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»Flieg mir nicht in die Augen, lieber Staub!«
Bat heut mein Knabe mit erhobnen Händen.
Was ihn bedrängte, friedlich abzuwenden,
Schien ihm die sanfte Bitte zu genügen –
O Kind, wie oft wird gleiches Hoffen trügen,
Und junger Wahn wird der Erkenntniß Raub!
Dann, bräche dir im Schweigen auch das Herz,
Mußt du so Tod als Leben stumm ertragen,
Stets rüstig vorwärts wandern, niemals klagen.
Denn unerbittlich ist der Mächte Walten!
Umsonst wirst flehend du die Hände falten:
»Flieg mir nicht in die Seele, lieber Schmerz!«
Zum Dampfboot ging ich früh und ganz allein,
Den Ort zu meiden, der mein Heim seit Jahren;
Von keinem Freund wollt' ich geleitet sein.
Stumm scheidet, wer viel Schweres hat erfahren,
Ein Grab zurückläßt und von dannen geht
Mit ernster Seele und gebleichten Haaren.
Vom Frühwind ward ich frostig angeweht.
Da schaut' ein Kind ich harrend auf dem Stege,
Das hatte doch den Reisetag erspäht,
Glückauf zu wünschen vor dem weiten Wege.
Ein Mädchen, das ich allzeit stumm gesehn,
Im dunkeln Blick nur war es seltsam rege;
Den fühlt' ich oft mir tief zu Herzen gehn.
Des Jahres erste Rosen in den Händen,
Fand ich sie hier nun meiner wartend stehn.
Sie bot mir schweigend ihre duft'gen Spenden,
Dann floh sie scheu hinweg mit flücht'gem Schritt.
Fahr wohl! Dem Glück mußt' ich den Rücken wenden,
Und dennoch – frische Rosen nehm' ich mit!
Schöner Herbst, ich sah entgegen
Stets dir mit Willkommensgrüßen,
Mochte deinen heitern Segen
Gern empfinden und genießen.
Reicher als des Lenzes Schimmer
Schien mir dein erfülltes Leben,
Das mit vollen Händen immer
Ist bereit, sich auszugeben.
Ach, wie doch die Welt sich spiegelt
Nach dem eigenen Gemüthe!
Heute ist mir wie versiegelt
Die Empfindung deiner Güte.
Nur dein Scheiden, dein Vergehen,
Deiner Vögel Wanderflügel,
Nur dein Sterben kann ich sehen,
Ach, und einen frischen Hügel!
Wenn sich zwei liebe Augen schließen,
Bei Tag und Nacht die Thränen fließen,
Dann wendet sich das Herz zur Höh'.
Sein irdisch Glück ist ihm zerronnen,
Doch ward ein Engel ihm gewonnen,
Den darf es lieben mehr als je!
Was aber ließe sich noch halten,
Wenn uns die Lebenden erkalten,
Wo nichts zum Himmel sich erhebt?
Selbst die Erinnerung wird trübe
Und leugnet die vergangne Liebe –
Was so erlischt, hat nie gelebt.
Ach, lange kämpft die wunde Treue;
Den Faden knüpft sie stets aufs Neue,
Zerriß ihn noch so oft ihr Schmerz.
Sie ringt, auf daß ihr Heil sie rette,
Doch immer schwächer wird die Kette,
Und immer ärmer wird das Herz!
Allem, was ich bin und habe,
Ihr lieben Meinen,
Will ich, mit jeder Liebesgabe
Mich euch vereinen!
Ein Raum allein in meinem Herzen
Bleibt euch verboten:
Dort ruhen überwundne Schmerzen
Und meine Todten.
Alles, was der Haß verhängt,
Läßt sich wohl ertragen,
Aber wenn die Liebe kränkt,
Muß das Herz verzagen.
Was allein dich trösten kann,
Willst du's muthig üben?
Ihn, der dir so weh gethan,
Mehr als je zu lieben!
Daß dich des Lebens Leid und Schmerz
Gleich einem Halm im Sturme wiege,
Gestatt' ich willig dir, mein Herz;
Doch daß du je dich beugst der Lüge,
Verbiet' ich dir!
Dir sei vergönnt, daß stets aufs Neu'
Du alle deinen Reichthum spendest;
Daß aber jemals Lieb' und Treu'
Du wie ein werthlos Gut verschwendest,
Verbiet' ich dir!
Verzeihen darfst du tausendmal,
Was gegen dich die Liebe sündigt.
Doch daß du dich verzehrst in Qual,
Wenn man dir kalt die Liebe kündigt,
Verbiet' ich dir!
Von allzuheißem Weh getrieben,
Gab ich den Flammen alles preis,
Was mir aus deiner Hand geblieben,
Ein jedes Wort, das du geschrieben,
Ein jedes welke Blütenreis.
Zu Asche wurden meine Ketten,
Zu kalter Asche Groll und Glut.
Ins Grab mußt' ich die Liebe betten,
Um ihr unsterblich Theil zu retten,
Ins Grab, wo Alles heilig ruht.
Wie auf dem Kirchhof sprach ich Amen,
Ging mit gesenktem Haupt nach Haus –
Und Jahre gingen, Jahre kamen,
Nie hört' ich wieder deinen Namen,
Nie sprach ich selbst ihn wieder aus.
Und heut hab' ich ein Blatt gefunden,
Das lang vergilbt im Staub geruht –
O Zeit! dich wähnt' ich weit entschwunden!
Nichts ist verschmerzt, nichts überwunden,
Und aus der Asche flammt die Glut.
O Sehnsucht! Wie der Vogel ruht im Nest
Und birgt das Köpfchen unter seinen Schwingen,
Ruhst du im Herzen oft und schlummerst fest
Und weißt von Flattern nichts und nichts von Singen.
Doch wenn der Sonne Morgenstrahlen dringen
Zum schatt'gen Ort, wie plötzlich wirst du wach,
Kein Rasten mag, kein Ruhen mehr gelingen –
Mußt fort vom heimathkühlen Laubesdach,
In Sonnenglut, den hohen Wolken nach!
Könnte doch, o könnte doch
In Gesang verströmen
Meine arme Seele noch!
Ach, kein Wort erfüllt und stillt
So des Herzens Tiefen,
Wie ein Ton, der voll entquillt.
Er befreiet, er beschwingt
Alles, was gefangen
Zitternd nach Erlösung ringt;
Und er trägt so Glück als Schmerz,
Göttliches Geheimniß,
Himmelaufwärts – Erdenwärts!
Keine Töne hab' ich mehr,
Blaß sind alle Worte,
Und Verstummen, ach, so schwer.
Könnte doch, o könnte doch
In Gesang verströmen
Meine arme Seele noch!
Dürft' ich, von deinem Arme still umfangen,
Den müden Kopf nur einen Augenblick
An deine Schulter stützen ohne Bangen,
Versöhnt wär' ich dem schmerzlichsten Geschick!
Dann wollt' ich Alles, Alles freudig tragen
Und nichts mehr fordern für mich selbst vom Glück.
Still würd' ich ruhn und kaum zu athmen wagen,
Ob ich gleich zitterte vom Kopf zum Fuß,
Nicht regen würd' ich mich vor tiefem Zagen,
Zum Himmel nur im höchsten Vollgenuß
Der Seligkeit die feuchten Blicke wenden
Und flehen, weil doch Alles enden muß:
Herr! laß in diesem Augenblick mich enden!