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Max Kalbeck


Auf ein altes Buch.

Daß ich nimmer dich gefunden hätte,
Meiner Leidenschaften Ruhestätte!

Eingepreßte Blumen ohne Düfte
Neigen sich auf deine stillen Grüfte,

Wo der Freundschaft und der Liebe Zeichen
Kunde geben von verlornen Reichen.

Staub und Moder wohnt in deinen Blättern,
Schatten steigen aus den blassen Lettern;

In den Zeilen, flüchtig hingeschrieben,
Ist so manche Thränenspur geblieben,

Und umflorten Auges muß ich lesen,
Wie so glücklich ich dereinst gewesen.

Diese Veilchen hat mein Schatz getragen
In vergangnen lichten Maientagen;

Diese Rosen pflückt' ich mir zur Stunde
Mit dem ersten Kuß von ihrem Munde.

Gern verschließen wollt' ich und vergessen
Schätze, die ich nur mit Schmerz besessen;

Doch ein Spinnlein müht sich zu verweben
Die Vergangenheit mit meinem Leben.

Auf und nieder zieht es leise, leise
Die geheimnißvollen Zauberkreise:

Ach, Erinnrung nimmt mich ganz gefangen,
Thöricht bin ich ihr ins Netz gegangen.

Erinnerung.

Von dem grünen Bergeshang,
Wo die Tannen ragen,
Tönt vergeßner Lieder Klang
Mir aus alten Tagen.

Rauscht es nicht den Weg herauf
Wie von leichten Tritten?
Kommt nicht Wer in schnellem Lauf
Athemlos geschritten?

Eingedrückt scheint noch das Gras
An dem trauten Platze,
Wo ich oft so selig saß
Neben meinem Schatze.

An dem Dornenbusche hängt
Noch die wilde Rose,
Und, von Blüthen überdrängt,
Winkt der Sitz im Moose.

Und es wogt das Farrenkraut
Fächelnd hin und wieder,
Und wie einst der Himmel schaut
Wolkenlos hernieder.

Alles, Alles ist noch so
Wie in jenen Jahren,
Da ich jugendfrisch und froh
In die Welt gefahren.

Doch zurück liegt, ach so weit,
Jugendlust und Lieben,
Treu nur ist der alten Zeit
Die Natur geblieben.

Resignation.

Der Sorgen ließ ich allzuviel
Um Tisch und Bett mir schweben;
Ich sah: die Welt ist nur ein Spiel,
Und nur ein Traum das Leben.

Das Thor der Wünsche schließ' ich zu;
Was hab' ich noch zu hoffen?
In blauer, wolkenloser Ruh'
Steht mir der Himmel offen.

Ich schau' nicht vor und nicht zurück
In grau verhüllte Ferne,
Es hängt mein unverwandter Blick
An einem Freudensterne.

Dort aus den goldnen Tiefen dringt
Es wie Musik hernieder,
Und die befreite Seele schwingt
Sich auf ins Reich der Lieder.

Stillstes Leben.

Am Waldsteig bin ich oft hinabgegangen
Im feuchten Thalgrund bis zur Sägemühle;
Dort saß ich in der frischen Morgenkühle
Und horchte, was die ersten Vögel sangen.

Ich hatte keinen Wunsch und kein Verlangen;
Fern von der Menschen streitendem Gewühle,
Ergab ich mich dem ruhigsten Gefühle,
Und tiefe Stille nahm mein Herz gefangen.

Wie göttlich war's, von aller Welt vergessen,
Die goldnen Sommertage hinzuträumen!
Mit einem Sonnenblick im Laubgewebe

Durchflog ich Himmelsweiten unermessen;
Nur wenn ein Blatt herabfiel von den Bäumen,
Fuhr ich empor und wußte, daß ich lebe.

Sturm.

Grau kommen übern Uferrand
Die Wolken hergezogen,
Und sturmgepeitscht am kahlen Strand
Zerschlagen sich die Wogen.

Ein schwarzer Himmel, dumpf und schwer,
Bedrückt die Wasserwüste,
Vereinsamt liegt das Land umher,
Der Tod beschleicht die Küste.

Ich aber fühle mich so jung,
So frisch und neu lebendig,
Es rollt das Blut mir heiß genung
Und stürmt empor unbändig.

O Sturmgebraus, o Wettergraus,
O schreckensvolle Tage,
Ihr löscht mir nicht die Liebe aus,
Die ich im Herzen trage!

Am Meere.

Am steilen Hügel ruht' ich aus
Im Schatten der Cypressen,
Und blickte weit aufs Meer hinaus
In süßem Selbstvergessen;
Es trugen weiche Lüfte
Vom fernen Strande zu mir her
Hesperiens Blumendüfte.

