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Freie Rhythmen.
Fremd ist mir Alles hier, aber auch du
Bist mir ja fremd geworden; die dich umgeben,
Wer sind sie? Wem neigst du dich zu?
Wer schützt dich, wer verschönt dir das Leben?
Ich weiß es nimmer! Was uns gemeinsam
Und traut war, zerrann wie der wehende Sand;
Verlassen durchwandr' ich und einsam
Das fremde Land,
Die Stätten, von welchen Alles,
Was einst so mächtig bestand,
Bis auf die Zeugen des Verfalles,
Die stolzen Ruinen, verschwand.
Fremd ist mir der Berge Gestalt,
Von der glühenden Mittagsluft umwoben,
Und fremd erschallt
Der Hirten Ruf vom Felspfad oben.
Von den Menschen, die mir begegnet, keinen,
Der heimkehrt zu den Seinen,
Geleitet in sein Haus
Mein flüchtiger Gruß. Sie selbst auch erscheinen
Sich fremd hier, und wie sie hinaus
Aufs Meer, aufs wogende schauen,
Ob nicht wiederkehre der Stadt
Uralter Gebieter, um fahrtensatt
Nun wieder zu herrschen und aufzubauen
Die Größe der einstigen Zeit,
Die untergegangene Herrlichkeit:
Da mögen sie wohl über den Schauern
Auf den Trümmern der Pracht,
Wie Fremde sich fühlen und trauern
Vor der Vorzeit gigantischer Macht.
Nur wenn vom Meer dort herauf
Die Sonne steigt und überströmt mit Feuer
Die geborstene Wölbung, den Säulenknauf
Und das riesige Stufengemäuer,
Dann leuchtet's wie seliger Hauch,
Wie Ahnung jener Tage
Voll Schönheit und Liebe, dann lebt mir auch
Dein Angedenken wieder. O sage,
Ist's wahr, du trugst hier am Feste
Der Himmlischen den Erntekranz,
Du führtest, wenn man die Trauben preßte,
Als Erste den Reigentanz?
Und hast du nicht schon einmal mit mir
Von Liebe gesprochen,
Hat nicht vor diesen Stufen hier
Einst deine Hand in meiner geruht?
Fühlt' ich dein Herz nicht am meinen pochen?
Ach, die Zeit, die nagende Fluth
Hat die Steinkolosse zerbrochen,
Was groß und schön war, ist ausgethan.
Ja, würden auch wir uns wiedersehen,
Fremd schauten wir uns an,
Und könnten uns nicht mehr verstehen,
So große Verwandlung ist geschehen!
Aber kein gegenwärtig Glück, und wenn es gleich
Vollaufgespeichert Erwünschtes brächte,
Es schafft nicht wunderselige Tag' und Nächte,
Wie das verlorne, denn das ist reich
Wie Meeresgrund. Es hat Gewalt,
Ward uns das herrlichste Gut entrissen,
Daß es für uns in Schattengestalt
Herüberwallt,
Sanft leuchtend aus Finsternissen.
Und Allem verleiht es, Allem um uns her
Ein tieferes Leben, es giebt
Leblosem die Seele, die wir geliebt,
Nichts fällt dem Herzen noch schwer.
Das überwundne Leiden
Hüllt sich in stolzes, herrschendes Licht,
In strahlende Glut; es lächelt, es spricht
Aus Urnen und Bildern, – und statt zu durchschneiden
Den Faden der anderen Beiden,
Läßt der Parze nachlässige Hand
Das Ende sinken, das ihr Eros entwand.
Orgelklang und Gesang durchwogen
Den Dom und seine Säulenpracht,
Die hohe Wölbung und der Apsis Bogen;
Vom Meer her rollt gewitterschwer die Nacht.
Durch bunte Fenster, dämmerhell, nach innen
Dringt noch ein letzter Sonnenschein
Und strahlt auf Gold und Edelstein,
Auf Heil'genbild und schöne Beterinnen.
Ihr Töne wogt so fromm und ernst dahin!
Ich seh' mit euch aus längstverklungnen Tagen
Zum säulengetragenen Baldachin
Heranziehn geistbeschwingte Schaaren
Und an den Grüften niederknie'n.
Hier ruhen sie, die auf Siciliens Thron
Den Königsgoldreif um die Stirn getragen,
Den stets im Kampf errungnen Siegeslohn,
Hier ruhen sie in Porphyrsarkophagen.
In Frieden ruht hier Roger, der Normanne,
Und Kaiser Heinrich und nach langem Streit
Sein großer Sohn, die Sonne jener Zeit,
Der noch im Tode ringend mit dem Banne,
Der Tücke seiner Feinde nur erlag –
Behütet, Löwen, seinen Sarkophag!
Wo bei des Doriers Bau das rasche Zelt
Der Punier band, und über beide dann
Der Römer trat und eine Welt
Von Prunk und Stolz sich um die Völker spann,
Wo nahend mit dem sturmerprobten Schiff
Der Normann kühn vom Land Besitz ergriff,
Da hält nun Hof in niegesehner Pracht
In höchstem Glanz des deutschen Kaisers Macht.
