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Wilhelm Hertz


Den Manen meines Bruders.

(1859–1864.)

Alloquar? audierone unquam tua facta loquentem?
Nunquam ego te, vita frater amabilior,
Adspiciam posthac? At certe semper amabo,
Semper moesta tua carmina morte canam.
Catull. 65, 9.

I.

Du warst zur Freude mir geboren;
Leicht blickt' ich in die Welt hinaus.
Nun hab' ich jählings dich verloren,
Und öde steht mein Vaterhaus.

Dich schaut' ich an, wollt' ich ermatten;
Du lös'test meinen ernsten Sinn.
Nun breitet sich ein finstrer Schatten
Weit auf mein ruhlos Leben hin.

Ich freute mich an deiner Seite
Der eignen Jugend noch einmal
Und sah verklärt der Zukunft Weite
In deiner treuen Augen Strahl.

In deine starke Brust verschlossen
Blieb ohne Zeugen Glück und Noth;
Nie zagtest du, wenn du beschlossen,
Schnell zum Genusse, schnell zum Tod.

Eng ward es dir an allen Enden,
Da brachst du durch mit mächt'gem Stoß
Und rissest aus der Parze Händen
Im Trotz dein unvollendet Loos.

Nicht komm' ich, Bruder, anzuklagen,
Zu richten Wirklichkeit und Wahn.
Doch laß mich ohne Vorwurf sagen,
Wie weh, wie weh du mir gethan!

Mich faßt ein innigliches Sehnen,
Noch einmal neben dir zu gehn,
Auf deine Schulter mich zu lehnen
Und in dein freundlich Aug' zu sehn.

Ich bin allein. Nur Falter schweben
Um Rosen, die im Wind verwehn.
Mich aber ruft das laute Leben,
Mein eignes Schicksal zu bestehn.

Ich geh' hinweg, vielleicht auf immer;
Doch deinen Staub nur lass' ich hier.
Dein Bild in ew'gem Jugendschimmer
Wallt bis ans Ende neben mir.

*

II.

Bruder, wenn der Jugend Leben
Jubelnd um mich blüht und schallt,
Seh' ich einsam drüber schweben
Deine trauernde Gestalt.

Wie wenn aus der Geister Mitte
Dich ein Richterspruch verbannt,
Weil mit unberufnem Tritte
Du verletzt ihr heil'ges Land.

Und aus Himmelseinsamkeiten
Zieht die Sehnsucht dich zurück,
Schattenarme auszubreiten
Nach verschmähtem Erdenglück.

Ach, verblaßt sind deine Wangen,
Ewig hin das Roth der Lust,
Und mit grüßendem Umfangen
Wärmt dich keine Menschenbrust.

Aber jenseits aller Schranken,
Wohin nie ein Auge sah,
Auf den Flügeln der Gedanken
Bleibt dir unsre Liebe nah.

Eins wird keine Macht dir rauben,
Trost für Alles, was du trugst:
Daß noch Herzen an dich glauben,
Die du selbst am schwersten schlugst.

Ob die Erde dich vertrieben,
Ob der Himmel dich verstieß, –
In den Seelen deiner Lieben
Blüht dein schönstes Paradies.

*

III.

Lichtlos, wortlos rangst du vor mir in verzweifelndem Sterben,
Und mit den Qualen des Seins kämpfte das Grauen des Tods.
Welk dein jugendlich Haupt, zersprengt von der schrecklichen Wunde;
Schaudernd starrte der Tag auf das entsetzliche Bild.
Ach, kein Himmlischer kam, dir die blutige Locke zu lösen;
Träge wie glühendes Erz schlich um dein Bette die Zeit. –
Siehe, nun ruhst auch du, vom Frieden des Grabes beschattet!
Sieh, und in Wehmuth schmilzt weich der erdrückende Schmerz.
Herb im Leben empfind' ich es zwar: du bist mir verloren!
Aber ich danke dem Glück, daß es dich einmal mir gab.
Nicht nach der Menschen Gemüth, doch gerecht ist der Wandel der Horen:
Nehmen sie heute die Lust, nehmen sie morgen das Leid.
Drohend bestürmte der Jammer mein Herz; nicht hofft' ich zu leben.
Doch in des Feuers Gewalt ward ich zum Manne gestählt.
Wüthe der Kampf und schwirre der Pfeil! In dreifache Rüstung
Hüllt sich unnahbar die Brust, die das Unleidliche litt.
Komme der Tod! Ihn kenn' ich als Freund, als ersehntesten Tröster,
Seit dein duldendes Herz sanft der Versöhnte gestillt.
Furchtlos wandl' ich den sinkenden Pfad, wo in schweigendem Dunkel
Deines enteilenden Tritts trauliche Spur mir entschwand.

*

IV.

Wenn überströmt von tausendfachem Duft
Die junge Mainacht ruht in sehnsuchtschwülem Schlummer,
Dann schwebt Erinnrung flüsternd durch die Luft,
Sucht nach entschwundnem Glück und lauscht begrabnem Kummer.
Dann steigt auch mir ein schmerzlich Bild empor:
Dein Schatte, Bruder, kommt, um mir zu sagen,
Daß du mein Liebling warst in hoffnungsreichen Tagen,
Und daß ich dich in solcher Nacht verlor.

