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Das Rockertweible.

Oberhalb Gernsbach liegt rechts von der Murg der Rockert, ein hoher schöner Bergwald, der sich bis gen Reichental hinzieht. Darin geht seit vielen Jahren eine Gräfin von Eberstein und büßt ihre Schuld. Die Leute nennen sie das Rockertweible. Ehedem gehörte der Rockertwald denen von Reichental und Hilpertsau. Die habsüchtige Gräfin von Eberstein hätte schon längst gerne das schöne Waldrevier in ihren Besitz gebracht; aber da alle ehrlichen Mittel sie nicht zu ihrem Ziel führten, so griff sie zur Lüge und behauptete dreist, der Rockertwald habe von jeher den Ebersteinern gehört, aber er sei während der langen Abwesenheit ihres Gemahls von den Klosterherren in Reichental weggenommen worden. Da ward ein Manngericht von Grafen und Rittern berufen; das verlangte von der Gräfin, sie solle im Walde selbst schwören, daß er ihr zu eigen gehöre. Da tat sie zuvor Erde von ihrem Ebersteiner Grund und Boden in die Schuhe, steckte heimlich einen »Schöpfer« (Löffel) zwischen den dichten schwarzen Federbusch ihres Hutes und schwur alsdann: »So wahr mein Schöpfer über mir ist, so wahr stehe ich hier auf eigenem Grund und Boden.« Nun ward der Wald ihrem Geschlecht zugesprochen. Aber nach wenigen Tagen starb die Gräfin und geht zur Strafe für ihren falschen Eid seither im Rockert. Man hat sie oft gehört, wie sie mit vielen Hunden das Wild hetzte.

Einst hatten einige Wilderer in diesem Walde ein Feuer angemacht. Da hörten sie erst aus der Ferne ein wildes Jagen und Rufen: »Hu dock! hu dock, dock, dock!« Plötzlich trat das Rockertweible aus dem Gebüsch mit drei Hunden, denen die Zunge aus dem Maule hing. Es stellte sich mit gespreizten Beinen über das Feuer, sah die erschrockenen Wilderer eine Weile an, lachte hell auf und ging weiter. Als die Wilderer wieder zu sich kamen, fehlte dem einen der Hut, dem andern das Gewehr, dem dritten das Messer.

Ein andres Mal kam ein Mann durch das Murgtal herab und hörte am Fuße des Rockertwaldes auf einer Wiese das Rockertweible jagen. Na rief er im Übermut ihm zu: »Altes Schindluder, gib mir auch ein Stück von deinem Jagdrecht.« Da hätte es ihm aber schlimm gehen können, wenn nicht zum Glück eine Heuscheuer in der Nähe gewesen wäre, in die der Mann vor dem rasenden Rockertweible sich eiligst flüchtete. Wer nämlich unter Dach ist, über den haben die Geister keine Macht mehr. Am andern Morgen aber lag vor der Scheuer ein ganzer Haufen »Beiner« von Wild und Vieh, mit denen das Rockertweible nach dem Mann geworfen hatte.

Sonst aber ist das Rockertweible ungefährlich. Wer ruhig vorübergeht, dem tut es nichts. In Mieder und Rock von schwarzer Seide, auf dem Hute einen schwarzen Reiherbusch, so geht es gewöhnlich durch den Wald und ruft klagend: »Hu! hu!«

Nach Meier.


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