Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Paul Heyse


Der Traumgott.

Aus Neapels brausendem Getümmel
Hatt' ich Abends mich hinausgeflüchtet,
In der Kühle draußen mich ein wenig
Zu ergehn am schönsten Strand der Erde.
Eben von der Stirn des Feuerberges
Schwand das letzte Tagesglühn. Umpurpurt
Lag Sorrento's hohe Felsenküste,
Schwüler Blütenduft drang aus den Gärten
Mir entgegen.

Ziellos fürder schritt ich;
Doch das Labsal, das ich suchte, bot mir
Nicht die über Tag durchglühte Straße,
Wo der Staub in gelber Wirbelwolke
Stieg und sank, so oft ein leichter Karren
Schellenklingelnd mir vorübersaus'te,
Und ich bog zuletzt, nach Stille schmachtend,
In ein Sträßchen ein, das zwischen Mauern
Links vom Meer hinweg ins Land hineinlief,
Hier der reinern Lüfte zu genießen.

Hinter Villen, schweigsamen Gehöften
Tausend Schritte war ich kaum gegangen,
Da umfing mich tiefer Abendfrieden,
Und die weite Landschaft lag im Zwielicht
Lautlos vor mir; nur die Grillen schwirrten
Ihren Nachtgesang, und an den Hecken
Flog ein Glühwurm mir vorauf, als woll' er
Mir den Weg zu schönen Wundern zeigen.

Ausgestorben schien die Flur. In keinem
Hause brannt' ein Feuer auf dem Herde,
Nicht ein ländlich Weib saß vor der Thüre
Spindelschwingend. In der dunklen Kammer
Sang nur hie und da ihr Schlummerliedchen
Eine junge Mutter. Und ich selber
Schritt wie eingewiegt in Kinderfrieden
Sinnend weiter.

Da erweckten plötzlich
Helle Stimmen mich aus meinem Dämmern.
Dicht am Wege lag ein schmuckes Landhaus
Einem niedren Hüttlein gegenüber.
Dort auf luftigem Altan gewahrt' ich
Eine schlanke junge Frau, und drüben
Auf des Hüttleins flachem Dache standen
Schwarzgelockt zwei Bübchen, und sie schrieen
Freudenhell bei ihrem Spiel. Sie warfen
Statt der Bälle dunkle Goldorangen
Zum Altan hinüber, und die Mutter
Fing sie auf und sandte sie zurücke;
Doch so oft ein Ball, zu kurz gefallen,
In die Straße rollte, rasch vom Baume,
Der den Wipfel bis zum Dach emporhob,
Ward ein neues Wurfgeschoß gebrochen;
Unerschöpflich war der Quell der Freude.

Und ich stand und weidete die Augen
An dem holden Spiel. Doch als die Mutter
Mich bemerkt' und innehielt erröthend,
Schritt ich weiter, nicht die Lust zu stören,
Und das Kinderjauchzen klang noch lange
Durch die Nacht mir nach.

Und kaum verstummt' es,
Horch! da grüßt' ein andrer Klang mich traulich,
Eines Brünnleins Rauschen dicht am Wege.
Durstig war ich von der langen Wandrung,
Und verwundert, daß im ebnen Land hier
Eine Quelle riesle, folgt' ich eifrig
Dem willkommnen Ton.

Da sah ich vor mir
Mitten auf dem Feld ein Wäldchen ragen,
Myrtenbüsche, Laurus und Oliven
Durcheinander dicht gepflanzt. Ein alter
Sarkophag mit halbzerstörtem Bildwerk
Diente zu der Welle kühler Fassung,
Die aus weißem Löwenrachen sprühte,
Und ein Pfeiler hinterm Marmortroge
Hob sich schlank, vierkantig, nach der Hermen
Art ein Haupt, umkränzt mit Rosen, tragend,
Dem zwei Flügel aus den Schläfen sproßten.
Doch am Rand des Beckens, tiefverschattet,
Saß ein Mütterchen in sich versunken,
Das zu schlafen schien, vom sanften Plätschern
Eingelullt.

