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Julius Grosse


Jugendlieder.

1.

Gleich den Tagen nun die Nächte.
Stürme brausen thalhernieder,
Stürme toben auch im Herzen,
Scheuchen nun den Frieden wieder.

Sah wohl schon die Schatten länger
Und die Strahlen kürzer werden;
Winterkündend war der Sturm mir,
Laub und Blüthe sank zur Erden.

Heute sagen still zwei Augen:
Sieg dem Lichte soll es sein.
Diesmal sind es Frühlingsstürme:
Neue Liebe zog herein! –

*

2.

Von allen blühenden Sommern der Jugendzeit
Blieb der Erinnrung kaum mehr ein Nebelstreif,
Seit mir erblüht zwei blaue Blumen
In deinen tiefen Mädchenaugen.

Aus allen lauten Nächten im Freundeskreis
Steigt mir empor nur ein blutloses Schattenheer,
Seit mich wie leuchtende Engel umstehen
Die seltenen Stunden, da wir uns sahen.

Um alle dunklen Pforten der künftigen Zeit
Ist mir gebreitet himmlischer Traumesglanz,
Seit ich den einzigen Pfad zum Glücke
Fand, wo immer dein Fuß gewandelt. –

*

3.

Die weite Welt ist nun zur Ruh',
Das Mondlicht kommt verstohlen
Und küßt die müden Augen zu.
Schatten kommen, so kamst auch du,
Schwebend auf leichten Sohlen.

Wie sah ich dein Auge leuchten klar
Und Thränen darin stehen.
Ich weiß nicht, wie es geschehen war,
Das aber weiß ich immerdar,
Daß Leides uns geschehen.

Noch fühl' ich beben deine Hand,
Als wir im Sommer schieden.
Der Winter kam und der Winter schwand,
Ich wandre in fernem, fremdem Land
Und finde nimmer den Frieden.

Die ganze Seele füllt' ich dir aus,
Wärest du jetzt mein eigen.
Doch du schlummerst fern im grünen Haus,
Nachtfalter flattern herein, heraus,
Und im Garten wandelt das Schweigen.

*

4.

Die Luft ist still, und die Nacht ist hell
Von blitzendem Mondenlichte,
Da steigen die alten Zeiten herauf
Und kosende Traumgesichte.
Wie vom Waldgebirge ein Wehen rauscht
In den Wipfeln hin und wieder,
So rauschen empor aus der Zeitenfluth
Verklungene alte Lieder.

Es ragen Marmorgestalten still
Auf rauschenden Gartenbrunnen.
Sie denken zurück an das goldene Rom
Und an stürmende Gothen und Hunnen.
Sie beten zu Göttern, die längst entflohn,
Und haben doch keine Thränen –
Sie waren wohl selber Götter einst
Und kannten Lieben und Sehnen.

Mir tönt ein altes theures Lied
Aus deutscher Liebessage,
Das mahnte Manchen an Treu' und Tod
Und verschwundene Jugendtage:
Ich hab' dich geliebet, ich lieb' dich noch heut,
Dich Eine in Lust und Wehen,
Dich werd' ich lieben in Ewigkeit,
Gäb's auch kein Wiedersehen. –

*

5.

Am lauten Strome ging ich einsam hin
Am trüben Sonntagnachmittage.
Die Wellen zogen – todt war mir's im Sinn;
Wo rauscht ihr hin? – Du goldne Zeit – wohin
Entfloh der Sommer aus dem Hage? –

Aus lustigem Ballhaus tönte Volksgesang
Hellauf mit Flöten und mit Geigen.
Da wie erwachend auf das Herz sich schwang,
Als deiner Nähe Zauber zu mir drang,
Und in der Seele klang ein süßer Reigen.

Der Nacht entgegen ging der Weg im Glanz,
Nachflogen uns die Sommerfäden,
Mitflogen Gedanken schwebend wie im Tanz,
Der Zukunft windend einen grünen Kranz
Aus heimlich scheuen Liebesreden. –

Am stillen Kirchhof waren wir allein,
Ein heilig Wort, du hast's vernommen,
Vernahmst es lächelnd – weit im Sonnenschein
Wird mir der Winter neuer Frühling sein,
Seit diese Last vom Herzen mir genommen.

Herbstblätter.

1.

Bunt umschimmert mich der Herbst,
Gelb und roth die Blätter fallen,
Raben krächzen durch den Hochwald
Statt des Lenzes Nachtigallen.
Von den Zweigen glüht's wie Rosen,
Und es prangt die fahle Bergau
Blumenreich von Herbstzeitlosen.

