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Adolf Friedrich Graf v. Schack


Libellen.

Kommt, Libellen, Schmetterlinge!
Goldig, roth und blau von Schwinge,
Wiegt euch in der Sommerluft.
Hin von Kelch zu Kelche gaukelt,
Windgeschaukelt,
Um mich her im Blüthenduft.

Seid die Seelen ihr von Stunden,
Die mir süß dahingeschwunden?
Wie ihr aus der Gruft euch hebt,
Alle kenn' ich sie, die holden,
Welche golden
Mich in sel'ger Zeit umschwebt.

Stunden in geliebten Armen
Einst verträumt, indeß von warmen
Lippen mich der Hauch umquoll,
Und zu mir wie Himmelslieder
Sanft hernieder
Eine süße Stimme scholl.

Wie ihr leicht, ihr flügelschnellen
Schmetterlinge und Libellen,
Um mich schwebt im Morgenschein,
Selber aus des Grabes Banden
Schon erstanden
Glaub' ich, so wie ihr, zu sein.

Geistergruß.

Wenn mitternächtlich auf den Gassen
Des Tages letzter Lärm verhallt,
Weil' ich allein in deinem Zimmer
Und sehe, wie des Mondes Schimmer
Zu all den Plätzen, nun verlassen,
Mit blassem Dämmerscheine wallt.

Ein leises Zittern schleicht, ein Beben
Hin an den Wänden, bang und stumm;
Der Rosenstrauch, den du begossen,
Strömt Duft aus Kelchen, neu erschlossen,
Und träumend hinter seinen Stäben
Regt sich der Zeisig wiederum.

Im Strahl des Mondes tönt mit matten,
Gebrochnen Klängen das Klavier;
In Wonne halb und halb in Trauer
Zieht durch die Saiten hin ein Schauer –
Ich fühle, aus dem Reich der Schatten,
Adele, ist's ein Gruß von dir!

Geistergruß.

Gedicht von Adolf Friedrich Graf v. Schack,
componirt von Robert v. Hornstein.

 

Notenblatt
Notenblatt

Vision.

Am Tage bang und herzbeklommen
Schreit' ich dahin auf ödem Pfad,
Bis, wenn sein dreistes Licht verglommen,
Die vielersehnte Stunde naht.

Sie, die im Tod mich nicht vergessen,
Auf kurz dann darf ich wiedersehn;
Herüber von den Grab-Cypressen
Schwebt sie zu mir im Abendwehn.

Von ihrem Athemzug, dem reinen,
Umhaucht fühl' ich mich wiederum;
Sie drückt die Lippen auf die meinen,
Und Seele hängt an Seele stumm.

Wie mahnend in mein Auge sieht sie,
Legt ihre Hand in meine matt,
Und leis zu sich hinab mich zieht sie
In ihre dunkle Grabesstatt.

Und wo ich nach des Lebens Streite
Ruhn soll im stillen Friedenshaus,
Dort unten träum' ich, ihr zur Seite,
Den Traum des Todes schon voraus.

Am Morgen.

Welch ein Schimmern rings und Leuchten!
Funkelnd in des Morgens Strahl
Sprühn die Tropfen von den feuchten
Zweigen nieder in das Thal.

Licht auf den beeis'ten Spitzen,
Licht selbst tief im Abgrundschacht –
Ach! durch all das Strahlen, Blitzen
Trag' ich einsam meine Nacht!

Ines.

Mädchen, deiner Stimme Lachen,
Deiner Wangen Rosenlicht,
Sei's im Schlummer, sei's im Wachen,
Andres träum' und denk' ich nicht.

Bei der Castagnetten Schmettern,
Deiner Blicke feuchtem Glanz
Beb' ich, gleich des Lorbeers Blättern,
Drunter du dich schwingst im Tanz.

Länger ist's mir nicht geheuer,
Zauber mußt du üben, Kind,
Daß das Blut wie sengend Feuer
Wild mir durch die Adern rinnt.

Ja, mir ahnt, bei deiner Amme,
Die als Hexe Allen gilt,
Hältst du nächtlich in die Flamme
Meines Herzens wächsern Bild.

In der Brust dann banges Klopfen
Fühl' ich, Glut wie siedend Erz;
Ach! geschmolzen fließt in Tropfen
Auf den Herd mein armes Herz!

Dolores.

Tiefer fliegt die Sommerschwalbe;
Vor dem Wetter zucken matt
Längs der Uferbäume falbe
Blitze hin von Blatt zu Blatt.

Und, aus tausend Kelchen stäubend,
Wallt der Nachtviolen Duft,
Der Jasmine, sinnbetäubend,
Durch die athemschwere Luft.

O ich fühl's! mein Herz umstricken
Will noch mächtiger, als je,
Das verzehrende Entzücken
Von zuvor, das sel'ge Weh;

Fühle, daß in Geist und Sinnen
Neu der alte Rausch mir gährt,
Wie da du mir, Weib, tiefinnen
An des Lebens Mark gezehrt.

Ist der Arm noch nicht vermodert,
Der sich heiß um meinen wand?
Nicht der Lippen Glut verlodert,
Die auf meinen oft gebrannt?