Und sacht herangetreten
Wollt' ich mit der Hand die Labung schöpfen
Und davongehn, ehe sie erwachte.
Da erhob sie rasch das Haupt, mit hellen,
Milden Greisenaugen mich betrachtend.
Wollt Ihr trinken? Seht, da ist ein Becher,
Sprach sie freundlich. Jeden Abend schöpf' ich
Hier am Brunnen mir den kühlen Schlaftrunk,
Und ich mein', ich fände keinen Schlummer,
Wenn ich einmal ihn entbehren müßte. –
Und sie bot mir einen Silberbecher,
Alt, doch von Gewicht. Und ich erstaunte,
Daß ein ländlich Weib aus Silber tränke.
Doch genauer jetzo sie betrachtend,
Wohl an ihrer Kleidung ward ich inne,
Daß sie nicht von ländlich niedrem Stande.
Denn ein feiner dunkler Spitzenschleier
War geknüpft um ihren grauen Scheitel,
Und doch wieder schlicht in Wort und Sitte
Schien sie fremd dem Brauch der Städterinnen.
Und ich schwieg und trank, und da den Becher
Ich zurückgab: Gute Frau, ein heimlich
Plätzchen habt Ihr hier Euch auserlesen,
In der kühlen Nacht des Monds zu warten.
Schön ist diese alte Marmorkufe,
Die den Tod einst barg und jetzt die frische
Lebensflut. Doch saget: jenes Haupt dort,
Was bedeutet's? Und der Kranz von Rosen –
Wer umschlang mit ihm die ernste Stirne? –
Und sie sah mich an und wiegte still ihr
Greises Haupt. So kennt Ihr nicht den Traumgott?
Meinem Vater war dies Feld zu eigen,
Einem kund'gen Steinmetz. Gern wohl hätt' er
Bessres Bildwerk aus dem Stein gemeißelt,
Schöne Menschen- oder Götterbilder,
Wie man im Museo sie bewundert.
Doch die Armuth wehrt' es. Jeden Morgen
Ging er in die Stadt zu harter Arbeit.
Ich indessen mit der lieben Mutter
Saß zu Haus und spann, und hier im Felde
Grub und pflanzt' ich. Aber eines Tages
Stieß an etwas Hartes meine Schaufel,
Und hervor kam dieses Haupt. Der Vater,
Als er Nachts heimkehrte, war voll Freuden,
Und er reinigte den Marmor, schuf ihm
Diesen Sockel hier in Feierstunden
Und umgab den Quell mit immergrünem
Laubgebüsch. Da saß ich oft, das Bildniß
Still betrachtend, denn die schönen Züge
Lockten mich, die traurig fremden Augen,
Und ich flocht ihm meine schönsten Kränze.
Einst vorüber wandert' ein Gelehrter
Aus Neapel oder Rom, der sagt' uns,
Daß dem Traumgott dieses Haupt gehöre.
Nun begriff ich erst, warum mein ahnend
Herz an ihm gehangen. Heitre Träume
Hatt' ich stets geträumt. Die alle hatt' er
Mir beschert, der holde Freund der Jugend.

Mutter, sagt' ich, laßt mich Eines wissen:
Eine gut katholische Christin, denk' ich,
War't Ihr immer, glaubet an Maria
Und die Heil'gen. Wie verträgt mit ihnen
Sich der heidnisch wundersame Dämon,
Dem Ihr darbringt Eure Blumenopfer?
Weiß darum der Pfarrer, dem Ihr beichtet?

Und sie schwieg ein Weilchen. Dann: Ich weiß nicht,
Sprach sie, wie es mit den alten Göttern,
Die hinweggeschwunden, mag bestellt sein.
Auch der Pfarrer konnte mir's nicht sagen,
Ob sie nun als böse Geister walten,
Ob als Teufel in der Hölle wohnen.
Doch der Sünde, da ich ihm gebeichtet,
Was ich diesem fremden Gott verdankte,
Sprach er gern mich frei. Denn möglich sei es,
Da der Heil'gen keiner noch der Engel
Sich um Träume kümmre, daß im Himmel
Man den Traumgott frei noch schalten lasse,
Der im Schlaf die armen Menschen tröste.
Daß er einer von den guten Geistern,
Wahrlich, lieber Herr, ich selbst erlebt' es;
Denn kein Heil'ger in den sieben Himmeln
Könnt' an einem armen Menschenkinde
Größre Wunder thun.