Bunt umschimmert mich der Herbst –
Auch der Herbst ist's meines Lebens,
Und der Sturm umbraust mein Wohnhaus,
Und er singt ein leis Vergebens. –
Zwar erfüllt ward Glück und Liebe,
Doch die Winterstürme mahnen,
Daß nichts Irdisches uns bliebe.

Bunt umschimmert mich der Herbst –
Ach, es sind des Todes Farben,
Denk' ich der Geliebten, Theuren,
Die beglückt schon vor mir starben.
Nur ein welkes Blatt im Winde
Bin ich selbst, und Ahnung tönt mir,
Daß ein frühes Grab ich finde.

*

2.

Der Regen strömt und der Tag ist grau,
Drum fülle das Glas mir, schöne Frau!
Gelobt sei Eisenach's Felsenkeller,
Da wird der dunkle Tag uns heller.
Ihr grauen Jahre, ihr Menschenalter,
Hier blättr' ich still in eurem Psalter.
Ach, meine Jugend ist hingeschwommen,
Mir ist der Trotz abhanden gekommen,
Ich bin nun ein Mann, wie andre sind,
Mit Haus und Sorgen und Weib und Kind.
Drum ist mir vergangen die Lenzeslust;
Auch Glück ist schwer für die Mannesbrust.
Doch hier wacht auf der verklungene Schall
Der Wittenberger Nachtigall.
Martinus, edler Ritter, im Sturm
Bist du gestanden wie ein Thurm.
Zu Schanden machtst du der Feinde Spott,
Eine feste Burg war dir dein Gott.
Hier will ich lernen den alten Muth
Mit Jugendkraft und Jugendgluth.
Und sollt' ich werfen das Tintenfaß
Auf den Teufel: den alten Menschenhaß.
Du kämpftest mit Päpsten und Kirchenvätern,
Mit Sorgenteufeln kämpfen wir Spätern.
Und doch, ob ich von Jugend schied,
Nachsing' ich dein ewig junges Lied:
Eine feste Burg ist unser Gott,
Der helf' auch mir aus aller Noth!

Tagebuchblätter.

1.

Bei schwarzem Brod und dunkelrothem Wein,
Vor blauen Bergen, die die Wolken krönen,
Das Zeltdach über mir im Sonnenschein,

Hier dünk' ich mich ein Fürst im Reich des Schönen,
Mit Macht begabt, wie keiner sonst der Welt,
Und mir zur Seite lagern die Kamönen.

Die Bienen summen, aus den Wolken fällt
Ein Sonnenblitzen, ferne tönt Geläute,
Und blaue Falter gaukeln überm Feld.

Zur Bergkapelle pilgern fromme Leute,
Ein Waldduft kommt vom Berge hergeflogen
Von Baumesblüthen, die der Wind zerstreute.

Hier ist mein Reich; in vollen, reichen Wogen
Braus't mir vorbei des Lebens Strom, entflohn
Sind alle Sorgen, die mich sonst umzogen.

Ich fühle mich des Volks gebornen Sohn;
Was es bewegt zu Liedern und zu Thränen,
Ich lad' es ein zu meinem grünen Thron.

Sein Hoffen, Glauben, selbst sein blindes Wähnen,
Die Heldensagen, die es kühn ersann –
Auch sie sind mein. Auf! schüttle deine Mähnen,

Mein Pegasus, und heb dich himmelan!

*

2.

Ja, Viel gegeben hat ein reicher Gott,
Und seine Hände schirmten meine Tage
In Glück und Leid, in Ueberfluß und Noth.

Er hörte manche sehnsuchtsvolle Klage,
Auf öder Heide schuf er mir ein Zelt,
Antwort im Sturmwind gab er mancher Frage.

Lang war mir Heimath nur die weite Welt,
Wie dem Zigeuner; doch er gab mir Bahnen
In dunkler Nacht vom Sternenlicht erhellt.

Durch Wüsten führt' er meine Karawanen,
Durch Sturmeswogen und empörtes Meer
Und kränzte mit dem Siege meine Fahnen.

Drum preis' ich ihn. Die Zweige hängen schwer
Von reifer Frucht, daneben Blüth' an Blüthe,
Und nimmer noch ward meine Scheuer leer.

Drum preis' ich ihn und preise seine Güte,
Auch wo er heißem Wunsch das Ziel versagt
Und sich umsonst entflammte Kraft bemühte.

Am Horizonte manchem Pilger ragt
Ein Prachtbild, hohe Schlösser, Palmenauen;
Doch fand den Tod, wer sich zu nah gewagt.