Wieder deine schwarzen Augen
Seh' ich flammen über mir:
Aus dem Grab, mein Blut zu saugen,
Steigst du nächtlich als Vampyr.

Mitternacht.

Tiefmitternacht; müd' ist durchs Laubgeschling
Der letzte Hänfling in sein Nest geflogen;
Schlaftrunken hängt der nächt'ge Schmetterling,
Am Kelche der Viole festgesogen.

Und die Natur, in Schweigen tief versenkt,
Scheint auf ihr dunkles Selbst sich zu besinnen;
Die Quelle, draus sie alles Leben tränkt,
Hörst du aus den verborgnen Klüften rinnen.

O Nacht, zu deinem Heiligsten das Thor,
Wohin kein Blick noch fiel der frechen Sterne,
Ist hier; doch drang je Einer weiter vor,
Hinab zu deinem allgeheimen Kerne?

Wie manches Mal schon daß ich dich beschwur:
Noch tiefer laß das Dunkel um mich nachten!
Den großen Schatz des Lebens, der Natur,
Ich weiß, birgst du in seinen düstern Schachten.

Und dichter, dichter um mich quoll und brach
Die Finsterniß aus nie erschöpften Bronnen;
Ich ahnte, aufgeschlossen vor mir lag
Dein Heiligthum voll unbekannter Wonnen.

Stumm, athemlos starrt' ich, wie festgebannt,
Noch in den wundervollen Abgrund nieder, –
Da ward's im Osten hell und Alles schwand
Allmählich in das laute Tagslicht wieder.

Im März.

Dich vor allen Monden preis' ich,
Fürst des Jahres, heil'ger März,
Wenn den Banden, starr und eisig,
Sich entringt der Erde Herz!

Noch ist Schlaf auf sie gebreitet,
Aber leise, sichtbar kaum,
Ueber ihre Züge gleitet
Schon vom nahen Lenz ein Traum.

Und sie regt sich; aus den Kammern,
Wo es stockend lang geruht,
Fluthet, durch gebrochne Klammern,
Wiederum ihr Lebensblut.

Und des Donners ersten Schlägen,
Der den Frühlingschor beginnt,
Und dem Wettersturm entgegen
Jauchzt der Sonne Lieblingskind.

Da, wie Eis im Frühlingswinde,
In dem großen Werdehauch
Schmilzt des Frostes starre Rinde
Tief in unserm Herzen auch.

Sprudelnd mit den Erdenflüssen,
Mit der Gletscherströme Fluth,
Bricht in mächtigen Entschlüssen
Neu hervor der Lebensmuth.

Und, der lang, ein Schlafbetäubter,
Dagelegen, wieder kreis't
Um der Alpen Riesenhäupter
Mit den Adlern nun der Geist.

Daß er hoch und höher ringe
Und, durchglüht von deinem Kuß,
Ganz sein Lebenswerk vollbringe,
Sei mit ihm, o Genius!

Allerseelen-Nacht.

Der Tag verglomm mit blassem gelbem Streife.
Einsam war ich zum Thor hinausgegangen
Auf Pfaden, weiß vom ersten Winterreife,

Und wie um mich in des Novembers Schauer
Die letzten welken Blätter niederstoben,
Verhüllte meine Seele sich in Trauer.

Der Lieben all, die ich verloren hatte,
Dacht' ich und hub, versunken in Erinnrung,
Von Jedes Grabe noch einmal die Platte.

So, nicht der Stunden achtend, wie sie schwanden,
War ich, verirrt, zu einem Platz gekommen,
Auf welchem nie zuvor mein Fuß gestanden.

Um mich erglänzten bleich im Mondenstrahle,
Mit frischem Kranze jedes Kreuz umwunden,
Reih'n hinter Reihen ernste Todtenmale.

Gesang ertönte aus der Grabkapelle,
Die in der Mitte stand, und durch die Fenster
Glomm vom Altar der Lichter matte Helle.

Langsam herab vom Thurm erklang Geläute;
Zwölf Schläge that die Uhr, und bangen Herzens
Sagt' ich mir: »Allerseelen-Nacht« ist heute.

Da, wenn's vom Thurme Mitternacht erschollen,
Sieht, wer auf einen Kirchhof sich verirrte,
Die Theuern, die ihn bald verlassen wollen.

Und schon im bleichen Mondstrahl drei Gestalten
Gewahrt' ich auch, die längs der Grabdenkmale
Im Feiergange zur Kapelle wallten.

Zur Seite wollt' ich weichen, angstbeklommen;
Doch mußt' ich, festgebannt, am Wege stehen
Und sah sie näher, immer näher kommen.

Der Vordern glühten jugendlich die Wangen,
So wie in Bajä's Bucht die Meereswellen,
Wenn sie im Morgenlicht des Ostens prangen.

Sie war es, die mir leicht jedwede Mühe
Und jeden Kampf gemacht und jedes Wagen
In meines Lebens goldner Morgenfrühe.

