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V.

Die Jungfrauen von der Schalksburg.

An dem Weg, der vom Eyachtal zur Schalksburg hinaufführt, stand vor Zeiten ein uralter Ahornbaum. Als einziger Laubbaum im dunkeln Tannenforst war er so recht das Bild der Verlassenheit. Seine knorrigen Wurzeln klammerten sich, wie um gegen feindliche Mächte sich zu stemmen, in das weiße Steingeröll, und Hilfe heischend reckten sich des morschgewordenen Stammes ungefüge Äste zum Himmel empor. Der weiche Westwind und die goldene Sonne spielten aber gerne mit den schöngezackten Blättern; und wenn im Frühling der erste Kuckucksruf ins grünende Tal herniederscholl, dann kam er gewißlich aus der weiten Krone dieses Baumes. Wer von den Bewohnern des Tales zur Burg hinaufstieg, ging nur mit geheimem Grauen an dem Baume vorüber. Hatte man doch schon nächtlicherweile Flammenschein unter ihm gesehen und gespenstische Schatten hin und herhuschen, und alte Männer wußten geheimnisvoll zu erzählen, daß der Baum zur Heidenzeit ein Götzenbaum gewesen sei, unter dem man den greulichen Heidengöttern Gaben dargebracht habe. – An einem schönen Sonntagnachmittag gingen einige junge Bursche von Laufen auf die Schalksburg. Von dem alten Turme aus schauten sie hinab ins Tal und hinüber zum Gräbelesberg, zum Hörnle und zum Lochenstein, und wie die gewaltigen Berge der Balinger Alb alle heißen. Sie durchschritten auch die Gräben und Mauerreste, noch die einzigen Zeugen einer früheren Herrlichkeit, und erzählten sich von den Schätzen, die der Sage nach in den unterirdischen Gewölben begraben liegen sollen. Denn die Schalksburg war vor Zeiten eine mächtige Burg und vielleicht gar die Wiege der Zollerngrafen gewesen, und vor noch älterer Zeit soll sie den Bewohnern der weitesten Umgegend als Zufluchtsort und Burg in Not und Gefahr gedient haben. Dazu war sie wie wenige von Natur aus geeignet; denn der Zugang zu ihr von der Hochfläche des Gebirges aus ist so schmal, daß kein Wagen darauf fahren kann, und so hoch, daß die höchsten Tannen in der grausigen Tiefe dem Auge wie ein junger Hau erscheinen. Während die Jünglinge sich so miteinander unterhielten, sahen sie plötzlich zwei schöne Jungfrauen auf den Trümmern der Burg sich ergehen. Vermeinend es wären lebendige Menschen, scheuten sie sich nicht, sie zu fragen, wer sie wären und wie so schöne Fräulein in diese wilde Einöde kämen. Die Fräulein antworteten: »Wir sind nicht mehr am Leben, wie ihr glaubt, sondern sind gebannte Geister und müssen die Schätze hüten, die in den Gewölben der Burg verborgen liegen, bis einer kommt und uns erlöst. Wollt ihr uns erlösen, so tut also: Drunten am Fuße der Burg, mitten im Tannenwald, findet ihr einen Ahornbaum. Er ist der einzige im Walde. Mit ihm ist aber unser Schicksal aufs engste verbunden; denn solange dieser Baum steht, dürfen wir nicht zur Ruhe eingehen, hauet den Baum um und schneidet ihn zu Brettern und machet eine Kinderwiege daraus und nehmet dann ein unschuldiges Kindlein und legt es drein, so werden wir erlöst werden.« Als sie dieses gesprochen hatten, verschwanden sie im Gebüsch. – Die jungen Leute aber kam ein Schauer an. Sie gingen hinab ins Dorf und erzählten, was ihnen widerfahren war. Und da man Mitleid mit den Jungfrauen hatte, so beschloß man, den Baum umzuhauen und alles zu tun, was die Jungfrauen gesagt hatten. Und als es geschehen war des Abends, da sah man aus der hohen Schalksburg eine Helle sich erheben wie vom Schein eines Feuers; und alsbald flogen die erlösten Jungfrauen, herrlich von Gestalt und mit feurigen Leibern, gen Himmel. Den Burschen aber, die zu ihrer Erlösung den Anlaß gegeben hatten, ging es gut, solange sie lebten.

(Nach G. Schwab von K. R.)


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