O gute Mutter,
Rief ich, wenn Ihr mich erfahren ließet,
Was Ihr ihm verdankt, vielleicht bekehrtet
Ihr auch mich zu seinem frommen Dienste.
Seht, ein Träumer war ich stets, doch leider
Wenig Glück entsproß aus meinen Träumen;
Denn sie zeigten nur mir das Verlorne,
Und die Macht, die sie mir sendet', hab' ich
Mehr verwünschen wohl, als segnen müssen.
Stammen Träume nicht aus unserm Blute?
Ihr seid immer gut und fromm gewesen,
Darum suchten Euch, wenn Ihr entschlummert,
Gute Geister heim.

Und wieder schwieg sie,
Vor sich nieder blickend. Dann auf einmal
Hub sie an, und durch die alten Augen
Flammt' es wie ein Strahl der Jugendsonne:

Lieber Herr, ich kenn' Euch nicht; doch fühl' ich,
Daß Ihr nicht so redet, mein zu spotten,
Sondern weil Ihr traurig seid und gerne
Trost empfingt, und wär' es nur in Träumen.
Also will ich Euch mein Schicksal künden,
Daß Ihr lernet, wie es wohlgethan sei,
Diesen holden Geist, den wundermächt'gen,
Gläubig anzugehn mit frommer Bitte.
Sehet, ich war jung und unerfahren,
Recht ein trutzig scheues Mutterkindchen,
Und an Männer dacht' ich nicht im Traume.
Wie auch sollt' ich? Wir sind arm, Graziella,
Sprach die Mutter. Wer wird um dich freien?
Darum hüte dich vor dreisten Blicken,
Süßen Worten, die vorüberschlendernd
Der und Jener wohl zu dir hinaufwirft.
Und so saß ich meine langen Tage
Fleißig bei der Arbeit, und in Nächten
Träumt' ich nur von schönen Blumenauen,
Reichen Kleidern, blitzenden Geschmeiden,
Auch von gutem Essen wohl und Trinken,
Aufgetischt in blanken Goldgeschirren,
Oder bunten Vögeln, die mich schwebend
Durch die Luft auf weichen Flügeln trugen.
Siebzehn Jahre war ich alt geworden
In dem niedern Haus am Wege dorten,
Und die Villa drüben stand verödet,
Denn ihr Herr verschmähte dort zu wohnen
Fern dem Meeresstrand in Sommergluten.
Und nun denket: eines Morgens sah ich
Weitgeöffnet alle Fensterläden,
Um die reine Frühluft einzulassen,
Und auf dem Altan, in sich versunken,
In die bleiche Hand die Stirne schmiegend,
Stand ein fremder Mann.

Warum das Herz mir
Gleich so heftig klopfte, wußt' ich selbst nicht.
Schönre hatt' ich wohl gesehn; es hatten
Jüngre keck zu mir emporgeschmachtet.
Jener spähte nicht nach meinem Fenster,
Wo ich meiner Nelkenstöcke pflegte:
In die Erde bohrt' er still die Augen,
Gleich als wünscht' er, daß sie sich ihm aufthun,
Ihn und seinen Gram verschlingen möchte.
Fahl war sein Gesicht, wie eines Menschen,
Der erstanden kaum von schwerem Fieber;
Müde Trauer glomm in seinen Augen,
Und da er zurück ins Haus sich wandte,
Sah ich, daß er matt die Glieder schleppte.
Auch die Mutter kannt' ihn nicht. Ein einz'ger
Diener war um ihn, der hatte freilich
Gute Zeit, zu keinem Thun gedungen,
Als sein einfach Mahl ihm zu bereiten.
Denn das Haus verließ er nie. Im Garten
Irrt' er halbe Nächte lang, bei Tage
Saß er in des Zimmers dumpfer Kühle.

