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IV.

Der Hirte von Eibensbach.

Auf den breiten Mauern der Burgruine Blankenhorn sah man früher, wie alte Leute sich erzählen, zuweilen eine weibliche Gestalt im Trauergewande mit einem Säugling im Arm wehklagend hin- und herwandeln und hörte sie im Heulen des Sturmes um Rache schreien. Es war die erste Gemahlin Wolfs, des letzten Ritters vom Geschlecht der Blankenhorner.

Ein armer Kuhhirte aus Eibensbach sah an einem Herbstabend auf dem Heimweg mit seiner Herde eine besonders große Schlüsselblume blühend stehen, die ihm – auch wegen ihrer ungewöhnlichen Blütezeit – besonders auffiel und die er deshalb auf den Hut steckte. Alsbald fühlte er einen Druck auf dem Kopf, und wie er den Hut abnahm, hing statt der Blume ein schwerer silberner Schlüssel daran, und vor ihm stand eine schneeweiße Frau, die ihn freundlich anredete, er möge den Schlüssel nur gleich versuchen; damit deutete sie auf eine Türe, die der Hirte plötzlich am Bergeshang entdeckte. Er dürfe, fügte sie hinzu, von den reichen Schätzen im Innern des Berges soviel mitnehmen, als er nur wolle und könne, doch soll er hernach das Beste nicht vergessen, – sie selbst aber sei nun durch ihn erlöst. Damit verschwand die freundliche Erscheinung.

Der Hirte ging rasch ans Werk, kam durch die gezeigte Türe in ein Gewölbe und nahm reichlichen Gewinst in den Taschen und Ärmeln seiner Kleider mit sich fort; doch ward er auf einmal von unüberwindlichem Grauen ergriffen und eilte rasch von hinnen, wobei er den Schlüssel vergaß.

Sein unverhoffter Reichtum erschien ihm in der Nachbarschaft des Berges selbst recht unheimlich. Und da man ihn vielfach beneidete oder wenigstens mißtrauisch ansah, so wanderte er nach Amerika aus, wo es ihm recht gut erging. Er schrieb einst in die Heimat zurück:

Durch Eibensbach und Blankenhorn
Bin ich zum reichen Mann geworn.

Nach anderem Bericht lautete sein Vers:

Das Blankenhorn bei Eibensbach
hat mich nebst Kindern reich gemacht.

A. H.


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