom Stein hatte sich durch seine Tapferkeit unter Freund und Feind einen Namen gemacht, und sein Knappe trug schon manches Kleinod, das Kuno der geliebten Gemahlin bald als Beute heimzubringen hoffte. Denn der Fall Jerusalems stand nahe bevor und alsdann gedachte sich Ritter Kuno sofort nach dem Abendland einzuschiffen. Doch der Mensch denkt und Gott lenkt. Bei einem Streifzug, den Kuno mit seinen Gefährten unternahm, um für die ausgehungerten Rosse Futter zu schaffen, gerieten sie in einen Hinterhalt. Wohl sank unter des deutschen Ritters Streichen mancher Ungläubige in den Sand; allein aus vielen Wunden blutend konnte er sich der Übermacht der Feinde bald nicht mehr erwehren: der gewaltige Hieb eines krummen Türkensäbels raubte ihm die Besinnung, und als er erwachte, befand er sich an Händen und Füßen gefesselt in Gefangenschaft. Seine Wunden waren kaum geheilt, so wurde er als Sklave verkauft. Und nun begann für den deutschen Ritter eine traurige Zeit. Sein Herr spannte ihn an den Pflug und ließ ihn das Feld umackern. Und wenn unter der harten Arbeit die Kräfte zu schwinden drohten, so zwangen Peitschenhiebe den Armen, sein Alleräußerstes dran zu geben. Und nach des Tages Jammer wartete seiner ein kärgliches Brot und eine harte Lagerstätte und manche in Schmerz und Heimweh verseufzte schlaflose Nacht. So kam nach und nach der Tag heran, an dem sein Abschied von Herd und Heimat sich jährte. In düsterem Brüten saß Kuno einstmals des Nachts auf seiner Strohschütte und gedachte seines fernen Weibes und seiner Abschiedsworte, da sah er eine dunkle Gestalt vor sich aus dem Boden wachsen, und ehe er noch vor Schrecken ein Wort hervorbringen konnte, hörte er's kichern und raunen: »Morgen früh wird's gerade ein Jahr, Herr Ritter, daß Ihr auszoget. Wie würde Selindis sich freuen, ihren Gemahl umarmen zu können!« Kuno seufzte. »Wozu so traurig, Herr Ritter,« fuhr die Gestalt flüsternd fort, »wenn Ihr nur wollt, so sollt Ihr morgen früh vor eurem Schlosse stehen! Ich vermag viel.« Kuno warf sich in wildem Schmerz vor dem Gespenst auf die Knie. »Wer du auch seist,« rief er flehend aus, »führe mich fort von dieser Stätte der Qual, und ich will dir ewig dankbar sein.« »Ich habe dir schon gesagt, ich will dich bis zum Tagesanbruch auf deine Burg zum Stein bringen, freilich unter einer Bedingung.« »Und diese Bedingung? Nichts soll mir zu viel sein!« antwortete Kuno hastig. »Sie ist lächerlich klein,« versetzte die Gestalt. »Wenn du während der Reise einschläfst, so bist du mein mit Seele und Leib; bleibst du wach, so verlange ich nichts von dir, weder Gut noch Geld, weder Leib noch Seele.« Einen kurzen Augenblick besann sich der Ritter. Dann sprang er auf und rief mit heiserer Stimme: »Topp, es sei! Führe mich!« »Sachte,« versetzte der andere, »unterschreibe erst noch, was wir bedungen haben mit deinem Blute.« Mit diesen Worten hielt der Schwarze dem Ritter eine Feder und einen Pergamentstreifen hin. Auf dem standen die Bedingungen der Fahrt. Kurz entschlossen riß Kuno eine der Wunden auf, die ihm die Peitsche seiner Peiniger geschlagen hatte, tauchte die Feder in das hervorquellende Blut und unterschrieb. Mit schlauem Lächeln sah der andere zu, wußte er doch, daß Kuno schon seit drei Tagen und drei Nächten nicht geschlafen hatte. Dann nahm der schwarze Geist den Vertrag zu sich, stampfte auf den Boden und auf stieg ein schwarzer Löwe mit wallender Mähne. »Sitz auf!« befahl die Gestalt. Und kaum saß der Ritter auf dem Rücken des Tieres, so sprang die Türe des Kerkers geräuschlos auf, und wie ein Drache durch die Lüfte schießt, so stieg der Löwe in die Höhe, und in rasender Eile und doch sanft gewiegt trug's den Ritter hin nach Westen über Länder und Meere. Wie nun der Ritter auf dem warmen Fell des Löwen, die Hände tief in der dicken Mähne so ruhig dahinfuhr, als säße er im weichen Pfühl, da überkam ihn eine unwiderstehliche Müdigkeit. Seine Lider sanken und sein Haupt neigte sich vornüber. Da schwirrte es plötzlich über seinem Kopfe hinweg und streifte sein fliegendes Haar. Erschrocken fuhr der Ritter auf, und in die Höhe blickend sah er einen mächtigen Falken über sich schweben. Dankbar erkannte er die ihm von Gott gesandte Hilfe. Aber nach etlichen Stunden wollte ihn der Schlaf abermals übermannen, so daß er die Augen schloß und sein Haupt auf die Mähne des Löwen sank. Da flog der Falke zum zweitenmal heran und berührte mit weichem Schlag die Schläfe und die Stirne Kunos, so daß er sich schnell wieder aufraffte. Länder und Meere, Berge und Täler schwanden unter dem Reiter dahin. Aber wie sehr er sich nun auch anstrengte, wach zu bleiben, so drohte doch nach einigen Stunden zum drittenmal der Schlummer Augen und Haupt nieder zu zwingen; da erhielt er vom Flügel des Falken einen dritten heftigen Schlag ins Angesicht. Mit Entsetzen erwachte der Ritter aus seiner Betäubung und erkannte, welcher Gefahr er nun schon dreimal entronnen war. Da dämmerte in leichtem Grau der Morgen. In der Tiefe sah Kuno ein schwarzes Band dunkler Wälder.Der Flug des Löwen senkte sich zur Erde, und als eben der erste helle Streifen am östlichen Himmel sich zeigte, berührte der Ritter den geliebten Boden vor dem Tore seiner heimatlichen Burg.Der Pergamentstreifen fiel in zwei Stücke zerrissen vor Kuno nieder. Der schwarze Löwe war verschwunden. Zu gleicher Zeit aber erhob sich ein Heulen und Brausen in den Lüften, daß die Burg bis in die Tiefe der Felsen erbebte und die Tannen ächzend sich beugten. Als aber der erste Strahl der Sonne hinter den Bergen hervorbrach und die äußersten Zinnen der Burg vergoldete, da verstummte plötzlich das Unwetter. Der Ritter hob seine Augen auf und umsäumt vom goldnen Schimmer des Morgenlichts saß auf der höchsten Spitze des Turmes ein weißer Falke, der treue Warner des Ritters. Überwältigt vom Dank gegen den, der ihm den Falken gesandt, sank Kuno auf die Knie nieder und breitete seine Arme auf gen Himmel. Da erhob sich der weiße Falke von seinem Sitze und in immer weiteren Kreisen stieg er in majestätischem Fluge empor, bis er in den grauen Wolken des Morgenhimmels den Blicken des Ritters entschwand. Und nun eilte Kuno seiner Gattin in die Arme. Zum Andenken an seine Rettung aber nahm Kuno vom Stein den weißen Falken in sein Wappen auf und nannte seine Burg und sein Geschlecht ihm zu Ehren Falkenstein.

(Nach Schönhuth.)


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