Doch am dritten oder vierten Tage
Drauß im Feld begegnet' ich dem Diener,
Und er grüßte mich, und stehen blieb ich
Und befragt' ihn – wahrlich nur aus Mitleid –,
Ob sein Herr ein tödtlich Siechthum trage.
Nicht am Leibe krank' er, an der Seele,
Sprach der Bursch. Ein grauenvolles Unglück
Zehr' an seinem Herzen. In Sicilien,
Nahe bei Girgenti, hab' ein Landgut
Er besessen, als der Reichsten Einer
Jener Insel, dort in sichrem Glücke
Hingelebt mit seinem jungen Weibe
Und dem Töchterchen, das sie geboren.
Doch in einer Nacht, da sorglos schlummernd
Alles lag im Hause, seien Räuber
An der öden Klippenbucht gelandet
Und, die Thore sprengend, eingedrungen,
Hab' und Gut gewaltsam fortzuschleppen.
Einer habe nach der Frau gegriffen,
Und da ihr Gemahl sich ihm entgegen
Warf, ihn niederschmetternd, noch im Fallen
Nach ihr zielend mit dem Mordgewehre
Sie zu Tod getroffen. Auch die Kleine
Sei im blut'gen Aufruhr umgekommen,
Und er selbst, am Haupte schwer verwundet,
Als ein todter Mann zurückgelassen
Auf der Greuelstätte, erst nach Wochen
Aufgewacht. Da hab' er schaudernd jenen
Strand verlassen und die theuren Gräber
Und sich trauernd übers Meer geflüchtet
Nach Neapel, wo ein edler Gastfreund
Ihm gewohnt. Doch nicht im Stadtgewühle
Hab' es den verstörten Gast gelitten,
Und ihr Landhaus hätten ihm die Freunde
Eingeräumt, in Stille dort zu hausen.
Ach, die Stille träufl' in seine Wunde
Keinen Balsam. Wohl im Wachen könn' er
Lesend, schreibend, denkend sich beschwicht'gen;
Doch im Schlummer kämen böse Träume,
Qualvoll ihm das Herzblut auszusaugen,
Und mit bangem Schrei und kaltem Angstschweiß
Fahr' er aus dem Schlaf. Sein junges Leben
Werde weggezehrt von ew'gem Kummer.

So der Bursch. Und ich – in meinem Busen
Fühlt' ich einen heißen Schmerz sich regen,
Daß ich kaum der Thränen mich erwehrte.
Jener Tag verging mir stumm und traurig;
Doch sobald es dunkelt', hier zum Brunnen
Schlüpft' ich, einen frischen Kranz in Händen,
Und so betet' ich zu meinem Schutzgott:
Lieber, mächt'ger Freud- und Unheilspender,
Laß durch dies mein armes Blumenopfer
Dich begüt'gen. Jenem Schwergetroffnen –
Send, o send ihm deine hellsten Träume,
Wie du mir sie gönntest, mich dagegen
Such nun heim mit seinen Angstgesichten!
Schwer genug im Wachen trägt der Aermste;
Laß mich seine Last im Schlummer tragen,
Höre mich in Gnaden, lieber Traumgott!

Da ich dies Gebet gesprochen, schien mir's,
Als umschweb' ein Lächeln seine Lippen,
Doch kein Hohneslächeln. Und ermuthigt
Setzt' ich meinen Kranz ihm auf die Locken
Und entfloh.

Und diese Nacht – Ihr mögt mir's
Glauben, Herr! – kaum war ich eingeschlafen,
Als von Schreckensträumen ich umringt ward:
Wilde Männer sah ich, blanke Waffen,
Sah ein schönes Weib mit Angstgeberde
Sich in frechem Räuberarme winden,
Hörte Klagruf eines lieben Kindes,
Und ich selbst erschien mir traumverwandelt
In des Fremden Bildung, rang verzweifelt
Mit den Mordgesellen, bis ein Schwerthieb
Sinnumnebelt mich zu Boden streckte.

Noch viel andre Qualgespenster kamen,
Doch was kümmern Euch die Herzensnöthe,
Die ein armes junges Ding erlitten?
Als der Morgen anbrach, – unerquicklich
War zum ersten Mal mein Schlaf gewesen.
Blaß und müde schlich ich an mein Fenster,
Meine traumerhitzte Stirn zu kühlen.
Da erblickt' ich drüben an der Brüstung
Des Altans den Fremden. Doch sein Auge,
Nicht so finster sucht' es mehr die Erde:
Sanft umschleiert blickt' es mir entgegen,
Und ich fühlte, daß das Blut mir jählings
In die Wangen schoß, und in die Kammer
Trat ich scheu zurück und blieb verborgen.

Nachts darauf dasselbe Spiel der bösen
Blut'gen Träume, Morgens drauf das gleiche
Flücht'ge Schau'n herüber und hinüber,
Und so währt' es volle sieben Tage,
Und des Fremden Blick ward hell und heller,
Ja, ein Roth erglomm den blassen Wangen,
Gleich wie neuen Lebens Morgenröthe.

