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I.

Das verwünschte Schloß.

Nach der Meinung des Volkes ist der Urschelberg hohl und birgt in seinem Innern, ein wundersames Schloß. Einst stand das Schloß auf dem Gipfel des Berges, da wo heute noch winters kein Schnee liegen bleibt. Ein mächtiger Zauber hat es aber in des Berges Tiefe verschlossen, doch soll es von Zeit zu Zeit sichtbar sein. Eine Frau aus Reutlingen kam einmal bei Nacht über den Urschelberg und sah plötzlich ein prächtiges Schloß vor sich stehen. Sie ging hinein und traf allda Männer und Frauen, die gaben ihr zu essen und zu trinken, so viel sie nur mochte. Als sie hierauf nach Pfullingen kam und die Leute fragte, wem denn das stolze Schloß da oben am Berge gehöre, wußte ihr niemand Auskunft zu geben.

Ein Mann aus Pfullingen hatte viel von diesem Schlosse gehört und ging deshalb einmal bei Nacht hinauf. Er fand dort auch richtig ein Schloß und zog an der Glocke, die an der Tür hing, worauf ein weißes Fräulein hervortrat und ihn fragte, was er wolle. Er war verlegen und wußte nicht, was er antworten sollte, und sagte deshalb, er sei verirrt. Da holte das Fräulein eine Laterne und führte ihn traurig nach Pfullingen hinab. Auf dem Wege fragte er sie mancherlei, erhielt aber keine Antwort. Endlich als er bei seinem Hause war, zeigte das Fräulein darauf hin und sprach: »Da geht's hinein!« Dann wandte es sich um und ging auf den Berg zurück.

Noch Wunderbareres ist aber einer Pfullinger Hebamme passiert. Zu ihr kam eines Abends ein kleiner »unterirdischer« Mann und bat sie, mit in das unterirdische Schloß des Urschelberges zu kommen. Die Hebamme ging mit, und wie sie nun eine Weile miteinander gegangen waren, so verband das Männlein der Frau die Augen und führte sie durch eine geheime Türe in den Berg. Nachdem sie ihr Geschäft verrichtet und reichlich gegessen und getrunken hatte, sagte das Männlein: »Geld Hab' ich nicht; aber deinen Lohn Hab' ich dir in die Schachtel da gelegt. Öffne sie aber nicht eher, bis du zu Hause bist«. Darauf führte er sie wieder mit verbundenen Augen aus dem Berge und ließ sie nicht weit vom Ort auf dem Felde stehen. Weil die Schachtel so leicht war, wollte die Frau wissen, was sie enthalte. Sie öffnete sie und sah bei dem Schein ihrer Laterne, daß drei Strohhalme darin lagen. Etwas ärgerlich darüber, machte sie die Schachtel wieder zu und ließ dabei einen Strohhalm herausfallen. Als sie jedoch am andern Morgen zu ihrem Mann sagte: »Jetzt guck einmal, was ich gestern verdient habe!« und die Schachtel aufmachte, da lagen zwei Stangen hellen Goldes darin. Mann und Frau eilten nun hinaus auf den Weg, wo sie die Schachtel geöffnet hatte, und suchten den herausgefallenen Strohhalm, fanden aber nichts mehr.

(Nach Meier von R.)


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