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Die Glocke des Wunnensteins.

Im Jahre 1189 erscholl in allen deutschen Gauen der Ruf ins heilige Land, Jerusalem den Händen der Ungläubigen zu entreißen. Der Führer dieses Kreuzzugs war Kaiser Friedrich Barbarossa. Auch der Herr vom Wunnenstein schloß sich dem Heere an. Der Kaiser fand schon auf dem Hinweg im Saleph seinen Tod, zahllose Krieger starben bei Antiochia an der Pest dahin, und nur ein kleiner Rest beteiligte sich an der Belagerung von Akkon. Der Ritter von Wunnenstein war tief bekümmert über diesen traurigen Verlauf und tat das Gelübde, auf seiner väterlichen Burg eine Kirche zu bauen und darin den Herrn zu preisen sein Leben lang, wenn es ihnen durch göttlichen Beistand gelinge, die Festung einzunehmen und das begonnene Werk glücklich zu Ende zu führen. Und der Herr war ihnen gnädig, so daß sie die Stadt im Juli 1191 gewannen; doch erst nach drei Jahren kam der Ritter wieder zu Hause an, ganz entblößt von aller Habe. Aber von den reichen Pfründen seiner vielen Besitzungen baute er auf dem Vorderköpfle des Wunnensteins ein Gotteshaus, das er dem heiligen Michael weihte. Auf den Turm kam auch bald eine Glocke, die den Namen Anna Susanna erhielt, und von der man glaubte, daß sie die bösen Wetter vertreibe. Das Volk sang:

Anna Susanna,
Mußt schweba und hanga
Ufem Wünstemer Berg,
Mußt läuta und schlaga,
Mußt 's Wetter verjaga
Und hüta das Feld.
Anna Susanna!

Tust lieblich erklinga!
Wir steiga und singa
Und komma von fern.
Du rufst uns den Sega
Des Heilands entgega:
Di höra wir gern,
Anna Susanna!

Während es in der Umgebung des Berges nur selten hagelte, so ward die Stadt Heilbronn von starken Gewitterschäden oft heimgesucht: man glaubte in der Reichsstadt, die Wunnensteiner Herren hätten ihnen die bösen Wetter zugeläutet.

Als nun mit dem gleißenden Wolf das Geschlecht der Wunnensteiner 1413 ausstarb und das Kirchlein an das Stift Oberstenfeld kam, ergriffen die Heilbronner die Gelegenheit, die Wetterglocke durch Kauf an sich zu bringen, um sie auf den Kiliansturm zu hängen. Die Stadt wollte so viel Geld dafür bezahlen, als es ausmache, wenn man den Burgweg hinauf eine Reihe von Goldstücken eines an das andere lege. Der Kauf kam auch wirklich zustande.

Auf einem stolzen Wagen wurde Anna Susanna mit 12 Rossen abgeholt. Die Leute der Nachbarschaft klagten und weinten, aber es half sie nichts. Die Heilbronner jubelten, aber nicht lange. Es zog sich rasch ein schweres Gewitter zusammen; große Angst kam über die Heilbronner, und das nicht ohne Grund. Zwar kamen sie unversehrt nach Hause, aber als man die Glocke den Turm hinanzog, begann es schrecklich zu hageln, und der ganze Erntesegen ward vernichtet. Rasch wollte man die Glocke läuten, doch sie gab zur Verwunderung aller keinen Klang von sich.

Die Bürgerschaft kam hiedurch zu der Erkenntnis, daß sie durch diesen Handel den heiligen Michael aufs tiefste verletzt haben, als sie seinen freien Segen durch schnödes Geld sich aneignen wollten. Die Väter der Stadt faßten den Beschluß, die Unglücksbringerin wieder fortzuschaffen, denn das Unwetter wollte gar kein Ende nehmen. Zitternd lösten sie die Glocke, und als diese wieder auf ebener Erde angelangt war, verhallte allmählich der Donner. Die 12 Rosse konnten nicht genug eilen, den Wagen über die Grenze zu bringen; auf halbem Wege erlagen sie der Last, und in Gruppenbach mußten die Fuhrleute einen Vorspann nehmen.

Endlich näherte sich der Zug wieder der alten Heimat der Glocke. Die Bewohner des Dorfes Winzerhausen waren den ganzen Tag auf den Knien gelegen und hatten gefastet. Auf einen Wink des Meßpriesters erhoben sie sich endlich und schlugen den Weg Heilbronn zu ein, wo sie bald den Glockenwagen erblickten. Ein Bäuerlein pflügte gerade auf dem Felde, er spannte freudig seine Stiere aus, und mit leichter Mühe wurde die Glocke wieder an ihren alten Ort verbracht. Als die Sterne aufgingen, ertönte von selbst ihr frommer Klang durch die Lüfte.

Noch lange erfreute sich die Umwohnerschaft ihrer Wetterglocke Anna Susanna und ihrer Bergkirche. Das Volk wallfahrtete auch noch nach der Reformation dorthin, bis Herzog Christoph 1555 dies verbot und schon im folgenden Jahr die Niederreißung des Michaelskirchleins befahl. Die Glocke kam wohl zunächst auf den Turm der neuen Kirche in Winzerhausen. Im dreißigjährigen Kriege nahmen die Schweden das Glöcklein mit; das sei aber für ihr Kriegsglück verhängnisvoll gewesen, und sie sollen deshalb das alte Heiligtum, die Anna Susanna, bei Lauffen in den »Strudel« geworfen haben, wo die Wunnensteinglocke sich heute noch befinde.

(Aus Holder »Der Wunnenstein, Geschichte und Sage.« A. H.)


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