Wieder da im Feld den Diener traf ich.
Nino, sagt' ich, trau' ich meinen Augen?
Deinem Herrn ist unsre Luft gedeihlich;
Leichter wird sein Gram, sein Muth ermannt sich.
Sag mir, Lieber, ob ich recht gesehen?

Und der brave Bursch bekräftigt' Alles.
Wie ein Wunder sei's. Seit sieben Tagen
Sei dem Herrn ein sanfter Schlaf beschieden,
Denn ihm kämen Nachts gelinde Träume,
Also daß er, der mit Worten geize,
Selbst der Wandlung gegen ihn sich rühme.

Seht, da hat ein Lächeln mich verrathen
Und mein frohes junges Herz. O Nino,
Wohl ein Wunder, sagt' ich, ist geschehen,
Und doch ging es zu mit rechten Dingen.
Und nun beichtet' ich ihm All' und Jedes,
Wie ich zu dem Bilde dort gebetet,
Und wie gnadenvoll der Gott die Träume
Mir gesendet, die bestimmt dem Fremden,
Tröstlich ihm dafür die meinen gönnend.
Nicht ungläubig hörte mich der Gute,
Doch, da ich ihn bat, er möge schweigen,
Nicht die fromme List dem Herrn verrathen,
Nickt' er lächelnd nur und ging von dannen.

Da erschrak ich, daß ich mein Geheimniß,
Das mich tief beseligt, ausgeplaudert,
Und ich floh in dieses Wäldchens Frieden,
Vor dem Blick des Fremden mich zu retten.
Ach, entfremdet schien mir auch des Gottes
Bild. Es blickte kalt zu mir hernieder,
Drohend fast.

Und richtig, meine Strafe
Ward mir schon die nächste Nacht beschieden.
Nicht Siciliens Strand, – die eigne Heimath,
Meinen kleinen Garten sah ich träumend
Und begoß die dürren Blumenbeete,
Doch mit Wasser nicht, mit meinen Thränen,
Welche rings die Blüten welken machten.
Aber plötzlich sah ich ihn herannahn
Mit ungüt'gem Lächeln auf den Lippen,
Wie man höhnt ein arm verblendet Kindlein.
Und er nahm mich bei der Hand gewaltsam,
Daß der Griff mich wie von ehrner Klammer
Schmerzt', und sprach: Was kümmert dich's, du Thörin,
Wie ich träume? Willst du die Erinnrung
Aus der Brust mir stehlen? Ob sie immer
Schmerzlich sei, – von so viel wachem Glücke
Blieb nur sie allein. Du kecke Diebin,
Hüte dich, an meinen Gram zu rühren! –
Sprach's und stieß mich rauh hinweg. Voll Jammer
In die Rosen fiel ich, und die Dornen
Wuchsen lang wie Nadeln und zerstachen
Mir das Herz, und noch wie ich erwacht war,
Fühlt' ich es aus hundert Wunden bluten.

So den Tag verbracht' ich stumm und traurig
In des Hauses tiefgeheimstem Winkel.
Einmal nur hinüber zum Altane
Späht' ich, und da stand er, auf den Lippen
Jenes Lächeln, das mein Herz verwundet,
Fest den Blick auf unser Haus geheftet,
Gleich als ob er durch die Mauern dringen,
Mich in meiner Noth beschämen wollte.

Doch sobald der Mond am Berg heraufkam,
Huscht' ich sacht hieher, den Gott zu bitten,
Daß er nicht mehr Angstgesichte sende.
Und ich sank auf meine Knie', die Hände
Hob ich auf zu ihm, und halblaut sprach ich
Meinen Kummer aus und meine Bitte.

Plötzlich fühlt' ich leis auf meinem Haupte
Eine Hand, die mir den Scheitel kos'te,
Und ein Flüstern hört' ich: Treff' ich endlich
Meine Freundin hier im Heiligthume?
Schließ in dein Gebet mich ein, du Süße! –
Nun, Ihr wißt schon, wer es war. Ich selber
Glaubte nicht so bald dem eignen Ohre,
Da so mild die Stimme klang und liebreich,
Und erschrocken stand ich auf und wollte
Fliehn. Er aber hielt mich bei den Händen,
Nicht gewaltsam, wie im Traum; es braucht' auch
Keinen Zwang; denn meine Kniee hätten
Schwerlich doch mich weit hinweggetragen.