Ich schreite still voran voll Gottvertrauen.

*

3.

Nichts fürcht' ich mehr, so Manches mich gegrämt,
Nichts fürcht' ich mehr, als jenes trübe Alter,
Das unsrer Seele weite Flügel lähmt.

Die graue Zeit, wo sich zum schwarzen Falter
Die Psyche wandelt, dunkel wird die Brust
Und sucht vergebens Tröstungen im Psalter.

Zum Märchen wird verschwundne Jugendlust,
Umwuchert wild von längst verwelkten Ranken,
Zum Wahn wird, was dir selig einst bewußt.

Verödet sind die Gärten der Gedanken
Zur Heide; statt des Meeres schleicht der Strom
Verschilfter Zeit, und ihre Halme schwanken.

Nein, lieber früh hinschwinden als Atom,
Als spät noch trauern auf bemoos'ten Trümmern
Sich überlebend, selbst nur ein Phantom.

Noch seh' ich meines Lebens Sterne schimmern
In ew'ger Jugend, ew'ger Gegenwart,
Daß künft'ge Sorgen wenig mich bekümmern.

So hoff' ich auch, sie bleiben mir erspart,
Wenn weiß die Haare mir das Haupt umfliegen;
Und einst im Sturm und Kampf der Lebensfahrt

Werd' ich noch jung im letzten Sieg erliegen.

Vision.

Dunkle Stunden habt auch ihr, Gestade,
Und der Schmerz ward neu im goldnen Süden,
Und ich schien mir selbst ein Abenteurer,
Heimathlos, und klippenvoll umbrandet
Jeder Hafen, wo ich landen wollte.
Alles schien mir eitel und vergänglich,
Wie ein Hauch des Abendwinds auf Gräbern.
Doch in dieser Stunde war's des Leides,
Als es riesengroß zu mir herantrat,
Ganz so traulich wie in frühster Jugend;
Ein Gebild aus Aetherglanz gewoben,
Sternenkränze in den Wolkenlocken,
Himmelsfeuer in den Geisteraugen,
Und es sprach mit Weiheklang im Mondlicht:

Willst du mich verkünden, wo ich walte
In des Sommers Gluthen, wie im Schlummer
Weißer Wintertage, wo die Krähen
Einsam krächzen über Nebeltannen,
Willst du mich verkünden, wo ich walte
In dem blauen Auge eines Kindes,
Im Gesang von süßer Mädchenlippe,
Wie im hehren Klang der Kirchenglocken,
Wo ein Söhnlein betet für die Mutter,
Wo ein Feuer auf dem Herde lodert
Und der Vater seine Kleinen schaukelt,
Seiner Felder denkend, die gedeihen
Und der Heerden, die sich täglich mehren?

Willst du mich verkünden, wo ich walte
Tief im Leuchten blauer Meereswogen,
Wo die Inseln aus den Fluthen tauchen,
In den Götzentempeln nackter Wilden,
In dem Marmorbildniß der Hellenen,
Im Madonnenantlitz, wie im Sturmwind,
Der hinbrauset über Hünengräber,
Wo die Schatten todter Helden kämpfen,
Grabesmüde und mit offnen Wunden?

Willst du mich verkünden, wo ich walte
In dem Stüblein, das von Wein umsponnen,
Wo die Freunde frohen Rundtrunk halten
Und an stolzen Luftpalästen bauen, –
In der eignen Brust, der eignen Thräne,
Die in herbem Seelenkampf geflossen,
In schlafloser Nächte Herzentzückung,
In dem Glauben einer ew'gen Liebe,
In der Trauer über Tod und Treubruch
Und im Muthe gegen Welt und Schicksal;
Wohl so sei mein Sänger, sei mein Dichter,
Und ich will in deinen Saiten reden,
Mächt'ge Töne deiner Seele wecken,
Daß mit Wonneschauern und Entzücken
Deinen Liedern lauscht noch späte Nachwelt
Und mit Thränen dein Gedächtniß feiert.
Denn in Menschenthränen liegt ein Balsam
Gegen Zeit und Leid und Tod und Schicksal,
Den die Götter neidisch selbst entbehren,
Die da schwelgen in der Lebensfülle;
Unbetrauert werden sie verschwinden,
Ich allein bewahre diesen Balsam,
Und vererbe seine Herrlichkeiten
Auf die Erdensöhne, die mich künden.

Also sprach's, und lange schwamm am Himmel
Tönen noch und Klingen leis im Mondlicht.
Ueberm Meere zuckt ein Wetterleuchten,
Und der Donner klang am Waldgebirge.


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