Der Lebensdrang, der aus den Knospen quillt,
Aus allen Gründen keimt und braus't in allen Fluthen,
Dich überkam er maßlos, ungestillt
Und ließ durch eigne Kraft dein hastig Herz verbluten.
Verächtlich karg schien, was die Welt dir gab;
Nicht hielt dich ihr verheißend Blühn und Kosen:
Du gingst von ihr im Groll, und flammenrothe Rosen
Warf dir der Frühling trauernd auf das Grab.

Ich aber blieb im Leben einsam stehn
Und sah der Jugend Glück, der Jugend Täuschung scheiden.
Ich seh' die Lenze kommen und vergehn
Und schlürfe tropfenweis der Erde Lust und Leiden.
Nicht weiß ich, ob ich Den beklagen darf,
Der so wie du die Welt gestreift im Fluge,
Den Becher ausgeleert mit einem vollen Zuge
Und ihn zerschmetternd dann zu Boden warf.

*

V.

Kein Trauerzeichen trägt der Ort,
Drauf sterbend du gesunken.
Nur bunter blüht die Erde fort,
Die einst dein Blut getrunken.

Wer fühlt mit uns? Stiefmutter Natur,
Zu groß für Hassen und Lieben,
Hat spielend unsres Namens Spur
Ins rinnende Wasser geschrieben.

Was blieb, o Bruder, noch von dir?
Nachdem verhallt die Klage,
Lebst du verbleichend nur in mir,
Ein Traumbild meiner Tage.

Und all das namenlose Leid,
Der Jammer unermessen
Ist über eine kleine Zeit
Mit dir und mir vergessen.

Unter blühenden Bäumen.

Unter blühenden Bäumen
Lieg' ich in Einsamkeit,
Von alter Zeit,
Von alter Liebe zu träumen.

Sehnsüchtige Stille ringsherum,
Nur Bienengesumm
Und fern im Thal ein Glockenklang:
Ob Hochzeitläuten,
Ob Grabgesang,
Ich will's nicht deuten.

Lenzwolken ziehn mit sanftem Flug.
O Jugendleben,
Das lang verblich,
O Frühlingsweben,
Was lockst du mich?
Goldsonnige Fernen lachen.
Neues Hoffen, neuer Trug!
Lenz, des Zaubers ist genug!
Nein, wieg mich ein
Zur süßen Ruh'
Und decke du
Mein träumend Haupt mit Blüthen zu!
Rosige Dämmrung hüllt mich ein:
O seliges Verschollensein,
Schlafen und nimmer erwachen!

Frühherbst.

Frühherbstliche Tage voll Nebelgrau:
Längst kehrten vom Felde die Schnitter;
Dahin ist der Lüfte lachendes Blau
Und der flammende Zorn der Gewitter.

Wir haben geliebt in der Maienzeit –
Traumflüchtige Tage der Wonnen!
Dann Kampf und Scheiden und sehnendes Leid,
Und nun auch dieses zerronnen.

Die Weisheit, die leicht entbehrte, kam
Und löschte des Lebens Farben.
Der Seele Gewalt ward flügellahm,
Und des Lorbeers Sprossen verdarben.

Nichts fürchten und hoffen, ein karger Gewinn!
Am Täglichen haftet der Wille,
Und über der Welt und meinem Sinn
Lastet unendliche Stille.

O Jugendwahn, verblendetes Glück,
Leichtgläubiger, kehre mir wieder!
Gieb dem darbenden Herzen die Liebe zurück,
Der verstummten Lippe die Lieder!

Aufleuchte mein Leben in lohender Gluth;
Dann mag es dämmern und nachten!
Und lieber versinken in stürmender Fluth,
Als am sicheren Lande verschmachten.

Liederstille.

Einsam noch in düstern Stunden
Sang ich mit der Nachtigall;
Doch die Schatten sind entschwunden
Und verstummt ihr holder Schall.

Liebchen, sieh, durch Wald und Auen
Neues Thun zu zwei'n und zwei'n,
Halme tragen, Nester bauen,
Weltverschwiegen selig sein.

Um in Harmonien zu schweben,
Brauchen wir der Lieder nicht:
Ist doch unser ganzes Leben
Selbst das lieblichste Gedicht.

Erdenglück.

Sein Werk zu krönen, sann der Weltenmeister
Im Schöpferstolz, da schuf er Mann und Weib.
Drum sind wir sel'ger als die sel'gen Geister:
Sie sind's am Geist nur, wir an Geist und Leib.

Durchwallt der Herr das irdische Gefilde
Und kehrt von Leid und Thorheit sein Gesicht,
Da schaut er unser Glück und lächelt milde:
Daß ich die Welt schuf, sieh, es reut mich nicht!

Hausinschrift.

Du ziehst hinein, du ziehst hinaus,
Ein flücht'ger Gast im eignen Haus.
Drum wird dir Liebe zum Geleit:
Sie legt ins Heut die Ewigkeit.


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