Ihm huldigt Meer und Berggebiet,
Der Normann weicht, der Sarazene kniet,
Und unter Dornen schmückt lorbeerumlaubt
Die Krone von Jerusalem sein Haupt.
O wie viel Glanz und Größe ruht verschlossen
Im Sarg mit ihm, welch minnefroher Stunden
Erinnerung – und welcher Wunden!
Wie viele Thränen wurden da vergossen,
Als Kron' um Krone, Macht um Macht zerfiel,
Als Haupt um Haupt dahinsank! O wie viel
Der herbsten Thränen vor dem Leichentuch
Geweint von holden Frau'n in Klaggewanden!
Wie mancher Haß ist und wie mancher Fluch
Hier, knirschend ins Gebet, vor Gott gestanden!
Wie manches Wort, das nur von Rache sprach,
So dunkel, schwer und wie in Blut getaucht!
Wie mancher Seufzer übers Meer gehaucht,
Der klagend sich an diesen Mauern brach!
Ein letztes Echo, bis auch dies verhallt,
Wenn hie und da ein Pilger noch vom Norden
Zur Gruft der Hohenstaufen wallt
Und fragt: Was ist aus deinem Reich geworden?
Es blitzt – erschütternd folgt ein Donnerschlag –
Behütet, Löwen, seinen Sarkophag!
Und Blitz auf Blitz! Da, an den Kirchenwänden,
Hineingeschrieben wie von Geisterhänden,
Zeigt in Arabiens Schrift sich Spruch an Spruch
Und, wie von Rosen süßer Wohlgeruch,
So strömt von diesen Zeichen ein Arom
Der weisheitsreichen Dichtung durch den Dom!
»Schlaft wohl in heil'gem Schweigen, bis auf Erden
Beim Schalle der Posaunen zum Gericht
Die Todten ihrer Gruft entsteigen werden!
Denn der geschieden hat von Nacht das Licht
Und ließ aus Nichts hervor die Schöpfung gehen,
Läßt auch vom Staube wieder auferstehen.« –
Behütet bis zu jenem letzten Tag,
Behütet, Löwen, seinen Sarkophag!
Tantalus büßt in endloser Qual,
Ewig bietet Prometheus die Wunde
Für des Geiers unersättlich Mahl,
Und die Felsen rüttelnd im Feuerschlunde
Stöhnt der Titanen Geschlecht.
Was zögerst du, Zeus, auch mich zu strafen?
Deine zermalmenden Blitze trafen
Noch Jeden, der über dein Recht
Das Haupt erhob, und ich bliebe verschont,
Ich, der dir am meisten
Mit Undank gelohnt,
Ich, der mit überdreisten,
Verwegenen Wünschen gelegt die Hand
An dein, des Donnerers, unerschütterter Ehre
Diamanthell leuchtendes Eheband,
Ich, der mit diesen Armen umwand
Im Wolkengebild die Hehre,
Die Himmelskönigin, die Aetherumwobne,
Ueber alle Götter erhobne,
Unnahbare Schönheit der höchsten Macht!
O der seligen, nie verblühenden Nacht!
O der Sehnsucht voll unauslöschlicher Gluten!
Nie, nie wieder stirbt meiner Brust
Jener Umarmung die Lebensfluten
Himmelanschwingende Götterlust.
Wer aber lebt, der die süße Gewalt,
Da den Umfangenden küßte
Liebend die hingegebne Gestalt,
Mit mir zu fühlen wüßte!
Alle sind sie gebändigt, verdammt,
Die himmelstürmenden Kampfgenossen,
Und ein neues, dem Gehorchen entstammt,
Ein kleinres Geschlecht ist aufgesprossen.
Voll Schauer vor dem Götterverhaßten
Meiden sie mich, und Alles flieht
Mich, der mehr als Alle Trotzeslasten
Auf seiner Seele trägt, der da, wo sie tasten,
Im Entstehen furchtlos das Ende sieht.
Nur die Söhne noch leben, die jener Nacht
Entsproßnen, die Centauren.
Auf den Gebirgen wild und ungeschlacht
Stürmen sie jauchzend hinan, kühn
In Donnergewölk und Hagelschauern,
Des Erzeugers vergessend
Und der Menschen und ihrer kleinen Mühn,
Einzig mit Löwen im Kampf sich messend.
Wer naht? Seid ihr es, holde Gestalten,
Töchter der Menschen? Im Reigenchor
Hinschwebend, ihr Lockenumwallten?
O wagt euch hervor!
Welche begrüß' ich zuerst, die Lose,
Die sich so reizend im Tanze wiegt,
Oder die Zarte dort, der sich die Rose
Unter dem Schleier ans Stirnband schmiegt?
Scheue, was zagt ihr? Es kommt der Tag,
Da werden meine Söhne, die siegesfrohen,
Euch erringen beim Festgelag,
Euch zur Hochzeit führen, zum säulenhohen
Felsenpalast, es wird ein Geschlecht
Neuer Titanen erstehen auf Erden,
Das die gestürzten Ahnen rächt!