Nie sah ich noch die Welt so schön
Wie hier im Abendscheine.
Wie Feuer loht' es um die Höhn,
Und im Olivenhaine
Begann es sanft zu klingen,
Da hört' ich Liebeslieder nur
Die Nachtigallen singen.

Um Erd' und Himmel schloß ein Ring
Von Gluthen sich zusammen,
Die Sonne golden niederging
Mit wunderbaren Flammen;
Wie Purpurschwäne zogen
Die rothen Segel still dahin
Auf schaumgekrönten Wogen.

Da war's, als höbe sich ein Flor
Von allen meinen Sinnen;
Mir schien gering, was ich verlor,
Und viel noch zu gewinnen.
Aus unbekannten Weiten
Gewahrt' ich's wie ein künftig Glück
Mir froh entgegenschreiten.

Mit neuer Lust und neuem Muth
Fühlt' ich das Herz mir schlagen,
Und in den Adern schwoll das Blut
Mir wie in jungen Tagen;
Ich pflückte grüne Zweige
Und sprang hinunter als ein Kind
Die schmalen Felsensteige.

Was ich mir wünschte, wußt' ich nicht,
So selig war mein Sehnen,
Doch plötzlich über mein Gesicht
Floß hin ein Strom von Thränen –
O glücklichste der Stunden!
In Thränen hab' ich wieder mich
Und meine Welt gefunden.

Und als in lichtes Silbergrau
Sich hüllte sacht die Ferne,
Erschienen hoch im dunklen Blau
Des Himmels erste Sterne.
Sie strahlten nicht vergebens:
Hell funkelnd über allen stand
Der Stern des neuen Lebens!

Ausgleich.

In meiner Jugend Tagen murrt' ich oft,
Daß mir von Gütern dieser üpp'gen Welt
Ein allzu kärglich Theil beschieden ward.
Da stahl ich mich an vollbeladnen Tischen
Vorüber, wenn die Andern fröhlich saßen,
Und schielte neidisch auf ihr Schwelgermahl.
In Winternächten stand ich fröstelnd still
Vor manches Reichen Hause, wo beim Strahl
Der bunten Kerzen Prunkgemächer glänzten –
Hohnvoll erklang Musik zu mir hernieder,
Und Schatten äfften mich an hellen Fenstern,
Als winkten sie: Geselle dich zu uns!
Du bist ein Mensch und hast ein Recht zu leben. –

Auch meine Freudenstunde sollte kommen.
Verstört einst floh ich in den tiefen Wald,
Da standen ernste Bäume dicht gereiht
In kühler Runde. Ueber Steine floß
Ein klarer Quell, und eine Bank von Moose
Lud mich zum Ruhen ein. Die Sonne äugelte
Durchs grüne Laub und malte goldne Streifen
Ins dunkle Erdreich. Schmetterlinge flogen
Und wilde Bienen und Libellen. Lieblich
Ertönten Vogellieder im Gezweig,
Und braune Rehe huschten scheu vorüber.

Und plötzlich trat zu mir ein Frauenbild,
Das sah mich groß mit stillen Augen an,
Mit einem Blick voll Zärtlichkeit und Trauer.
»Verstehe,« sprach sie lächelnd, »und erkenne!
Verstehe mich, und du erkennst dich selbst!
Wer einmal mich gesehen, muß mich lieben;
Wen ich beglückt, der wünscht kein andres Glück
Und sucht die Freuden nicht, die keine sind.
Mein ist die Kraft und mein die Herrlichkeit.
Ich kann dir geben, was kein Mensch dir giebt.
Blick' um dich! Alles, was du siehst, ist dein:
Der Friede dieses Walds und meine Liebe.
Ich bin die Einsamkeit. Mit mir wirst du
Dich selbst besitzen und dich deiner freu'n.
So nimm mich an dein Herz! Unsterblichkeit
Verleiht mein Hauch, und ewige Gedanken
Entblühn dem Bunde, den wir fromm beschließen.«
Und wie sie sprach, begann der Wald zu leuchten,
Die Bäume rückten auseinander, groß
Und unermeßlich that das Land sich auf.
Da wuchsen Städt' empor mit stolzen Thürmen,
Und von den Bergen winkten hohe Schlösser;
Auf breiten Strömen zogen Schiffe hin
Zum blauen Meer. Darüber in den Wolken
Stand allgewaltig in erhabner Ferne
Der Engel Gottes mit den mächt'gen Flügeln,
Der Schwert und Wage hält; und sein Gesicht
War wie ein Spiegel, drin Vergangenheit
Und Zukunft sich beschau'n. Gewährung schien
Sein Flammenblick der Freundin Wort zu geben,
Und überwältigt schloß ich meine Augen.


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