Sie schritt mit mir im Lenz durch grüne Auen
Und ließ, wenn schwer des Herbstes Nebel wallten,
Mich schon des neuen Frühlings Sonne schauen.

Als Spiel durch sie hat mir Gefahr gegolten,
Und lächelnd blickt' ich auf die Wetterwolken,
Die drohend über meinem Haupte grollten.

Ich rang, berauscht von ihrem Athemzuge,
Mich aus dem niedern Staub empor und folgte
Dem Adler nach auf seinem kühnsten Fluge.

Und nun, du schönster Gast beim Lebensfeste,
Rief ich, o Jugend! willst du mich verlassen?
Und nimmst von meinem Dasein mit das Beste!

Doch achtlos sah ich sie von dannen schreiten;
Drauf, wehmuthsvoll ihr nachschau'nd, hört' ich Töne,
Wie Windeshauch durch Aeolsharfensaiten.

Und zu mir trat mit rückgeschlagnem Schleier,
Das dunkle Auge von Begeistrung glühend,
Die Zweite, in der Rechten eine Leier.

Auch du, Gespielin meiner Knabenjahre,
Rief ich, des Jünglings Lehrerin und Freundin,
Willst fliehn? O, was bleibt dann mir, als die Bahre?

Nie mehr die heilige Flamme willst du zünden
Auf dem Altare meines Herzens? nie mehr
Durch meine Lippen Seherworte künden?

Nie ferner zu der Vorwelt grauen Tagen
Und über Raum und Zeit hinweg die Seele
Mir zu der fernen Zukunft Wundern tragen?

Soll ohne Sinn fortan der Sterne Reigen,
Der ewige, zu meinen Häupten kreisen
Und die Natur, zu Stein erstarrt, mir schweigen?

Wenn du mich fliehst und früher Herbstreif schnöde
Erstarren läßt den Frühling meiner Seele,
Was bleibt mir in des Lebens Winteröde? –

Sie schritt zur Grabkapelle fort; mir hingen
In dunkler Trauer lang an ihr die Blicke,
Und fern hört' ich ihr Saitenspiel verklingen. –

Die Dritte kam, von mildem Glanz umwoben;
Ein Hauch des Lenzes schien um sie zu wehen,
Vor dem die kalten Nebel rings zerstoben.

Mit tiefen seelenvollen Augen schaute
Sie lang mich an, mir war, als ob in ihnen
Der ganze wolkenlose Himmel blaute.

Und du selbst, sprach ich, willst mir treulos werden,
Du Hüterin an der geweihten Quelle,
D'raus Alles fließt, was göttlich ist auf Erden?

Dich in der Seele ahnungsvoller Stille
Früh fühlt' ich, wie des Morgens Nahn die Rose
Schon fühlt, eh sie noch bricht die Knospenhülle.

Und als du kamst, als du die Engel-Holde
Mir in den Arm geführt, wie glomm und strahlte
Um mich das Leben auf im Morgengolde!

Wie senkte sich auf uns in Duft und Blüthen
Ein Lenz, der nicht von dieser Welt, hernieder,
Als ihre Lippen an den meinen glühten!

Und ist mit seinen ersten Wonnestunden
Mit seinen Rosen, seinen Nachtigallen
Auch jener Mai der Liebe hingeschwunden,

So weich doch du nicht, Fürstin meines Lebens!
Schon wenn ich's denke, zittert durch die Seele
Mir Todesahnung, schauervollen Bebens. –

Ich sprach's; mir war, als ob sie, mein nicht achtend,
Von dannen schritte; da sank tiefes Dunkel
Auf meine Augen, finster mich umnachtend.

Bewußtlos lag ich lange; als das matte
Aug' ich von Neuem hob, fand ich am Boden
Mich hingestreckt auf einer Grabesplatte.

Erblaßt im Kirchlein war der Kerzen Schimmer;
Doch die Gestalt, die ich geschieden wähnte,
Stand, wie zuvor, zur Seite mir noch immer.

Nein, nicht dieselbe sah ich mehr; ihr Schatten
Nur war's gewesen, welchen meine Blicke,
Ich ahnt' es wohl, zuvor gesehen hatten.

Sie glich an Hoheit und an Himmelsmilde
Dem Urbild aller Göttinnen und Frauen,
Dem ewigen, auf des Urbiners Bilde.

Ins Antlitz schaut' ich bange nur der Hehren,
Und mehr und mehr sah, als ich aufwärts blickte,
Ich sie zu Himmelsglorie sich verklären.

Sie sprach: Nicht jene, die im Sinnentriebe
Die Adern klopfen läßt, die Herzen schlagen,
Ich bin die ewige, die reine Liebe.

Wem meinen Lebensodem in die Seele
Ich hauche, überreich mag er sich preisen;
Und ob auch alles Andere ihm fehle:

Die Menschheit lehr' ich an die Brust ihn drücken,
In Liebe alles Lebende umfassen
Und selber so beglückt sein im Beglücken.

So zage nicht! Wenn in dem wüsten Treiben
Der Welt du einsam dastehst und verlassen:
Ich will dir bis zum Schluß der Zeiten bleiben!


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