Mächtiger werden sie sein und werden
Neu erhöhen den Herrscherthron
Ueber den Wolken. Wisset, ihr Zagenden,
Ixion bin ich! – Ha – sie sind entflohn!
Mich erkennend wählten sie die Flucht,
Wie vor dem Pfeile des Jagenden
Bergwild stürzt in die waldige Schlucht.
Weh mir, was träumt' ich! Ich schmückte
Niegebornes aus mit dem Widerschein
Jenes Wahngebildes, das mich entzückte!
Zeus, deine Strafe trifft ein!
Fest gebunden an meines Looses
Eherne Fesseln, werd' ich in Ewigkeit
Ringen und leiden um Wesenloses,
Mitten im Sturme der schaffenden Zeit!
Dunkle Felswände die Berghöhn entlang;
Thaleinwärts fuhren wir, es zogen
Die Nebel mit uns in hellen Wogen,
Ein wildes Heer, das sich auf und niederschwang,
Ein Meer, das mit den Lüften rang.
Doch reingezackte Gipfel hoben
Im Licht des Mondes sich hervor,
Vom herrlichsten Blau der Nacht umwoben,
Und darüber flog im Schleierflor
Sein silbern Antlitz. Es tauchten
Zuweilen auch Wolken auf, glühroth,
Als ob brennende Städte rauchten
Hinter den Bergen, als wär' entloht
Ein Lavastrom und wälzte sich her; doch eilte
Darüber hin im Flug
Das leuchtende Gestirn und theilte
In der Wolken raschem Vorüberzug
Den nächtlichen Irrpfad, wo tief im Dunkeln
Umwaldeter Schluchten Licht an Licht
Aus fernen Häusern begann zu funkeln,
Bald einzeln und bald wieder dicht,
Wie Sterne des Himmels, – und die darin hausten
Die hörten, vielleicht schon halb im Schlummer,
Wie wir vorüberbrausten,
Wenn sie nicht wach hielt nagender Kummer.
Denn auch in diese Hütten ein,
In die weltverborgensten Thäler
Schleicht ja die Sorge sich, dringt die Pein,
Der Menschen nie müde Quäler.
Aber was wäre, frug ich, das Dasein hienieden,
Wäre dem Herzen nicht Kampf beschieden,
Der Kampf mit Schmerz und Qual?
Dieser blutrothe Höllenstrahl
Erleuchtet die Tiefen der Menschenbrust,
Und Seelengröße wäre nicht
Und nicht des Sieges stolze Lust,
Wär' nicht der Schmerz, der weiht, wenn er zerbricht.
Ach, schon erschauert mir tief
Das eigne Herz, und ich fühle mich zagen.
Wie? wenn zum Kampfe das Unglück mich rief',
Würd' ich's ertragen?
Müßt' ich aller Errungenschaft,
Jedem edleren Mühen entsagen,
Und sähe mich weggerafft
Vor allem Erhabnen auf Erden,
Zur Frohn des Tags mich gezwungen werden!
Und müßt' ich wieder wie vor Jahren
Das Furchtbare bestehn
Und das bitterste Leid erfahren,
In Geliebter brechendes Auge sehn?
In Zagniß fühl' ich vergehn
Den trotzigen Muth, der noch eben
Mit dem Verderben gespielt,
Der des Schicksals furchtbarem Weben
Kühn den Gedanken entgegenhielt.
Nie dünke sich der Mensch so groß,
Als könnt' er Allem entsagen
Und über das allgemeine Loos
In seinem Stolze sich wagen;
Denn, ist er gestorben – ein Jahr
Und mehr – dahin ist dann Alles, was er war,
Und selbst von seiner letzten Stunde
Lebt bei den Menschen kaum noch eine Kunde.
Schwerer ballten die Nebel sich und hatten
Undurchdringliche Dunkelheit
Ueber die letzten Lichter weit und breit
Emporgethürmt, gespenstige Schatten –
Ja, das bist du, Vergessenheit!
Die jedes Glück du, Lust und Klage
Mit Nacht umhüllst, so wie dort über längst
In die Versteinrung gesunkene Tage
Du die Felsenstirnen mit Nacht umhängst. – –
Vergessenheit! Ende von Allem! Grenzenloses
Und traumloses Schlafen! Aufgenommen,
Erlös't zu sein und heimgekommen
Zur Ruhe des mütterlichen Erdenschooßes!
Ja, das wär' Alles, Aller letztes Wort
Und letzter Trost, wenn nicht dort
Aus jenen Sternen von der Größe,
Von der Unendlichkeit des Alls ein Schimmer
Ein Flammenwink sich herniedergöße
Und unsers Daseins Ziel noch immer
Ueber all unser Fürchten und Hoffen weit,
Viel weiter noch hinausstreckte,
Als es je die Vergessenheit
Und der ungeheure Tod bedeckte.