Und er saß am Rand des Brunnens nieder,
Zog mich neben sich und sprach: Graziella,
Ist es wahr? Dich grämen meine Leiden?
Meiner Träume wollst du dich erbarmen,
Mir die deinen, die beglückten, gönnen,
Um die schaurigen mir abzuwenden?
Sieh, du hast's erreicht. Am ersten Tage,
Da mir Nino sagte, wie voll Mitleid
Meine junge Nachbarin gesinnt sei,
Träumt' ich mich auf eine bunte Wiese,
Wo ein Schwarm von Mädchen Reigen tanzte,
Heerden weideten und in den Büschen
Paradiesesvögel Lieder sangen.
Und ich selbst erschien wie ausgetauscht mir,
Ruhig floß mein Blut, am Haupt die Narbe
Brannte nicht mehr. Doch da ich mein Antlitz
Sehen wollt' in eines Weihers Spiegel,
Dein Gesicht, das helle, sorgenlose,
Blickte lächelnd, winkend mir entgegen.
Laß es nun mit Muße mich betrachten,
Daß ich fest mir in die Seele präge
Deren Bild, die mir so wohlgethan hat.

Und er nahm, da ich's erglühend senkte,
Mein Gesicht in seine beiden Hände,
Sah mich lange traulich an und gab mich
Endlich frei, mit seinen warmen Lippen
Leise nur die Stirne mir berührend.
Und er fragte mich nach meinem Leben,
Und so wenig ich zu sagen wußte,
Doch andächtig sinnend hört' er Alles,
Gleich als wären's wundersame Dinge.
Nicht dabei ihn anzuschauen wagt' ich;
An dem Haupt des Gottes hing mein Auge,
Das nun wieder freundlich schien zu lächeln,
Ausgesöhnt mit meiner jungen Thorheit.

Wollt Ihr mehr noch hören, Herr? Es kam dann
Alles schöner als ein Dichter sänge.
Jeder Abend fand uns hier am Brunnen,
Hand in Händen, bis es Schlafens Zeit war,
Dann jedoch verging die Nacht uns traumlos,
Oder nur ein Schatten künft'gen Glückes
Flog vorüber. Wenn die Menschenseele
Ganz erfüllt ist von wahrhaft'ger Wonne,
Hat sie nicht mehr Raum für Wahngebilde.
Seht, und eines Tages trat mein Liebster
Bei der Mutter ein und frug sie herzlich,
Ob sie ihm ihr Kind vertrauen wolle.
Aus den Wolken förmlich fiel die Gute,
Die sich solch ein Glück nicht träumen lassen.
Nun, sie konnt' ihm nicht die Tochter weigern,
Noch der Vater. Und so ward die Hochzeit
Bald gefeiert, und mein Trauter wollte
Nimmermehr von dieser Stätte weichen,
Wo er Frieden seinem Gram gefunden.
Sein sicilisch Gut, durch blut'ge Schatten
Ihm verleidet jetzt, verkauft' er eilig,
Und der Gastfreund in Neapel mußt' ihm
Ueberlassen dort die schöne Villa.
Seid Ihr selber nicht des Wegs gekommen,
Sahet dort zwei muntre Knaben spielen?
Meine Enkel sind's, die lieben Kinder
Meiner einz'gen Tochter. Ach, ich sollte
Frühe schon mein bestes Gut verlieren!
Denn von hinnen schied mein Vielgeliebter,
Eh er noch als Frau die Tochter schaute.
Seitdem leb' ich diesen Rest der Tage
Still dahin, und jeden Abend geh' ich
Zu dem Stifter meines todten Glückes,
Und noch immer neigt er meiner Bitte
Gern sein Ohr. In drei vergangnen Nächten
Zeigt' er den verlornen Freund mir wieder,
Wie er leibt' und lebte. Zärtlich küßte
Mich mein lieber Mann und sprach: Graziella,
Bald nun wirst du dort mit mir verweilen,
Wo es keine Trennung giebt, wo Herzen,
Die sich fanden, ew'ge Wonne fühlen,
Hehr und himmlisch über alle Träume!


 << zurück weiter >>